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Stanislaw Lem - Transfer

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leeren Lokalen vorbei, an Schaufenstern, wo Mannequingruppen immerfort dieselbe Szene<br />

spielten. Ich wäre gern stehengeblieben, um zu sehen, was sie da taten, aber das Mädchen ging<br />

rasch, mit ihren Schuhabsätzen klappernd, bis sie beim Anblick eines Neongesichts mit<br />

pulsierenden roten Wangen, das sich immerzu mit einer drollig ausgestreckten Zunge die Lippen<br />

leckte, ausrief:<br />

»Oh, Bonsen! Willst du einen Bons?«<br />

»Und du?« fragte ich.<br />

»Ich glaube schon.«<br />

Wir kamen in einen kleinen, leuchtenden Saal. Statt einer Decke hatte er lange Reihen brennender<br />

Flämmchen, die wie Gasflammen aussahen; von oben schlug uns plötzlich Hitze entgegen, da<br />

brannte wahrscheinlich wirklich Gas. An den Wänden gab es kleine Vertiefungen mit Pulten; als<br />

wir auf eine von ihnen zukamen, schoben sich beiderseits aus der Wand auch Sitze heraus. Sie<br />

schienen aus jener Wand herauszurücken: anfangs noch unentwickelt, wie Knospen, wurden dann<br />

flach in der Luft, nahmen Gestalt an und blieben dann regungslos. Wir setzten uns gegenüber, das<br />

Mädchen klopfte mit zwei Fingern auf die Metallplatte des Tischchens, aus der Wand sprang ein<br />

Nickelpfötchen, warf vor jeden von uns ein kleines Tellerchen und tat mit zwei blitzschnellen<br />

Bewegungen auf jeden davon eine Portion weißlicher Masse, die aufschäumend braun wurde und<br />

erstarrte, wobei das Tellerchen selbst auch nachdunkelte. Das Mädchen rollte den Teller, der gar<br />

keiner war, wie einen Pfannkuchen zusammen und fing an zu essen.<br />

»Ach«, sagte sie mit vollem Mund, »ich hatte ja keine Ahnung, dass ich so hungrig bin.«<br />

Ich tat genau dasselbe wie sie. Der Bons erinnerte im Geschmack an nichts, was ich jemals aß.<br />

Knusprig beim Anbeißen wie eine frischgebackene Semmel, zerfiel und zerfloss er sofort auf der<br />

Zunge; die braune Masse, die sich drinnen befand, war scharf gewürzt. Ich dachte, dass ich mich<br />

an Bonse gewöhnen könnte.<br />

»Noch mehr?« fragte ich, als sie den ihrigen verzehrt hatte. Sie lächelte und schüttelte den Kopf.<br />

Beim Hinausgehen legte sie für einen Augenblick beide Hände in eine kleine gekachelte Nische -<br />

in der es rauschte. Ich machte es ihr nach. Ein kitzelnder Wind umfing meine Finger; als ich die<br />

Hände wieder wegnahm, waren sie schon trocken und sauber.<br />

Dann fuhren wir mit einem breiten Eskalator nach oben. Ich wusste nicht, ob es immer noch der<br />

Bahnhof war, aber ich genierte mich zu fragen. Sie führte mich in eine kleine Kabine in der Wand<br />

- es war dort nicht sehr hell, und ich hatte den Eindruck, dass oben wohl Züge führen, da der<br />

Boden zitterte. Für eine Zehntelsekunde wurde es dunkel, irgend etwas atmete tief unter uns auf,<br />

als ob ein metallenes Ungeheuer die Luft aus der Lunge ausgestoßen hätte, dann wurde es wieder<br />

hell, das Mädchen drückte die Tür auf.<br />

Es war wohl wirklich eine Straße. Wir waren hier ganz allein. Kleine, gestutzte Sträucher<br />

wuchsen auf beiden Gehsteigseiten; etwas weiter standen gedrängt schwarze, flache Maschinen.<br />

Irgendein Mensch kam aus dem Schatten, versteckte sich hinter einer von ihnen - ich sah ihn<br />

keine Tür öffnen, er verschwand einfach, doch die Maschine raste los mit einem derartigen<br />

Schwung, dass er wohl ganz flach auf dem Sitz liegen musste. Ich sah keine Häuser, nur eine<br />

tischglatte Fahrbahn, die mit matten Metallstreifen bedeckt war; an den Kreuzungen bewegten<br />

sich netzartige, orangene und rote Lichter, sie hingen über dem Pflaster und erinnerten ein wenig<br />

an die Modelle von Scheinwerfern aus der Kriegszeit.<br />

»Wo wollen wir uns nehmen?« fragte das Mädchen. Immer noch hielt sie meinen Arm. Sie<br />

verlangsamte ihre Schritte. Ein roter Lichtstreifen glitt über ihr Gesicht. »Wo du willst.«<br />

»Dann wollen wir zu mir gehen. Einen Glider zu nehmen, lohnt sich nicht. Es ist hier ganz in der<br />

Nähe.«<br />

Wir gingen weiter. Man sah auch weiterhin keine Häuser, und der Wind, der aus dem Dunkel<br />

hinter den Büschen kam, wehte so, als ob hier rundum ein freier Raum wäre. Um den Bahnhof<br />

herum, direkt im Zentrum? Dies schien mir eigenartig. Der Wind brachte einen schwachen<br />

Blumenduft mit sich, den ich gierig einsog. Flieder? Nein, Flieder war es nicht. Dann fanden wir<br />

einen gleitenden Gehsteig, wir standen darauf, ein komisches Paar, die Lichter flogen vorbei,<br />

manchmal ein Gefährt, wie aus einem Stück schwarzen Metalls gegossen: sie hatten keine<br />

Fenster, keine Räder, nicht einmal Lichter, doch sausten sie mit einer außergewöhnlichen<br />

Geschwindigkeit vorbei, wie blind. Die beweglichen Lichter schossen aus engen, vertikalen

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