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Stanislaw Lem - Transfer

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da hinunter und zog ihn heraus. Großer Gott! Zehnmal lieber war mir das gewesen, als diese Tür<br />

hier. Gar kein Geräusch. Nichts. Hätte diese Tür bloß eine Klinke gehabt. Nein, dies war eine<br />

kleine Platte. Bei mir, oben, gab es so etwas nicht. Ich wusste kaum, ob sie irgendwie eingestellt -<br />

wie ein Schloss - war oder ob man sie drücken sollte. Ich war noch immer derselbe wilde Mann<br />

von Kerenea.<br />

Ich hob die Hand und hielt unschlüssig inne. Und wenn die Tür nicht aufgeht? Allein die<br />

Vorstellung eines solchen Rückzugs: das würde mir für eine längere Zeit viel Material zum<br />

Nachdenken geben. Und ich spürte, dass ich, je länger ich so stand, desto schwächer wurde, so,<br />

als verließen mich alle Kräfte. Ich berührte die Platte. Sie gab nicht nach. Ich drückte nun stärker.<br />

»Sind Sie das?« hörte ich ihre Stimme. Sie musste dicht bei der Tür stehen. »Ja.«<br />

Stille. Eine halbe, eine ganze Minute lang.<br />

Die Tür ging auf. Sie stand an der Schwelle. Hatte einen flauschigen Morgenmantel an. Das Haar<br />

fiel ihr bis auf den Kragen. Schwer zu glauben: aber jetzt erst sah ich, dass es kastanienbraun war.<br />

Die Tür wurde nur einen Spalt geöffnet. Sie hielt sie fest. Als ich einen Schritt nach vorn machte,<br />

trat sie zurück. Von allein und völlig geräuschlos schnappte die Tür hinter mir zu. Und plötzlich,<br />

als ob mir Schuppen von den Augen fielen, merkte ich, wie das alles aussah. Sie blickte mich an,<br />

reglos, blass, beide Teile ihres Mantels mit den Händen festhaltend, und ich stand ihr gegenüber,<br />

nackt, wassertriefend, im schwarzen Slip von Olaf, mit einem sandverkrusteten Bademantel in der<br />

Hand – und starrte sie an...<br />

Plötzlich musste ich gerade wegen all dieser Dinge lächeln. Ich schüttelte meinen Bademantel,<br />

zog ihn an und setzte mich. An der Stelle, wo ich vorher stand, bemerkte ich zwei feuchte Flecke.<br />

Aber ich hatte absolut nichts zu sagen. Was konnte ich schon sagen? Auf einmal wusste ich es. Es<br />

war wie eine Inspiration.<br />

»Wissen Sie, wer ich bin?«<br />

»Ja.«<br />

»So? Na schön. Vom Reisebüro?«<br />

»Nein.«<br />

»Auch egal. Ich bin - ein Wilder - wissen Sie das?«<br />

»So?«<br />

»Ja. Schrecklich wild. Wie heißen Sie?«<br />

»Wissen Sie es denn nicht?«<br />

»Ihr Vorname.«<br />

»Eri.«<br />

»Ich nehme dich fort von hier.«<br />

»Was?«<br />

»Ja. Ich nehme dich von hier fort. Willst du?«<br />

»Nein.«<br />

»Das schadet nichts. Ich nehme dich mit. Weißt du, warum?«<br />

»Ungefähr.«<br />

»Nein, du weißt es nicht. Ich weiß es selber nicht.«<br />

Sie schwieg.<br />

»Ich kann mir nicht helfen«, sprach ich weiter. »Es ist eigentlich geschehen, als ich dich sah.<br />

Vorgestern. Am Mittagstisch. Weißt du?«<br />

»Ich weiß.«<br />

»Warte. Du meinst vielleicht, dass ich scherze?«<br />

»Nein.«<br />

»Woher kannst du... ach, egal. Wirst du versuchen zu fliehen?«<br />

Sie schwieg.<br />

»Tu das nicht«, bat ich. »Es wird dir nichts nützen, weißt du. Ich lasse dich sowieso nicht in Ruhe.<br />

Obwohl ich es gerne möchte, glaubst du das?« Sie schwieg.<br />

»Siehst du, es liegt nicht nur daran, dass ich nicht betrisiert bin. Mir liegt an gar nichts mehr,<br />

weißt du. An nichts. Außer dir. Ich muss dich sehen. Muss dich ansehen können. Muss deine<br />

Stimme hören. Ich muss es, etwas anderes interessiert mich nicht mehr. Nichts. Ich weiß noch<br />

nicht, was mit uns werden wird. Mir scheint, dass dies ein schlechtes Ende haben kann. Aber das

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