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Stanislaw Lem - Transfer

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Dschungelwand entfernte sich allmählich und verschwand unter den zitternden Massen der<br />

erhitzten Luft. Der schwarze Steuermann gab das Tempo an. In der Ferne weideten in der Steppe<br />

die Antilopen, einmal zog eine Herde von Giraffen vorbei, in Staubwolken schwer und langsam<br />

dahintrabend. Und plötzlich fühlte ich auf mir den Blick der gegenübersitzenden Frau und<br />

erwiderte ihn.<br />

Ihre Schönheit überraschte mich. Schon vorher hatte ich bemerkt, dass sie hübsch war: aber das<br />

war eine flüchtige Feststellung, die meine Aufmerksamkeit nicht weiter in Anspruch nahm. Jetzt<br />

war ich ihr zu nah, um bei dieser ersten Beurteilung bleiben zu können: sie war nicht hübsch,<br />

sondern einfach schön. Sie hatte dunkles Haar mit einem kupfernen Glanz, ein weißes,<br />

unvorstellbar ruhiges Gesicht und einen reglosen, dunklen Mund. Sie hatte mich bezaubert. Nicht<br />

wie eine Frau bezaubert - eher wie dieses unter der Sonne verstummte Land. Ihre Schönheit war<br />

von jener Vollkommenheit, die ich immer gefürchtet hatte. Vielleicht kam es daher, dass ich auf<br />

der Erde viel zu wenig erlebt hatte, viel zuviel darüber nachdachte. Jedenfalls hatte ich hier vor<br />

mir eine dieser Frauen, die aus einem anderen Ton gemacht zu sein scheinen als die üblichen<br />

Sterblichen, obwohl diese herrliche Lüge nur von einer bestimmten Harmonie der Gesichtszüge<br />

stammt und ganz auf der Oberfläche bleibt. Wer aber denkt schon daran, während er sie ansieht?<br />

Sie lächelte nur mit den Augen, ihre Lippen bewahrten den Ausdruck mokanter Gleichgültigkeit.<br />

Nicht mir gegenüber; er galt ihren eigenen Gedanken.<br />

Ihr Weggenosse saß auf einem in die Baumstammhöhlung eingekeilten Bänkchen, er ließ seine<br />

linke Hand lose über Bord hängen, so dass seine Fingerspitzen im Wasser blieben. Doch er sah<br />

nicht hin, auch nicht auf das vorbeiziehende Panorama des wilden Afrika; er saß gelangweilt, wie<br />

im Wartezimmer eines Zahnarztes, ein für allemal uninteressiert und gleichgültig.<br />

Vor uns erschienen nun auf dem ganzen Fluss verstreute graue Steine. Der Steuermann fing mit<br />

einer durchdringenden Stimme fast wie ein Beschwörer zu schreien an. Die Neger schlugen<br />

eifriger mit den Rudern, und als sich die Steine als Nilpferde entpuppten, hatte das Boot bereits an<br />

Schwung gewonnen: die Herde der Dickhäuter blieb hinter uns. Hinter dem rhythmischen<br />

Ruderschlag, dem heiseren, schweren Gesang der Ruderer vernahm man ein dumpfes Rauschen,<br />

es war nicht festzustellen, woher es kam. In der Ferne, dort, wo der Fluss zwischen den immer<br />

steileren Ufern verschwand, zeigten sich urplötzlich zwei riesige, einander<br />

entgegenschwimmende Regenbogen.<br />

»Age! Annai! Annai Agee!!« brüllte wie irrsinnig der Steuermann. Die Neger verdoppelten die<br />

Ruderschläge, das Boot flog, als ob es wirklich Flügel hätte, die Frau streckte den Arm aus und<br />

suchte, ohne hinzuschauen, die Hand ihres Begleiters. Der Steuermann brüllte. Die Piroge lief mit<br />

einer staunenswerten Geschwindigkeit. Der Schnabel kam hoch, wir glitten den Kamm einer<br />

riesengroßen, scheinbar reglosen Welle hinab, und zwischen den Reihen der in wahnsinnigem<br />

Tempo arbeitenden schwarzen Rücken sah ich eine mächtige Flussbiegung: das Wasser, plötzlich<br />

dunkel, schlug gegen einen Felseneingang. Die Strömung teilte sich, wir zogen nach rechts, wo<br />

das Wasser mit weißen Schaumkronen hochwirbelte. Der linke Flussarm verschwand wie<br />

abgeschnitten. Nur ein Riesendonner samt Säulen von Wasserstaub zeugte davon, dass die Felsen<br />

dort einen Wasserfall verbargen.<br />

Wir umkreisten ihn und kamen in den anderen Flussarm, doch auch hier herrschte keine Ruhe.<br />

Die Piroge spurtete nun wie ein Pferd zwischen den schwarzen Felsen, die eine Wand von<br />

röhrendem Wasser zum Stehen brachten. Wir kamen dem Ufer nahe, die Neger an der rechten<br />

Bootsseite hörten auf zu rudern, legten die stumpfen Handgriffe der Pagaya an die Brust, und die<br />

Piroge, vom Felsen abgeprallt, gelangte in den inneren Streifen des Flussarms. Der Schnabel flog<br />

hoch, der dort stehende Steuermann bewahrte sein Gleichgewicht nur wie durch ein Wunder. Ich<br />

war von den umhersprühenden kalten Wasserspritzern bald durchtränkt. Die Piroge zitterte wie<br />

eine Saite und schoss nun hinunter. Unheimlich war diese Wildflussfahrt; beiderseits flogen<br />

schwarze Felsen mit wehenden Wassermähnen vorbei. Ein und noch ein anderes Mal prallte die<br />

Piroge mit einem dumpfen Dröhnen von den Steinbrocken ab und kam, wie ein auf weißem<br />

Schaum fliegender Pfeil, in den Rachen der rasenden Geschwindigkeit. Ich sah hoch und<br />

bemerkte oben auseinanderklaffende Sykomorenkronen; zwischen ihren Ästen sprangen kleine<br />

Äffchen herum. Ich musste mich am Bootsrand festhalten, so stark war die Erschütterung beim<br />

Hochwerfen. Und beim Donnern der Wassermassen wurden wir im Nu völlig nass. Wir gingen

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