CRESCENDO 7/19&1/20 Sonderausgabe Beethoven
Beethoven! Sonderausgabe zum 250. Geburtstag. Von CRESCENDO – Das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Offizielle Publikation zum Beethovenjahr 2020. Mit großem Veranstaltungsteil.
Beethoven! Sonderausgabe zum 250. Geburtstag.
Von CRESCENDO – Das Magazin für klassische Musik und Lebensart.
Offizielle Publikation zum Beethovenjahr 2020. Mit großem Veranstaltungsteil.
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Sie haben Ihre letzten Alben auf<br />
einem Fazioli eingespielt. Was<br />
ist für Sie der Vorzug gegenüber<br />
Bösendorfer oder Steinway, ja<br />
auch Yamaha?<br />
Für die tägliche Arbeit ist ein<br />
Yamaha ideal: handwerklich<br />
ausgereift, man kann sich auf<br />
diese Instrumente verlassen.<br />
Faziolis begegnet man in<br />
England, Italien oder Japan<br />
häufiger, aber in Deutschland<br />
habe ich noch nie auf einem<br />
Fazioli gespielt. Was das Mechanische<br />
angeht, sind Faziolis heute<br />
die besten Klavierinstrumente!<br />
Viel besser als Steinway,<br />
Yamaha oder Bösendorfer. Die<br />
Tasten haben eine große<br />
Leichtigkeit und kehren schnell zurück nach dem Anschlag, sind<br />
aber auch nicht zu leichtgängig. Ein gut regulierter Fazioli spielt<br />
sich fast von selbst, und man kann mit nur halber Kraft eine<br />
große Klangentfaltung erzielen. Neulich im Concertgebouw in<br />
Amsterdam hatte ich ein so gutes Instrument, dass ich so leise<br />
spielen konnte wie bei mir zu Hause, und doch war der Klang<br />
groß genug für den ganzen Saal. Und wenn mehr nötig wurde,<br />
konnte man eine fast erschreckende Lautstärke erzielen. Bei<br />
einem Top-Fazioli ist die Klarheit phänomenal und verbindet sich<br />
mit einem schönen, langen, „singenden“ Ton! Das ist wie bei<br />
einem sehr guten Auto, das fast von selbst fährt!<br />
Wie oft wird Ihnen von einem Veranstalter ein Fazioli<br />
angeboten?<br />
In England hat die Firma Daniil Trifonov, Louis Lortie, Angela<br />
Hewitt und mir angeboten, ein Instrument auszusuchen, das wir<br />
dann für Konzerte in Großbritannien zur Verfügung gestellt<br />
bekommen. Da könnten wird dann immer auf „unserem“ Flügel<br />
spielen. Auf ihm habe ich die Schostakowitsch-Konzerte, zweites<br />
und drittes Rachmaninow-Konzert aufgenommen – und jetzt<br />
folgen mit ihm alle <strong>Beethoven</strong>-Konzerte.<br />
Sie haben 75 Jahre nach Emil Gilels den Concours Reine<br />
Elisabeth gewonnen. Wie erlebt man einen so anspruchs vollen<br />
Wettbewerb?<br />
Emil Gilels, mein großer musikalischer Held, war einer der<br />
Gründe, warum ich überhaupt teilgenommen habe, und dieser<br />
Monat war enorm anstrengend.<br />
Ein ganzer Monat?<br />
Ja, der Wettbewerb erstreckt sich über drei Runden in vier<br />
Wochen. Es beginnt mit nur <strong>20</strong> Minuten Recital mit Bach, einem<br />
Satz aus einer klassischen Sonate, dazu vier Etüden; dann folgt die<br />
Hälfte eines 90-minütigen Recitals plus ein Mozart-Klavierkonzert<br />
und endlich die letzte Runde. Da gibt es die Tradition, dass<br />
alle Finalisten in einem Haus untergebracht sind, in dem jeder ein<br />
Zimmer mit Flügel hat. Eine Woche hatten wir Zeit, das zeitgenössische<br />
Klavierkonzert, das für den Wettbewerb komponiert<br />
wurde, einzustudieren und an seinen beiden anderen Stücken zu<br />
feilen. Das Schöne war, dass wir Pianisten uns gut verstanden, ja,<br />
es sind sogar Freundschaften entstanden. Wir arbeiteten oft bis<br />
tief in die Nacht hinein zusammen an dem neuen Werk und aßen<br />
auch immer zusammen.<br />
Auf Ihrer Website kann man 18 Videos anklicken, die Sie „Five<br />
Minutes Library“ nennen. Darin erklären und spielen Sie<br />
prominente Klavierstücke. Sie spazieren viel im Grünen, aber<br />
einmal ist auch das Meer zu sehen. Wo war das?<br />
