CRESCENDO 7/19&1/20 Sonderausgabe Beethoven
Beethoven! Sonderausgabe zum 250. Geburtstag. Von CRESCENDO – Das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Offizielle Publikation zum Beethovenjahr 2020. Mit großem Veranstaltungsteil.
Beethoven! Sonderausgabe zum 250. Geburtstag.
Von CRESCENDO – Das Magazin für klassische Musik und Lebensart.
Offizielle Publikation zum Beethovenjahr 2020. Mit großem Veranstaltungsteil.
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BÜHNE<br />
250 Jahre <strong>Beethoven</strong><br />
Es ist beinahe unmöglich, <strong>Beethoven</strong>s Wirkung<br />
auf die europäische Kulturgeschichte<br />
zu betrachten, ohne seine Persönlichkeit<br />
einzubeziehen. So deutlich wie bei kaum<br />
einem anderen Komponisten zeigen sich<br />
sein Wesen und seine Überzeugungen in<br />
seiner Musik. „Er ist ein höchst sonderbarer<br />
Mann. Große Gedanken schweben in seiner<br />
Seele, die er aber nicht anders als durch<br />
Noten zu äußern vermag: Worte stehen ihm<br />
nicht zu Gebote“, schrieb der Schweizer<br />
Komponist Xaver Schnyder von Wartensee<br />
1811, nachdem er <strong>Beethoven</strong> in Wien<br />
kennengelernt hatte. „Seine ganze Bildung<br />
ist vernachlässigt, und seine Kunst ausgenommen,<br />
ist er roh, aber bieder und ohne<br />
Falschheit, er sagt geradezu von der Leber<br />
weg, was der denkt.“<br />
Das Theater Bonn hat rund um das Jahr<br />
<strong>20</strong><strong>20</strong> einen Reigen von Stücken arrangiert,<br />
die sich dem Jubilar aus zahlreichen<br />
Per spektiven nähern. Stets verschränken<br />
sich dabei die Ebenen: hier<br />
<strong>Beethoven</strong> als Sohn seiner<br />
Zeit und dort die Gegenwart.<br />
So bringt der Regisseur<br />
Volker Lösch <strong>Beethoven</strong>s<br />
einzige Oper Fidelio in der<br />
für ihn charakteristischen<br />
Manier auf die Bühne: Seine<br />
Regiekonzepte entwickelt<br />
er mit Menschen, die am Ort leben.<br />
„Kunst ohne Anbindung an das Draußen,<br />
an die Zeit, in der ich lebe, finde ich sinnlos“,<br />
sagt er. Dass er dabei an empfindliche<br />
Themen rührt, ist Absicht. Bei einem<br />
dekorativen Mitmachtheater wird es nicht<br />
bleiben, das verspricht das Amalgam von<br />
Regisseur und Stoff – gilt doch Fidelio als<br />
die Freiheitsoper schlechthin. Einen anderen<br />
<strong>Beethoven</strong> lernt das Publikum bei<br />
Ein Brief /Christus am Ölberge kennen.<br />
Für den Passionsstoff von Christus am Ölberge<br />
hatte er die Form des Oratoriums<br />
gewählt, weil in der Karwoche die Aufführung<br />
von Opern untersagt war. Herausgekommen<br />
ist allerdings ein Stück<br />
Musiktheater im geistlichen Gewande. Insbesondere<br />
die Partie des Christus behandelt<br />
<strong>Beethoven</strong> wie eine Opernrolle. Reinhild<br />
Hoffmann inszeniert das Werk und<br />
stellt ihm zudem einen Prolog voran: Der<br />
Komponist Manfred Trojahn vertont Hugo<br />
von Hofmannsthals fiktiven Brief des Lord<br />
Chandos an Francis Bacon. In dem Text hadert<br />
der Briefautor mit einer schöpferischen<br />
Krise. In der Radikalität des Verzweifelns<br />
an den eigenen Ansprüchen ist Chandos<br />
Das THEATER BONN nähert sich<br />
<strong>Beethoven</strong> in sieben Stücken<br />
aus unterschiedlichen Perspektiven<br />
ein Bruder <strong>Beethoven</strong>s im Geiste. Mit der<br />
Uraufführung von Awakening weitet das<br />
Theater Bonn den Fokus über das christlich-abendländische<br />
Religionsverständnis<br />
hinaus. Das Werk des 1952 in Delhi geborenen<br />
Param Vir beschäftigt sich mit der uralten<br />
Freiheits- und Friedenslehre des Pali-<br />
Kanons, der frühesten kanonischen Schrift<br />
des Buddhismus. Nach neueren Erkenntnissen<br />
spielt der Freiheitsgedanke im Pali-<br />
Kanon eine wesentliche Rolle. Hier schließt<br />
sich für Vir ein Kreis. Denn auch ihn, der<br />
sich als Produkt vieler Kulturen versteht, der<br />
als Schüler von Peter Maxwell Davies und<br />
Oliver Knussen international anerkannt ist,<br />
hat das Schaffen <strong>Beethoven</strong>s maßgeblich<br />
geprägt, seit er als Kind in der Bibliothek<br />
