11.05.2020 Aufrufe

CRESCENDO 7/19&1/20 Sonderausgabe Beethoven

Beethoven! Sonderausgabe zum 250. Geburtstag. Von CRESCENDO – Das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Offizielle Publikation zum Beethovenjahr 2020. Mit großem Veranstaltungsteil.

Beethoven! Sonderausgabe zum 250. Geburtstag.
Von CRESCENDO – Das Magazin für klassische Musik und Lebensart.
Offizielle Publikation zum Beethovenjahr 2020. Mit großem Veranstaltungsteil.

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

K Ü N S T L E R<br />

Aber manchmal braucht man<br />

eben auch das Gegenteil:<br />

Spontaneität, Energie, Impulsivität.<br />

Ob es dasselbe Ergebnis<br />

geworden wäre, wenn ich mich<br />

jahrelang in der Partitur<br />

verbuddelt und auf die Aufnahme<br />

vorbereitet hätte?<br />

Vielleicht wäre das Ergebnis<br />

ganz anders geworden, aber das<br />

ist okay! Es ist eben eine<br />

Momentaufnahme dieser<br />

Konzerte im letzten Dezember.<br />

Schon da wurde immer wieder<br />

erwähnt, dass Sie „anstelle von“<br />

Murray Perahia spielen. Wie<br />

stehen Sie zu solchen Einspringern<br />

– Fluch oder Segen?<br />

In jedem Fall eine wirklich große Verpflichtung. Besonders in<br />

einem Fall wie diesem. Ich verehre Murray Perahia sehr. Das sind<br />

ziemlich große Fußstapfen, in die man da treten muss. Hätte ich<br />

Tickets für sein Konzert und jemand anderer würde spielen, wäre<br />

ich sehr enttäuscht. Für ihn einzuspringen heißt nicht, dass ich<br />

besser spielen will als er. Ich will daraus mein eigenes Konzert<br />

machen. Das Publikum, das die Tickets für Murray Perahia ge -<br />

kauft hat, freut sich auf das, was man von einem seiner Konzerte<br />

erwartet: einen großartigen Auftritt, einen tollen Abend, etwas,<br />

das in Erinnerung bleibt. Und ich hoffe, dass ich ihm das auch mit<br />

meinem Konzert geben kann. Das war immer meine Einstellung<br />

zu Einspringern. Trotzdem kann es manchmal sehr belastend<br />

sein. Man möchte sich selbst präsentieren, aber gleichzeitig auch<br />

respektvoll gegenüber der Person sein, die man vertritt.<br />

Wie war Ihre erste Begegnung mit <strong>Beethoven</strong>s Klavierkonzerten?<br />

Ich erinnere mich, dass ich zuerst das Dritte Konzert gelernt habe.<br />

Es war eigentlich eine natürliche Evolution vom Mozartspielen<br />

– vor allem dem d-Moll-Konzert – zu <strong>Beethoven</strong>. Ein ganz<br />

logischer Schritt. Es ist das „mittlere“ der Konzerte und kein<br />

„früher“, oder „später“ <strong>Beethoven</strong>, sondern irgendwo dazwischen.<br />

Von da aus lernte ich die anderen vier. Einige habe ich unendlich<br />

oft auf Tour gespielt. Das Erste und Zweite sind die beiden Konzerte,<br />

die am seltensten gespielt werden, generell und auch bei mir<br />

persönlich. Ich habe sie fast ausschließlich im Rahmen solcher<br />

<strong>Beethoven</strong>-Zyklen gespielt. Ich möchte die beiden in Zukunft aber<br />

auch einzeln spielen – sie verdienen ihre Zeit im Rampenlicht!<br />

Wie empfinden Sie das Verhältnis der fünf Konzerte zueinander?<br />

Ich denke, jedes hat seinen Platz, und man fühlt immer diese<br />

<strong>Beethoven</strong>-Textur. Aber was ich wirklich an ihnen liebe, ist, dass<br />

sie so wunderbar zusammen funktionieren. Sie erzählen eine<br />

Geschichte: <strong>Beethoven</strong>s Reise, die Art, in der er seinen Stil<br />

verändert und weiterentwickelt. Er hat das Klavierkonzert in seiner<br />

Definition komplett verändert. Vom traditionellen Stil ausgehend<br />

hat er immer ungewöhnlichere Ideen hinzugefügt. So offensichtliche<br />

Dinge wie die Kadenz wegzulassen oder dass das Klavier<br />

allein beginnt. Ich denke, der Anfang des Vierten Konzertes ist der<br />

stressigste, ungewöhnlichste und ergreifend-schönste aller<br />

Konzerte, die für das Klavier geschrieben worden sind.<br />

Das Cover zeigt Sie sehr ernst. Eine <strong>Beethoven</strong>-Anspielung?<br />

Das Foto ist noch vom Shooting für mein Mendelssohn-Album.<br />

Damals hatte ich überhaupt keine Ahnung, dass ich in diesem<br />

Jahr auch noch eine <strong>Beethoven</strong>-CD aufnehmen würde. Ich dachte<br />

einfach, dass es gut passt. Es ist wirklich sehr ernst, aber es gibt ja<br />

auch keinen Grund, auf einem <strong>Beethoven</strong>-Cover breit zu grinsen.<br />

