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Stanislaw Lem - Transfer

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»Ach, wo«, sagte ich. Ich rührte den Kaffee um, spürte, wie die Zuckerteilchen sich unter dem<br />

Löffel auflösten, und war auf eine ebenso ruhige wie weitläufige Art erstaunt. Nicht nur, dass ich<br />

wirklich auf Erden war, dass ich zurückgekommen bin, nicht allein durch die Erinnerung an die<br />

nächtliche Lektüre, die noch in meinem Kopf rumorte und gärte, sondern durch die einfache<br />

Tatsache, dass ich in einem Bett saß, dass mein Herz schlug - dass ich lebte.<br />

Zu Ehren dieser Entdeckung wollte ich gerne etwas tun, doch wie üblich kam mir kein<br />

vernünftiger Gedanke in den Kopf. »Hör mal«, wandte ich mich an den Roboter, »ich habe eine<br />

Bitte an dich.«<br />

»Stets zu Diensten.«<br />

»Hast du etwas Zeit? Dann spiel mir doch mal wieder dieselbe kleine Melodie wie gestern - ja?«<br />

»Mit Vergnügen«, antwortete er, und bei den fröhlichen Spieluhrklängen trank ich in drei<br />

Schlucken meinen Kaffee. Sobald der Roboter fort war, zog ich mich um und lief zum<br />

Schwimmbecken.<br />

Ich weiß wirklich nicht, warum ich stets so in Eile war. Etwas trieb mich, wie ein Vorgefühl, dass<br />

diese meine Ruhe recht bald - als unverdient und unwahrscheinlich - ein Ende haben würde. Wie<br />

immer führte diese fortdauernde Eile dazu, dass ich, ohne mich nur einmal umzusehen, quer durch<br />

den Garten lief und mit ein paar Sätzen oben auf dem Sprungbrett war. Indem ich mich bereits<br />

abstieß, sah ich zwei Menschen, die eben hinter dem Haus hervorkamen. Aus wohlverständlichen<br />

Gründen konnte ich sie nicht näher betrachten. Ich machte einen Salto - nicht den besten - und<br />

tauchte bis auf den Grund unter. Ich machte die Augen auf. Das Wasser war wie ein zitternder<br />

Kristall, grün, die Schatten der Wellen tanzten auf dem von der Sonne beschienenen Grund. Ich<br />

schwamm unter Wasser zu der kleinen Treppe, und als ich aus dem Wasser auftauchte, war im<br />

Garten niemand mehr. Doch meine wohltrainierten Augen hatten im Flug das in einem<br />

Sekundenbruchteil verkehrt erblickte Bild eines Mannes und einer Frau festgehalten. So hatte ich<br />

wohl schon Nachbarn. Ich überlegte, ob ich noch einmal das Becken durchqueren sollte, aber<br />

Starck siegte. Die Einleitung dieses Buches - er sprach darin von den Flügen zu den Sternen, die<br />

er einen Jugendfehler nannte – hatte mich so geärgert, dass ich drauf und dran war, es zu<br />

schließen und niemals mehr in die Hand zu nehmen. Ich konnte mich aber überwinden. Ich ging<br />

nach oben, zog mich um, beim Hinuntergehen sah ich auf dem Tisch in der Halle eine Terrine<br />

voller blassrosa Früchte, die ein wenig an Birnen erinnerten, stopfte damit die Taschen meiner<br />

Gartenhose voll, fand ein abgelegenes, von drei Seiten mit Gartenhecken umzäuntes Plätzchen,<br />

stieg auf einen alten Apfelbaum, suchte eine meinem Gewicht entsprechende Gabelung der<br />

Zweige und fing dort das Studium dieser Grabrede auf das Werk meines Lebens an.<br />

Nach einer Stunde war ich meiner nicht mehr so sicher. Denn Starck benutzte solche Argumente,<br />

die man schwer widerlegen konnte. Er stützte sich auf die knappen Daten, die von den ersten zwei<br />

Expeditionen stammten, die der unseren vorangingen; wir nannten sie »Stichproben«; denn es<br />

waren nur Sondenproben auf die Entfernung einiger Lichtjahre. Starck stellte statistische Tafeln<br />

der wahrscheinlichen Streuung, anders gesagt der »Bevölkerungsdichte«, der ganzen Galaxis<br />

zusammen. Die Wahrscheinlichkeit des Antreffens vernünftiger Wesen schätzte er effektiv auf<br />

eins zu zwanzig. Mit anderen Worten: pro zwanzig Expeditionen- in den Grenzen von eintausend<br />

Lichtjahren- hatte nur eine die Chance, einen bewohnten Planeten zu entdecken. Dieses Ergebnis<br />

aber - obwohl es eher seltsam klang - hielt Starck für ziemlich interessant; der Plan kosmischer<br />

Kontakte zerfiel in seiner Analyse erst in dem weiteren Teil dieser Ausführungen.<br />

Ich war ziemlich aufgebracht, als ich las, was der mir unbekannte Verfasser über Expeditionen<br />

wie die unsere schrieb - das heißt solche, die vor der Entdeckung wie die des Mitke-Effekts und<br />

der Parastatik-Erscheinungen unternommen wurden: er hielt sie für absurd. Doch schwarz auf<br />

weiß erfuhr ich erst von ihm, dass - jedenfalls im Prinzip - der Bau eines Schiffes, das eine<br />

Beschleunigung von 1000, vielleicht gar von 2000 g entwickeln konnte, möglich ist. Die<br />

Besatzung eines solchen Schafes würde weder die Beschleunigung noch das Bremsen spüren - auf<br />

den Decks würde eine konstante Schwere - dem Bruchteil der irdischen gleich - herrschen. Also<br />

gab Starck zu, dass Flüge an die galaktischen Grenzen, sogar zu anderen Galaxien - die<br />

Transgalaxodromie, von der Olaf so sehr geträumt hatte- möglich wären, und dies innerhalb eines<br />

Menschenlebens. Bei einer Geschwindigkeit, die nur einen winzigen Bruchteil geringer als die<br />

Lichtgeschwindigkeit wäre, würde die Besatzung kaum ein paar Monate älter werden, um dann,

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