des Goethe-Instituts auf Karajans Einspielungen<br />
stieß. In einem Interview hat er von<br />
diesem Moment erzählt: „Es war eine unglaublich<br />
emotionale Begegnung.“ Mit dem<br />
argentinischen Komponisten Mauricio Kagel<br />
verbindet <strong>Beethoven</strong> die Kompromisslosigkeit<br />
der Sicht auf die gesellschaftlichen<br />
Verhältnisse. Am Theater Bonn kommt im<br />
April Staatstheater heraus, in dem Kagel<br />
das Genre Oper gleichsam durch den Wolf<br />
dreht: Die neun Einzelstücke tragen Überschriften<br />
wie Repertoire, Einspielung oder<br />
Parkett. Sie sind frei kombinierbar, jedes ist<br />
anders besetzt. Auf diese Weise rückt Kagel<br />
statt einer Handlung den musikalischen<br />
Vorgang als solchen in den Mittelpunkt.<br />
Natürlich ist das Ganze mit viel Humor erdacht.<br />
„Nur Leute, die Humor haben, sind<br />
unerbittlich ernst“, hat Kagel einmal gesagt,<br />
„aber das hat viele Facetten.“ Das Publikum<br />
der Hamburger Uraufführung 1971 fühlte<br />
sich jedenfalls provoziert, sogar Bombendrohungen<br />
gingen bei der Hamburgischen<br />
Staatsoper ein.<br />
Nicht ganz so revolutionär ist es, <strong>Beethoven</strong>s<br />
Siebte als Ballett zu choreografieren.<br />
Richard Wagner hat den Charakter der Sinfonie<br />
so kurz wie prägnant auf die bekannte<br />
Formel von der „Apotheose des Tanzes“<br />
gebracht – und wen Grazie und Schwung<br />
des ersten Allegro je aus dem Sitz gezogen<br />
haben, der weiß, was Wagner meinte. Vom<br />
politisch aufgeladenen Pathos, von den in<br />
Töne übersetzten Kämpfen der Eroica und<br />
der Fünften ist die Siebte denkbar weit entfernt.<br />
Zu ihrem gelösten Duktus passt die neoklassische<br />
Tanzsprache des französischen<br />
Choreografen Thierry Malandain. Wenn<br />
er, einer der Wegbereiter des modernen<br />
Tanzes, das Stück mit seiner Compagnie<br />
Malandain Ballet Biarritz auf die Bühne<br />
des Theaters Bonn bringt, erklingt es in der<br />
Transkription für Klavier von Franz Liszt.<br />
Die horrend virtuose Partie spielt Magdalena<br />
Müllerperth. <strong>Beethoven</strong> hat aber auch<br />
eine originale Ballettmusik geschrieben.<br />
Mögen auch das Libretto und die Choreografie<br />
von Salvatore Viganò zu Die Geschöpfe<br />
des Prometheus verschollen sein, in<br />
der Musik allein bündelt sich schon der<br />
Geist ihres Schöpfers zur Zeit ihrer Entstehung<br />
Anfang 1801. Wie in der Zweiten<br />
Sinfonie spielte <strong>Beethoven</strong> mit den Formen<br />
des klassischen Wiener Stils,<br />
den er inzwischen meisterhaft<br />
beherrschte. Auch der von Viganò<br />
gewählte Stoff dürfte nach<br />
seinem politischen Geschmack<br />
gewesen sein: Der Prometheus<br />
des griechischen Mythos wagt<br />
es, sich gegen die Götter aufzulehnen.<br />
Stijn Celis, Direktor<br />
des Saarländischen Staatsballetts, choreografiert<br />
die Musik neu. Nach der Uraufführung<br />
in Saarbrücken kommt die Produktion<br />
Anfang <strong>20</strong><strong>20</strong> zum Theater Bonn.<br />
Die Erlösung, die dem unglücklichen<br />
Prometheus – zumindest im zugrunde liegenden<br />
Mythos – verwehrt bleibt, deutet<br />
der Titel Wie im Himmel schon an. Das<br />
Theaterstück von Kay Pollak, basierend auf<br />
seinem gleichnamigen Film aus dem Jahre<br />
<strong>20</strong>04, führt das Publikum in ein nordschwedisches<br />
Dorf. Ein brummiger Herr<br />
taucht dort auf. Niemand erkennt ihn<br />
wieder; zu lange war er als international gefragter<br />
Dirigent fort von der Heimat. Nach<br />
einem Herzinfarkt sucht er eigentlich Ruhe,<br />
lässt sich aber überreden, den Kirchenchor<br />
zu leiten. Und vollbringt dort das Wunder<br />
gemeinsamen Wachsens, das vielleicht<br />
nur die Musik vollbringen kann. Sogar zu<br />
einem Chorwettbewerb fährt die einst so<br />
heterogene Gruppe – und hier kommt bei<br />
der Bonner Inszenierung das bereits zitierte<br />
„Draußen“ ins Spiel: Interessierte Chöre<br />
der Region können nämlich mitmachen.<br />
<strong>Beethoven</strong> hätte so eine Verschmelzung von<br />
Bühne und realer Welt sicherlich gefallen.<br />
Verlagssonderveröffentlichung 59