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Stanislaw Lem - Transfer

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VIII<br />

Inzwischen gab Olaf immer noch kein Lebenszeichen von sich. Meine Unruhe wurde zu<br />

Gewissensbissen. Ich befürchtete, er könnte etwas Verrücktes angestellt haben. Er war ja<br />

weiterhin allein und das noch mehr, als ich es vorher gewesen war. Ich wollte Eri nicht in<br />

unvorhersehbare Dinge hineinziehen, die eine Konsequenz meiner auf eigene Faust<br />

unternommenen Suchaktion sein konnten, deshalb entschloss ich mich, vorerst zu Thurber zu<br />

fahren. Ich war nicht sicher, ob ich ihn um einen Rat bitten sollte - ich wollte ihn nur sehen. Die<br />

Adresse hatte ich von Olaf; Thurber hielt sich im Universitätszentrum Malleolan auf. Ich schickte<br />

ihm ein Telegramm über meine Ankunft und habe mich zum ersten Mal von Eri getrennt. In den<br />

letzten Tagen wurde sie schweigsam und unruhig; ich schrieb es ihrer Sorge um Olaf zu. Ich<br />

versprach ihr, nach Möglichkeit schnell wiederzukommen, wahrscheinlich schon in zwei Tagen,<br />

und nach dem Gespräch mit Thurber keinerlei weitere Schritte zu unternehmen, ehe ich mich mit<br />

ihr ausgesprochen haben würde.<br />

Eri brachte mich bis Houl, wo ich einen direkten Ulder nahm. Die Pazifik-Strände waren schon<br />

leer, weil bald die Herbststürme kommen sollten, aus den Ferienorten verschwanden die Mengen<br />

buntgekleideter Jugend, und ich war kaum erstaunt, fast der einzige Passagier des<br />

Silbergeschosses zu sein. Der Flug in den Wolken, der die Gegend irreal machte, dauerte kaum<br />

eine Stunde und endete gegen Abend.<br />

Die Stadt tauchte aus der aufkommenden Dunkelheit mit mehrfarbigen Feuern auf - die höchsten<br />

Bauten, Kelchhäuser, leuchteten im Nebel wie ganz dünne, reglose Flammen, ihre Silhouetten<br />

zwischen den weißen Nebelstreifen hatten die Gestalt von Riesenschmetterlingen, durch in der<br />

Luft hängende Bogen der höchsten Verkehrsebene verbunden. Die weiteren, niedrigen<br />

Straßenetagen bildeten gewundene, sich kreuzende, mehrfarbige Flüsse. Vielleicht lag es am<br />

Nebel, vielleicht war es der Einfluss der Glasbauten, jedenfalls schien das Zentrum von dieser<br />

Höhe aus eine Masse hochwertigen Schmelzes mit gemeinsamer Maserung, eine mit Juwelen<br />

bedeckte Glasinsel zu sein, errichtet in einem Ozean, dessen Spiegelfläche die immer schwächer<br />

leuchtenden Stockwerke wie derholte, bis auf die schon kaum sichtbaren, letzten. Als ob vom<br />

Untergrund der Stadt ein rubinrot glühendes Gerippe durchschiene. Es war schwer zu glauben,<br />

dass diese ineinander fließende Palette der Flammen und Farben ganz einfach nur die Wohnstätte<br />

einiger Millionen von Menschen war. Das Universitätszentrum befand sich außerhalb der Stadt.<br />

Erst dort, in einem großen Park auf einer Betonpiste, landete mein Ulder. Von der Stadtnähe<br />

zeugte nur ein schwacher Lichtschein, der am Himmel über der schwarzen Wand alter Bäume<br />

stand. Eine lange Alle e führte mich zum Hauptgebäude, das dunkel, wie<br />

ausgestorben dalag.<br />

Kaum öffnete ich die große Glastür, flammte im Inneren Licht auf. Ich befand mich in einer<br />

gewölbten Halle, die mit blassblauen Intarsien ausgelegt war. Ein System von Durchgängen mit<br />

Schallisolierung brachte mich zu einem langen Gang, der gerade und irgendwie streng war- ich<br />

öffnete eine und noch eine andere Tür, aber sämtliche Räume waren leer und schienen längst<br />

verlassen zu sein. Über eine gewöhnliche Treppe stieg ich nach oben. Wahrscheinlich gab es<br />

irgendwo einen Fahrstuhl, aber ich hatte keine Lust, ihn zu suchen, außerdem war diese Treppe an<br />

sich schon eine Sehenswürdigkeit, da sie unbeweglich war. Oben ging nach beiden Seiten ein<br />

gleichartiger Gang aus. Es gab dort auch ähnliche menschenlose Zimmer; auf einer Tür sah ich<br />

dann einen kleinen Zettel mit den deutlich geschriebenen Worten: »Hier, Bregg!« Ich klopfte und<br />

hörte sofort die Stimme von Thurber.<br />

Ich ging hinein. Er saß gebeugt gegen die Dunkelheit eines ganzwandigen Fensters, im Licht der<br />

niedrig herabgezogenen Lampe. Der Schreibtisch, an dem er arbeitete, war mit Papieren und<br />

Büchern - wirklichen Büchern - übersät und auf einem anderen, kleineren, daneben, lagen ganze<br />

Haufen von den Kristall-»körnern« und verschiedenartige Apparate. Er hatte einen Stoß Papier<br />

vor sich und notierte - mit einer in Tinte getauchten Feder! - verschiedene Bemerkungen an den<br />

Rand.<br />

»Setz dich«, sagte er, ohne aufzublicken. »Bin gleich fertig.«

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