B E E T H O V E N ! Vorbilder gelten dürfen für Werke späterer Komponisten wie Bruckner und Strawinsky. Man muss ja immer mitdenken, dass <strong>Beethoven</strong> ab dem Alter von 32 Jahren immer schwerer hören konnte, was er komponiert hat. Die Musik fand bis zu seiner völligen Ertaubung zunehmend nur noch in seinem Kopf statt – was für eine ungeheure Fantasieleistung! Sie haben sich im Vorfeld des <strong>Beethoven</strong>-Jahres sicher mehr mit <strong>Beethoven</strong> beschäftigt als vorher. Hat sich Ihr Blick auf den Komponisten verändert? Nicht verändert, eher weiter differenziert. Je mehr ich mich mit <strong>Beethoven</strong>s Musik beschäftige, desto interessanter wird sie für mich, desto mehr bewegt und begleitet sie mich. Sie haben über die 27 Millionen weitere sechs Millionen Euro für Veranstaltungen in Bonn und deutschlandweit ermöglicht. <strong>Beethoven</strong> ist nicht nur der meistgespielte Komponist der Welt, sondern er ist einer der wichtigsten Botschafter deutscher Kultur. Seine Musik fasziniert die Menschen überall. Der 250. Geburtstag Ludwig van <strong>Beethoven</strong>s ist ein Ereignis von nicht nur nationaler, sondern internationaler Bedeutung. Die Bundesregierung und der Deutsche Bundestag waren sich immer darüber einig, dass wir dieses Jubiläum angemessen fördern werden. Das wurde auch so schon im Koalitionsvertrag festgehalten. Das vielseitige und hochkarätige Programm der Jubiläumsfeier hat große Strahlkraft und wird Besucher aus aller Welt anlocken. Welche Projekte liegen Ihnen besonders am Herzen? Ich mag die Idee, das Jubiläum mit Hauskonzerten überall in Deutschland zu beginnen. Damit wird deutlich: <strong>Beethoven</strong> ist Teil unseres Alltags. Seine Musik findet nicht nur in den großen Konzertsälen statt, sondern auch bei den Menschen zu Hause. Oder das „Pastoral Projekt“, das auf die Sechste Sinfonie Bezug nimmt: Das ist gleichermaßen aktuell wie vielversprechend, denn es zeigt, dass wir unser kulturelles Erbe nur bewahren können, wenn wir unsere Natur und Umwelt schützen. Wie wichtig ist Ihnen die interdisziplinäre Herangehensweise an <strong>Beethoven</strong>? Ludwig van <strong>Beethoven</strong> war Bonner und Weltbürger, Humanist und Naturfreund, Künstler und Visionär. Ich finde es sehr spannend, die verschiedenen Facetten seines Wirkens zu zeigen. Dieser interdisziplinäre Blick ist zeitgemäß und hilft uns, immer wieder Neues in dieser großen, zeitlosen Kunst zu erfahren. Welcher Fokus ist Ihnen innerhalb des <strong>Beethoven</strong>-Jahres am wichtigsten? Ich wünsche mir, dass es uns gelingt, <strong>Beethoven</strong> möglichst vielen Menschen – und hier vor allem jungen Leuten – nahezubringen. Denn <strong>Beethoven</strong> betrifft unser Menschsein im Kern: unsere Humanität, unsere Fähigkeit zu Freude und Trauer, unsere Empathie, unsere Verantwortung zur Bewahrung der Schöpfung. Sie sprechen von einem neuen Blick auf den Komponisten, den die Veranstaltungen haben beziehungsweise herausfordern sollen. Setzen Sie beim Bürger <strong>Beethoven</strong> an oder beim Musiker? Beim musizierenden und komponierenden Bürger? Das eine lässt sich nicht vom anderen trennen. <strong>Beethoven</strong> war einer der ersten bürgerlichen Komponisten, die sich selbstbewusst aus feudalen Abhängigkeiten gelöst haben. Er hat für die Mitmenschen seiner Zeit komponiert. Obwohl seine Taubheit ihn als Musiker eingeschränkt hat, war er schon zu Lebzeiten sehr BEETHOVENS MUSIK HAT EINE UNIVERSELLE KRAFT, EINE VÖLKERVERBINDENDE WIRKUNG UND BEWEGT MENSCHEN AUF DER GANZEN WELT erfolgreich. Bei seiner Beerdigung folgten schließlich <strong>20</strong>.000 Bürger seinem Sarg. Seitdem ist seine Musik aus den Konzertsälen nicht mehr wegzudenken. Er war