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Stanislaw Lem - Transfer

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weiter, ohne zu wissen, wohin, unter Menschen, die ich allmählich zu unterscheiden begann. Die<br />

Frau mit ihrem Begleiter erblickte ich nur kurz zwischen den Säulen.<br />

In den Wandnischen standen leere Rüstungen. Im Innern öffneten sich kupferbeschlagene Türen,<br />

wie für Riesen. Wir kamen in eine mit rotem Damast ausgeschlagene Kemenate, die von Fackeln<br />

beleuchtet war, ihr Reisigrauch reizte die Nase. An den Tischen schmauste eine schreierisch<br />

aufgemachte Menge von Piraten und wandernden Rittern. Auf den Spießen, von Flammen<br />

beleckt, drehten sich riesige Fleischstücke, ein rötlicher Schein sprang über die von Schweiß<br />

glänzenden Gesichter, die Knochen knackten in den Kiefern der gepanzerten Schmausenden, die<br />

manchmal von den Tischen aufstanden und unter uns wandelten.<br />

Im nächsten Saal war eine Menge Riesen beim Kegeln, wobei sie Totenschädel als Kugeln<br />

gebrauchten; das Ganze schien mir naiv und tölpelhaft. Ich blieb neben den Spielern, die von<br />

meinem Wuchs waren, stehen, als irgend jemand von hinten auf mich prallte und wider Willen<br />

erstaunt aufschrie. Ich drehte mich um und sah einem Jüngling in die Augen. Er murmelte eine<br />

Entschuldigung und ging schnell mit einem dummen Gesichtsausdruck weg. Erst der Blick der<br />

dunkelhaarigen Frau, die bewirkt hatte, dass ich in dieses Schloss der billigen Wunder kam,<br />

erklärte mir, was geschehen war: dieser junge Mann wollte durch mich hindurchgehen, da er mich<br />

für einen irrealen Schmauser von Merlin hielt.<br />

Merlin selbst empfing uns in einem entfernten Flügel des Schlosses, umgeben von maskierten<br />

Höflingen, die reglos seinen Zauberkünsten assistierten. Ich aber hatte bereits genug davon und<br />

nahm die Offenbarungen seiner Zauberei gleichgültig hin. Die Schau endete auch schnell, die<br />

Anwesenden fingen an hinauszugehen, als Merlin, silberhaarig und großartig, uns den Weg<br />

versperrte und schweigend auf eine entgegengesetzte, mit Flor bespannte Tür wies. Nur uns drei<br />

hatte er dorthin eingeladen. Er selber folgte uns nicht. Wir fanden uns in einem nicht sehr großen,<br />

aber hohen Raum, dessen eine Wand von der Decke bis zu dem schwarz und weiß gekachelten<br />

Boden ein Spiegel war. Dadurch schien dieses Zimmer doppelt so groß zu sein wie in<br />

Wirklichkeit. Und es schien sechs Menschen auf einem steinernen Schachbrett einzuschließen.<br />

Möbel gab es nicht - nichts außer einer hohen Alabasterurne mit einem Strauß Blumen, die<br />

orchideenähnlich waren, aber ungewöhnlich große Kelche hatten. Jede Blume hatte eine andere<br />

Farbe. Wir standen vor dem Spiegel. Plötzlich sah mich mein Spiegelbild an. Diese Bewegung<br />

war nicht die Spiegelung meiner eigenen Person. Ich selbst stand reglos. Der andere - groß,<br />

stämmig - sah langsam erst die dunkelhaarige Frau, dann ihren Begleiter an. Keiner von uns<br />

bewegtsich, nur unsere Spiegelbilder, auf unverständliche Art selbständig geworden, lebten auf<br />

und spielten unter sich schweigend eine Pantomime.<br />

Der Jüngling im Spiegel trat an die Frau heran und sah ihr in die Augen, sie verneinte mit dem<br />

Kopf. Aus der Vase nahm sie die Blumen, zerteilte sie mit den Fingern und wählte drei aus -eine<br />

weiße, eine gelbe und eine schwarze. Die weiße gab sie ihm, und mit den beiden anderen kam sie<br />

auf mich zu. Zu mir – im Spiegel. Sie streckte mir die beiden Blumen entgegen. Ich nahm die<br />

schwarze. Dann kehrte sie auf ihren vorherigen Platz zurück, und alle drei- dort, im<br />

Spiegelzimmer - nahmen genau dieselben Haltungen ein, die wir tatsächlich eingenommen hatten.<br />

Als dies geschah, verschwanden die Blumen aus den Händen unserer Doppelgänger. Nun waren<br />

es normale, jede Geste wiederholende Spiegelbilder.<br />

Die Tür in der gegenüberliegenden Wand ging auf: wir gingen eine Wendeltreppe hinunter. Die<br />

Säulen, Nischen, Gewölbe gingen unmerklich in das Silber und Weiß von Plastikgängen über.<br />

Wir gingen weiter, schweigend - nicht einzeln und auch nicht zusammen; diese Situation<br />

bedrückte mich immer mehr, aber was sollte ich tun? Jetzt ein zeremonielles, dem »Benimm«-<br />

Kodex aus dem früheren Jahrhundert entsprechendes »Sich-vorstellen« unternehmen?<br />

Klänge entfernter Musik. Wir waren in den Kulissen hinter einer unsichtbaren Bühne. Im Innern<br />

gab es ein paar leere Tischchen und zurückgeschobene Stühle.<br />

Die Frau blieb stehen und fragte ihren Begleiter: »Gehst du nicht tanzen?«<br />

»Hab' keine Lust«, sagte er. Zum ersten Mal hörte ich seine Stimme.<br />

Er war hübsch, doch irgendwie leblos, von einer unverständlichen Passivität, als läge ihm an<br />

nichts mehr in der Wett. Er hatte einen wunderschönen, fast mädchenhaften Mund. Er sah mich<br />

an. Dann sie. Stand da und schwieg.

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