Stanislaw Lem - Transfer
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ist mir egal. Denn nun lohnt es sich schon. Weil ich es laut sage und du es hörst. Verstehst du?<br />
Nein. Du kannst es nicht verstehen. Ihr seid eure Schicksalsdramatik losgeworden, um in aller<br />
Ruhe zu leben. Ich kann das nicht. Brauche es auch nicht.« Sie schwieg. Ich holte Luft.<br />
»Eri«, sagte ich, »hör doch.., setz dich erst einmal hin.«<br />
Sie rührte sich nicht.<br />
»Setz dich doch. Bitte.«<br />
Nichts.<br />
»Das kann dir doch nicht schaden. Setz dich.«<br />
Plötzlich begriff ich. Meine Kiefermuskeln spannten sich.<br />
»Wenn du nicht willst - warum hast du mich denn 'reingelassen?«<br />
Nichts.<br />
Ich stand auf, nahm sie bei den Schultern. Sie wehrte sich nicht. Ich setzte sie in einen Sessel.<br />
Brachte dann den meinen so nahe, dass sich unsere Knie fast berührten.<br />
»Du kannst machen, was du willst. Aber hör zu. Es ist nicht meine Schuld. Und deine schon ganz<br />
bestimmt nicht. Keiner ist schuld. Ich habe es nicht gewollt. Aber es ist nun einmal so. Es ist,<br />
siehst du, die Ausgangssituation. Ich weiß, dass ich mich wie ein armer Irrer benehme. Aber ich<br />
sage dir auch gleich, warum. Willst du mit mir denn überhaupt nicht mehr sprechen?«<br />
»Vielleicht«, sagte sie.<br />
»Danke schön dafür. Ja. Ich weiß. Ich habe nicht das geringste Recht und so weiter. Also - was<br />
ich sagen wollte: - vor Millionen von Jahren gab es solche Eidechsen, Brontosaurier,<br />
Atlantosaurier... Hast du vielleicht davon gehört?«<br />
»Ja.«<br />
»Haushohe Riesen waren das. Sie hatten einen unheimlich langen Schwanz, der dreimal so lang<br />
wie ihr ganzer Körper war. Konnten sich wohl deshalb nicht so, wie sie vielleicht gewollt hätten,<br />
bewegen- leicht und geschickt. Ich bin ihnen irgendwie ähnlich, weißt du. Zehn Jahre lang, weiß<br />
der Kuckuck wozu, trieb ich mich zwischen den Sternen herum. Vielleicht war es gar nicht nötig.<br />
Aber nun lässt sich das nicht ändern. Nachholen geht nicht mehr. Und das belastet mich eben.<br />
Verstehst du? Ich kann mich nicht so benehmen, als ob es das nie gegeben hätte. Ich glaube kaum,<br />
dass du davon entzückt sein könntest. Darüber, was ich dir sage, sagte und noch sagen werde.<br />
Aber einen Rat kann ich da nicht finden. Ich muss dich haben, solange es nur geht, und das ist<br />
eigentlich alles. Sagst du mir jetzt etwas?«<br />
Sie sah mich an. Sie schien mir noch etwas blasser geworden zu sein, aber es mochte am Licht<br />
liegen. Sie saß, in ihren flaumigen Mantel eingekuschelt, als ob sie fröre. Ich wollte fragen, ob ihr<br />
kalt war, konnte aber wieder kein Wort hervorbringen. Mir – o nein - mir war nicht kalt.<br />
»Was... hätten Sie... an meiner Stelle getan?«<br />
»Sehr gut!« lobte ich sie. »Ich glaube, dass ich kämpfen würde.«<br />
»Ich kann nicht.«<br />
»Das weiß ich. Glaubst du, dass mir das die Sache leichter macht? Das Gegenteil ist der Fall, das<br />
schwöre ich dir. Willst du, dass ich jetzt gehe, oder darf ich noch etwas sagen? Warum siehst du<br />
mich so an? Nun weißt du doch wohl, dass ich für dich alles tun werde, nicht wahr? Bitte, sieh<br />
mich nicht so an. In meinem Mund bedeutet >alles< etwas völlig anderes als bei anderen Leuten.<br />
Und weißt du was?«<br />
Ich fühlte mich außer Atem, als ob ich lange gelaufen wäre. Ich hielt ihre beiden Hände - wie<br />
lange, weiß ich nicht -, vielleicht von Anfang an? Ich weiß nicht. Sie waren so zierlich.<br />
»Eri, weißt du, nie habe ich so etwas wie jetzt gespürt. Denk bloß. Diese schreckliche Leere -<br />
dort. Nicht zu beschreiben. Ich glaubte nicht an meine Rückkehr. Keiner glaubte es. Wir sprachen<br />
zwar darüber, aber nur so. Sie sind dort geblieben, Tore, Arne, Venturi, und sie sind jetzt wie die<br />
Steine, solche eingefrorenen Steine in der Finsternis - weißt du. Und ich hätte auch dort bleiben<br />
sollen, aber wenn ich schon hier bin und deine Hände halte und zu dir sprechen darf und du mich<br />
hörst, so ist es vielleicht nicht so schlimm. So gemein. Vielleicht nicht - Eri! Sieh mich nur nicht<br />
so an. Ich beschwöre dich. Gib mir eine Chance. Denke ja nicht, dass es nur- Liebe ist. Denk nicht<br />
so. Es ist mehr.<br />
Mehr. Du glaubst mir nicht.., warum glaubst du mir nicht? Ich sage doch die Wahrheit. Wirklich.«<br />
Sie schwieg. Ihre Hände waren eiskalt.