Stanislaw Lem - Transfer
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hätte er viel gearbeitet und nur wenig geschlafen, aber es stand darin auch ein anderer Ausdruck,<br />
den ich nicht kannte.<br />
»Mir geht's gut«, sagte ich, »und dir?«<br />
Sobald diese Worte fielen, merkte ich, dass es für sie schon zu spät war; richtig hätten sie gleich<br />
nach meinem Hereinkommen geklungen, jetzt aber klangen sie wie ein Vorwurf oder gar wie<br />
Spott.<br />
»Warst du bei Thurber?« fragte er.<br />
»Ja.«<br />
»Die Studenten sind weggefahren.., jetzt ist keiner mehr da, man hat uns das ganze Gebäude<br />
gegeben...«, fing er wie unter einem Zwang zu sprechen an.<br />
»Damit ihr den Expeditionsplan ausarbeiten könnt?« fragte ich, worauf er prompt antwortete:<br />
»Ja, Hal, ja. Na, du wirst doch wissen, was das für eine Arbeit ist. Vorerst sind wir nur wenige,<br />
aber wir haben großartige Maschinen, diese Automaten, weißt du...«<br />
»Das ist schön.«<br />
Nach diesen Worten entstand wieder Stille. Und - seltsam – je länger sie dauerte, desto deutlicher<br />
wurde Olafs Unruhe, seine übertriebene Unbeweglichkeit, denn er stand immer noch ganz starr in<br />
der Mitte des Zimmers, direkt unter der Lampe, wie auf das Schlimmste gefasst. Ich wollte dem<br />
ein Ende setzen.<br />
»Hör mal«, sagte ich ganz leise, »wie hast du dir das eigentlich vorgestellt?... Eine Vogel-Strauß-<br />
Politik zahlt sich doch nicht aus... Du hast wohl kaum angenommen, dass ich es ohne dich nie<br />
erfahren würde?«<br />
Ich stockte, und er schwieg, den Kopf seitlich gesenkt. Ich hatte ganz entschieden übertrieben;<br />
denn er war keineswegs schuldig, und ich selbst hätte wahrscheinlich an seiner Stelle kaum anders<br />
gehandelt. Ich nahm ihm auch nicht im mindesten sein über einen Monat andauerndes Schweigen<br />
krumm. Es ging mir nur um seinen Fluchtversuch, darum, wie er sich vor mir in diesem leeren<br />
Zimmer versteckte, als er mich von Thurber kommen sah. Aber das traute ich mich nicht, ihm<br />
direkt zu sagen. Ich hob die Stimme, schimpfte ihn einen Dummkopf, aber sogar dann hat er sich<br />
nicht zu verteidigen versucht.<br />
»Also meinst du, da wäre überhaupt nichts darüber zu sagen?!« warf ich gereizt ein.<br />
»Das hängt von dir ab...«<br />
»Wieso von mir?«<br />
»Von dir«, wiederholte er hartnäckig. »Das Wichtigste war, von wem du es erfahren würdest...«<br />
»Meinst du wirklich?«<br />
»So schien es mir...«<br />
»Ist doch egal...«, murmelte ich.<br />
»Was... willst du tun?« fragte er leise.<br />
»Nichts.«<br />
Olaf sah mich misstrauisch an. »Hal, ich will doch...«<br />
Er beendete den Satz nicht. Ich fühlte, dass ich ihm durch meine Anwesenheit allein Folterqualen<br />
aufbürdete, konnte ihm aber immer noch nicht diese plötzliche Flucht verzeihen. Und weggehen,<br />
jetzt, wortlos, wäre noch schlimmer als die Unsicherheit, die mich hierherbrachte. Ich wusste ja<br />
nicht, was ich sagen sollte - alles, was uns miteinander verband, war verboten. Ich sah ihn an,<br />
gerade in einem Moment, wo auch er mich ansah - jeder von uns rechnete sogar jetzt noch auf die<br />
Hilfe des anderen...<br />
Ich glitt von der Fensterbank herunter.<br />
»Olaf... es ist schon spät. Ich gehe.., denke bloß nicht, dass... ich dir irgendwas übelnehme, nichts<br />
dergleichen. Übrigens werden wir uns noch treffen, vielleicht besuchst du uns mal«, sagte ich<br />
mühevoll, denn jedes dieser Worte war unnatürlich, und er spürte es.<br />
»Wie... willst du nicht mal über Nacht hierbleiben?«<br />
»Ich kann nicht, weißt du, ich habe es versprochen...«<br />
Ihren Namen sprach ich nicht aus.<br />
Olaf brummte: »Wie du willst. Ich bringe dich noch zur Tür.«