Stanislaw Lem - Transfer
Stanislaw Lem - Transfer
Stanislaw Lem - Transfer
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Doktor Abs aber, wie jeder ADAPT-Mitarbeiter, wusste es besser - er wusste, dass wir tatsächlich<br />
anders sind. Dieses Anderssein war keine Auszeichnung, sondern ein Hindernis bei der<br />
Verständigung, beim einfachsten Wortwechsel, ach was - beim Öffnen einer Tür, da doch die<br />
Türklinken vor – ich weiß nicht mehr genau- fünfzig oder sechzig Jahren zu existieren aufgehört<br />
haben.<br />
Der Start erfolgte unerwartet. Die Schwere änderte sich um keinen Deut, in das hermetisch<br />
abgeschlossene Innere drangen keinerlei Töne, über die Decke liefen rhythmisch die Schatten -<br />
vielleicht infolge der mehrjährigen Routine meines alten Instinkts wusste ich in einem gewissen<br />
Augenblick, dass wir im Raum schwebten; denn das war eine Gewissheit, keine Vermutung. Noch<br />
etwas interessierte mich aber. Ich ruhte, halbliegend, die Beine ausgestreckt, reglos. Allzu leicht<br />
ließen sie mir das durchgehen. Sogar Oswamm hatte sich nicht besonders dagegen gesträubt. Die<br />
Gegenargumente, die ich von ihm und von Abs zu hören bekam, konnten nicht überzeugen - ich<br />
selbst würde da schon bessere finden. Sie beharrten nur darauf, dass jeder von uns einzeln fliegen<br />
müsste. Und nicht einmal die Tatsache, dass ich Olaf rebellisch stimmte - denn sonst wäre er wohl<br />
einverstanden gewesen, noch länger dort zu bleiben-, nahmen sie mir übel. Das gab mir zu<br />
denken. Ich erwartete Komplikationen, irgend etwas, was im letzten Moment meinen Plan<br />
zunichte machen würde. Aber nichts dergleichen geschah, und nun flog ich. Diese letzte Reise<br />
sollte in einer Viertelstunde zu Ende gehen.<br />
Augenscheinlich hatte das, was ich mir ausgedacht hatte, wie auch die Haltung, die ich einnahm,<br />
um eine frühere Abfahrt zu erzwingen, sie kaum überrumpelt. Sie hatten wohl diesen Typ der<br />
Reaktion katalogisiert, es war eine Verhaltensstereotype, die solchen Draufgängern wie mir eigen<br />
war und die sie auf ihren psychotechnischen Tafeln mit einer entsprechenden Ordnungszahl<br />
versahen. Sie erlaubten mir zu fliegen- warum? Weil die Erfahrung ihnen sagte, dass ich damit<br />
nicht fertig werden würde? Wie konnte es aber dazu kommen, wenn diese ganz »selbständige«<br />
Eskapade nur aus dem Flug von einem Bahnhof zum anderen bestand, wo bereits jemand vom<br />
irdischen ADAPT warten sollte, und alles, was ich zu tun hatte, darauf hinauslief, jenen Menschen<br />
an der verabredeten Stelle zu finden?<br />
Da geschah etwas. Ich hörte erhobene Stimmen. Ich lehnte mich hinaus aus meinem Sessel. Ein<br />
paar Reihen vor mir schubste eine Frau die Stewardess weg, die mit einer verlangsamten,<br />
automatischen Bewegung, wie unter Einfluss dieser - gar nicht so starken - Abwehrbewegung<br />
zwischen den Sesseln rückwärts ging. Die Frau wiederholte: »Nein, das lass ich nicht zu! Dies<br />
soll mich nicht berühren!« Das Gesicht der Schreienden konnte ich nicht sehen. Ihr Reisegefährte<br />
fasste sie an der Schulter, redete beruhigend auf sie ein. Was bedeutete diese Szene? Die anderen<br />
Passagiere beachteten sie nicht. Wieder einmal überkam mich das Gefühl unwahrscheinlicher<br />
Fremdheit. Von unten sah ich die Stewardess an, die bei mir stehengeblieben war und mich - wie<br />
schon vorher anlächelte. Es war kein rein äußerliches Lächeln der pflichtschuldigen Höflichkeit,<br />
das die Aufregung über den Vorfall maskierte. Sie gab nicht vor, ruhig zu sein, sie war es<br />
wirklich.<br />
»Möchten Sie etwas trinken? Prum, Extran, Morr, Cidre?«<br />
Eine melodische Stimme. Ich schüttelte verneinend den Kopf. Ich wollte ihr gerne etwas Nettes<br />
sagen, brachte es aber nur zu der abgedroschenen Frage: »Wann landen wir?«<br />
»In sechs Minuten. Möchten Sie etwas essen? Sie brauchen sich nicht zu beeilen. Man kann hier<br />
auch nach der Landung bleiben.«<br />
»Danke, nein.«<br />
Sie ging. In der Luft, dicht vor meinem Gesicht, auf dem Hintergrund der nächsten Sessellehne,<br />
leuchtete- wie mit dem Ende einer glühenden Zigarette geschrieben - die Aufschrift STRATO auf.<br />
Ich beugte mich vor, um zu sehen, wie diese Inschrift entstanden war, und zuckte zusammen. Die<br />
Sessellehne hinter meinem Rücken passte sich an und umfasste mich elastisch. Ich wusste bereits,<br />
dass die Möbel jeder veränderten Haltung entgegenkommen, nur vergaß ich es immer wieder. Es<br />
war nicht angenehm - ungefähr so, als ob jemand jede meiner Bewegungen verfolgen würde. Ich<br />
wollte zu meiner vorherigen Haltung zurückkehren, tat es aber wohl zu energisch. Der Sessel<br />
verstand es falsch und klappte fast auseinander, wie ein Bett. Ich fuhr hoch. So eine Dummheit!<br />
Mehr Beherrschung! Die rosa STRATO- Buchstaben zuckten und flossen schon in andere<br />
hinüber: TERMINAL. Keine Erschütterung, Warnung, kein Pfiff. Nichts. Nun erklang ein ferner