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CRESCENDO 6/19 Oktober-November 2019

CRESCENDO – Das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Interviews unter anderem mit Lucas Debargue, Gabriela Montero, Baiba Skride und Martina Gedeck.

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Poesie ohne Musik war in der Antike undenkbar, denn: Lyrik kommt von Lyra. Und die<br />

Lyra schenkte den Worten die Musik. Martina Gedeck besticht in dieser Tradition mit<br />

ihrem eigenen Ton. Sie ist eine der Großen ihres Fachs und gehört zu Deutschlands<br />

profiliertesten und beliebtesten Schauspielerinnen. Jetzt verkörpert sie die Fanny in der<br />

Hörbiografie „Fanny und Felix Mendelssohn – Zwei Leben für die Musik“.<br />

<strong>CRESCENDO</strong>: Sie lesen hier im Bayerischen Rundfunk in<br />

München gerade die Fanny in der Hörbiografie „Fanny und<br />

Felix Mendelssohn“. Verraten Sie uns ein bisschen?<br />

Martina Gedeck: Ja, ich habe aus ihren Briefen und Tagebüchern<br />

gelesen. Sie beschreibt die Beziehung zwischen den beiden<br />

Geschwistern und ihre Entwicklung als<br />

Künstler von Kindheit an. Sie, die sehr<br />

zu kämpfen hatte mit ihrem Dasein als<br />

Frau in der damaligen Zeit – das war<br />

nicht opportun. Felix wurde viel stärker<br />

unterstützt, ausgebildet und gefördert.<br />

Ihre Schaffenskraft aber hat sich immer<br />

wieder Bahn gebrochen. Sie war sehr<br />

aktiv, als Musikerin und auch als Komponistin. Ich habe ihr<br />

persönlich meine Stimme gegeben, ihre eigenen Texte gesprochen.<br />

Ich finde es gut, dass hier wirklich die Person zu Wort kommt.<br />

Was ich vorab hören konnte, hat mich sehr berührt.<br />

Ist das wahr?<br />

Ja, Sie haben aus musikalischer Sicht in all Ihrer Kunst ein<br />

unglaubliches Timing, etwas, was man „laid back“ nennt – wie<br />

ein Musiker, der sich nicht beeilt, vorschnell alle Noten zu<br />

spielen, und dennoch pünktlich ankommt.<br />

Sehr gut beobachtet. Ich beschäftige mich intensiv mit den Texten.<br />

Bei allem, was ich bisher gemacht habe, hat mich immer die<br />

Kunstform Schauspiel mehr interessiert als die Wirklichkeit eins zu<br />

eins abzubilden, so wie sie ist. Mein ursprüngliches Interesse an<br />

diesem Beruf war die Literatur, besser gesagt: die Poesie. Und da<br />

sind wir beim Zauber, dem inneren Zauber, der Parallele zwischen<br />

Musik und Poesie. Mich hat die Verbindung interessiert, wie ich<br />

der Sprachmusik körperlich Ausdruck verleihen kann. Im Gegensatz<br />

zum Theater ist die Filmsprache oft profaner, aber ich<br />

behandle diese Texte, als wären sie Dichtkunst, und lerne sie wie<br />

ein Musiker seine Partitur. Der Ausdruck beim Sprechen geht ja<br />

über den eigentlichen Inhalt hinaus. Mit der Stimme, mit der Art,<br />

wie ich den Satz spreche, gebe ich dem Menschen so etwas wie eine<br />

seelische Kontur. Ich muss den Text stark verinnerlichen, und im<br />

Lernprozess ergibt sich ein Rhythmus. Dadurch, dass ich das gut<br />

durchgearbeitet habe, habe ich eine gewisse Gelassenheit, was das<br />

Sprechen angeht. (lacht)<br />

Können Sie sich vorstellen, die Lieder der Fanny sprechend oder<br />

singend als eigenes Programm vorzutragen?<br />

Tatsächlich habe ich vor einigen Monaten angefangen, mich mit<br />

Gesang zu beschäftigen. Das ist ein riesiger Raum, der sich da<br />

auftut. Das Lied fordert das „Im-Körper-Sein“ noch viel stärker.<br />

Eigentlich bin ich unterwegs in diese Richtung, das könnte<br />

passieren. Es braucht noch einen kleinen Moment, aber ich bin<br />

sehr interessiert. Bei Fanny Mendelssohn liegt es nahe, so etwas zu<br />

machen.<br />

Könnte das ein Abend werden? Dürfen wir uns schon freuen?<br />

