20.12.2012 Aufrufe

Stanislaw Lem - Transfer

Stanislaw Lem - Transfer

Stanislaw Lem - Transfer

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Ebene hinüberging, die nach oben führte, tat ich dasselbe. Bereits hier sah ich eine riesige, reglos<br />

in der Luft brennende Inschrift DUKT CENTR - die weiteren Buchstaben entgingen dem Auge,<br />

sie waren zu riesenhaft.<br />

Lautlos wurde ich auf einen kilometerlangen Bahnhof hinaufgetragen, von dem soeben ein<br />

spindelförmiges Schiff abfuhr, das beim Steigen seinen lichtdurchlöcherten Boden zeigte.<br />

Vielleicht war diese walartige Gestalt auch ein Bahnsteig, und ich befand mich auf dem »Rastet«.<br />

Ringsum war Leere, so dass ich nicht einmal jemanden fragen konnte. Ich befand mich auf dem<br />

verkehrten Weg. Ein Teil meines »Bahnsteigs« bestand aus flachgedrückten Räumen ohne<br />

Vorderwände. Näher kommend sah ich eine Art von schwach beleuchteten, niedrigen Boxen, in<br />

denen reihenweise schwarze Maschinen parkten. Ich hielt sie für Autos. Aber als die zwei, die mir<br />

am nächsten waren, sich herausschoben und - ehe ich Zeit hatte zurückzutreten - vorbeifuhren,<br />

indem sie sofort eine große Schnelligkeit entwickelten, sah ich - ehe sie in der Perspektive<br />

parabolischer Queren verschwanden -, dass sie keinerlei Räder, Fenster oder Türen hatten,<br />

aerodynamisch wie riesige, schwarze Tropfen. >Autos oder nichtjedenfalls ist es<br />

wohl ein Parkplatz?< Vielleicht der »Rastet«? Ich meinte, das Beste wäre zu warten, bis jemand<br />

käme, dann könnte ich mit ihm fahren, oder zumindest würde er mir etwas sagen. Mein<br />

Bahnsteig, leicht angehoben wie der Flügel eines unmöglichen Flugzeugs, blieb aber leer. Nur die<br />

schwarzen Maschinen entglitten einzeln oder zu mehreren ihren Metallunterschlüpfen und<br />

entfernten sich immer in derselben Richtung. Ich ging bis an den Bahnsteigrand, bis sich wieder<br />

die unsichtbare elastische Kraft meldete, die Sicherheit verhieß. Der Bahnsteig hing wirklich in<br />

der Luft, durch nichts gestützt. Als ich den Kopf hob, sah ich andere, die ihm ähnlich waren,<br />

reglos im Raum schweben, mit gelöschten Lichtern; an anderen wieder, wo die Schiffe ankamen,<br />

brannten die Lichter. Es waren keine Raketen, nicht einmal Geschosse wie das erste, das mich von<br />

der Luna brachte. Ich stand solange, bis ich auf dem Hintergrund irgendwelcher Hallen - übrigens<br />

wusste ich nicht, ob sie eine Widerspiegelung dieser hier oder Realität waren - feurige rhythmisch<br />

durch die Luft segelnde Buchstaben sah: SOAMO SOAMO SOAMO - Pause, ein blaues<br />

Leuchten und dann NEONAX NEONAX NEONAX. Vielleicht Namen von Stationen, vielleicht<br />

Reklame von Produkten. Sie sagten mir gar nichts.<br />

Höchste Zeit, diesen Mann aufzufinden, dachte ich, drehte mich um, fand einen in der<br />

umgekehrten Richtung fließenden Gehsteig und fuhr auf ihm herunter. Es erwies sich, dass es<br />

nicht dieselbe Ebene und nicht einmal die Halle war, von der ich nach oben gelangte: ich erkannte<br />

es am Fehlen der großen Säulen. Vielleicht aber waren die Säulen irgendwohin verzogen; möglich<br />

schien mir alles.<br />

Ich befand mich in einem ganzen Wald von Springbrunnen; weiter fand ich einen weißen und rosa<br />

Saal, voller Frauen. Im Vorbeigehen schob ich wie von ungefähr meine Hand in den Strom des<br />

beleuchteten Springbrunnens, vielleicht weil es angenehm war, irgend etwas auch bloß ein<br />

bisschen Bekanntes anzutreffen. Ich spürte aber nichts dabei; denn dieser Springbrunnen hatte<br />

kein Wasser. Nach einer Weile schien mir, dass ich Blumenduft spürte· Ich legte meine Hand an<br />

die Nase. Die Hand roch wie tausend Toilettenseifen. Unwillkürlich trocknete ich sie an meiner<br />

Hose. Ich stand bereits vor dem Saal, der voller Frauen, nichts als Frauen war. Es sah nicht nach<br />

einem Vorraum von Damentoiletten aus, aber das war am Ende nicht sicher. Ich wollte nicht<br />

fragen, kehrte also um. Ein junger Mann, kostümiert, als wäre etwas wie zerfließendes<br />

Quecksilber an seinen Schultern zu Puffärmeln verarbeitet und um die Hüften hauteng<br />

zusammengezogen, unterhielt sich mit einem blonden Mädchen, das den Rücken gegen den<br />

Springbrunnen lehnte. Das Mädchen trug ein ganz gewöhnliches helles Kleid, das mir etwas Mut<br />

gab. Es hielt einen Strauß blassrosa Blumen, steckte das Gesicht hinein und lachte mit den Augen<br />

den Jungen an. Im letzten Moment, als ich bei ihnen stand und bereits den Mund aufmachte,<br />

erkannte ich, dass die junge Dame diese Blumen aß. Für einen Augenblick verschlug es mir die<br />

Sprache. Sie kaute ruhig an den zarten Blättern. Sie hob die Augen und sah mich an. Ihr Blick<br />

wurde reglos. Daran war ich schon gewöhnt. Ich fragte, wo sich der Innere Kreis befände.<br />

Der Junge schien unangenehm überrascht, sogar böse, dass jemand sich erkühnte, ihr<br />

Zusammensein zu stören. Da hatte ich offenbar etwas Ungehöriges getan. Seine Blicke wanderten<br />

an mir hinauf und herab: ob vielleicht als Ursache meiner Größe irgendwelche Stelzen zu finden<br />

wären. Er sagte kein einziges Wort.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!