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Stanislaw Lem - Transfer

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Scheinwerfergarben gehalten, wären sie nicht mit einem feinen Netz bedeckt gewesen - so könnte<br />

wohl ein mit seinem Oberteil in den Boden gerammter Glaszylinder aussehen, voller abwechselnd<br />

konkaver und konvexer Linsen. Unwahrscheinlich hoch mussten sie sein, um sie herum rieselten<br />

pulsierende Lichter, von einem Kranz orangenfarbenen, dann wieder fast weißen Schimmers<br />

eingefasst. Das war alles, so sah die Stadt aus; ich versuchte Straßen zu finden, sie zu erraten, aber<br />

die dunkle tote Fläche da unten zog sich nach allen Seiten hin, von keinem Funken erhellt.<br />

»Kol?...« hörte ich, wohl nicht zum ersten Mal ausgesprochen, obwohl ich es am Anfang nicht auf<br />

mich bezog. Ehe ich mich noch richtig umgedreht hatte, tat es der Sessel für mich. Vor mir stand<br />

ein vielleicht zwanzigjähriges Mädchen in dicht anliegendem Hellblau. Schultern und Busen<br />

waren in dunkelblauen Daunen verloren, die nach unten zu immer durchsichtiger wurden. Ihr<br />

schöner, schlanker Bauch war wie eine Skulptur in atmendem Metall. In den Ohren hatte sie<br />

etwas Leuchtendes, das so groß war, dass man die Ohrmuscheln nicht sehen konnte. Ihre kleinen,<br />

unsicher lächelnden Lippen waren geschminkt, die Nasenlöcher innen auch rot - ich hatte<br />

bemerkt, dass die Mehrheit der Frauen sich so zurechtmachte.<br />

Sie fasste mit beiden Händen die Lehne des mir gegenüberstehenden Sessels und fragte: »Was<br />

gibt's bei dir, Kol?« Sie setzte sich. Ich hatte den Eindruck, dass sie etwas betrunken war.<br />

»Langweilig hier«, meinte sie wieder nach einer Weile. »Nicht? Nehmen wir uns mal, Kol?«<br />

»Ich bin nicht Kol...«, antwortete ich.<br />

Sie stützte die Ellbogen auf das Tischchen und bewegte die Hand mit einem halbgefüllten Glas.<br />

Das Ende eines Goldkettchens, das sie um die Finger trug, tauchte dabei in die Flüssigkeit. Sie<br />

bog sich immer mehr vor. Ich spürte ihren Atem. Wenn sie betrunken war, so nicht vom Alkohol.<br />

»Wieso?« sagte sie. »Du bist es. Musst es ein. Jeder ist ein Kol. Willst du wohl? Nehmen wir<br />

uns?«<br />

Wenn ich bloß wüsste, was das bedeuten sollte.<br />

»Gut«, sagte ich.<br />

Sie stand auf. Auch ich stand von dem schrecklich niedrigen Sessel auf.<br />

»Wie machst du das?« fragte sie.<br />

»Was?«<br />

Sie sah auf meine Füße.<br />

»Ich dachte, du würdest auf den Zehenspitzen stehen...«<br />

Ich lächelte schweigend. Sie kam auf mich zu, nahm meinen Arm und staunte wieder.<br />

»Was hast du denn da?«<br />

»Wo, hier? Nichts.«<br />

»Du singst ja«, sagte sie und zog mich leicht mit sich. Wir gingen zwischen den Tischchen durch,<br />

und ich überlegte dabei, was wohl dieses »du singst« bedeuten konnte - vielleicht meinte sie »du<br />

mogelst« ?<br />

Sie brachte mich an eine dunkelgoldene Wand, wo ein violinschlüsselähnliches Zeichen leuchtete.<br />

Als wir dicht davor waren, öffnete sich die Wand. Ich spürte einen Hauch heißer Luft. Der<br />

schmale, silberne Eskalator schwamm hinunter. Wir hielten. Sie reichte mir nicht bis an die<br />

Schulter. Sie hatte einen Katzenschädel, schwarzes, blau leuchtendes Haar, ein vielleicht allzu<br />

scharfes Profil, doch sie war hübsch. Nur diese scharlachroten Nasenflügel... Sie hielt mich fest<br />

mit schlanker Hand, ihre grünen Fingernägel gruben sich in den dicken Stoff meiner Wolljacke<br />

ein. Unwillkürlich lächelte ich nur mit den Winkeln meiner Lippen, als ich daran dachte, wo diese<br />

Jacke bisher schon überall gewesen war und wie wenig sie mit Frauenfingern zu tun hatte. Unter<br />

einem Gewölbe, das Lichter atmete - von Rosa bis Karminrot und von Karminrot bis Rosa -,<br />

gelangten wir auf die Straße. Das heißt, ich dachte, es wäre die Straße, doch jeden Augenblick<br />

erhellte sich die Dunkelheit über uns wie bei plötzlichem Morgengrauen. In der Ferne flossen<br />

lange, niedrige Silhouetten vorbei, wie Autos. Indessen wusste ich bereits, dass es keine Autos<br />

mehr gab. Es musste etwas anderes sein. Wäre ich allein, hätte ich durch diese Straße zu einer<br />

weiteren Abzweigung gehen können: weiter leuchteten nämlich die Buchstaben: ZUM<br />

ZENTRUM. Wahrscheinlich aber bedeutete das gar kein Stadtzentrum. Im übrigen ließ ich mich<br />

führen. Wie dieses Abenteuer auch enden sollte, ich hatte endlich eine Führerin gefunden und<br />

dachte - diesmal schon an den unglückseligen Kerl, der jetzt, drei Stunden nach meiner Ankunft,<br />

mich wohl mit sämtlichen Infors dieser Bahnhofsstadt suchte. Wir gingen an einigen schon fast

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