CRESCENDO 7/19&1/20 Sonderausgabe Beethoven

Klangräume im
Kloster und auf
der Zeche
Die MUZIEK BIENNALE NIEDERRHEIN feiert
den Humanisten Beethoven in einem Zyklus
Die Rolle Beethovens als Musiker, Humanist und Visionär
beleuchtet die Muziek Biennale Niederrhein mit der Veranstaltungsreihe
Tiefenschärfe an mehreren Schauplätzen auf
dem Gelände der Landesgartenschau Kamp-Lintfort. Wie in
der Fotografie Tiefenschärfe durch Einstellung der Blende erreicht
wird, um einzelne Objekte zu akzentuieren, so richtet
sich in Beethovens Musik der Blick von den Noten auf das
gesellschaftliche Umfeld und wird zur Stimme des Menschen
an sich. Der erste Abend Tuning up stellt Beethoven und
Charles Ives einander gegenüber und sucht, vor der Kulisse
des ehemaligen Zechengeländes, nach gemeinsamen Ausdrucksformen
beider Komponisten in ihrem Streben nach gedanklichem
und künstlerischem Ausdruck allgemeingültiger
Fragestellungen ihrer Zeit. Am zweiten Abend BeethovenMix
im Garten des barocken Klosters Kamp tritt dann die Landschaft
als weiterer Strukturgeber hinzu. Mit einer ganztägigen
Klangperformance wird der historische Raum für die Fragen
von heute geöffnet und lädt, mit der Musik als geistigem
Energieträger, zur Kontemplation, aber auch Konspiration
und Veränderung ein und spannt den Bogen von der Vor-
Beethoven-Zeit bis heute. Dies führt, als Synthese und als
Postulat gleichermaßen, zu den Idealen von Freiheit, Gleichheit
und Brüderlichkeit, verbunden mit Schutz vor der Unterdrückung,
die für Beethovens Denken und Komponieren
grundlegend waren. Diese Ideale stehen im abschließenden
Performance-Konzert mit dem Titel Entwurf einer Landschaft
in der Klosterkirche Kamp im Zentrum. Diese Landschaft
ist keine Idylle, sondern ein geistiger Raum, der ständigen
Veränderungen unterworfen ist und aus tiefenscharfen
Schichten besteht.
TIEFENschärfe
29./30.8.2020
Landesgartenausstellung, Kamp-Lintfort
bthvn2020.de/kalender
A Soulful Tribute to Beethoven and Händel
OLIVER POSPICH und das BONNER JAZZORCHESTER entdecken Händels swingende Seiten
Die Idee des Neuarrangierens beliebter
Musikstücke und deren Übersetzung von
einer Epoche zur nächsten ist keine Erfindung
– und schon gar kein Schnickschnack
– unserer heutigen Zeit. Bach parodierte
seine eigenen Werke, Mozart schuf seine
eigene Fassung des Messias, um Händels
Meisterwerk seiner Generation zugänglich
zu machen. Und auch Beethoven liebte
das Musizieren aus dem Stegreif; nicht alle
seine genialen Improvisationen konnten
in Notenschrift festgehalten werden. Eine
Praxis, die sich durch die gesamte Musikgeschichte
hindurch gehalten hat und immer
kühnere Blüten getragen hat. Zwei
besonders prominente Beispiele aus dem
Bereich der afro-amerikanischen Musik
sind Joyful, joyful, das furiose Finale des
Kinofilms Sister Act 2 von 1993, und Handel’s
Messiah – A Soulful Celebration, zwei
meisterhafte Black-Music-Versionen voller
mitreißender Soul- und Jazz-Elemente, die
in dieser musikgeschichtlichen Tradition
stehen und doch einen ganz neuen Blickwinkel
einnehmen. Diese Neudeutung des
Messias erschien 1993 auf CD und wurde
als Bestes zeitgenössisches Soul-Gospel-
Album mit einem Grammy ausgezeichnet.
Bekannte Jazz-Größen wie Mervyn
Warren, Cedric Dent, Mark Kibble, Patti
Austin, Stevie Wonder oder Al Jarreau ließen
es sich nicht nehmen, einzelne Sätze
aus Händels Klassiker zu bearbeiten, neu
zu interpretieren und in eine moderne,
schlackenlos emotionale Klangsprache
zu übersetzen, die ganze Bandbreite vom
Big-Band-Klassiker über Reggae bis zum
Hip-Hop ausspielend. Da taucht dann
durchaus die Frage auf, ob nicht Beethoven
und Mozart heute ebenfalls Percussionisten
wären, die tief in die Geheimnisse des
Groove eintauchen und ihr Publikum zum
Mit-Swingen brächten …
A Soulful Tribute to Beethoven and Händel
21.–24.9.2020
Pantheon Theater, Bonn
bonnvoice.de
Foto: Günter Brombach
46 BTHVN DAS MAGAZIN ZUM BEETHOVEN-JAHR
2020