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Stanislaw Lem - Transfer

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III<br />

Den ganzen Nachmittag verbrachte ich in der Buchhandlung. Dort gab es nicht etwa Bücher. Seit<br />

fast einem halben Jahrhundert wurden keine mehr gedruckt. Und ich hatte mich so sehr darauf<br />

gefreut nach den Mikrofilmen, aus denen die Bibliothek des »Prometheus« bestand. Pustekuchen.<br />

Keiner konnte mehr in Regalen stöbern, schwere Bände in der Hand wiegen, ihr Volumen richtig<br />

auskosten, das den Umfang des Lesevergnügens voraussagte. Die Buchhandlung erinnerte an ein<br />

elektronisches Labor. Bücher waren kleine Kristalle mit gespeichertem Inhalt. Lesen konnte man<br />

sie mit Hilfe eines Optons. Der sah einem Buch sogar ähnlich, allerdings mit nur einer einzigen<br />

Seite zwischen den Einbanddeckeln. Berührte man dieses eine Blatt, so erschienen hintereinander<br />

die Textseiten in ihrer Reihenfolge. Aber es wurde - wie mir der Roboter-Verkäufer sagte - von<br />

den Optonen wenig Gebrauch gemacht. Das Publikum zog die Lektonen vor - sie lasen laut vor,<br />

und man konnte sie auf eine beliebige Stimmart, Tempo und Modulation einstellen. Nur<br />

wissenschaftliche Publikationen eines recht beschränkten Bereichs wurden noch auf Plastseiten,<br />

die Papier imitierten, gedruckt. Daher konnte ich alle meine Einkäufe in einer Tasche<br />

unterbringen, obwohl es an dreihundert Titel waren. Eine Handvoll kristallartiger Körner- so<br />

sahen die Bücher aus. Ich suchte mehrere historische und soziologische Werke heraus, etwas über<br />

Statistik, Demographie und über Psychologie: das, was mir das ADAPT- Mädchen empfohlen<br />

hatte. Einige größere Handbücher der Mathematik, sie waren natürlich nur ihrem Inhalt, nicht<br />

ihrem Umfang nach größer. Der mich bedienende Roboter war selber eine Enzyklopädie: er war -<br />

wie er mir sagte - durch elektronische Kataloge mit den Mustern sämtlicher Werke in der ganzen<br />

Welt unmittelbar verbunden. In der Buchhandlung befanden sich eigentlich nur einzelne<br />

»Buchexemplare«, und wenn jemand sie brauchte, wurde der Inhalt des angeforderten Werks in<br />

einem kleinen Kristall festgehalten. Die Originale - Kristallmatrizen - waren unsichtbar, sie<br />

befanden sich hinter hellblau emaillierten Stahlplatten. Also wurde das Buch sozusagen jedesmal<br />

neu gedruckt, wenn jemand es brauchte. Probleme von Auflagen, ihrer Höhe oder des<br />

Vergriffenseins hatten aufgehört zu existieren. Es war wirklich ein großer Erfolg. Aber mir tat es<br />

leid um die Bücher. Als ich erfuhr, dass es Antiquariate mit Papierbüchern gab, suchte und fand<br />

icheins. Ich wurde enttäuscht: wissenschaftliche Literatur gab es dort fast gar keine.<br />

Unterhaltungsbücher, etwas Kinderliteratur, ein paar Jahrgänge alter Zeitschriften. Ich kaufte- nur<br />

für die alten Bücher musste man zahlen – einige Märchen von vor vierzig Jahren, um zu erfahren,<br />

was man nunmehr für Märchen hielt, und ging dann in einen Laden für Sportzubehör. Hier hatte<br />

meine Enttäuschung schon fast keine Grenzen. Die Leichtathletik bestand nur noch aus einigen<br />

leichten Disziplinen: Laufen, Springen, Werfen, Schwimmen, aber fast ohne Kämpfe. Das Boxen<br />

existierte nicht mehr, und das, was man einen Ringkampf nannte, war geradezu lächerlich: eine<br />

Art von Gedränge statt eines redlichen Kampfes. Ich sah mir im Projektionssaal dieses Ladens<br />

einen Kampf des Wettbewerbs an und dachte, mich würde vor Wut noch der Teufel holen. Ab und<br />

zu lachte ich laut auf wie ein Irrer. Ich fragte wegen der freien amerikanischen Kämpfe, des Judo<br />

und Jiu-Jitsu an, man wusste nicht einmal, was das war. Verständlich, nachdem Fußball auch<br />

kinderlos verstorben war, als eine Sportdisziplin, bei der es zu scharfen Zusammenstößen und<br />

Verletzungen kam. Hockey gab es, aber was für eins! Die Leute spielten in derart aufgeblasenen<br />

Anzügen, dass sie wie Riesenbälle wirkten. Ulkig sahen die beiden Mannschaften aus, die da<br />

elastisch aufeinander stießen: das war ja eine Farce und kein Spiel. Turmsprünge ins Wasser gab<br />

es, je doch nur aus vier Metern Höhe. Gleich dachte ich an mein - mein! - Schwimmbecken und<br />

kaufte ein zusammenlegbares Sprungbrett, um das zu überbauen, das ich in Klavestra finden<br />

würde.<br />

Dieser ganze Sportrückgang war eine Folge der Betrisierung. Das Verschwinden der Stier-,<br />

Hahnen- und anderer blutiger Kämpfe bedauerte ich nicht, ich war auch nie ein Anhänger der<br />

beruflichen Boxkämpfe. Aber dieser lauwarme Brei, der noch übrigblieb, reizte mich nicht im<br />

mindesten.<br />

Den Einbruch der Technik in den Sport nahm ich nur in einigen Bereichen hin. Sie hatten sich<br />

stark entwickelt - ganz besonders im Unterwassersport. Ich sah mir verschiedene Arten von

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