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Stanislaw Lem - Transfer

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hindurch. Jetzt erst sah ich von einem Boulevard - dessen Mitte eine doppelte Reihe von<br />

Riesenpalmen einnahm, Blätter rosa wie Zungen - das Stadtpanorama. Die Gebäude standen<br />

einzeln wie Inseln, selten nur schoss ein Nadelbau in den Himmel, wie ein erstarrter Strahl<br />

fließenden Baumaterials, von einer unwahrscheinlichen Höhe. Diese Bauten waren sicher<br />

kilometerhoch. Ich wusste - jemand hat es mir noch auf Luna gesagt -, dass man sie jetzt nicht<br />

mehr errichtet und dass der Drang zur Höhe kurz nach ihrem Bau eines natürlichen Todes<br />

gestorben war. Sie waren das Denkmal einer Architekturepoche, denn abgesehen von ihrer<br />

Riesenhaftigkeit, die nur durch ihre Schlankheit nivelliert wurde, boten sie dem Auge nichts: Sie<br />

sahen wie dunkelbraun-goldene, schwarz-weiße, quergestreifte oder silberne Röhren aus, die die<br />

Wolken stützen oder sie einfangen sollten. Und die Landeplätze, die aus ihnen am Himmel<br />

emporragten, auf rohrartigen Trägern in die Luft hinausgeschoben, ähnelten kleinen<br />

Bücherregalen. Gar kein Vergleich mit den neuen Häusern, die fensterlos, aber viel hübscher<br />

waren; denn man konnte nun sämtliche Wände schmücken. Die ganze Stadt sah wie eine<br />

gigantische Kunstausstellung aus, ein Festival der Meister von Farbe und Form. Ich kann nicht<br />

behaupten, dass mir alles, was diese zwanzig oder dreißig Stockwerke hohen Bauten schmückte,<br />

gut gefiel, aber für einen Kerl von hundertfünfzig Jahren war ich nicht übermäßig von gestern.<br />

Am besten gefielen mir Häuser, die durch Gärten halbiert wurden - vielleicht waren es<br />

Palmenhäuser -, weil der Bau dadurch in der Mitte aufgeteilt und wie auf einem Luftkissen<br />

schwebend erschien - die Wände dieser Hochgärten waren aus Glasmaterial-, es entstand dabei<br />

ein Effekt von Leichtigkeit, und zugleich zerschnitten unregelmäßige Streifen eines zottigen<br />

Grüns den Bau auf angenehme Weise. Über die Boulevards, entlang je ner fleischigen Palmen, die<br />

mir durchaus missfielen, bewegten sich zwei Ströme schwarzer Autos. Ich wusste bereits, dass<br />

man sie Glider nannte. Über den Häusern zeigten sich auch andere, fliegende Maschinen, weder<br />

Hubschrauber noch Flugzeuge, sie sahen wie an beiden Enden zugespitzte Bleistifte aus. Auf den<br />

Gehsteigen gab es nur wenig Menschen, nicht so viele wie vor hundert Jahren. Den Verkehr hat<br />

man weitgehend entlastet, besonders den Fußgängerstrom, vielleicht durch die Vielzahl von<br />

Ebenen: denn unter der Stadt, die ich nun sah, zogen sich niedrigere, unterirdische Stockwerke<br />

mit Straßen, Plätzen, Kaufhäusern hin- eben sagte mir an einer Ecke der Infor, dass für die<br />

Einkäufe die Etage Serean am günstigsten sei. Das war irgendein genialer Infor, oder vielleicht<br />

verstand ich mich schon besser verständlich zu machen, jedenfalls gab er mir ein Plastikbüchlein<br />

mit vielen zerlegbaren Seiten: den städtischen Verkehrsplan. Wollte ich irgendwohin gelangen, so<br />

drückte ich auf die in Silber gedruckten Namen - Straße, Stockwerk, Platz -, und gleich leuchtete<br />

auf dem Plan der volle Umkreis aller Verbindungen auf, die ich benötigte. Ich konnte auch mit<br />

einem Glider hinfahren. Oder mit einem Rast. Endlich konnte ich auch zu Fuß gehen – deshalb<br />

waren es vier Pläne. Doch begriff ich bereits, dass Ausflüge zu Fuß - sogar mit beweglichen<br />

Gehsteigen und Aufzügen – manchmal recht viele Stunden in Anspruch nehmen konnten. Serean<br />

war wohl das dritte Stockwerk. Und wieder war ich von der Stadtansicht überrascht: anstatt unter<br />

die Erde kam ich aus einem Tunnel auf die Straße. Unterm Himmel, in der prallen Sonne,<br />

wuchsen in der Mitte eines Platzes große Pinien, in der Ferne zeichneten sich blau einige<br />

gestreifte Nadelbauten ab, und auf der entgegengesetzten Seite, hinter einem kleinen<br />

Wasserbecken, in dem Kinder planschten und mit bunten Fahrrädern auf dem Wasser<br />

herumfuhren, stand, von Palmengrün-Streifen durchschnitten, ein weißes Hochhaus mit einem<br />

recht eigenartigen, wie Glas leuchtenden Aufsatz auf seinem Gipfel. Es tat mir leid, dass ich<br />

keinen um Erklärung dieses Rätsels fragen konnte. Urplötzlich besann ich mich - oder vielmehr<br />

erinnerte mich mein Magen daran-, dass ich noch ohne Frühstück war. Ich hatte völlig vergessen,<br />

dass ich es im Hotel aufs Zimmer bekommen sollte. Vielleicht hatte sich auch der<br />

Rezeptionsroboter irgendwie geirrt. Zum Infor also: ich machte nun keinen Schritt mehr, ohne<br />

vorher genau erfahren zu haben, wie und was los ist. Übrigens konnte der Infor auch einen Glider<br />

bestellen, aber vorerst wagte ich noch nicht, darum zu bitten, weil ich gar nicht wusste, wie man<br />

da hineinsteigt. Na und auch, was man da später machen sollte. Ich hatte ja Zeit.<br />

Im Restaurant - kaum dass ich einen Blick auf die Karte warf -wurde ich gewahr, dass dies für<br />

mich das reinste Chinesisch war. Ich gab entschlossen den Auftrag, mir ein Frühstück - ein ganz<br />

normales Frühstück zu bringen. »Ozot, Kress oder Herma?«

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