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Stanislaw Lem - Transfer

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Die Frau kam nicht durch: sie ging zurück. Der junge Mann ging jetzt als erster, hielt sie an der<br />

Hand. Die unheimlichen Nebelgestalten, die vom Wasserfall geboren wurden, bildeten als weiße<br />

und schwarze Phantome den Hintergrund für ihr unsicheres Gehen. Er war schon dicht bei mir:<br />

ich reichte ihm die Hand - zugleich aber stolperte die Frau, der Steg erzitterte. Ich zog den Mann<br />

so, dass ich ihm viel eher den Arm ausgerissen, als ihn hinunterfallen gelassen hätte; durch den<br />

ungestümen Ruck flog er zwei Meter weit und landete hinter mir, auf den Knien - aber er hatte sie<br />

losgelassen. Sie befand sich noch in der Luft, als ich sprang, mit den Füßen nach vorn: ich zielte<br />

auf die Wellen seitlich zwischen dem Ufer und der Wand des nächsten Felsbrockens. Darüber<br />

nachgedacht habe ich erst später, als ich Zeit hatte. Im Grunde wusste ich, dass Wasserfall wie<br />

Flussfahrt nur Illusionen waren. Als Beweis hatte ich ja den Baumstamm, durch den meine Hand<br />

hindurchgegangen war. Trotzdem sprang ich, als könnte die Frau dort tatsächlich umkommen. Ich<br />

weiß sogar noch, dass ich rein instinktiv auf den eisigen Wasserstoß vorbereitet war, dessen<br />

Spritzer immerfort auf unsere Gesichter und Kleider fielen. Ich spürte nichts außer einem starken<br />

Luftstoß und landete in einem geräumigen Saal auf nur leicht eingeknickten Knien, als wäre ich<br />

höchstens aus einem Meter Höhe herabgesprungen. Ich hörte ein chorähnliches Gelächter.<br />

Ich stand auf einem weichen, plastartigen Boden, rundum gab es eine Menge Leute, manche<br />

hatten noch durchnässte Kleider. Sie hatten die Köpfe erhoben und brüllten vor Lachen. Ich folgte<br />

ihnen mit dem Blick - und es war unheimlich. Keine Spur von Wasserfällen, Felsen,<br />

afrikanischem Himmel. Ich sah nur eine leuchtende Saaldecke und darunter - eine eben<br />

heranschwimmende Piroge, vielmehr eine Art Kulisse; denn an ein Boot erinnerte es nur von oben<br />

und von den Seiten - am Boden befand sich eine Metallkonstruktion. Flach lagen darin vier<br />

Menschen, um sie herum aber gab es nichts - weder Neger, noch Felsen, noch Fluss, von Mal zu<br />

Mal flogen nur, aus verdeckten Düsen geschossen, dünne Wasserstrahlen. Etwas weiter befand<br />

sich wie ein Sperrballon, durch nichts gestützt, der Felsenobelisk, auf dem unsere Reise geendet<br />

hatte. Von ihm führte ein Steg zu einer Steinstufe, die aus einer Metallwand herausragte. Etwas<br />

höher waren eine kleine Treppe mit Geländer und eine Tür. Das war alles. Die Piroge mit den<br />

Menschen schaukelte, kam hoch und ganz plötzlich wieder herunter, ohne das leiseste Geräusch,<br />

ich hörte nur die Heiterkeitsausbrüche, die die einzelnen Etappen der Wasserfallfahrt, die es<br />

überhaupt nicht gab, begleiteten. Nach einer Weile schlug die Piroge gegen den Felsen, die<br />

Menschen sprangen heraus, mussten über den Steg gehen. Seit meinem Sprung waren wohl<br />

zwanzig Sekunden vergangen. Ich suchte mit meinem Blick die Frau. Sie sah mich an. Ich hatte<br />

ein etwas flaues Gefühl. Wusste nicht recht, ob ich mich ihr nähern sollte. Die Anwesenden<br />

fingen gerade an wegzugehen, und im nächsten Moment standen wir beieinander.<br />

»Es ist immer dasselbe«, sagte sie dann, »immer falle ich da runter!«<br />

Die Nacht im Park, Feuerwerke und Musik schienen nicht ganz real. Wir gingen hinaus inmitten<br />

der noch immer aufgeregten Menge; ich sah den Begleiter der Frau, er schob sich zu ihr durch.<br />

Wieder war er schläfrig, wie schon vorher. Er schien mich überhaupt nicht zu bemerken.<br />

»Gehen wir zu Merlin«, sagte die Frau so laut, dass ich es hörte. Ich hatte nicht die Absicht<br />

hinzuhören. Aber eine neue Welle der Hinausgehenden brachte uns noch näher. So stand ich<br />

immer noch bei ihnen.<br />

»Es sieht wie eine Flucht aus«, sagte sie und lächelte dabei, »vor Zauberei hast du wohl keine<br />

Angst, wie?«<br />

Sie sprach zu ihm, sah aber mich an. Selbstverständlich konnte ich mir einen Weg bahnen, aber,<br />

wie immer in solchen Situationen, fürchtete ich mich am meisten vor der Lächerlichkeit. Sie<br />

gingen weiter, es entstand ein freier Platz, andere Leute neben mir beschlossen nun auch plötzlich,<br />

das Merlinschloss zu besuchen, und als ich mich ebenfalls dorthin wandte, ein paar Menschen uns<br />

aber getrennt hatten, spürte ich Zweifel, ob ich mich doch nicht getäuscht hatte. Wir gingen<br />

Schritt für Schritt. Auf dem Rasen standen Teerfässer, in denen Flammen loderten; ihr Licht<br />

zeigte steile Ziegelbasteien. Wir gingen auf der Brücke über den Graben, unter den gefletschten<br />

Zähnen eines Gitters hindurch. Dann umfing uns Halbdunkel und die Kühle eines steinernen<br />

Ganges, von wo aus eine Wendeltreppe emporführte - vom Gestampf menschlicher Füße erfüllt.<br />

Der spitzbogenförmige Gang oben war schon weniger bevölkert. Er führte zu einem Kreuzgang,<br />

von dem man in den Hof sah. Dort brüllte und lief hinter irgendeinem schwarzen Monstrum eine<br />

pöbelhafte Menge auf Pferden her, die mit Schabracken bedeckt waren; ich ging unentschlossen

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