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CRESCENDO 7/19&1/20 Sonderausgabe Beethoven

Beethoven! Sonderausgabe zum 250. Geburtstag. Von CRESCENDO – Das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Offizielle Publikation zum Beethovenjahr 2020. Mit großem Veranstaltungsteil.

Beethoven! Sonderausgabe zum 250. Geburtstag.
Von CRESCENDO – Das Magazin für klassische Musik und Lebensart.
Offizielle Publikation zum Beethovenjahr 2020. Mit großem Veranstaltungsteil.

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FOTO: WIKIIMAGES AUF PIXABAY<br />

<strong>Beethoven</strong>. Warum eigentlich immer <strong>Beethoven</strong>? Seine Musik ist<br />

offensicht lich erste Wahl, wenn es etwas Besonderes zu feiern<br />

gibt. Ganz gleich, ob staatliche Feier oder Olympische Spiele:<br />

An den Klängen des Klassikers kommt keiner vorbei. Doch das<br />

liegt nicht nur an seiner Musik allein. <strong>Beethoven</strong> ist eine Marke. Sie<br />

wirkt, auch ohne einen einzigen Ton. Der Name steht für Qualität, zeitlose<br />

Kunst und jene gewisse Prise heroischen Kampfes für das Wahre,<br />

Gute und Schöne. Schon die Titel und Beinamen seiner Werke befeuern<br />

dies: Den heldenhaften Zusatz eroica setzte <strong>Beethoven</strong> selbst über<br />

seine Dritte Sinfonie, seine Fünfte ist als Schicksalssinfonie bekannt. Die<br />

Musik zu Goethes Egmont illustriert den Kampf gegen die Unterdrückung,<br />

und im Fidelio triumphieren Liebe und Gerechtigkeit. Und als<br />

wäre das nicht schon genug Symbolik, scheinen in der Rezeption von<br />

<strong>Beethoven</strong> Leben und Werk zu verschmelzen: Er wirkt selbst wie ein<br />

einsamer Held, der gegen seine Ertaubung ankomponierte. Diesen<br />

„Kampf um das künstlerische Schaffen“ hat<br />

der Musikwissenschaftler David B. Dennis<br />

BEETHOVEN WURDE,<br />

WOHL ODER ÜBEL, ZUM<br />

DIENER VIELER HERREN<br />

als das zentra le Element identifiziert, das sich<br />

für jede beliebige politische Agenda bestens<br />

ausschlachten ließ.<br />

So wurde <strong>Beethoven</strong>, wohl oder übel,<br />

zum Diener vieler Herren, etwa für die Feiern<br />

der Weimarer Republik. Die Demokraten<br />

wollten dem säbelklirrenden Zeremoniell der<br />

Monarchie andere Töne entgegensetzen: statt Kaiserparaden nun bürgerliche<br />

Festlichkeit. <strong>Beethoven</strong> schien dafür ideal. Schon den ersten<br />

Festakt zum Verfassungstag am 11. August 1921 krönte der Schlusssatz<br />

aus der Fünften Sinfonie. Und wer der Republik gegenüber positiv<br />

eingestellt war, klatschte begeistert. Allgemeine Akzeptanz fand diese<br />

Gestaltung aber nicht. Die nationalistischen Kräfte schäumten. Die<br />

Kreuz-Zeitung bezichtigte die bürgerliche Regierung unter Kanzler<br />

Wirth, <strong>Beethoven</strong> für „sozialistische Parteizwecke zu mißbrauchen“.<br />

Das sei, so der Kommentator weiter, „geradezu Vergewaltigung“. Die<br />

Marke <strong>Beethoven</strong> war zwar über alle Zweifel erhaben. Aber jedes politische<br />

Lager sah sich selbst als rechtmäßigen Hüter. Die Republik feierte<br />

jedenfalls weiter mit <strong>Beethoven</strong>. Die Coriolan-Ouvertüre erklang<br />

1922 im Reichstag bei der Trauerfeier für Walther Rathenau. 1929,<br />

zum Jubiläumstag der Republik, brachten alle drei Opernhäuser Berlins<br />

abends ein <strong>Beethoven</strong>-Programm.<br />

Wenige Jahre später wurde <strong>Beethoven</strong> olympisch. Treibende<br />

Kraft war Pierre de Coubertin, Gründer der modernen olympischen<br />

Bewegung. Ihm schien die Ode an die Freude wie geschaffen, um „die<br />

Macht jugendlichen Strebens“ auszudrücken. Das Finale der Neunten<br />

Sinfonie krönte auf seinen Wunsch die Eröffnung der Spiele von Berlin<br />

1936. Am Abend des ersten Wettkampftages entfaltete sich im Stadion<br />

ein gigantisches Festspiel, durchwebt mit olympischen Ideen und der<br />

brutalen Ideologie des NS-Staates: Ein choreografierter Schaukampf<br />

feierte den Opfertod für das Vaterland als höchstes Ideal. Im Anschluss<br />

erklang <strong>Beethoven</strong>s Werk – und die Zeile „Freudig, wie ein Held zum<br />

Siegen, laufet Brüder eure Bahn“ erhielt ungeahntes Gewicht. Die Ode<br />

an die Freude erklang noch mehrmals bei Olympischen Spielen, wenn<br />

auch dann stets als Zeichen der Völkerverbindung. Besonders extravagant<br />

in Szene gesetzt wurde dies zur Schlussfeier der Winterspiele<br />

1998 in Nagano. Im Konzertsaal der Stadt dirigierte Seji Ozawa Chor<br />

und Orchester, während im Stadion ein zweiter Chor aus voller Kehle<br />

mit einstimmte. Per Satellit wurden auch noch Chöre aus Sydney, Berlin,<br />

New York, Peking und Kapstadt live dazugeschaltet. So vereinigten<br />

sich virtuell Stimmen aller Kontinente im gemeinsamen Gesang.<br />

Doch zurück zur staatlichen Aneignung der Werke. BRD und<br />

DDR sahen sich jeweils als rechtmäßige Hüter von <strong>Beethoven</strong>s Musik.<br />

