Stanislaw Lem - Transfer
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Ich sog tief die Luft ein. Mir war nichts passiert, ich war kaum angeschlagen. Ich versuchte die<br />
Scheinwerfer einzuschalten: nichts. Dann die Standlichter: das linke brannte. In seinem<br />
schwachen Schein ließ ich den Motor wieder an. Schwer röchelnd und Sehwankend kam der<br />
Wagen auf die Fahrbahn. Es war doch wirklich ein guter Wagen, der mir noch gehorchte, nach<br />
alldem, was ich mit ihm angestellt hatte. Zurück fuhr ich ihn nun langsamer. Aber mein Fuß<br />
drückte das Gaspedal, schon wieder ritt mich der Teufel, sobald ich eine Kurve sah. Und wieder<br />
holte ich aus dem Motor seine ganze Kraft heraus, bis ich mit pfeifenden Reifen, durch das<br />
Bremsen nach vorn geworfen, direkt vor der Hecke hielt. Ich steuerte den Wagen ins Dickicht. Er<br />
stieß das Gebüsch auseinander und hielt dann an einem Baumstamm. Ich wollte nicht, dass man<br />
sah, was ich aus ihm gemacht hatte, riss also Zweige ab und bedeckte damit den Kühler mit den<br />
ausgeschlagenen Scheinwerfern, nur vorn war alles kaputt, am Heck eine kleine Beule von der<br />
ersten Karambolage mit einem Baumast oder was es sonst dort im Dunkeln gegeben hatte.<br />
Dann horchte ich. Das Haus blieb dunkel. Überall Stille. Die große Nachtstille stieg empor zu den<br />
Sternen. Ich wollte nicht ins Haus zurück. Ich ging von dem zerstörten Wagen fort, und als<br />
Grashalme, hohe, feuchte Grashalme meine Knie berührten, fiel ich lang hin und blieb so, bis mir<br />
die Augen zugingen und ich einschlief.<br />
Geweckt wurde ich von einem Lachen. Ich kannte es. Noch ehe ich die Augen aufmachte, sofort<br />
wach, wusste ich bereits, wer das war. Ich war nass durch und durch, alles rundum tropfte vom<br />
Tau - die Sonne stand noch niedrig. Ein Himmel mit wattebauschartigen weißen Wolken. Und mir<br />
gegenüber saß auf einem kleinen Koffer Olaf und lachte. Gleichzeitig sprangen wir beide hoch.<br />
Seine Hand war wie die meine - groß und hart.<br />
»Wann bist du gekommen?«<br />
»Jetzt eben.«<br />
»Mit einem Ulder?«<br />
»Ja. Ich habe auch so geschlafen.., die ersten beiden Nächte, weißt du?«<br />
»So?«<br />
Er hörte auf zu lächeln. Ich auch. Etwas trat nun zwischen uns. Schweigend prüften wir uns mit<br />
den Blicken. Er war von meiner Größe, vielleicht sogar einen Fingerbreit größer, aber schmaler.<br />
Sein rötliches Haar verriet beim starken Licht seine skandinavische Abstammung, die Barthaare<br />
waren ganz hell. Eine schiefe, ausdrucksvolle Nase und eine kurze Oberlippe, die rasch die Zähne<br />
sehen ließ. Seine Augen lachten leicht, hellblau, bei Heiterkeit dunkler; dünne Lippen,<br />
fortwährend etwas verzogen, leicht skeptisch - vielleicht trug dieser Ausdruck dazu bei, dass wir<br />
uns am Anfang fern voneinander hielten. Olaf war zwei Jahre älter als ich; sein bester Freund war<br />
Arder gewesen. Erst als dieser umkam, kamen wir uns wirklich näher. Und so blieb es dann bis<br />
zum Schluss.<br />
»Olaf«, sagte ich, »du bist hungrig, nicht? Komm, wir wollen was essen.«<br />
»Warte mal«, meinte er, »was ist das?« Ich folgte seinem Blick.<br />
»Das... - ach, nichts... Ein Wagen. Ich habe ihn gekauft, weißt du - um mich zu erinnern...«<br />
»Hattest du einen Unfall?«<br />
»Ja. Ich fuhr, weißt du, in der Nacht...«<br />
»Du hattest einen Unfall?« wiederholte er.<br />
»Na, ja. Ist doch unwichtig. Außerdem ist auch nichts passiert. Komm... du wirst doch nicht so<br />
mit diesem Koffer...«<br />
Er hob ihn hoch. Sagte nichts mehr. Sah mich auch nicht an. Seine Kiefermuskeln spannten sich<br />
einige Male.<br />
>Er hat etwas gemerktEr weiß zwar nicht, was diesen Unfall verursachte, ahnt es<br />
aber wohl.<<br />
Oben sagte ich ihm, dass er sich eines von den vier freien Zimmern wählen sollte. Er nahm das<br />
mit der Bergaussicht.<br />
»Warum hast du das denn nicht genommen? Ach, ich weiß schon«, lächelte er, »dieses Gold,<br />
wie?«<br />
»Ja.«<br />
Er berührte die Wand mit der Hand.<br />
»Ich hoffe nur, dass sie gewöhnlich ist, ja? Keinerlei Bilder, Fernseher?«