Stanislaw Lem - Transfer
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VII<br />
Eines Nachts, schon sehr spät, ruhten wir, von der Liebe ermüdet, und Eris seitlich gekehrtes<br />
Gesicht lag in der Biegung meines Ellbogens. Wenn ich hochblickte, konnte ich direkt gegenüber,<br />
durch das offene Fenster, die Sterne zwischen den Wolken sehen. Es gab keinen Wind, der<br />
Vorhang über der Fensterbank erstarrte zu einem weißen Phantom, aber vom offenen Ozean kam<br />
eine tote Welle, und ich hörte ein anhaltendes Dröhnen, das sie ankündigte, dann ein<br />
ungleichmäßiges Rauschen, mit dem sie am Strand zerbrach, dann herrschte wieder einige<br />
Herzschläge lang Stille, und wieder stürmten die unsichtbaren Gewässer das flache Ufer. Aber ich<br />
hörte diese sich regelmäßig wiederholende Erinnerung an die irdische Existenz kaum, schaute mit<br />
weitgeöffneten Augen das Kreuz des Südens an, dessen Beta unsere Führerin gewesen war; ich<br />
hatte jeden Tag mit ihren Messungen begonnen, so dass ich sie am Ende ganz automatisch und<br />
mit anderen Gedanken beschäftigt vornahm; sie führte uns unbeirrbar, jene nie ausgehende<br />
Laterne der Leere. Ich spürte fast in meinen Händen den Druck der Metallgriffe, die ich verschob,<br />
um den Leuchtpunkt, die Spitze der Finsternis, ins Zentrum des Blickfeldes einzuführen, wobei<br />
die weichen Gummiringe der Brille meine Brauen und Wangen umfassten. Dieser Stern, einer der<br />
entferntesten, hatte sich am Ziel fast gar nicht verändert, während das ganze Kreuz des Südens<br />
schon längst zerfiel und für uns zu existieren aufhörte, da wir ins Innere seiner Arme gelangten;<br />
und dann hörte jener weiße Punkt, jener Sternriese auf, das zu sein, was er am Anfang schien: eine<br />
Herausforderung; seine Unveränderlichkeit verriet uns ihre wirkliche Bedeutung, war das Zeugnis<br />
der Nichtigkeit unseres Tuns, der Gleichgültigkeit der Leere, des Weltalls, mit der sich niemals<br />
jemand abfinden wird.<br />
Jetzt aber, zwischen dem Rauschen des Pazifiks, versuchte ich den Atem von Eri zu hören, und<br />
glaubte kaum noch an diese Dinge. Ich konnte schweigend wiederholen: »Ich bin wirklich, ja,<br />
wirklich dort gewesen« - aber diese Bestätigung schwächte mein uferloses Staunen durchaus nicht<br />
ab. Eri zuckte zusammen. Ich wollte weiterrücken, ihr mehr Platz verschaffen, aber plötzlich<br />
spürte ich ihren Blick.<br />
»Schläfst du nicht?« flüsterte ich. Ich beugte mich über sie, wollte mit meinem Mund den ihrigen<br />
berühren, aber sie legte die Fingerspitzen auf meine Lippen. So hielt sie sie eine Weile, glitt dann<br />
damit über mein Schlüsselbein bis zur Brust, fuhr um eine harte Vertiefung zwischen den Rippen<br />
herum und drückte ihre Handfläche daran.<br />
»Was ist das?« flüsterte sie.<br />
»Eine Narbe.«<br />
»Was war denn das?«<br />
»Ich hatte einen Unfall.«<br />
Sie verstummte. Ich spürte, dass sie mich ansah. Sie hob den Kopf. Ihre Augen waren nur<br />
Dunkelheit, ohne Licht, ich sah kaum den Umriss ihres Armes, atmend und weiß.<br />
»Warum sagst du nichts?« flüsterte sie.<br />
»Eri...«<br />
»Warum willst du nicht sprechen?«<br />
»Von den Sternen?« verstand ich plötzlich. Sie schwieg. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.<br />
»Meinst du, ich würde es nicht verstehen?«<br />
Ich sah sie so nahe an, durch die Dunkelheit, durch das Rauschen des Ozeans, das das Zimmer<br />
füllte und wieder verließ, und wusste nicht, wie ich es ihr erklären sollte. »Eri...«<br />
Ich wollte sie in die Arme nehmen. Sie löste sich aber und setzte sich im Bett auf.<br />
»Du brauchst nicht zu sprechen, wenn du nicht willst. Aber sag, warum.«<br />
»Weißt du es nicht? Wirklich?«<br />
»Jetzt weiß ich es bereits. Du wolltest mich.., schonen?«<br />
»Nein. Ich habe ganz einfach Angst.«<br />
»Wovor?«