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Stanislaw Lem - Transfer

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Wir gingen zusammen aus dem Zimmer, dann die Treppe hinunter, draußen herrschte schon<br />

völlige Dunkelheit. Olaf ging schweigend neben mir. Plötzlich blieb er stehen. Auch ich hielt<br />

inne.<br />

»Bleib hier«, flüsterte er verschämt. Ich sah nur den undeutlichen Flecken seines Gesichts.<br />

»Gut«, stimmte ich unerwarteterweise zu und machte kehrt. Er war darauf nicht vorbereitet. Stand<br />

noch eine Weile da, fasste mich dann an der Schulter und führte mich zu einem anderen, niedrigen<br />

Gebäude: In einem leeren, nur mit ein paar noch brennenden Lampen beleuchteten Saal aßen wir<br />

am Büfett zu Abend, ohne uns zu setzen. Während dieser ganzen Zeit wechselten wir kaum zehn<br />

Worte. Dann gingen wir wieder in den ersten Stock. Das Zimmer, in das er mich brachte, war fast<br />

genau quadratisch, mattweiß, mit einem breiten Fenster zum Park hinaus, aber von einer anderen<br />

Seite, das Leuchten der Stadtlichter über den Bäumen sah ich nicht mehr; es gab darin ein<br />

frischgemachtes Bett, zwei kleine Sessel, einen dritten, größeren, mit der Lehne dicht an der<br />

Fensterbank. Durch eine schmale, halboffene Tür glitzerten die Kacheln des Badezimmers. Olaf<br />

stand mit herabhängenden Armen an der Schwelle, als wartete er auf irgendein Wort von mir. Da<br />

ich schwieg, im Zimmer auf und ab ging und rein mechanisch die Möbel berührte, um sie dadurch<br />

zeitweilig in Besitz zu nehmen, fragte er leise:<br />

»Kann... kann ich etwas für dich tun?«<br />

»Ja«, sagte ich, »lass mich allein.«<br />

Er stand weiter da, rührte sich nicht vom Fleck. Sein Gesicht überzog sich plötzlich mit<br />

flammendem Rot, nach dem gleich eine Blässe kam, dann ein Lächeln- mit dem er diese Schmach<br />

zu verdecken versuchte. Denn meine Worte klangen ja beleidigend. Dieses ratlose, klägliche<br />

Lächeln brach etwas in mir: bei dem Versuch, krampfhaft die Maske der Gleichgültigkeit, die ich<br />

annahm, weil ich nichts anderes mehr tun konnte, loszuwerden, sprang ich auf ihn zu, als er sich<br />

schon umgedreht hatte, um zu gehen. Ich fasste seine Hand und zerquetschte sie beinahe. Dieser<br />

heftige Druck war meine Entschuldigung. Olaf, ohne sich umzuwenden, antwortete mit dem<br />

gleichen Druck und ging. Ich spürte noch seinen harten Griff in meiner Hand, als er schon die Tür<br />

hinter sich so leise schloss, als verließe er ein Krankenzimmer. Ich blieb allein, wie ich es gewollt<br />

hatte.<br />

Das Haus lag in völliger Stille. Ich hörte nicht einmal Olafs sich entfernende Schritte; in der<br />

Fensterscheibe zeichnete sich schwach meine eigene, schwere Gestalt ab, aus einer unbekannten<br />

Quelle floss warme Luft herbei, und über die Konturen meines Abbilds sah ich die dunkle Grenze<br />

der Bäume, die in der Finsternis verschwand- noch einmal umfasste ich das ganze Zimmer mit<br />

dem Blick und setzte mich dann in den großen Sessel am Fenster. Die Herbstnacht war eben erst<br />

gekommen. An Schlafen konnte ich nicht einmal denken. Ich stand wieder auf. Die hinter dem<br />

Fenster herrschende Dunkelheit musste voller Kühle und dem Rauschen der blätterlosen, sich<br />

reibenden Zweige sein - urplötzlich wollte ich dorthin, in der Dunkelheit herumirren, in ihrem<br />

durch niemand vorgeplanten Chaos. Schnell verließ ich das Zimmer.<br />

Der Gang war leer. Zur Treppe ging ich auf den Zehenspitzen, was wohl eine übertriebene<br />

Vorsicht war. Olaf war sicher schon zur Ruhe gegangen, und Thurber, falls er noch arbeitete, saß<br />

in einem anderen Stockwerk, in einem entfernten Flügel dieses Gebäudes. Ich lief hinunter, schon<br />

ohne auf meine lauten Schritte zu achten, dann hinaus und ging schnell vorwärts. Ich wählte keine<br />

Richtung, ging nur so, dass die Stadtlichter nach Möglichkeit abseits blieben. Die Parkalleen<br />

brachten mich bald an seine Grenzen, die von einer Hecke eingefasst waren. Ich fand mich auf der<br />

Straße, die ich noch eine Zeitlang weiterging, bis ich plötzlich stehenblieb. Ich wollte diese Straße<br />

verlassen, denn sie führte zu irgendeiner Siedlung, zu Menschen, und ich wollte allein sein.<br />

Ich erinnerte mich an das, was mir Olaf noch in Klavestra über Malleolan, jene neue Stadt, nach<br />

unserem Abflug in den Bergen errichtet, erzählt hatte; einige Kilometer der Straße, die ich<br />

gegangen war, bestanden tatsächlich fast nur aus Serpentinen und Kurven, die wahrscheinlich die<br />

Hügelhänge mieden, aber bei der herrschenden Dunkelheit konnte ich mich auf die eigenen<br />

Augen nicht verlassen. Die Straße war - wie alle - nicht beleuchtet, da ihre Fahrbahn selbst zu<br />

matt phosphoreszierte, um die einige Schritte von ihr wachsenden Sträucher erkennen zu lassen.<br />

Ich wich also von ihr ab, blindlings gelangte ich in das Dickicht eines kleinen Wäldchens, das<br />

mich steil auf eine größere, baumlose Anhöhe führte - ich merkte es, weil der Wind hier ohne<br />

Hindernisse tobte. Einige Male sah ich aus der Ferne die blasse Schlange der verlassenen Straße

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