CRESCENDO 7/19&1/20 Sonderausgabe Beethoven
Beethoven! Sonderausgabe zum 250. Geburtstag. Von CRESCENDO – Das Magazin für klassische Musik und Lebensart. Offizielle Publikation zum Beethovenjahr 2020. Mit großem Veranstaltungsteil.
Beethoven! Sonderausgabe zum 250. Geburtstag.
Von CRESCENDO – Das Magazin für klassische Musik und Lebensart.
Offizielle Publikation zum Beethovenjahr 2020. Mit großem Veranstaltungsteil.
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B E E T H O V E N !<br />
Vorbilder gelten dürfen für Werke späterer Komponisten wie<br />
Bruckner und Strawinsky. Man muss ja immer mitdenken, dass<br />
<strong>Beethoven</strong> ab dem Alter von 32 Jahren immer schwerer hören<br />
konnte, was er komponiert hat. Die Musik fand bis zu seiner<br />
völligen Ertaubung zunehmend nur noch in seinem Kopf statt –<br />
was für eine ungeheure Fantasieleistung!<br />
Sie haben sich im Vorfeld des <strong>Beethoven</strong>-Jahres sicher mehr mit<br />
<strong>Beethoven</strong> beschäftigt als vorher. Hat sich Ihr Blick auf den<br />
Komponisten verändert?<br />
Nicht verändert, eher weiter differenziert. Je mehr ich mich mit<br />
<strong>Beethoven</strong>s Musik beschäftige, desto interessanter wird sie für<br />
mich, desto mehr bewegt und<br />
begleitet sie mich.<br />
Sie haben über die 27 Millionen<br />
weitere sechs Millionen Euro für<br />
Veranstaltungen in Bonn und<br />
deutschlandweit ermöglicht.<br />
<strong>Beethoven</strong> ist nicht nur der<br />
meistgespielte Komponist der Welt,<br />
sondern er ist einer der wichtigsten<br />
Botschafter deutscher Kultur. Seine<br />
Musik fasziniert die Menschen<br />
überall. Der 250. Geburtstag Ludwig van <strong>Beethoven</strong>s ist ein<br />
Ereignis von nicht nur nationaler, sondern internationaler<br />
Bedeutung. Die Bundesregierung und der Deutsche Bundestag<br />
waren sich immer darüber einig, dass wir dieses Jubiläum<br />
angemessen fördern werden. Das wurde auch so schon im<br />
Koalitionsvertrag festgehalten. Das vielseitige und hochkarätige<br />
Programm der Jubiläumsfeier hat große Strahlkraft und wird<br />
Besucher aus aller Welt anlocken.<br />
Welche Projekte liegen Ihnen besonders am Herzen?<br />
Ich mag die Idee, das Jubiläum mit Hauskonzerten überall in<br />
Deutschland zu beginnen. Damit wird deutlich: <strong>Beethoven</strong> ist<br />
Teil unseres Alltags. Seine Musik findet nicht nur in den großen<br />
Konzertsälen statt, sondern auch bei den Menschen zu Hause.<br />
Oder das „Pastoral Projekt“, das auf die Sechste Sinfonie Bezug<br />
nimmt: Das ist gleichermaßen aktuell wie vielversprechend, denn<br />
es zeigt, dass wir unser kulturelles Erbe nur bewahren können,<br />
wenn wir unsere Natur und Umwelt schützen.<br />
Wie wichtig ist Ihnen die interdisziplinäre Herangehensweise<br />
an <strong>Beethoven</strong>?<br />
Ludwig van <strong>Beethoven</strong> war Bonner und Weltbürger, Humanist<br />
und Naturfreund, Künstler und Visionär. Ich finde es sehr<br />
spannend, die verschiedenen Facetten seines Wirkens zu zeigen.<br />
Dieser interdisziplinäre Blick ist zeitgemäß und hilft uns, immer<br />
wieder Neues in dieser großen, zeitlosen Kunst zu erfahren.<br />
Welcher Fokus ist Ihnen innerhalb des <strong>Beethoven</strong>-Jahres am<br />
wichtigsten?<br />
Ich wünsche mir, dass es uns gelingt, <strong>Beethoven</strong> möglichst vielen<br />
Menschen – und hier vor allem jungen Leuten – nahezubringen.<br />
Denn <strong>Beethoven</strong> betrifft unser Menschsein im Kern: unsere<br />
Humanität, unsere Fähigkeit zu Freude und Trauer, unsere<br />
Empathie, unsere Verantwortung zur Bewahrung der Schöpfung.<br />
Sie sprechen von einem neuen Blick auf den Komponisten, den<br />
die Veranstaltungen haben beziehungsweise herausfordern<br />
sollen. Setzen Sie beim Bürger <strong>Beethoven</strong> an oder beim<br />
Musiker? Beim musizierenden und komponierenden Bürger?<br />
Das eine lässt sich nicht vom anderen trennen. <strong>Beethoven</strong> war<br />
einer der ersten bürgerlichen Komponisten, die sich selbstbewusst<br />
aus feudalen Abhängigkeiten gelöst haben. Er hat für die<br />
