Stanislaw Lem - Transfer
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»Wie eigenartig du bist! Fast als ob du kein...«, sie stutzte.<br />
»Kein Mensch wärest?«<br />
Ihre Augenlider flatterten. »Ich wollte dich nicht kränken, nur, weißt du, wenn man weiß, dass<br />
keiner - weißt du - nicht einmal daran denken kann, niemals- und dann kommt plötzlich so einer<br />
wie du, dann ist ja allein schon die Möglichkeit... dass es so einen gibt...«<br />
»Es kann aber nicht stimmen, dass alle - wie heißt das - ach - betrisiert sind!«<br />
»Warum? Alle sind es, ich sag' es dir doch!«<br />
»Nein, das kann nicht stimmen«, beharrte ich. »Und Menschen mit gefährlichen Berufen? Sie<br />
müssen doch...«<br />
»Es gibt keine gefährlichen Berufe.«<br />
»Was erzählst du da, Nais! Und die Piloten? Die verschiedenen Rettungsmannschaften? Und die,<br />
die gegen Feuer oder Wasser kämpfen?«<br />
»Die gibt es nicht«, sagte sie. Ich glaubte, schlecht gehört zu haben.<br />
»Waas?«<br />
»Es gibt sie nicht«, wiederholte sie. »Solche Dinge werden von den Robotern gemacht.« Nun<br />
folgte ein Schweigen. Ich dachte nur, dass es mir nicht leichtfallen würde, diese neue Welt zu<br />
verdauen. Und zugleich kam ein Gedanke auf, erstaunlich schon dadurch, dass ich ihn nie<br />
erwartet hatte, wenn mir irgend jemand eine solche Situation auch nur als theoretische<br />
Möglichkeit geschildert hätte: dieser Eingriff, der im Menschen den Mörder vernichtete, schien<br />
mir eine... Verkrüppelung zu sein.<br />
»Nais«, sagte ich, »es ist schon sehr spät. Ich werde gehen.«<br />
»Wohin?«<br />
»Das weiß ich nicht. Ach, ja! Auf dem Bahnhof sollte dieser Mensch vom ADAPT auf mich<br />
warten. Ich habe es ganz vergessen! Konnte ihn dort nicht finden, weißt du. Na, also.., ich werde<br />
ein Hotel suchen. Die gibt es doch?«<br />
»Ja. Von wo kommst du?«<br />
»Von hier. Ich wurde hier geboren.«<br />
Nach diesen Worten kehrte ein Gefühl der Unwahrscheinlichkeit wieder, und ich war mir weder<br />
der damaligen Stadt- die nur in mir allein existierte - sicher, noch dieser gespenstischen, mit<br />
Zimmern, wo Köpfe von Riesen hineinschauten. Eine Sekunde lang überlegte ich, ob ich mich<br />
nicht auf Deck befände und das Ganze nur ein besonders deutlicher Alptraum von der Rückkehr<br />
wäre.<br />
»Bregg«, hörte ich ihre Stimme wie aus der Ferne. Ich zuckte zusammen. Ich hatte sie ganz<br />
vergessen.<br />
»Ja - bitte?«<br />
»Bleibe hier.«<br />
»Was?«<br />
Sie schwieg.<br />
»Du willst, dass ich bleibe?«<br />
Sie schwieg. Ich trat an sie heran, packte - mich über den Sessel beugend - ihre kühlen Schultern,<br />
hob sie hoch. Willenlos stand sie auf. Ihr Kopf fiel hintenüber, die Zähne blitzten auf, ich wollte<br />
sie nicht haben, wollte nur sagen: »Du hast ja doch Angst« - und sie sollte dann antworten, sie<br />
hätte keine. Weiter nichts. Sie hielt die Augen geschlossen, plötzlich sah ich das Weiße unter den<br />
Wimpern, bückte mich über ihr Gesicht, schaute die verglasten Augen nahe an, als wollte ich ihre<br />
Angst kennenlernen und teilen. Keuchend versuchte sie sich aus meinen Armen zu reißen; ich<br />
spürte es nicht, bis sie »Nein, nein!« zu stöhnen begann, dann löste ich den Griff. Fast wäre sie<br />
hingefallen. Sie stand an der Wand, verdeckte einen Teil eines großen, pausbäckigen Gesichts,<br />
das bis zur Decke reichte, und dort, hinter Glas, unaufhörlich etwas sagte, wobei sich sein<br />
Riesenmund und die fleischige Zunge auf eine übertriebene Art bewegten.<br />
»Nais...«, sagte ich leise. Ich ließ die Hände sinken.<br />
»Komm nicht näher!«<br />
»Du sagtest doch selbst...«<br />
Ihr Blick war gehetzt.