Das ist der Ausblick aus der Villa des Direktors des Louisiana<br />
Museums für Moderne Kunst im dänischen Humlebæk, wo wir<br />
Boris Giltburg lässt sich beim Einspielen aller <strong>Beethoven</strong>-Sonaten<br />
auf die Finger schauen: ab 1. Januar <strong>20</strong><strong>20</strong> auf www.beethoven32.com<br />
vieles aufnehmen durften.<br />
Dieses Jahr pausiert das<br />
Projekt wie auch Ihr Foto-Blog<br />
www.bgiltphotos.wordpress.<br />
com, warum?<br />
Ein anderes Projekt wird<br />
jenseits der Konzerte meine<br />
ganze Aufmerksamkeit<br />
beanspruchen. Ich übe, spiele<br />
und stelle alle <strong>Beethoven</strong>-Sonaten<br />
chronologisch vor, lasse auf<br />
www.beethoven32.com wie in<br />
einem Tagebuch, aber auch am<br />
Entstehungsprozess, an den<br />
Schwierigkeiten und Herausforderungen<br />
teilhaben. Das Ganze<br />
beginnt am 1. Januar <strong>20</strong><strong>20</strong> und<br />
alle zehn oder 14 Tage später<br />
gibt es eine neue Sonate.<br />
Innerhalb einer Gesamtaufnahme aller Klavierkonzerte mit<br />
Vasily Petrenko und dem Royal Liverpool Philharmonic<br />
Orchestra haben Sie die ersten beiden veröffentlicht, dazu das<br />
ursprüngliche Finale des Zweiten Konzerts. Warum hat<br />
<strong>Beethoven</strong> es neu komponiert?<br />
Das ursprüngliche Finale ist eine Mozart-Hommage mit einem<br />
Andante-Mittelteil wie im letzten Satz des KV 482, vielleicht war<br />
das <strong>Beethoven</strong> später zu viel, oder er spürte, dass nach dem<br />
vergeistigten, meditativen langsamen Satz, wo am Ende die Zeit<br />
stehen bleibt, etwas kommen muss, was uns wieder auf die Erde<br />
holt – frecher, direkter, auch in seinem Humor, und nicht so viel<br />
mit der Form spielt. Aber ich liebe dieses ursprüngliche Rondo.<br />
Als gebürtiger Russe pflegen Sie ausgiebig das russische<br />
Repertoire. Sie haben die Kriegssonaten Prokofjews, viel<br />
Rachmaninow und die Schostakowitsch-Konzerte<br />
aufgenommen.<br />
Ja, ich lese auch viel russische Literatur, denn Sprache, Poesie und<br />
Musik sind sehr verwandt miteinander, und ohne das alles könnte<br />
ich mir mein Leben nicht vorstellen.<br />
Sie haben das dritte und achte der Schostakowitsch-Streichquartette<br />
für Klavier bearbeitet, kommt da noch etwas?<br />
Ja, gerade arbeite ich am Zweiten Quartett, einen Satz habe ich<br />
schon fertig. Ich bin nach Musik von Schostakowitsch süchtig,<br />
nach dieser nackten Kraft, diesem Grimmigen. Selbst ein<br />
exzellenter Pianist, hat er zwei Konzerte, sehr eigenständige<br />
Klavierparts für seine Lieder wie die Michelangelo-Sonette und<br />
großartige Kammermusik mit Klavier komponiert, die dieselbe<br />
psychologische Tiefe und emotionale Kraft besitzen wie die<br />
Sinfonien und Streichquartette. Aber an Solo-Klavierwerken gibt<br />
es nichts ähnlich Bedeutendes, deshalb mache ich diese Transkriptionen.<br />
Ich liebe aber auch Prokofjew, er besitzt diese<br />
unglaubliche Fantasie und einen geistsprühenden Humor. Bei<br />
Schostakowitsch – und auch Mussorgsky – äußern sich Gefühle<br />
dagegen oft sehr schmerzhaft.<br />
Ein Name fehlt noch: Tschaikowsky!<br />
Oh ja, ich habe alle drei Klavierkonzerte sehr gern gespielt, bei<br />
ihm liebe ich das, was man „Reinheit der Seele“ nennen könnte<br />
und eine gewisse – ich möchte es fast „Unschuld“ nennen; denken<br />
Sie nur an diese scheue und doch so intensive Liebe Tatjanas in<br />
Eugen Onegin. Aber ich will mich nicht entscheiden müssen<br />
zwischen ihm, Rachmaninow, Mussorgsky,<br />
Prokofjew, Schostakowitsch oder Nikolai<br />
Medtner – ich liebe und verehre sie alle!<br />
<strong>Beethoven</strong>: „Klavierkonzerte 1 und 2, Rondo, WoO 6“,<br />
Boris Giltburg, Vasily Petrenko (Naxos)<br />
n<br />
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