Stanislaw Lem - Transfer
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Ihre Stimme wurde stärker, sie rief die Dunkelheit an, reglos, ihre Arme hingen herunter, als hätte<br />
sie sich vergessen, als hätte sie nichts mehr außer ihrer Stimme, mit der sie ging und in der sie<br />
sich verlor; es schien, als würde sie alles veräußern, alles abgeben und verabschieden in dem<br />
Bewusstsein, dass mit dem letzten, sterbenden Ton nicht allein der Gesang beendet sein würde.<br />
Ich wusste nicht, dass so etwas möglich war. Sie verstummte, und ich hörte immer noch ihre<br />
Stimme. Plötzlich ertönten hinter mir leichte Schritte, irgendein Mädchen lief auf die Stehende zu,<br />
von einem anderen gefolgt, es lief mit einem kurzen, gutturalen Lachen die Stufen hinauf und<br />
durch die andere hindurch - schon rannte es weiter. Der Mann, der hinter ihr war, warf eine<br />
dunkle Silhouette dicht neben mir, sie entschwanden. Ich hörte zum zweiten Mal das lockende<br />
Lachen des Mädchens und stand da wie ein Klotz im Sand eingerammt, ohne zu wissen, ob ich<br />
lachen oder weinen sollte; die nicht existierende Sängerin summte leise. Ich wollte es nicht mehr<br />
hören. Ich ging zurück in die Dunkelheit mit versteinertem Gesicht, wie ein Kind, dem die Lüge<br />
eines Märchens bewiesen worden war. Ich ging, und ihre Stimme verfolgte mich.<br />
Ich wendete, die Allee führte weiter, ich sah ein schwaches Leuchten von Hecken, nasse<br />
Laubgirlanden hingen über einer Metallpforte. Ich tat sie auf. Dort schien es irgendwie heller zu<br />
sein. Die Hecken endeten bei einer großen Wiese, aus dem Gras hoben sich Felsblöcke ab, einer<br />
von ihnen bewegte sich, wuchs empor, ich sah zwei blasse Augenflämmchen. Ich erstarb. Es war<br />
ein Löwe.<br />
Er stand auf, erhob sich schwerfällig, erst auf die Vorderpfoten, nun sah ich ihn ganz, nur fünf<br />
Schritte entfernt, er hatte eine magere, verfilzte Mähne, reckte sich einmal, zweimal mit einer<br />
langsamen, welligen Schulterbewegung und kam völlig lautlos auf mich zu.<br />
Ich hatte mich wieder gefasst. »Na, na, jage mir nur keine Angst ein«, sagte ich. Er konnte doch<br />
nicht echt sein - ein Phantom, wie meine Sängerin, wie die anderen, da unten, bei den schwarzen<br />
Autos-, er gähnte, nur einen Schritt vor mir, im dunklen Schlund blitzten die Zähne auf, er schloss<br />
seinen Rachen mit dem Gerassel eines verriegelten Drahtverhaues, ich fühlte seinen stinkenden<br />
Atem, was...<br />
Er prustete. Ich fühlte Speicheltröpfchen, und ehe ich noch Zeit hatte zu erschrecken, schubste er<br />
mich mit seinem Riesenkopf in die Hüfte, schnurrte, rieb sich an mir, ich fühlte ein idiotisches<br />
Kitzeln in der Brust...<br />
Er schob mir seine Wamme mit loser, schwerer Haut zu. Nur halb bewusst fing ich an, ihn zu<br />
kraulen, zu zausen, er schnurrte immer lauter, hinter ihm blitzte ein zweites Augenpaar auf, ein<br />
zweiter Löwe, nein, eine Löwin, die ihn mit der Schulter anstieß. Aus seiner Kehle kam ein<br />
Grollen, es war ein Gebrumm, kein Gebrüll. Die Löwin ließ nicht locker. Er schlug sie mit der<br />
Pfote.<br />
Sie fauchte wütend.<br />
>Das wird schlecht enden