1946 eröffnete die Ouvertüre zur Freiheitsoper Fidelio in Ost-Berlin<br />

den Parteitag zur erzwungenen Vereinigung von SPD und KPD.<br />

Drei Jahre später spielte man in Bonn vor der ersten Sitzung des Bundestages<br />

die Ouvertüre Die Weihe des Hauses. Das Nonplusultra für<br />

höchste Anlässe bleibt aber die Neunte Sinfonie. Als 1989 die Berliner<br />

Mauer irrelevant geworden war, organisierten Justus Frantz und<br />

Leonard Bernstein zu Weihnachten zwei Konzerte mit der Neunten –<br />

eines in der Philharmonie im Westteil der Stadt, das andere im Osten,<br />

im Schauspielhaus am Gendarmenmarkt. Unter dem Eindruck der<br />

Ereignisse änderte Bernstein die bekannteste Textstelle ab in „Freiheit,<br />

schöner Götterfunken“. Im Programmheft schrieb er selbstsicher,<br />

<strong>Beethoven</strong> hätte dem gewiss seinen Segen gegeben. Knapp ein Jahr<br />

später erklang die Neunte wieder im Schauspielhaus, diesmal mit Originaltext.<br />

Mit einer Festaufführung dieses Werkes verabschiedete sich<br />

die DDR am Abend des 2. Oktober 1990 aus der Weltgeschichte.<br />

Auch die Feiern der Berliner Republik bleiben <strong>Beethoven</strong> treu.<br />

Bei den Festakten zum Tag der Deutschen<br />

Einheit ist er bis heute der meistgespielte<br />

Komponist. Häufig erklingen die Ouvertüren<br />

zu Egmont, Fidelio oder die Leonore III. Greift<br />

man nicht gleich auf die Neunte zurück, steht<br />

nicht selten die Chorfantasie auf dem Programm,<br />

die ihr in vielem ähnelt.<br />

Eine Besonderheit des deutschen Zeremoniells:<br />

der Große Zapfenstreich der Bundeswehr.<br />

Er wird zu herausragenden Ereignissen aufgeführt und<br />

beginnt immer dem sogenannten York’schen Marsch von <strong>Beethoven</strong>.<br />

Der Titel ist Resultat einer Raubkopie. 1809 schrieb <strong>Beethoven</strong> in<br />

Wien seinen Marsch für die Böhmische Landwehr. Ohne sein Wissen<br />

gelangte das Werk bis nach Berlin. Dort erschien es gut zehn Jahre<br />

später als Teil der Preußischen Armeemarschsammlung unter dem<br />

Titel: Yorck’schen Korps, 1813. So ehrte man einen Truppenteil unter<br />

Führung von Graf Yorck von Wartenburg, der sich im Kampf gegen<br />

die Napoleonischen Heere ausgezeichnet hatte. <strong>Beethoven</strong> selbst hat<br />

von dieser Karriere seines Marsches wohl nie erfahren. Aber bis heute<br />

marschiert die deutsche Bundeswehr mit diesem Stück zu ihrem<br />

höchsten Zeremoniell ein. Auch 250 Jahre nach <strong>Beethoven</strong>s Geburtstag<br />

lässt sich mit ihm und seiner Musik prächtig Staat machen.<br />

Und mehr beziehungsweise länger noch: So ging <strong>Beethoven</strong> auch<br />

mit den beiden 1977 gestarteten interstellaren Raumsonden Voyager 1<br />

und 2 auf Datenplatten ins All. Sinn und Zweck der Mission: Außerirdische,<br />

möglicherweise intelligente Lebensformen über unser Menschsein<br />

zu informieren. Mit einer Lebensdauer von 500 Millionen Jahren<br />

lässt die „Voyager Golden Record“ den 250. Geburtstag des Titanen<br />

insofern ziemlich blass aussehen. Denn natürlich ist neben Bach,<br />

Mozart, Strawinsky und Holborne im sinfonischen Bereich auch er<br />

dabei auf der Reise ins Universum: mit der Cavatina, dem fünften Satz<br />

aus dem Streichquartett Nr. 13, op. 130, und dem ersten Satz seiner Fünften.<br />

Zwar ist Bach gleich dreimal auf der Platte zu finden, doch schlägt<br />

<strong>Beethoven</strong> ihn mit einer Länge von 13,57 Minuten um 2,14 Minuten.<br />

Und wo wir schon beim Maß aller Dinge sind: Es war und ist<br />

<strong>Beethoven</strong>s Neunte, die Größe und Laufzeit einer CD festlegen. Der<br />

Vizepräsident von Sony – die Audio-CD war eine Entwicklung der<br />

Technikriesen Sony und Philips –, offensichtlich ein Liebhaber von<br />

<strong>Beethoven</strong>s Neunter Sinfonie, erwählte sie als maßgeblich für die Standardisierung.<br />

Zunächst fiel die Wahl auf die 66-minütige Einspielung<br />

Herbert von Karajans, letztlich aber sollte auch die etwas langsamere<br />

Interpretation von Wilhelm Furtwängler darauf passen, die damit<br />

zur Referenzaufnahme wurde. Nicht mehr und nicht weniger ist der<br />

Grund, weshalb die Laufzeit einer CD 74 Minuten und 33 Sekunden<br />

beträgt und einen Durchmesser von 12 Zentimetern hat. Ja, genau,<br />

auch das ist „Klassik in Zahlen“.<br />

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