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Stanislaw Lem - Transfer

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umgekehrt. Ich wollte ihn retten, und Gimma rief mich, weil er Angst hatte, dass wir beide<br />

umkämen.«<br />

»Bregg... sagen Sie mir, was habt ihr von uns erwartet? Von der Erde?«<br />

»Keine Ahnung. Habe nie darüber nachgedacht. Es war, als ob einer über das Leben nach dem<br />

Tode oder über das Paradies sprechen würde, dass es das geben wird, aber keiner konnte es sich<br />

vorstellen. Sprechen wir nicht mehr davon. Ich wollte Ihnen eine Frage stellen: Wie ist es mit<br />

dieser... Betrisierung?«<br />

»Was wissen Sie darüber?«<br />

Ich sagte es ihm - aber kein Wort davon, unter welchen Umständen und von wem ich es erfuhr.<br />

»Ja«, sagte er. »Ungefähr... der Durchschnitt stellt sich das so vor.«<br />

»Und ich?«<br />

»Das Gesetz sieht für euch eine Ausnahme vor, da die Betrisierung von Erwachsenen ein für die<br />

Gesundheit nicht unschädlicher, sogar gefährlicher Eingriff ist. Ansonsten meint man – wohl auch<br />

nicht ohne Grund -, dass ihr die Probe einer moralischen Haltung... bestanden habt. Übrigens seid<br />

ihr.., nicht viele.«<br />

»Noch eins, Doktor. Sie sprachen von den Frauen. Warum haben Sie mir das gesagt? Aber<br />

vielleicht nehme ich Ihre Zeit zu lange in Anspruch?«<br />

»Nein. Sie stehlen mir nicht meine Zeit. Warum ich es gesagt habe? Welche nahestehenden<br />

Menschen kann einer wohl haben, Bregg? Eltern. Kinder. Freunde. Frauen. Eltern oder Kinder<br />

haben Sie nicht. Freunde können Sie keine haben.«<br />

»Warum?«<br />

»Ich denke dabei nicht an Ihre Gefährten, obwohl ich nicht weiß, ob sie ständig in ihrem Kreise<br />

verweilen möchten, sich erinnern...«<br />

»Großer Gott, nein!«<br />

»Na - also? Sie kennen zwei Zeitalter. Im vergangenen verbrachten Sie Ihre Jugend, und das<br />

jetzige werden Sie bald kennen. Zählt man die zehn Jahre hinzu, so ist Ihre Erfahrung kaum mit<br />

der von Gleichaltrigen vergleichbar. Also können Sie auch keine gleichwertigen Partner sein.<br />

Wollen Sie unter Greisen leben? Was Ihnen bleibt, sind die Frauen. Nur die Frauen.«<br />

»Eher wohl nur eine«, murmelte ich.<br />

»Eine ist heute schwer zu finden.«<br />

»Wieso?«<br />

»Es ist ein Zeitalter des Wohlstands, was - in die Sprache der Erotik übersetzt-<br />

Rücksichtslosigkeit bedeutet. Weil man weder die Liebe, noch die Frauen für... Geld bekommen<br />

kann. Materielle Fragen haben hier aufgehört zu existieren.«<br />

»Und das nennen Sie Rücksichtslosigkeit? Doktor!«<br />

»Ja. Sie denken wohl - weil ich von käuflicher Liebe sprach -, dass es um getarnte oder<br />

öffentliche Prostitution geht. Nein. Das sind längst verflossene Zeiten. Früher wurde die Frau vom<br />

Erfolg geblendet. Der Mann imponierte ihr durch die Höhe seiner Einkünfte, sein berufliches<br />

Können, seine soziale Stellung. In einer egalisierten Gesellschaft ist das nicht möglich. Mit sehr<br />

wenigen Ausnahmen. Wären Sie, zum Beispiel, Realist...«<br />

»Ich bin Realist.«<br />

Der Arzt lächelte. »Das Wort hat jetzt eine andere Bedeutung. So heißt ein Schauspieler, der im<br />

Real auftritt. Waren Sie schon im Real?«<br />

»Nein.«<br />

»Sehen Sie sich mal ein paar Melodramen an, dann werden Sie die heutigen Kriterien der<br />

erotischen Wahl begreifen. Am wichtigsten ist die Jugend. Deshalb kämpfen alle so sehr um sie.<br />

Runzeln, graue Haare, besonders verfrühtes Ergrauen erwecken fast solche Gefühle wie vor<br />

Jahrhunderten - der Aussatz...«<br />

»Aber warum? «<br />

»Sie können das schwer verstehen. Aber die Argumente des Verstandes sind gegen die<br />

bestehenden Sitten machtlos. Sie sind sich immer noch nicht bewusst, wie viele Elemente, die<br />

vorher in der Erotik ausschlaggebend waren, verschwunden sind. Natur erträgt keine Leere:<br />

andere Elemente mussten an diese Steile treten. Nehmen wir als Beispiel das, was Sie selbst so<br />

gut kennen: das Risiko. Das gibt es nicht mehr, Bregg. Der Mann kann einer Frau nicht mit

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