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Stanislaw Lem - Transfer

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haben sowieso zehntausendmal zuviel davon gesprochen. Am besten ist, nicht darüber zu<br />

sprechen.«<br />

Olaf trat an mich heran. »Alter Gaul«, sagte er, »du unglückseliger alter Gaul... Hast einfach<br />

zuviel des Guten, weißt du das?«<br />

»Was für Gutes soll das schon wieder sein?«<br />

»Verantwortungsgefühl. Man muss in allem Maß halten. Und was willst du machen?«<br />

»Womit?«<br />

»Das weißt du doch...«<br />

»Nein.«<br />

»Schlimm - was?«<br />

»Schlimmer kann es gar nicht sein.«<br />

»Willst du denn nicht mit mir mit? Oder irgendwohin - allein. Wenn du willst, helfe ich dir dabei.<br />

Ich kann deine Sachen mitnehmen, oder du lässt sie hier, oder...«<br />

»Meinst du, dass ich türmen soll?«<br />

»Ich meine gar nichts. Aber wenn ich dich so sehe, wenn du nur ein bisschen aus der eigenen<br />

Haut fährst, nur ein winziges bisschen, so wie eben vor einer Weile, weißt du... dann...«<br />

»Ja - dann?«<br />

»Dann fange ich zu denken an.«<br />

»Ich will hier nicht weg. Weißt du, was ich dir sage? Ich rühre mich hier nicht vom Fleck. Es sei<br />

denn, dass...«<br />

»Ja?«<br />

»Nichts. Und der da, in der Werkstatt, was hat er gesagt? Wann soll der Wagen fertig sein?<br />

Morgen oder noch heute? Denn ich habe es vergessen.«<br />

»Morgen früh.«<br />

»Schön. Sieh bloß: es dunkelt schon. Wir haben den ganzen<br />

Nachmittag vertratscht...«<br />

»Möge dir der Himmel äußerst wenig von solchem Getratsche<br />

bescheren!«<br />

»Gehen wir noch ins Wasser?«<br />

»Nein. Ich möchte gerne etwas lesen. Gibst du mir was?«<br />

»Nimm, was du willst. Verstehst du mit diesen Glaskörnchen umzugehen?«<br />

»Ja. Und ich hoffe, du hast nicht so eine.., solche Lesemaschine mit so einer Zuckergussstimme.«<br />

»Nein. Ich hab' nur den Opton.«<br />

»Fein. Dann nehme ich es. Und du wirst im Schwimmbecken sein?«<br />

»Ja. Aber erst gehe ich mit dir nach oben, muss mich noch umziehen.«<br />

Oben gab ich ihm ein paar Bücher, meist historische, und eine Arbeit über die Stabilisierung der<br />

Populationsdynamik, da sie ihn interessierte. Auch eine Biologie mit einer großen Abhandlung<br />

über die Betrisierung. Ich selbst zog mich dann um und suchte meine Badehose, die ich irgendwo<br />

verlegt hatte. Ich konnte sie aber nicht finden und nahm daher einen schwarzen Slip von Olaf,<br />

warf den Bademantel über die Schultern und ging aus dem Haus.<br />

Die Sonne war schon untergegangen. Vom Westen her zog eine Wolkenbank auf und verdüsterte<br />

den helleren Teil des Himmels. Ich warf den Mantel auf den Sand, der schon nach der Tageshitze<br />

abgekühlt war. Ich setzte mich, berührte das Wasser mit den Zehenspitzen. Dieses Gespräch hatte<br />

mich mehr aufgewühlt, als ich selbst zugeben wollte. Arders Tod steckte in mir wie ein Splitter.<br />

Vielleicht hatte Olaf auch recht. Vielleicht war es nur das Gedächtnis, das sich nie damit abfinden<br />

konnte...<br />

Ich stand auf und sprang flach, einfach, mit dem Kopf nach unten. Das Wasser war warm, aber<br />

ich erwartete kaltes und war durch diese Überraschung etwas verdutzt. Ich schwamm hoch. Zu<br />

warm war das Wasser, so, als ob ich in einer Suppe herumschwimmen würde. Ich kletterte an der<br />

entgegengesetzten Seite heraus, ließ auf dem Beckenrand dunkle Spuren meiner Hände, als ich<br />

einen Stich im Herzen spürte. Die Arder- Geschichte hatte mich in eine völlig andere Welt<br />

versetzt; nun aber, vielleicht weil das Wasser so warm war, warm sein sollte, erinnerte ich mich<br />

an das Mädchen. Und das war, als würde ich mich an etwas Schreckliches, an ein Unglück<br />

erinnern, dem ich nicht vorbeugen konnte - und es doch musste.

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