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Stanislaw Lem - Transfer

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Wasser wirklich schon seicht war - ich hatte keine Zeit gehabt, sie zu warnen. Sie musste sich mit<br />

den Füßen ziemlich stark am Boden gestoßen haben, sie schwankte, fiel aber nicht hin. Ich sprang<br />

zu.<br />

»Ist Ihnen etwas passiert?«<br />

»Nein.«<br />

»Es ist meine Schuld. Ich bin ein Dummkopf.«<br />

Bis zur Taille standen wir nun beide im Wasser. Ich kroch ans Ufer, lief zum Haus, schloss den<br />

Abfluss und kam wieder zurück. Ich konnte sie nirgends sehen. Leise glitt ich ins Wasser,<br />

schwamm durch das ganze Becken, legte mich auf den Rücken und, ganz leicht die Arme<br />

bewegend, ging ich auf den Grund. Als ich die Augen öffnete, sah ich die glasig-dunkle, von<br />

kleinen Wellen gekrümmte Wasseroberfläche. Langsam trug mich dieses Wasser hoch, ich fing<br />

aufrecht zu schwimmen an, und dann sah ich sie. Sie stand direkt an der Wand des<br />

Schwimmbeckens. Ich schwamm auf sie zu. Das Sprungbrett blieb auf der anderen Seite, hier war<br />

das Wasser flach, so dass ich gleich festen Grund unter den Füßen bekam. Das Wasser, das ich<br />

beim Gehen zerteilte, rauschte laut. Ich sah ihr Gesicht, sie schaute mich an; lag es an der Wucht<br />

meiner letzten Schritte - denn es fällt ja schwer, im Wasser zu gehen, ist aber auch nicht leicht,<br />

plötzlich stehenzubleiben-, jedenfalls stand ich plötzlich dicht neben ihr. Vielleicht wäre sie<br />

zurückgegangen, aber sie blieb, wo sie war, mit der Hand die erste aus dem Wasser kommende<br />

Leitersprosse umfassend, und ich war schon zu nahe, um noch irgend etwas sagen zu können -<br />

mich hinter einem Gespräch zu verstecken...<br />

Ich umarmte sie fest, sie war kalt, aalglatt, wie ein eigenartiges, fremdes Tier. Und plötzlich fand<br />

ich in diesem kühlen, fast unlebendigen Kontakt einen heißen Flecken - ihren Mund -, sie rührte<br />

sich nicht, und ich küsste sie, küsste und küsste - es war der reinste Irrsinn. Sie wehrte sich nicht,<br />

leistete auch keinen Widerstand, sie schien wirklich wie tot. Ich hielt sie an den Schultern, hob ihr<br />

Gesicht empor, wollte sie sehen, ihr in die Augen blicken, aber es war schon so dunkel, dass ich<br />

ihre Figur kaum erraten konnte, hätte ich sie nicht gespürt. Sie zitterte nicht. Irgend etwas<br />

pulsierte nur - ob mein Herz oder ihres - ich wusste es nicht. So standen wir, bis sie sich langsam<br />

aus meinen Armen zu befreien begann. Ich ließ sie sofort los. Sie stieg die Leiter hinauf. Ich kam<br />

hinter ihr her, umarmte sie wieder, irgendwie linkisch von der Seite, nun zitterte sie. Jetzt zitterte<br />

sie, ja. Ich wollte etwas sagen, fand aber keine Stimme. Ich hielt sie fest an mich gedrückt, und so<br />

standen wir, bis sie sich wiederum befreite, ohne mich abzustoßen, nur so, als wäre ich überhaupt<br />

nicht da. Meine Arme fielen herab. Sie ging nun fort. Im Lichtschein, der aus meinem Fenster<br />

kam, sah ich, wie sie den Bademantel hob, ohne ihn um die Schulter zu hängen, und auf die<br />

Treppe zuging. An der Tür, in der Halle, brannte auch noch Licht. Ich sah Wassertropfen auf<br />

ihrem Rücken und ihren Hüften glänzen. Dann schloss sich die Tür. Sie verschwand.<br />

Eine Sekunde lang hatte ich das Verlangen, ins Wasser zu springen und nie mehr hochzukommen.<br />

Nein, wirklich. Niemals kam mir vorher solch eine Idee in den Kopf. Es war ja alles so sinnlos, so<br />

unmöglich. Und das Schlimmste dabei war, dass ich nicht wusste, was es bedeuten sollte und was<br />

ich jetzt tun konnte. Und sie - warum war sie so... so... eigenartig gewesen? Vielleicht hatte die<br />

Angst sie gelähmt? Ach, nichts als Angst und immer wieder nur Angst. Nein, es war etwas<br />

anderes. Was aber? Wie konnte ich es wissen? Vielleicht Olaf. Übrigens - bin ich ein<br />

fünfzehnjähriger Grünschnabel, der ein Mädchen küsst und dann gleich zu seinem Freund läuft,<br />

um Rat zu holen?<br />

>Dochgerade das werde ich tun.< Ich ging ins Haus, nahm meinen Bademantel,<br />

schüttelte den Sand von ihm ab. In der Halle war es hell. Ich trat an ihre Tür heran. >Vielleicht<br />

lässt sie mich herein

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