Stanislaw Lem - Transfer
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langsam zurück, bis sie dann auf dem grauen Diwan lag. Ihr Kupferhaar löste sich, und sie<br />
schaute mich triumphierend und zugleich erstarrend an.<br />
»Küss mich.«<br />
Ich umarmte sie. Aber es war schauderhaft: ich wollte und wollte nicht - ich hatte das Gefühl,<br />
mich selbst aufzugeben. Es war, als könnte meine Partnerin jeden Augenblick zu etwas anderem<br />
werden. Sie krallte ihre Finger in mein Haar, ihr Atem, als sie von mir abfiel, hörte sich an wie ein<br />
Wimmern. >Eins von uns beiden ist unwirklichwer aber - sie oder ich?< Ich küsste<br />
sie, ihr Gesicht war schmerzhaft schön, schrecklich fremd, dann gab es nur die Lust, nicht<br />
auszuhalten, aber selbst dann blieb in mir ein kalter, schweigender Beobachter, ich verlor mich<br />
nicht ganz. Der Diwan, gehorsam, fast gedankenlesend, wurde zur Stütze für unsere Köpfe: es war<br />
wie die Anwesenheit eines Dritten. Man fühlte sich bewacht, und wir tauschten kein einziges<br />
Wort miteinander. Ich schlief schon fast ein an ihrem Hals und hatte immer noch das Gefühl, dass<br />
da jemand zusähe...<br />
Als ich aufwachte, schlief sie. Es war ein anderes Zimmer. Nein - dasselbe. Aber irgendwie<br />
verändert - ein Teil der Wand war zurückgeschoben, man sah den anbrechenden Tag. Über uns -<br />
wie vergessen- leuchtete ein schmales Lämpchen. Gegenüber - über den fast noch schwarzen<br />
Baumspitzen -hellte sich der Himmel schon auf. Vorsichtig schob ich mich bis an den Rand des<br />
Lagers. Sie murmelte etwas, das sich wie »Alan« anhörte, und schlief weiter.<br />
Ich ging durch leere, große Säle. Die Fenster waren alle nach Osten gerichtet. Ein Schimmer von<br />
Morgenrot kam herein und füllte die durchsichtigen Möbel, zitterte wie eine Rotweinflamme.<br />
Durch die Zimmerflucht hindurch sah ich die Silhouette eines Vorbeigehenden - es war ein<br />
perlmuttgrauer Roboter, gesichtslos, sein Rumpf leuchtete schwach, es glühte darin - wie ein<br />
Lämpchen vor dem Heiligenbild - eine kleine, rubinrote Flamme.<br />
»Ich will hier weg«, sagte ich.<br />
»Sehr wohl, mein Herr.«<br />
Treppen- silbern, grün, blau. Ich verabschiedete mich von allen Aen-Gesichtern auf einmal in der<br />
kirchenhohen Halle. Es war schon völlig Tag. Der Roboter machte mir das Tor auf. Ich ließ ihn<br />
einen Glider bestellen.<br />
»Sehr wohl, mein Herr. Möchten Sie den Hausglider benutzen?«<br />
»Meinetwegen. Ich will zum Hotel Alcaron.«<br />
»Sehr wohl. Stets zu Diensten.«<br />
Jemand hatte mir das schon einmal gesagt. Aber wer? Ich konnte mich nicht mehr daran erinnern.<br />
Über eine steile Treppe - damit man bis zum Schluss nicht vergäße, dass dies ein Palast und kein<br />
gewöhnliches Haus war - gingen wir beide hinunter; im Licht der aufgehenden Sonne setzte ich<br />
mich in die Maschine. Als sie losfuhr, sah ich mich um. Der Roboter stand noch da in seiner<br />
ehrfurchtsvollen Haltung, etwas der Gottesanbeterin ähnlich mit seinen gekreuzten, dünnen<br />
Armen.<br />
Die Straßen waren fast leer. In den Gärten ruhten die Villen wie verlassene Schiffe. Oder so, als<br />
hätten sie sich nur für einen Augenblick zwischen den Hecken und Bäumen niedergelassen und<br />
ihre scharfwinkligen bunten Flügel zusammengelegt.<br />
Im Zentrum gab es mehr Menschen. Nadelhäuser, deren Gipfel von der Sonne erhitzt waren,<br />
Palmenhäuser, Riesenhäuser auf breit auseinanderstehenden Stützen - die Straße zerschnitt sie,<br />
flog in den blauen Raum hinaus; ich habe nicht mehr hingeschaut. Im Hotel nahm ich ein Bad und<br />
telefonierte mit dem Reisebüro.<br />
Ich bestellte den Ulder für zwölf Uhr. Es war belustigend, so frei mit diesen Bezeichnungen<br />
umzugehen, wo ich doch keine Ahnung hatte, was ein Ulder überhaupt war. Ich hatte noch vier<br />
Stunden Zeit. Ich rief den Hotel-Infor an und fragte wegen der Breggs nach. Ich selbst hatte keine<br />
Geschwister, doch der Bruder meines Vaters hinterließ zwei Kinder, einen Jungen und ein<br />
Mädchen. Sollten die nicht mehr leben, dann müssten doch ihre Kinder...<br />
Der Infor zählte mir elf Breggs auf. Dann wollte ich etwas über die Genealogie erfahren. Es stellte<br />
sich dabei heraus, dass nur einer von ihnen, Atal Bregg, aus meiner Familie stammte. Er war der<br />
Enkel meines Onkels, nicht mehr jung übrigens, fast schon sechzig Jahre alt.<br />
Nun wusste ich also, was ich wissen wollte. Ich nahm sogar schon den Hörer auf, um ihn<br />
anzurufen, legte ihn aber wieder ab. Was hatte ich ihm schon zu sagen? Oder er - mir? Wie mein