Mitmenschen seiner Zeit komponiert. Obwohl seine Taubheit ihn<br />
als Musiker eingeschränkt hat, war er schon zu Lebzeiten sehr<br />
BEETHOVENS MUSIK HAT EINE<br />
UNIVERSELLE KRAFT, EINE<br />
VÖLKERVERBINDENDE WIRKUNG<br />
UND BEWEGT MENSCHEN<br />
AUF DER GANZEN WELT<br />
erfolgreich. Bei seiner Beerdigung folgten schließlich <strong>20</strong>.000<br />
Bürger seinem Sarg. Seitdem ist seine Musik aus den Konzertsälen<br />
nicht mehr wegzudenken. Er war so gesehen einer der<br />
wichtigsten Katalysatoren für die Etablierung des bürgerlichen<br />
Konzertlebens, so wie wir es heute kennen.<br />
War <strong>Beethoven</strong> für Sie ein Visionär?<br />
Ja, denn er hat an den Sieg des Humanismus geglaubt. Das spürt<br />
man ganz besonders im Fidelio sowie in seiner Fünften und<br />
Neunten Sinfonie, in der er die Hörer von der „Nacht zum Licht“<br />
führt. Selbst in den Momenten größter Verzweiflung gibt es bei<br />
ihm Hoffnung. <strong>Beethoven</strong> lässt uns nicht mit Schmerz und Trauer<br />
allein, sondern er gibt uns Kraft<br />
und Zuversicht. Wir brauchen seine<br />
Musik!<br />
<strong>Beethoven</strong> gilt als Komponist, der<br />
erst in reifen Jahren verstanden<br />
wird. Glauben Sie das? Und falls<br />
ja, kann man dann <strong>Beethoven</strong> der<br />
Jugend überhaupt nahebringen?<br />
Kaum ein anderer Komponist<br />
spricht die Menschen so direkt an<br />
wie <strong>Beethoven</strong> – egal, wie alt sie<br />
sind. Ich habe es im Konzert schon häufig beobachten können,<br />
wie sehr sich gerade junge Menschen für <strong>Beethoven</strong> begeistern.<br />
Denken Sie nur an die Neunte Sinfonie oder an die Pastorale, die<br />
ja häufig auch in Kinder konzerten gespielt wird.<br />
Ihr Lieblingswerk von <strong>Beethoven</strong>? Vielleicht auch Ihre<br />
persönliche Referenzaufnahme?<br />
Eine der mich berührendsten Kompositionen ist das Quartett aus<br />
der Oper Fidelio, diese Steigerung von einer geradezu kammermusikalischen<br />
Passage über ein einfaches Lied bis zum grandiosen<br />
polyfonen Ensemble – Wahnsinn! Das muss man live hören,<br />
daher möchte ich keine Referenzaufnahme nennen.<br />
Macht die Neunte immer noch Gänsehaut?<br />
Und wie! Vor allem, wenn sie so zu hören ist wie beim Antrittskonzert<br />
von Kirill Petrenko mit den Berliner Philharmonikern im<br />
September <strong>20</strong>19.<br />
Hätten Sie morgen ein Interview mit <strong>Beethoven</strong> – was würden<br />
Sie ihn fragen?<br />
Wahrscheinlich würde ich vor Dankbarkeit und Bewunderung<br />
eher verstummen.<br />
Wären Sie gern mit <strong>Beethoven</strong> befreundet gewesen?<br />
Wenn ich eine Zeitmaschine hätte, würde ich gerne ins<br />
19. Jahrhundert reisen, um dort nicht nur <strong>Beethoven</strong> zu treffen,<br />
sondern auch seine Zeitgenossen Goethe, Schiller und Jean Paul.<br />
<strong>Beethoven</strong> ist kein bequemer Komponist. Wie erklären Sie sich<br />
den Erfolg seiner Musik?<br />
Zu seiner Zeit war seine Musik ja geradezu unerhört modern, ja,<br />
revolutionär im besten Sinne. Das, was bis heute als „Unbequemes“<br />
geblieben ist, ist es ja gerade, was uns nach wie vor aufmerken<br />
lässt, wenn seine Musik erklingt. Sie ist eben nicht „angepasst“,<br />
sondern sie weckt uns auf. Seine Musik hat eine universelle Kraft,<br />
sie hat eine völkerverbindende Wirkung und bewegt Menschen<br />
auf der ganzen Welt. Denn da ist etwas in seiner Musik, das uns<br />
alle anspricht: das Utopische, die Hoffnung, die Menschenfreundlichkeit.<br />
Und natürlich erklärt sich der große Erfolg auch aus der<br />
Qualität seiner Musik, ihrem Ideenreichtum, ihrer Vielseitigkeit<br />
und der Inspiration, die sie bis heute auslöst.<br />
Was wünschen Sie sich für das Ende des Jubiläumsjahres?<br />
Dass wir <strong>Beethoven</strong> und seine Musik durch neue Erkenntnisse und<br />
bewegende Aufführungen noch besser kennengelernt haben. n<br />
Das Interview führte Barbara Schulz<br />
72 w w w . c r e s c e n d o . d e — Dezember <strong>20</strong>19 – Januar <strong>20</strong><strong>20</strong>