(lacht) Ja, das könnte ein Abend werden. Sie hat ja eine wahnsinnig<br />

interessante Biografie, und es ist schön, wenn das, was sie komponiert<br />

hat, auch aufgeführt wird.<br />

Fanny zeigt Witz in ihren Briefen: Da wird sich „wie ein<br />

Kaninchen amüsiert“ oder „der Magen wackelt zum Lachen“.<br />

„MIT DER STIMME GEBE ICH DEM<br />

MENSCHEN SO ETWAS<br />

WIE EINE SEELISCHE KONTUR“<br />

Was sind Ihre Lieblingsstellen?<br />

Ja, sie hat einen bestimmten Humor. Was mir sehr gefallen hat, ist<br />

ihre Beschreibung, wie sie Italien das erste Mal hinter den Hügeln<br />

sieht. Das konnte ich mir gut vorstellen, ihre Liebe und ihre Begeisterung<br />

für das Land. Ganz poetisch wird sie da. Auch wenn sie sich<br />

verabschiedet von Italien, wenn sie den<br />

letzten Tag in Rom beschreibt, wie die<br />

Sonne untergeht … Sie drückt sich<br />

einfach sehr schön aus in ihren<br />

Briefen. Die ganze Italienpassage hat<br />

mir gut gefallen.<br />

Sie hatten ein besonderes Initiationserlebnis<br />

mit der Musik?<br />

Zunächst kannte ich ja nur das Radio, und in Landshut, wo ich<br />

herkomme, gab es einen Orff-Kurs. Ganz modern, man hat dort<br />

Rhythmus gelernt. Das fand ich damals ziemlich toll und bin dann<br />

mit neun, als wir nach Berlin gezogen sind, gleich wieder in eine<br />

moderne Musikgruppe gegangen … (lacht), die hieß MiniVox.<br />

Der Leiter war Heinz Lau, ein moderner Komponist. Da hat man<br />

zusammen Musik erfunden. Er hatte ein sogenanntes Lausophon<br />

gebaut, aus so Sachen wie Eierschneider, Messer … Mit denen<br />

konnte man Musik machen, die elektronisch verstärkt wurde. Das<br />

waren abgesehen vom Blockflötenunterricht meine Begegnungen<br />

mit der Musik. Schließlich gab es da die Platte mit einem Mozart-<br />

Klavierkonzert, das Monique de la Bruchollerie spielte, mein erstes<br />

Erlebnis eines Konzerts von A bis Z. Ich hab das immer wieder<br />

gehört, und meine Fantasie fing an zu arbeiten. Und plötzlich hatte<br />

ich eine Vorstellung davon, was die Musik mir erzählt. Sie erzählt<br />

eine Geschichte, die für mich mit jedem Hören konkreter wurde.<br />

Mir war klar, das hat Mozart so gemeint, das ist eine ganz deutliche<br />

Sprache, und genau das wird ausgedrückt. Klar, wenn man Kind ist<br />

und sich mit einer Platte sehr lange beschäftigt, dann fängt sie an<br />

lebendig zu werden. Das war meine erste Begegnung mit Musik.<br />

Man könnte sagen, Ihr Weg ging über Neue Musik zur Klassik?<br />

(lacht) Ich glaube, das hat alles parallel stattgefunden. Was mein<br />

eigenes Musizieren angeht, war es Neue Musik …<br />

Sie bleiben also experimentierfreudig?<br />

Ja, natürlich, und da bin ich auch froh drüber – diese Offenheit<br />

brauche ich in meinem Beruf.<br />

Sie haben mehrere Konzertprogramme, treten mit wunderbaren<br />

Musikern auf wie Sebastian Knauer, Xavier de Maistre, Avi<br />

Avital, dem Schumann Quartett … Was ist dabei das Schönste?<br />

Eins der schönsten Dinge für mich ist, dass ich dabei erstmals die<br />

Gelegenheit habe, das Publikum zu sehen. Die Musiker spielen,<br />

und ich kann dabei die Leute anschauen: Sie hören zu, und ich<br />

höre zu – wir hören gemeinsam zu. Und dieser Hördialog ist so<br />

wichtig und so schön. Auch, was sich auf den Gesichtern abspielt,<br />

wie die Menschen das empfangen, was sie da aufnehmen, das sieht<br />

man ja sonst nie, auch wenn man Theater spielt.<br />

Wie ein Spiegel sitz ich dann dem Publikum<br />

gegenüber. Das ist wahnsinnig schön.<br />

Fanny und Felix Mendelssohn: „Zwei Leben für die Musik“,<br />

Hörbiografie; Martina Gedeck, Udo Wachtveitl u. a. (BR-KLASSIK)<br />

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