B E E T H O V E N ! WOHER KOMMT EIGENTLICH … … der Boogie-Woogie ? VON STEFAN SELL Piet Mondrians unvollendetes Werk: Victory Boogie Woogie Enorm! Enorm! Enorm!“ schwärmte Piet Mondrian, Pionier des Abstrakten, als er zum ersten Mal die faszinierende Musik hörte. Es war die Musik, die zum „Vater des Rock ’n’ Roll“ wurde. Strawinsky glaubte, sie bei <strong>Beethoven</strong> zu hören: „Boogie-Woogie!“ Ist es möglich, bei <strong>Beethoven</strong> etwas zu hören, das eigentlich aus Amerika kommt? Ja, das ist es, und zwar im zweiten Satz seiner Klaviersonate Nr. 32, op. 111. Urplötzlich swingt und groovt es in der dritten Variation seiner Arietta, als hätte <strong>Beethoven</strong> so etwas wie Boogie-Woogie oder Ragtime vorausgeahnt. Wenn man will, lässt sich im weiteren Verlauf auch schon der Sound eines Keith Jarrett hören oder in den darauffolgenden konstant anhaltenden Trillern das mantrisch repetierende Tremolieren eines Steve Reich oder Philip Glass. Diese seine letzte, von Thomas Mann literarisch gerühmte Klaviersonate von 1822, enthält viel Neues und Zukünftiges. Erstaunlich, dass sie nur zwei Sätze hat. Sein damaliger Verleger Schlesinger fragte verlegen nach, „ob das Allegro zufällig beim Notenschreiber vergessen worden“ sei. Eine Menge verminderter Septakkorde, das Tonart bestimmende c-Moll springt gleich zu C-Dur, Taktwechsel von 9/16 zu 12/32 und Synkopisches, wie man es aus der späteren Popularmusik kennt. Ging es nach dem damaligen Rezensenten der AMZ, muss <strong>Beethoven</strong> auch Vorreiter in Sachen Weltmusik gewesen sein: „Den Sinn des fugirten Finale wagt Referent nicht zu deuten: für ihn war es unverständlich, wie Chinesisch.“ Er spricht von „Instrumenten in den Regionen des Süd- und Nordpols“, „einer Unzahl von Dissonanzen“, „babylonischer Verwirrung“, alles in allem von einem „Concert, woran sich allenfalls die Marokkaner ergötzen können“. Das klingt nach Crossover, gemeint aber ist das Streichquartett op. 130 mit der Großen Fuge als Finalsatz, das seine Uraufführung in Wien am 21. März 1826 hatte. Das Schuppanzigh-Quartett, auch bekannt als „<strong>Beethoven</strong>sches Leibquartett“, hatte seit Januar geprobt. Zweiter Geiger war Karl Holz, ein Freund <strong>Beethoven</strong>s. Von ihm wollte er wissen, worin denn die Schwierigkeit des Stückes liege? Dessen lapidare Antwort war: „Im Ganzen.“ <strong>Beethoven</strong> ahnte wohl das Unverständnis voraus und war beim Konzert gar nicht erst anwesend. Karl Holz erinnerte sich: „<strong>Beethoven</strong> erwartete mich nach der Aufführung im nächstgelegenen Gasthaus. Ich erzählte ihm, daß die beiden [Mittel-]Stücke wiederholt werden mußten. ‚Ja!‘, sagte er hierauf ärgerlich, ,diese Leckerbissen! Warum nicht die Fuge?‘“ Da hätte ihm sicherlich Strawinsky beigestimmt, der wusste: „... dieses absolut zeitgenössische Musikstück wird für immer zeitgenössisch sein, (...) diese Fuge, ich liebe sie mehr als alle anderen“. Besagter Rezensent aber vermutete sogar: „Vielleicht wäre so manches nicht hingeschrieben worden, könnte der Meister seine eigenen Schöpfungen auch hören“, lenkt dann aber wiederum ein: „Doch wollen wir damit nicht voreilig absprechen: vielleicht kommt noch die Zeit, wo das, was uns beym ersten Blicke trüb und verworren erschien, klar und in wohlgefälligen Formen erkannt wird.“ Besser lässt sich das Zukünftige in der Musik <strong>Beethoven</strong>s nicht beschreiben. Um den Verkauf der Notenausgabe zu fördern, ließ <strong>Beethoven</strong> sich schließlich überreden, ein neues Finale zu schreiben, und aus der Großen Fuge wurde ein eigenständiges Werk unter der Opusnummer 133. Karl Holz gestand er später, dass „diese Fuge ein außer dem Bereich des Gewöhnlichen, ja selbst seiner neuesten ungewöhnlichen Quartettmusik liegendes Kunstwerk sei, dass es für sich allein abgesondert dastehen müsse, auch allerdings eine eigene Opuszahl verdiene“. <strong>Beethoven</strong> entsprach nie den Erwartungen, im Gegenteil, er brachte im wahrsten Sinne des Wortes immer etwas Unerhörtes zutage. Bezogen auf seine Improvisationskunst glaubt man, dass bei all dem, was <strong>Beethoven</strong> an Einzigartigkeit und Unkonventionellem hervorgebracht hat, sein größtes Schaffen vermutlich gar nicht überliefert ist. Es steckte in seinen nicht festgehaltenen Improvisationen und ist in dieser Hinsicht tatsächlich dem späteren Jazz verwandt. Der Engländer Johann Baptist Cramer, den <strong>Beethoven</strong> selbst als genialen Pianisten schätzte, brachte diese Kunst auf den Punkt, indem er bezeugte, „man hätte nicht frei Phantasieren gehört, wenn man <strong>Beethoven</strong> nicht gehört hätte“. Schubert hingegen war darüber in seinen jungen Jahren geradezu verzweifelt: „Wer vermag nach <strong>Beethoven</strong> noch etwas zu machen?“ Und tatsächlich: <strong>Beethoven</strong>s Werk reicht weit in die Moderne. Berlioz, Schumann, Liszt, Wagner, Bruckner, Brahms, Mahler, Strawinsky, Schönberg, Zender, Rihm, John Cage, Pierre Henry, Uri Caine ... Kaum einer kam und kommt an ihm vorbei – und dafür wird er gefeiert! n 68 w w w . c r e s c e n d o . d e — Dezember <strong>20</strong>19 – Januar <strong>20</strong><strong>20</strong>
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