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Stanislaw Lem - Transfer

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Ich ging quer durch das Zimmer. Sie verfolgte mich mit den Augen, so als ob ich.., als ob sie in<br />

einen Käfig eingesperrt wäre...<br />

»Ich gehe ja schon«, sagte ich. Keine Antwort. Ich wollte noch etwas hinzufügen- ein paar Worte<br />

der Entschuldigung, des Dankes, um nicht bloß so wegzugehen, aber ich brachte es nicht fertig.<br />

Hätte sie vor mir nur Angst gehabt wie eine Frau vor einem Mann, einem Fremden, na, dann<br />

meinetwegen. Aber dies war etwas anderes. Ich sah sie an und fühlte, wie mich eine Wut packte.<br />

Diese weißen nackten Schultern fassen und schütteln... Ich drehte mich um und ging hinaus: die<br />

Außentür gab nach, als ich sie drückte, der große Korridor war fast dunkel. Ich konnte den<br />

Ausgang zur Terrasse nicht finden, traf aber Zylinder an, von einem verdünnten bläulichen Licht<br />

beleuchtet: Glasscheiben der Aufzüge. Der, dem ich mich näherte, bewegte sich bereits nach<br />

oben; vielleicht genügte da schon der Fußdruck auf die Schwelle. Hinunter fuhr der Aufzug lange.<br />

Ich sah abwechselnd dunkle Stollen und Deckenquerschnitte - weiß mit rötlicher Mitte, wie<br />

Fettschichten auf Muskeln flohen sie in die Höhe. Ich hörte bald auf zu zählen, der Aufzug fuhr<br />

hinab, immer tiefer, es war eine Reise bis auf den Grund. Als wäre ich ins Innere einer sterilen<br />

Leitung hineingeraten, und der in Schlaf und Sicherheit getauchte Riesenbau müsste sich meiner<br />

nun wieder entledigen. Ein Teil des durchsichtigen Zylinders öffnete sich, ich stieg aus. Die<br />

Hände in den Taschen, Dunkelheit, lange, harte Schritte. Gierig sog ich die kühle Luft ein, fühlte<br />

meine Nasenflügel flattern, mein Herz langsam arbeiten, Blut pumpend. In den flachen Spuren der<br />

Fahrbahn zogen Lichter vorbei, wurden von lautlosen Maschinen verdeckt, es gab keinen einzigen<br />

Passanten. Zwischen den schwarzen Silhouetten stand ein Feuerschein, ich dachte: vielleicht das<br />

Hotel. Es war aber nur ein beleuchteter Gehsteig. Ich fuhr darauf weiter. Über mir zogen<br />

weißliche Tragebalken irgendwelcher Konstruktionen vorbei, irgendwo in der Ferne, über den<br />

schwarzen Umrissen der Gebäude, flackerten rhythmisch die Leuchtbuchstaben einer Zeitung.<br />

Plötzlich schwamm der Gehsteig mit mir in einen beleuchteten Raum hinein und endete dort.<br />

Breite Stufen zogen nach unten, silbern wie ein stummer Wasserfall. Die Leere machte mich<br />

stutzig: seit ich Nais verließ, war ich keinem einzigen Passanten begegnet. Das Laufband war sehr<br />

lang. Unten leuchtete eine breite Straße, an beiden Seiten öffneten sich in den Häusern Passagen,<br />

unter einem Baum mit blauen Laub- vielleicht war es gar kein richtiger Baum - sah ich ein Paar<br />

stehen, kam ihm näher, glitt vorüber. Sie küssten sich. Ich ging gedämpften Musikklängen<br />

entgegen: irgendein Nachtrestaurant oder eine Bar, von der Straße überhaupt nicht abgegrenzt.<br />

Dort saßen ein paar Leute. Ich wollte hineingehen und wegen des Hotels fragen. Urplötzlich stieß<br />

ich mit meinem ganzen Körper auf ein unsichtbares Hindernis. Es war eine vollkommen<br />

durchsichtige Glasscheibe. Der Eingang war daneben. Drinnen lachte jemand auf, zeigte mich den<br />

anderen. Ich kam hinein. Ein Mann im schwarzen Trikot - es ähnelte meiner Strickjacke, war aber<br />

mit aufgeblasenem Kragen versehen - saß seitlich an einem Tischchen. Er hielt ein Glas in der<br />

Hand und guckte mich an. Ich baute mich vor ihm auf. Das Lachen erstarb auf seinen noch<br />

halboffenen Lippen. Ich stand da. Es wurde still. Nur die Musik spielte, wie hinter einer Wand.<br />

Irgendeine Frau ließ einen seltsamen, schwachen Laut hören, ich sah mir die regungslosen<br />

Gesichter an und ging fort. Erst auf der Straße besann ich mich, dass ich wegen eines Hotels<br />

fragen wollte.<br />

Ich ging durch die Passage. Sie war voller Schaufenster. Reisebüros, Sportläden, Mannequins in<br />

verschiedenen Stellungen. Eigentlich waren es keine Schaufenster, alles lag oder stand auf der<br />

Straße, beiderseits des erhöhten Gehsteigs, der durch die Mitte lief. Ein paarmal hielt ich die sich<br />

in der Tiefe bewegenden Schatten für Menschen. Einer von ihnen- eine Puppe, fast so groß wie<br />

ich, mit karikaturartig aufgedunsenen Backen - spielte die Flöte. Ich sah sie mir eine Zeitlang an.<br />

Sie machte es so lebensecht, dass ich Lust hatte, sie anzusprechen. Weiter gab es irgendwelche<br />

Spielsäle, große, regenbogenfarbige Kreise drehten sich dort, lose an der Decke hängende silberne<br />

Röhrchen stießen aufeinander mit dem Klang von Schlittenglöckchen, prismenartige Spiegel<br />

funkelten. Aber alles war leer. Nur ganz am Ende der Passage leuchtete die Inschrift HIER<br />

HAHAHA auf. Und verschwand. Ich ging dorthin. Die Worte HIER HAHAHA glimmten wieder<br />

auf und verschwanden wie weggeblasen. Beim nächsten Aufleuchten sah ich den Eingang. Durch<br />

einen Vorhang aus warmem Hauch kam ich hinein.<br />

Drinnen standen zwei von den radlosen Autos, brannten einige Lampen, und unter ihnen<br />

gestikulierten recht lebhaft drei Menschen, als ob sie sich stritten. Ich kam auf sie zu.

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