20.12.2012 Aufrufe

Stanislaw Lem - Transfer

Stanislaw Lem - Transfer

Stanislaw Lem - Transfer

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

dachte ich an Thurber und an Gimma: ich muss sie wiedersehen. Vielleicht hat dieses Buch auch<br />

recht, aber irgendein anderes Recht steht hinter uns. Niemand kann völlig recht haben. Das kann<br />

nicht sein.<br />

Ein singendes Signal riss mich aus meiner Betäubung. Ich zog meine Jacke gerade und ging<br />

hinunter, in mich selbst hineinhorchend, schon ruhiger. Die Sonne schien durch die Weinranken<br />

der Veranda, die Halle war, wie immer am Nachmittag, von einem verstreuten grünlichen Licht<br />

erfüllt. Im Speiseraum gab es auf dem Tisch drei Gedecke.<br />

Als ich hereinkam, ging die gegenüberliegende Tür auf, und die anderen erschienen. Sie waren für<br />

diese Zeiten ziemlich groß. Wir trafen uns auf halbem Wege wie Diplomaten. Ich nannte meinen<br />

Namen, wir reichten uns die Hand und nahmen Platz am Tisch.<br />

Ich spürte eine Art betäubender Ruhe, wie ein Boxer, der sich nach einer technisch fehlerfreien<br />

Niederlage soeben von den Brettern erhoben hat. Aus dieser Zerschlagenheit heraus betrachtete<br />

ich das junge Paar wie aus einer Loge.<br />

Das Mädchen war wohl kaum zwanzig Jahre alt. Erst viel später kam ich dahinter, dass sie sich<br />

nicht beschreiben ließ und sicher ihrem eigenen Foto nicht ähnlich gewesen wäre: sogar am<br />

nächsten Tag hatte ich keine Ahnung, was für eine Nase - eine gerade oder etwas stupsartige - sie<br />

hatte. Die Art, wie sie die Hand nach einem Teller ausstreckte, erfreute mich, wie etwas<br />

Wertvolles, wie eine Überraschung, die es nicht alle Tage gibt; sie lächelte selten und ruhig, wie<br />

mit etwas Misstrauen gegen sich selbst. Als hielte sie sich für zu wenig beherrscht, zu fröhlich -<br />

von Natur aus- oder auch für trotzig, und versuchte vernünftigerweise, dem abzuhelfen. Immer<br />

wieder entschlüpfte sie dabei der eigenen Strenge, wusste es und amüsierte sich darüber.<br />

Selbstverständlich zog sie meine Blicke auf sich, und ich musste dagegen ankämpfen. Trotzdem<br />

starrte ich sie immerfort an: ihre Haare, die den Wind herbeizurufen schienen, ich senkte den<br />

Kopf über meinen Teller, griff mit kurzen Blicken nach den Schüsseln, wobei ich zweimal fast die<br />

Blumenvase umgeworfen hätte- kurz, ich benahm mich unmöglich. Doch die beiden schienen<br />

mich kaum zu sehen. Sie hatten ihre eigenen, ineinandergreifenden Blicke, unsichtbare. Fädchen<br />

einer Verständigung, die sie verband. Ich weiß kaum, ob wir während der ganzen Zeit auch nur<br />

zwanzig Worte darüber gewechselt haben, dass das Wetter schön ist und dass man sich hier gut<br />

erholen kann.<br />

Dieser Marger war kaum einen Kopf kleiner als ich, aber schlank wie ein Jüngling, wenn auch<br />

schon über dreißig. Er war eher dunkel gekleidet, ein Blonder mit langem Schädel und einer<br />

hohen Stirn. Am Anfang schien er mir ausnehmend hübsch, aber nur, wenn sein Gesicht<br />

unbeweglich blieb. Sobald er sprach - meistens mit einem Lächeln für seine Frau, wobei dieses<br />

Gespräch aus Andeutungen bestand, die für einen Fremden völlig unverständlich waren -, wurde<br />

er fast hässlich. Eigentlich auch das nicht, nur schienen sich dann seine Proportionen etwas zu<br />

verschieben, der Mund zog sich nach links und verlor an Ausdruck, sogar sein Lachen war<br />

ausdruckslos, obwohl er schöne weiße Zähne hatte. Und wenn er auflebte, wurden seine Augen zu<br />

blau und sein Kiefer erschien zu stark modelliert, und im ganzen schien er dann wie ein<br />

unpersönliches Modell männlicher Schönheit, wie aus einem Modejournal.<br />

Kurz - von Anfang an war er mir äußerst unsympathisch. Das Mädchen- denn so musste ich seine<br />

Frau in Gedanken nennen, auch wenn ich es nicht so wollte - hatte weder schöne Augen noch<br />

Lippen, auch kein besonders schönes Haar - nichts war an ihr Ungewöhnlich. >Mit einem solchen<br />

Mädel< dachte ich, >wäre ich imstande, mit einem Zelt auf dem Rücken, das ganze Felsengebirge<br />

hin und zurück zu durchwandern

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!