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Stanislaw Lem - Transfer

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Ich hatte nichts mit, nicht mal einen Mantel. Sie sagten, das wäre nicht nötig· Meinen schwarzen<br />

Pulli erlaubten sie mir zu behalten: das geht noch. Und mein Oberhemd habe ich erkämpft. Ich<br />

meinte, dass ich es mir nur langsam abgewöhnen würde. Direkt im Durchgang, unter dem<br />

Schiffsbauch, wo wir, herumgeschubst, standen, reichte mir Abs seine Hand mit einem<br />

verschwörerischen Lächeln: »Bloß vorsichtig...«<br />

Daran hatte ich schon gedacht. Ich zerquetschte ihm nicht die Finger. Ich war vollkommen ruhig.<br />

Er wollte noch etwas sagen. Ich ersparte es ihm, indem ich mich umwandte, als hätte ich nichts<br />

gemerkt, und die Stufen hinauf ins Innere gelangte. Die Stewardess führte mich zwischen den<br />

Sesselreihen ganz nach vorne. Ich wollte kein Sonderabteil. Ich überlegte, ob man sie davon<br />

bereits unterrichtet hätte. Der Sessel öffnete sich geräuschlos. Sie richtete die Lehne, lächelte<br />

mich an und ging. Ich setzte mich. Abgrundtiefweiche Kissen, wie überall. Die Lehnen so hoch,<br />

dass ich kaum die anderen Passagiere sah. Die Buntheit der Frauenkleider akzeptierte ich bereits<br />

widerstandslos. Unsinnigerweise aber verdächtigte ich immer noch die Männer einer<br />

Karnevalsverkleidung und hatte im stillen gehofft, einige würden jetzt doch in normalen Anzügen<br />

erscheinen - alberner Reflex. Alle setzten sich schnell. Gepäck hatte keiner. Nicht mal eine<br />

Aktentasche oder ein Bündel. Die Frauen ebensowenig. Von ihnen schienen auf einmal mehr da<br />

zu sein. Vor mir zwei Mulattinnen in papageifarbenen Pelzmäntelchen, federartig aufgeplustert,<br />

wahrscheinlich herrschte gerade eine Vogelmode. Weiter ein Ehepaar mit Kind. Nach den<br />

blendenden Selenophoren des Bahnsteigs und der Tunnel, nach den unerträglich krass<br />

selbstleuchtenden Straßenpflanzen schien das Licht der konvexen Decke wie ein sanftes Glühen.<br />

Ich legte die Hände auf die Knie, da sie irgendwie störten. Alle saßen bereits. Acht Reihen grauer<br />

Sessel, ein Hauch Tannenduft, die Stille absterbender Gespräche. Ich erwartete die Startansage,<br />

irgendwelche Signale, die Aufforderung zum Anlegen der Schutzgürtel. Nichts geschah. Über die<br />

matte Decke begannen undeutliche Schatten zu huschen, etwa wie Papiersilhouetten von Vögeln.<br />

>Was, zum Kuckuck, sollen diese VögelOb das was bedeutet?< Ich war wie<br />

versteinert in meiner angespannten Aufmerksamkeit, ja nichts Unpassendes zu tun. Das ging<br />

bereits seit vier Tagen so. Vom ersten Augenblick an. Stets blieb ich hinter allem, was geschah,<br />

zurück, und der ständige Versuch, irgendein Gespräch oder eine Situation zu verstehen,<br />

verwandelte meine Spannung allmählich in ein Gefühl, das der Verzweiflung verdammt nahe<br />

kam. Ich war fest überzeugt, dass die anderen dasselbe fühlten. Aber wir sprachen nicht darüber,<br />

auch nicht, wenn wir allein waren. Es wurde nur über unseren Kraftüberschuss gewitzelt, übrigens<br />

musste man sich wirklich in acht nehmen: am Anfang, als ich aufstehen wollte, sprang ich bis zur<br />

Decke, und jedes Ding, das ich in die Hand nahm, kam mir leicht wie Papier vor. Ich lernte dann<br />

ziemlich schnell den eigenen Körper zu kontrollieren. Bei der Begrüßung zerquetschte ich keinem<br />

mehr die Hand. Das war einfach. Leider aber am unwichtigsten.<br />

Mein Nachbar von links, korpulent, braungebrannt, mit etwas allzu leuchtenden Augen - vielleicht<br />

hatte er Kontaktlinsen -, verschwand urplötzlich, weil sich sein Sessel an den Seiten erweiterte:<br />

die Lehnen gingen hoch und vereinigten sich dann, indem sie eine Art eierförmiger Kokon<br />

bildeten. Noch ein paar Leute verschwanden in derartigen Kabinen. Sie erinnerten an<br />

aufgequollene Sarkophage. Was machten sie nun da drin? Auf derartige Erscheinungen stieß ich<br />

immerzu und versuchte - wenn sie nicht unmittelbar mit mir zu tun hatten -, sie nicht anzustarren.<br />

Interessant: Menschen, die uns - als sie erfahren hatten, was wir eigentlich sind - anglotzten,<br />

behandelte ich eher gleichmütig. Ihr Staunen ging mich wenig an, obwohl mir sofort klar wurde,<br />

dass kein Funke Bewunderung dahintersteckte. Unangenehm wirkten viel eher die, die uns<br />

umsorgten- Mitarbeiter des ADAPT. Den stärksten Widerwillen erweckte Doktor Abs, da er mich<br />

behandelte wie der Arzt einen anomalen Patienten, indem er – übrigens recht glaubhaft- vorgab,<br />

es mit einem völlig Normalen zu tun zu haben. Wenn dies nicht mehr möglich war, machte er<br />

Witze. Ich hatte von seinem jovialen Gehabe genug. Jeder Passant – bildete ich mir ein -, der<br />

darüber befragt werden würde, hätte mich oder Olaf als seinesgleichen angesehen - nicht wir<br />

selbst waren ihm unheimlich, sondern unser vergangenes Schicksal: das war das Ungewöhnliche.<br />

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