11.05.2020 Aufrufe

CRESCENDO 7/19&1/20 Sonderausgabe Beethoven

Beethoven! Sonderausgabe zum 250. Geburtstag. Von CRESCENDO – Das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Offizielle Publikation zum Beethovenjahr 2020. Mit großem Veranstaltungsteil.

Beethoven! Sonderausgabe zum 250. Geburtstag.
Von CRESCENDO – Das Magazin für klassische Musik und Lebensart.
Offizielle Publikation zum Beethovenjahr 2020. Mit großem Veranstaltungsteil.

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Theater, Film, Fernsehen – eigentlich war er immer da. International bekannt aber wurde<br />

Peter Simonischek als Toni Erdmann in Maren Ades gleichnamigem Spielfilm.<br />

In seinem neuen Film <strong>CRESCENDO</strong> #makemusicnotwar überzeugt der Wiener<br />

Burgschauspieler als Dirigent, der ein Orchester aus Palästinensern und Israelis nicht nur<br />

musikalisch, sondern auch menschlich und politisch leitet und begleitet.<br />

<strong>CRESCENDO</strong>: Herr Simonischek, ein Satz beziehungsweise<br />

eine Frage aus Ihrem Film: „Ist Musik eine Waffe?“<br />

Peter Simonischek: (singt) „Spaniens Himmel breitet seine Sterne<br />

über unsre Schützengräben aus …“ Das war das Lied der spanischen<br />

Revolution gegen die Faschisten, insofern ist das eine<br />

Waffe, bis heute. Marschmusik war<br />

auch vorweggenommenes Kriegsgetöse.<br />

Ob Musik eine Waffe sein kann<br />

im Kampf um den Frieden im Nahen<br />

Osten? Sagen wir mal so: Alles, was<br />

irgendwie im Verdacht steht, dem<br />

Frieden dort auf die Sprünge zu helfen,<br />

ist legitim. Der Karren ist ja so<br />

verfahren, dass es in 70 Jahren nicht gelungen ist, ein vernünftiges<br />

Agreement mit den Nachbarn zu schaffen. Das bringt mich auf<br />

die ganz banale Idee, dass es zwischen Nachbarn gelegentlich<br />

einfach mal nicht funktioniert. Weil keiner auch nur einen<br />

Millimeter zurückgehen will. Das ist inhuman, dafür bezahlen<br />

alle den Preis. Und das Schlimmste ist, dass ihn die jungen Leute<br />

bezahlen müssen.<br />

Womit wir beim Thema des Films sind …<br />

Es war spannend, dass unsere Situation beim Drehen praktisch<br />

kongruent war mit dem Plot des Films. Im Film treffen sich<br />

Israelis und Palästinenser, um zusammen zu musizieren. Bei uns<br />

trafen sich Israelis und Palästinenser, um zusammen einen Film<br />

zu machen. Ich habe so viel Bewunderung für die jungen Leute,<br />

die alle brennen, Träume haben … Um dann ein Leben lang zur<br />

Kenntnis zu nehmen, dass das alles nicht in ihren Händen liegt.<br />

Wie war denn die Stimmung unter den Musikern? Kannten die<br />

sich, mochten die sich, oder haben Sie da auch Differenzen<br />

gespürt?<br />

Nun, sie hatten ja schon in Israel gedreht, als ich nicht da war.<br />

Als ich dazukam, habe ich keine Spannungen bemerkt. Was ich<br />

bewundernswert fand, war, wie toll sie miteinander umgegangen<br />

sind. Sie haben zusammen gesungen und Spaß gehabt – eine<br />

richtig gute Zeit. Es war ein bisschen wie Pfadfinderlager.<br />

Es gibt allerdings eine sehr mutige, sehr beklemmende Szene,<br />

in der viel herausbricht, was davor unterdrückt wurde.<br />

Ja, da wird ein Seil gespannt, dann müssen sie sich beschimpfen<br />

und aufeinander losgehen. Ein, zwei Tage vor der Szene hatte ich<br />

den Eindruck, alle hatten Bammel davor. Weil die gute Stimmung,<br />

die sie bis dahin hatten, bestand natürlich aus routiniertem<br />

Ausklammern bestimmter Themen. Plötzlich aber waren diese<br />

Themen Teil der Szene. Einige waren sehr verstört, hauptsächlich<br />

natürlich die Laiendarsteller. Die konnten sich gar nichts anderes<br />

vorstellen, diesen Text zu sagen, als wäre er ihre Wahrheit und<br />

nicht ein „als ob“. Schauspieler sind ja gewohnt, Dinge zu sagen,<br />

