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CRESCENDO 7/19&1/20 Sonderausgabe Beethoven

Beethoven! Sonderausgabe zum 250. Geburtstag. Von CRESCENDO – Das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Offizielle Publikation zum Beethovenjahr 2020. Mit großem Veranstaltungsteil.

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Von CRESCENDO – Das Magazin für klassische Musik und Lebensart.
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SOLO<br />

Dina Ugorskaja<br />

Innehalten, Sinnieren,<br />

Rückerinnern<br />

Als Dina Ugorskaja im Dezember <strong>20</strong>17 einen Klavierabend in München<br />

bestritt, befand sich auch Schuberts große Sonate in B-Dur auf dem Programm.<br />

Nach düsterem späten Schumann und weltentfremdetem Skrjabin<br />

konnte man kaum ahnen, dass Schuberts Klaviersonate D 960 noch dunkler,<br />

noch packender sein sollte. Kleinste Kanten und Spannungen wurden<br />

unter die Lupe genommen und abgezupft wie der Schorf von einer<br />

alten Wunde. Es wurde zu einem musikalischen Rorschachtest: Ugorskaja<br />

spielte Schubert’sche Noten, und die Hörer sahen Nachtwachen-Schatten,<br />

schwarze Schmetterlinge oder huschende Nazgûl.<br />

Das Bild dieser nur acht Monate später entstandenen Aufnahme ist geringfügig<br />

minder dunkel, etwas lyrischer und weniger mit Salz in der<br />

Wunde bohrend – jedoch ähnlich intensiv und gewissenhaft erforschend.<br />

Das bringt rekordverdächtige Tempi mit sich, ohne auf Rekorde aus zu<br />

sein: Fast 50 Minuten für die Sonate – und davon fast die Hälfte allein<br />

für den sich zart auftürmenden ersten Satz – stellen eine Tour de Force<br />

dar. Im Andante sostenuto nimmt Ugorskaja verhalten Fahrt auf: Man muss<br />

sich Zeit nehmen, um ihr Innehalten im Spiel, das Sinnieren, das Rückerinnern<br />

mitzuerleben. Die rechte Hand singt, die linke streichelt den Hörer,<br />

nur um ihn im dritten Satz in die Rippen zu stupsen. Das Finale ist<br />

anfänglich nachdenklicher als das freundliche Perlen bei Michael Endres<br />

oder die granit-kühle Energie eines Wilhelm Kempff und derweil weniger<br />

auf Kontrast aus als der selbige Satz von Buniatishvili. Der zurückhaltend<br />

gespielte Schluss ist Erleichterung, nicht Triumph.<br />

Umwehte ein Trauerflor die Drei Klavierstücke D 946, es käme nicht überraschend:<br />

Schubert erahnte seinen baldigen Tod; Dina Ugorskaja wusste<br />

um den ihren. Die Einspielung vom Januar <strong>20</strong>19 war ihre letzte. Zwar<br />

wirkt das Es-Dur-Allegretto profunder als gemeinhin gängig, aber keineswegs<br />

trübsalblasend. Ugorskaja erforscht eher die Farben – dunkle Rotund<br />

warme Brauntöne –, als dass sie sentimental wird. Als Dina Ugorskaja<br />

ein Bild für die <strong>CRESCENDO</strong>-Fotostrecke „Was zieh’ ich nur an?“<br />

(Ausgabe 04/<strong>20</strong>19) einschicken sollte, wählte sie nicht ein Bild mit noch<br />

vollem, lockigem Haar, sondern eines mit kurzen, wieder nachgewachsenen<br />

Haaren. Die großen Augen sind weit offen und auf sanfte Weise<br />

herausfordernd. Es ist ein Bild von Ernst und Stärke durch Verletzlichkeit,<br />

von Demut und Entschlossenheit, das auch diese letzte Aufnahme<br />

schmückt. In Anlehnung an Franz Grillparzer<br />

scheint sie uns, die wir Ugorskajas viel zu frühen<br />

Tod betrauern, von reichem Besitz, aber noch<br />

viel schöneren Hoffnungen zu erzählen. JFL<br />

HMM 902300<br />

Franz Schubert: „Piano Sonata D 960, Drei Klavierstücke D 946,<br />

Moments musicaux D 780“, Dina Ugorskaja (Cavi)<br />

Matthias Höfs<br />

Bach für moderne Trompete<br />

An Bachs Solokonzerten bedienen sich gerne auch Instrumentalisten, für<br />

die diese Kompositionen nicht originär bestimmt sind. Im 18. Jahrhundert<br />

war das eine verbreitete Praxis. Zum Glück denken Matthias Höfs und<br />

andere Interpreten in letzter Zeit wieder öfter daran, diese zu rekultivieren.<br />

Arrangements originaler Kompositionen Bachs und von dessen Bearbeitungen<br />

nach Antonio Vivaldi und Alessandro Marcello werden hier<br />

Anlass zu imponierenden Leistungen, weil Höfs die von ihm in der gehobenen<br />

Unterhaltungsmusik demonstrierte Instinkt- und Geschmackssicherheit<br />

spielerisch mit der von Bach eingeforderten Virtuosität vereint.<br />

Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen kontert mit sportiver Leichtigkeit,<br />

federnder Transparenz und einer stilkundigen<br />

Feinmotorik, die Wiedererkennungseffekte<br />

und Höfs souveräne Phrasierungen auf seiner modernen<br />

Pikkolotrompete zum brillanten Vergnügen<br />

erheben. DIP<br />

Matthias Höfs: „Bach Trumpet Concertos“, Die Deutsche Kammerphilharmonie<br />

Bremen (Berlin Classics)<br />

43<br />

JOSEPH HAYDN<br />

Missa Cellensis<br />

in honorem Beatissimæ Virginis Mariæ<br />

JOHANNA WINKEL, SOPHIE HARMSEN,<br />

BENJAMIN BRUNS, WOLF MATTHIAS FRIEDRICH<br />

RIAS KAMMERCHOR<br />

AKADEMIE FÜR ALTE MUSIK BERLIN<br />

JUSTIN DOYLE<br />

Der junge Haydn war gerade in den Dienst des Fürsten Nikolaus<br />

Esterházy getreten, als er seine Missa Cellensis komponierte,<br />

ein breit angelegtes Werk, das es zu großer Popularität<br />

brachte, wie die zahlreich erhaltenen Kopien belegen. Mit ihrer<br />

außergewöhnlichen Interpretation lassen der RIAS Kammerchor<br />

und die Akademie für Alte Musik Berlin einmal mehr erkennen,<br />

wie herausragend gut sie auch die kleinste Feinheit einer fast<br />

opernhaften Komposition herauszuarbeiten vermögen.<br />

harmoniamundi.com

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