so gesehen einer der wichtigsten Katalysatoren für die Etablierung des bürgerlichen Konzertlebens, so wie wir es heute kennen. War <strong>Beethoven</strong> für Sie ein Visionär? Ja, denn er hat an den Sieg des Humanismus geglaubt. Das spürt man ganz besonders im Fidelio sowie in seiner Fünften und Neunten Sinfonie, in der er die Hörer von der „Nacht zum Licht“ führt. Selbst in den Momenten größter Verzweiflung gibt es bei ihm Hoffnung. <strong>Beethoven</strong> lässt uns nicht mit Schmerz und Trauer allein, sondern er gibt uns Kraft und Zuversicht. Wir brauchen seine Musik! <strong>Beethoven</strong> gilt als Komponist, der erst in reifen Jahren verstanden wird. Glauben Sie das? Und falls ja, kann man dann <strong>Beethoven</strong> der Jugend überhaupt nahebringen? Kaum ein anderer Komponist spricht die Menschen so direkt an wie <strong>Beethoven</strong> – egal, wie alt sie sind. Ich habe es im Konzert schon häufig beobachten können, wie sehr sich gerade junge Menschen für <strong>Beethoven</strong> begeistern. Denken Sie nur an die Neunte Sinfonie oder an die Pastorale, die ja häufig auch in Kinder konzerten gespielt wird. Ihr Lieblingswerk von <strong>Beethoven</strong>? Vielleicht auch Ihre persönliche Referenzaufnahme? Eine der mich berührendsten Kompositionen ist das Quartett aus der Oper Fidelio, diese Steigerung von einer geradezu kammermusikalischen Passage über ein einfaches Lied bis zum grandiosen polyfonen Ensemble – Wahnsinn! Das muss man live hören, daher möchte ich keine Referenzaufnahme nennen. Macht die Neunte immer noch Gänsehaut? Und wie! Vor allem, wenn sie so zu hören ist wie beim Antrittskonzert von Kirill Petrenko mit den Berliner Philharmonikern im September <strong>20</strong>19. Hätten Sie morgen ein Interview mit <strong>Beethoven</strong> – was würden Sie ihn fragen? Wahrscheinlich würde ich vor Dankbarkeit und Bewunderung eher verstummen. Wären Sie gern mit <strong>Beethoven</strong> befreundet gewesen? Wenn ich eine Zeitmaschine hätte, würde ich gerne ins 19. Jahrhundert reisen, um dort nicht nur <strong>Beethoven</strong> zu treffen, sondern auch seine Zeitgenossen Goethe, Schiller und Jean Paul. <strong>Beethoven</strong> ist kein bequemer Komponist. Wie erklären Sie sich den Erfolg seiner Musik? Zu seiner Zeit war seine Musik ja geradezu unerhört modern, ja, revolutionär im besten Sinne. Das, was bis heute als „Unbequemes“ geblieben ist, ist es ja gerade, was uns nach wie vor aufmerken lässt, wenn seine Musik erklingt. Sie ist eben nicht „angepasst“, sondern sie weckt uns auf. Seine Musik hat eine universelle Kraft, sie hat eine völkerverbindende Wirkung und bewegt Menschen auf der ganzen Welt. Denn da ist etwas in seiner Musik, das uns alle anspricht: das Utopische, die Hoffnung, die Menschenfreundlichkeit. Und natürlich erklärt sich der große Erfolg auch aus der Qualität seiner Musik, ihrem Ideenreichtum, ihrer Vielseitigkeit und der Inspiration, die sie bis heute auslöst. Was wünschen Sie sich für das Ende des Jubiläumsjahres? Dass wir <strong>Beethoven</strong> und seine Musik durch neue Erkenntnisse und bewegende Aufführungen noch besser kennengelernt haben. n Das Interview führte Barbara Schulz 72 w w w . c r e s c e n d o . d e — Dezember <strong>20</strong>19 – Januar <strong>20</strong><strong>20</strong>
DAS MAGAZIN ZUM JUBILÄUMSJAHR 250 JAHRE BEETHOVEN KONZERT BÜHNE EVENT AUSSTELLUNG DIALOG Das <strong>Beethoven</strong>-Jubiläumsjahr mit über 300 Projekten DIE BTHVN-HIGHLIGHTS Ausführliche Beiträge zu mehr als 90 ausgewählten Projekten BONN & BEETHOVEN Eine Entdeckungsreise durch die Geburtsstadt des Komponisten BEETHOVEN IM WANDEL Das musikalische Genie im Spiegel der Zeitgeschichte
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