Stanislaw Lem - Transfer
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Alleinstehende wie mich gab es unter denen, die mich umringten, nicht - es überwogen Paare,<br />
Jungen und Mädchen, Frauen und Männer, sie standen auch paarweise. Als ich an der Reihe war,<br />
was durch ein weißes Aufleuchten der Riesenzähne und die gähnende, scharlachrote Dunkelheit<br />
des geheimnisvollen Schlundes verkündet wurde, verspürte ich einige Befangenheit: ich wusste<br />
nicht, ob ich mich den bereits zusammenstehenden sechs Leuten anschließen durfte. Im letzten<br />
Moment wurde ich durch eine Frau erlöst, die mit einem jungen, noch extravaganter als alle<br />
anderen gekleideten Mann zusammenstand: sie nahm mich bei der Hand und zog mich ohne<br />
weiteres mit sich.<br />
Es wurde fast ganz dunkel: ich spürte die warme und starke Hand der unbekannten Frau, der<br />
Fußboden rollte, nun wurde es heller, und wir befanden uns in einer geräumigen Grotte. Ein paar<br />
letzte Schritte galt es hinaufzugehen, über Felsengeröll, zwischen zerschlagenen Steinsäulen. Die<br />
Unbekannte ließ meine Hand los- der Reihe nach bückten wir uns in dem engen Ausgang der<br />
Höhle.<br />
Obwohl ich auf Überraschungen gefasst war, stutzte ich nun wirklich. Wir standen an dem<br />
weitläufigen Strand eines riesigen Flusses unter den stechenden Flammen der Wendekreissonne.<br />
Das ferne gegenüberliegende Ufer war dschungelbewachsen. In reglosen Wasserlachen lagen<br />
Boote oder vielmehr Pirogen, die ausgehöhlte Baumstämme waren; auf dem Hintergrund der<br />
graugrünen Gewässer, die sich faul dahinwälzten, standen in hieratischen Posen riesige Neger,<br />
nackt, von Öl glänzend und mit einer kalkweißen Tätowierung bedeckt; jeder von ihnen stützte<br />
sich mit einem spatenartigen Ruder an Bord seines Bootes. Eins davon fuhr gerade ab, randvoll:<br />
ihre schwarze Besatzung scheuchte durch Ruderhiebe und gellendes Geschrei die halb im<br />
Schlamm ruhenden, baumstammähnlichen, knorrigen Krokodile, die sich dann umdrehten und-<br />
machtlos mit ihren Kiefern klappernd - sich ins tiefere Wasser gleiten ließen. Wir waren sieben,<br />
die das steile Ufer hinuntergingen. Die ersten vier nahmen Platz im nächsten Boot, die Neger<br />
stemmten mit sichtbarer Anstrengung die Ruder und schoben das schwankende Schiffchen so weit<br />
ab, bis es sich gedreht hatte; ich blieb etwas zurück, vor mir gab es nur das eine Paar, dem ich die<br />
Entscheidung wie auch die bevorstehende Reise verdankte. Soeben erschien ein weiteres Boot,<br />
wohl zehn Meter lang, die schwarzen Ruderer riefen uns etwas zu, kämpften mit dem Strom und<br />
gelangten recht geschickt ans Ufer. Wir sprangen ins moderne Bootsinnere, Staub wirbelte empor,<br />
der nach verkohlendem Holz roch. Der Jüngling in der phantastischen Tracht - einem Tigerfell,<br />
das einen ganzen Tiger darstellte, da die obere Schädelhälfte des Raubtiers, die ihm auf dem<br />
Rücken hing, ihm gegebenenfalls als Kopfbedeckung dienen konnte - half seiner Begleiterin, sich<br />
zu setzen. Ich nahm ihnen gegenüber Platz, und wir fuhren schon eine ganze Weile, ja, obwohl ich<br />
mich noch vor wenigen Minuten im Park, mitten in der Nacht, befunden hatte, war ich dessen nun<br />
nicht mehr so sicher. Der riesige Neger an der scharfen Bootsspitze schrie alle paar Sekunden<br />
wild auf, zwei aufglänzende Rückenreihen beugten sich, die Pagaya-Ruder tauchten kurz und<br />
kräftig ins Wasser, das Boot scheuerte am Grund, schleppte sich wieder vorwärts, bis es plötzlich<br />
in die Hauptströmung des Flusses geriet.<br />
Ich spürte den schweren Geruch von warmem Wasser, von Schlamm und faulenden Pflanzen, die<br />
an uns vorbeischwammen, dicht an den Bootswänden, die kaum eine Handbreit über dem<br />
Wasserspiegel standen. Die Ufer entfernten sich, der typisch graugrüne, wie zu Asche gewordene<br />
Busch flog vorbei, von den sonnenverbrannten Sandbänken glitten manchmal - wiederbelebten<br />
Baumstämmen gleich - die Krokodile. Eines hielt sich recht lange hinter unserem Backbord,<br />
allmählich überschwemmte das Wasser seinen länglichen Kopf auf der Oberfläche, dann kamen<br />
die hervorstehenden Augen an die Reihe, und nur seine Nase, dunkel wie ein Flussstein, zerriss<br />
gerade noch die graue Wasseroberfläche. Unter den gleichmäßig schaukelnden Rücken der<br />
schwarzen Ruderer sah man die hochaufgestauten Buckel des Flusses, dort, wo er unterseeische<br />
Hindernisse zu passieren hatte - der Neger am Bug stieß dann einen anderen, nasalen Schrei aus,<br />
die Ruder begannen an einer Seite gewaltiger anzuschlagen, und das wuchs zusammen zu einem<br />
gewaltigen Schrei. Das Boot drehte sich. Es fiel mir schwer zu sagen, wann die dumpfen<br />
Brusttöne der Neger, wenn sie wieder die Ruder stießen, zu einem unheimlich finsteren, ständig<br />
wiederkehrenden Lied wurden, das in eine Klage ausartete und dessen Refrain das wütende<br />
Wogen des von Rudern durchfurchten Wassers war. So schwammen wir, auf irgendeine Art fast<br />
ins Herz von Afrika versetzt, durch den Riesenfluss unter den graugrünen Steppen. Die