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Stanislaw Lem - Transfer

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Ich setzte mich in einen niedrigen Sessel am Schreibtisch und schob ihn etwas zur Seite, weil<br />

Thurbers Gesicht im Licht nur ein einziger Flecken war und ich ihn doch gut sehen wollte. Er<br />

arbeitete auf seine Weise, langsam, mit gebeugtem Kopf und durch gerunzelte Brauen sich gegen<br />

das Lampenlicht wehrend.<br />

Es war eins der bescheidensten Zimmer, die ich bisher sah, mit matten Wänden, grauen Türen,<br />

ohne eine einzige Verzierung, ohne eine Spur des widerwärtigen Goldes - beiderseits der Tür gab<br />

es viereckige, jetzt nur blinde Schirme, die Fensterwand war mit Metallschränkchen vollgestellt,<br />

an einem lehnte eine hohe Rolle von Landkarten oder technischen Zeichnungen - und das war<br />

eigentlich alles. Ich blickte nun auf Thurber selbst. Kahlköpfig, massiv, schwer - schrieb er und<br />

wischte von Zeit zu Zeit mit dem Handrücken eine Träne vom Auge. Seine Augen tränten immer,<br />

und Gimma - der die Geheimnisse anderer zu verraten liebte, vor allem solche, die jemand<br />

besonders geheimzuhalten versuchte - sagte mir einmal, dass Thurber sich um sein Augenlicht<br />

Sorge mache. Darum konnte ich verstehen, warum er sich als erster hinlegte, wenn wir die<br />

Beschleunigung veränderten, und warum - in den späteren Jahren- er sich von anderen vertreten<br />

ließ - bei Arbeiten, die er vorher immer selbst ausgeführt hatte.<br />

Mit beiden Händen sammelte er seine Papiere, klopfte damit gegen den Schreibtisch, um die<br />

Ränder auszugleichen, steckte sie in eine Mappe, schloss sie und sagte erst dann, indem er seine<br />

großen Hände mit dicken, nur mühsam sich biegenden Fingern hängenließ: »Grüß dich, Hal. Wie<br />

geht es dir?«<br />

»Kann mich nicht beklagen. Bist du... allein?«<br />

»Das soll heißen: ob Gimma hier ist? Nein. Er ist nicht hier; ist gestern weggefahren. Nach<br />

Europa.«<br />

»Arbeitest du?«<br />

»Ja.«<br />

Ein kurzes Schweigen folgte. Ich wusste nicht, wie er auf das, was ich ihm zu sagen hatte,<br />

reagieren würde - wollte erst erfahren, wie er die Dinge in der von uns vorgefundenen Welt<br />

betrachtete. Da ich ihn ja gut kannte, erwartete ich keine Gefühlsäußerungen. Er behielt den<br />

größten Teil seiner Meinungen immer für sich.<br />

»Bist du schon lange hier?«<br />

»Bregg«, sagte er, weiterhin so starr wie er dasaß, »ich bezweifle, dass dich das interessiert. Du<br />

redest um den Brei herum.«<br />

»Schon möglich«, meinte ich. »Heißt das, dass ich sprechen soll?«<br />

Wieder empfand ich dieselbe Zerrissenheit, etwas, was zwischen Gereiztheit und Schüchternheit<br />

lag, das mich stets ihm gegenüber befiel - die anderen wohl übrigens auch. Ich wusste nie, ob er<br />

scherzte, sich lustig machte oder aber im Ernst sprach; bei aller Ruhe und aller Aufmerksamkeit,<br />

die er dem Partner bewies, blieb er vollkommen undurchsichtig.<br />

»Nein«, sagte er. »Vielleicht später. Wo kommst du her?«<br />

»Aus Houl.«<br />

»Direkt von dort?«<br />

»Ja... und warum fragst du?«<br />

»Gut«, sagte er, als ob er meine letzten Worte nicht gehört hätte. Er sah mich unbeweglich<br />

vielleicht fünf Sekunden lang an, als wollte er sich meiner Anwesenheit versichern, sein Blick war<br />

völlig ausdruckslos - aber nun ahnte ich schon, dass etwas vorgefallen war. Nur wusste ich nicht,<br />

ob er es mir sagen würde. Sein Benehmen war nie vorauszusehen. Ich überlegte, wie ich am<br />

besten anfangen sollte, und er betrachtete mich inzwischen mit steigender Aufmerksamkeit,<br />

geradezu so, als hätte ich mich ihm in einer ganz unbekannten Gestalt gezeigt.<br />

»Was macht Vabach?« fragte ich, als sich diese stumme Betrachtung schon über Gebühr<br />

hinauszog.<br />

»Er fuhr mit Gimma zusammen.«<br />

Nicht das bedeutete meine Frage, und er wusste es, aber ich war nicht wegen Vabach<br />

hergekommen. Wieder ein Schweigen. Ich fing schon an, meinen Beschluss zu bereuen.<br />

»Ich hörte, dass du dich verheiratet hast«, sagte er plötzlich, wie leichthin.<br />

»Jawohl«, antwortete ich, vielleicht allzu trocken.<br />

»Hat dir nur gutgetan.«

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