die nicht ihre eigene Meinung sind. Diese kulturelle Leistung: zu<br />

sagen, nein, wir wissen um die Differenzen, aber wir haben einen<br />

Weg gefunden, miteinander umzugehen, das klappt ja, solange es<br />

nicht brutal auf den Prüfstand gestellt wird.<br />

Ein arg fragiler Zustand …<br />

Deshalb wird es auch keine Patent- oder Stammtischlösung<br />

geben. Das Schreckliche ist: Ich bin so alt wie der Konflikt. Immer<br />

„FREMDENFEINDLICHKEIT<br />

ZU BESIEGEN IST<br />

EINE KULTURLEISTUNG“<br />

wenn es danach aussah, dass etwas weitergeht, ist Blut geflossen.<br />

Ursprünglich ist er fast 2.000 Jahre alt. Aber offenbar wird<br />

Hoffnung in die Musik gesetzt. Herr Barenboim versucht mit<br />

seinem West-Eastern Divan Orchestra nichts anderes.<br />

Sicher, das war auch ein Vorbild für den Gedanken. Doch hat<br />

Herr Barenboim nicht das Copyright<br />

auf die Sache.<br />

Wäre aber eine Interessengemeinschaft<br />

nicht grundsätzlich ein Weg<br />

zur Integration?<br />

Das wird eigentlich auch versucht.<br />

Zum Beispiel am Maxim Gorki Theater<br />

in Berlin, die ausschließlich Leute mit<br />

migrantischem Hintergrund engagiert haben, ob Schauspieler<br />

oder Techniker. Was ja auch bedeutet, dass man die Gesellschaft<br />

damit konfrontiert. Nicht um zu polarisieren, sondern eher in der<br />

Hoffnung, dass man sich zuhört, wenn man sich gegenseitig<br />

kennenlernt. Welche anderen Möglichkeiten gibt es denn, zur<br />

Integration zu finden, als den Dialog in irgendeiner Form? Und wir<br />

können das ermöglichen! Man kann das mit Theater machen, mit<br />

Musik, auch mit Sport – das ist Teil unserer Aufgabe.<br />

Der Sieg des emotionalen Bewusstseins über das intellektuelle?<br />

Ich denke, über Fremdenfeindlichkeit zu siegen, bei sich selbst<br />

oder überhaupt, ist eine Kulturleistung. Menschen finden das, was<br />

von außen kommt, bedrohlich, sie haben Aversionen gegen<br />

Fremdes, das ist nun leider eine Tatsache. Das wird von vielen<br />

Seiten versucht wegzureden, aber das ist Quatsch. Es ist nicht<br />

unbedingt der Intellekt, es gibt auch Menschen, die haben<br />

weniger Angst oder gar keine. Aber es ist sicher eine Minderheit,<br />

die Fremde willkommen heißt. Das war offensichtlich immer so.<br />

Reinen Herzens sozusagen …<br />

Ja, ohne Vorbehalte. Denken Sie an die Metamorphosen von Ovid.<br />

Da gehen die Götter, Zeus und sein Sohn Hermes, auf Pilgerschaft<br />

und suchen nach Menschen, die sie aufnehmen, als Fremde. Klar<br />

polarisiert dieser Text – unter tausend finden sie nur dieses eine<br />

Paar, Philemon und Baucis. Die sie aufnehmen, die sie freundlich<br />

bewirten und so weiter. Und das sind dann die beiden Gerechten,<br />

die gerettet werden. Das ist das Motiv der Sintflut bei den<br />

Griechen, festgemacht an der Gastfreundschaft.<br />

Also die Herbergssuche in der christlichen Religion.<br />

Genau. Aber das ist offensichtlich eine Leistung, die man nicht<br />

einfach so bei jedem Menschen voraussetzen kann. Da müsste man<br />

meiner Meinung nach auch ansetzen. Dass man das nicht verteufelt.<br />

Dass sich nicht jeder schlecht fühlt, der nicht dieser Meinung<br />

ist. Da bräuchte es mehr Behutsamkeit, den Menschen da hinzuführen.<br />

Dazu können wir auch etwas tun, gerade im Theater. Wenn<br />

es die entsprechenden Stücke gibt. The Who and<br />

the What von Ayad Akhtar, gerade am Burgtheater,<br />

ist ein tolles Stück dafür. Aber es gibt viele<br />

Stücke, die sich um das Phänomen der Ausländerfeindlichkeit<br />

kümmern.<br />

■<br />

<strong>CRESCENDO</strong> #makemusicnotwar mit Peter Simonischek und Bibiana<br />

Beglau läuft am 16. Januar <strong>20</strong><strong>20</strong> in den deutschen Kinos an (Camino)<br />

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