Finden Sie es wichtig, sich mit den historischen und biografischen<br />

Hintergründen eines Stückes auseinanderzusetzen?<br />

„ES WAR EIGENTLICH EINE<br />

NATÜRLICHE EVOLUTION VOM<br />

MOZARTSPIELEN ZU BEETHOVEN“<br />

FOTO: PETER RIGAUD<br />

Hm, darauf gibt es keine leichte<br />

Antwort. Ich denke, es ist schon<br />

wichtig zu wissen, was passiert<br />

ist, und sich zu bilden. Andererseits<br />

denke ich nicht, dass Musik<br />

zwingend historische Werte<br />

enthalten muss. Wenn man sich<br />

andere Kunstformen anguckt,<br />

ist es, glaube ich, sehr ähnlich.<br />

Manchmal hilft das Wissen,<br />

manchmal verändert es die<br />

Sichtweise – oft bin ich nicht<br />

sicher, ob das gut oder schlecht<br />

ist. Wir denken Emotionen für<br />

Komponisten nach. Aber sind<br />

die Stücke immer eine Reflexion?<br />

Okay, <strong>Beethoven</strong> war taub,<br />

als er das Fünfte Konzert<br />

komponierte, er konnte es nicht mehr selbst aufführen – aber was<br />

bedeutet das? Hat es eine Relevanz für dieses Meisterwerk? Ab und<br />

zu ist es genauso wichtig, den historischen Kontext zu vergessen.<br />

Sie haben, auch ohne für jemanden einzuspringen, einen sehr<br />

vollen Terminkalender. Woher nehmen Sie diese Energie?<br />

Das gehört einfach zu meiner Person. Da habe ich Glück: Die<br />

Energie kommt von innen. Man muss kontinuierlich Inspiration<br />

finden. Auch wenn ich mal müde bin, habe ich meistens kein<br />

Problem damit, jeden Tag mit einem Lächeln aufzuwachen.<br />

Ziemlich hilfreich ist sicher, dass Sie gern reisen. Anders als<br />

<strong>Beethoven</strong> muss man heute ja nicht mehr die Kutsche nehmen …<br />

Zum Glück nicht! (lacht)<br />

Zu seiner Zeit war man noch „gut bewandert“, weil man auf den<br />

langen Reisen viel sehen und lernen konnte. Ist es beim heutigen<br />

Reisetempo noch möglich, eine Stadt richtig kennenzulernen,<br />

wenn man für ein Konzert nur wenige Tage dort ist?<br />

Ich würde sagen, das ist ziemlich subjektiv. Die allgemeine<br />

Annahme ist ja, dass Künstler nichts von den Städten sehen. Ich<br />

kenne wirklich einige Kollegen, die sehr zufrieden damit sind,<br />

vom Hotelzimmer zum Konzertort zu fahren, aufzutreten, zurück<br />

ins Hotelzimmer zu gehen und dann weiterzufliegen. Für mich<br />

wäre das unvorstellbar. Ich muss rausgehen, mir Sachen ansehen.<br />

Ich bin, wie gesagt, eine energiegeladene Person. Für mich ist es<br />

ähnlich wie in der Musik: Eine Stadt verändert sich dauernd,<br />

ständig passiert etwas Neues, man wird sie nie zu 100 Prozent<br />

kennen. So ist es auch mit den Stücken von Mozart, Chopin oder<br />

<strong>Beethoven</strong>. Egal wie oft du sie geübt und analysiert hast, du<br />

kannst sie niemals komplett verstehen.<br />

Sie waren bereits in 85 Ländern. Gibt es Orte, die Sie unbedingt<br />

noch sehen wollen?<br />

An irgendeinem Punkt meines Lebens möchte ich alle Länder<br />

gesehen haben, aber eben auch einige genauer kennenlernen. Ich<br />

habe das Gefühl, ich kenne Deutschland ganz gut, aber gleichzeitig<br />

habe ich festgestellt, dass ich zum Beispiel noch nie im<br />

Saarland war. Selbst in Deutschland, wo ich fast jeden Monat bin,<br />

gibt es Sachen, die ich noch sehen muss.<br />

Hören Sie auf Ihren Reisen Musik?<br />

Ich habe immer ziemlich viel Musik gehört. Da ich mittlerweile<br />

aber viel unterwegs bin, bin ich manchmal mehr als zufrieden,<br />

auch mal etwas Ruhe zu haben. Normalerweise spielt ohnehin<br />

immer etwas in meinem Kopf. So ein kleines<br />

bisschen Ruhe schadet also überhaupt nicht.<br />

<strong>Beethoven</strong>: „Complete Piano Concertos“, Jan Lisiecki,<br />

Academy of St Martin in the Fields; auch als DVD und Blu-Ray (DG)<br />

n<br />

18 w w w . c r e s c e n d o . d e — Dezember <strong>20</strong>19 – Januar <strong>20</strong><strong>20</strong>

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!