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Stanislaw Lem - Transfer

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ausliefen, und in kleinen schwarzen Birnen endeten. Er stützte sich darauf, nicht wie ein<br />

Paralytiker, mehr wie ein äußerst Entkräfteter. Er sah weder mich, noch sonst etwas - das Lachen,<br />

das chorartige Schreien, die Musik und das Feuerwerk schienen für ihn nicht zu existieren. Er<br />

stand so vielleicht eine Minute lang, atmete mit Anstrengung, und sein Gesicht schien mir von<br />

Mal zu Mal beim wiederkehrenden Aufleuchten des Feuerwerks so alt, dass die Jahre es jeglichen<br />

Ausdrucks beraubten, zuletzt war es nur noch Haut auf Knochen. Als er wieder vorwärts wollte<br />

und seine seltsamen Stützen oder Prothesen nach vorne schob, glitt eine davon aus, ich sprang von<br />

meiner Bank hoch, um ihn festzuhalten, doch erlangte er sein Gleichgewicht schon wieder. Er war<br />

einen Kopf kleiner als ich, für einen modernen Menschen recht groß; er sah mich leuchtenden<br />

Blickes an.<br />

»Entschuldigung«, murmelte ich. Ich wollte weggehen, blieb aber; in seinen Augen war etwas wie<br />

ein Befehl.<br />

»Ich bin Ihnen schon irgendwo begegnet, aber wo?« sagte er mit einer unerwartet starken Stimme.<br />

»Das bezweifle ich«, ich schüttelte den Kopf, »ich kam erst gestern von einer.., recht langen Reise<br />

zurück.«<br />

»Von wo?«<br />

»Von Fomalhaut.«<br />

Seine Augen leuchteten auf. »Arder! Tom Arder!!«<br />

»Nein«, sagte ich. »Aber ich war mit ihm zusammen.«<br />

»Und er?«<br />

»Ging zugrunde.«<br />

Er atmete schwer. »Helfen Sie mir.., mich.., zu setzen.«<br />

Ich fasste ihn an den Schultern. Unter dem schwarzen, glitschigen Stoff gab es nichts als<br />

Knochen. Langsam ließ ich ihn auf die Bank gleiten und blieb daneben stehen. »Setzen... Sie<br />

sich.«<br />

Ich setzte mich. Er keuchte immer noch mit halb geschlossenen Augen.<br />

»Es ist nichts.., die Aufregung«, flüsterte er. Nach einer Weile sah er auf. »Ich heiße Roemer«,<br />

sagte er ganz einfach. Mir blieb der Atem weg.<br />

»Wie... Sie sind es... wirklich?... Wie alt...«<br />

»Einhundertvierunddreißig«, sagte er trocken. »Damals war ich.., sieben.«<br />

Ich konnte mich an ihn erinnern. Er kam zu uns mit seinem Vater, einem genialen Mathematiker,<br />

dem Assistenten von Geonides, Schöpfer unserer Flugtheorie. Arder zeigte damals dem Jungen<br />

die große Testhalle, die Zentrifugen - und so blieb er mir im Gedächtnis; ein springlebendiger<br />

Siebenjähriger mit dunklen Augen- wie die seines Vaters; Arder hob ihn damals hoch, damit der<br />

Bub ganz nah das Innere der Gravitationskammer betrachten konnte, in der ich saß.<br />

Wir schwiegen beide. Dieses Zusammentreffen war irgendwie unheimlich. Durch die Dunkelheit<br />

hindurch betrachtete ich schmerzlich und fast gierig sein so schrecklich altes Gesicht. Meine<br />

Kehle war wie zugeschnürt. Ich wollte aus der Tasche eine Zigarette holen und konnte nicht<br />

hineingreifen, so zitterten mir die Finger.<br />

»Was ist mit Arder geschehen?« fragte er.<br />

Ich sagte es ihm.<br />

»Und was habt ihr dann gefunden - nichts?«<br />

»Nein. Dort wird nichts wiedergefunden.., wissen Sie.«<br />

»Ich hielt Sie für ihn...«<br />

»Verstehe schon. Die Größe und so weiter...«, sagte ich.<br />

»Ja. Wie alt sind Sie jetzt? Biologisch...«<br />

»Vierzig.«<br />

»Ich konnte ja...«, flüsterte er.<br />

Ich verstand ihn. »Bereuen Sie es nicht«, meinte ich hart. »Bereuen Sie es nicht. Bereuen Sie<br />

überhaupt nichts – verstehen Sie?«<br />

Zum ersten Mal richtete er seinen Blick auf mein Gesicht. »Und warum?«<br />

»Weil ich hier nichts zu tun habe«, sagte ich. »Keiner braucht mich. Und auch ich brauche..,<br />

niemand.«<br />

Es war, als hörte er mich nicht.

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