Stanislaw Lem - Transfer
Stanislaw Lem - Transfer
Stanislaw Lem - Transfer
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
und dann flogen die anderen weg. Und so musste man, derart hängend, Hände und Füße<br />
bewegend, ihre Rückkehr, die Rettung, abwarten; der Raumanzug war sicher, bequem, hatte<br />
Sauerstoff- und Klimatisierungsapparaturen, wärmte, fütterte den Menschen sogar mit einer<br />
nahrhaften Paste, die alle zwei Stunden aus einem speziellen Mundstück herausgedrückt wurde.<br />
Also konnte da rein nichts passieren; es sein denn, der kleine Radioapparat, der von außen an den<br />
Anzug geheftet war und mit einem automatischen Signal kundgab, wo sich sein Inhaber gerade<br />
befand, würde versagen.<br />
In diesem Raumanzug fehlte nur ein einziges Ding, das dazugehörte: das Verbindungsradio,<br />
absichtlich natürlich, und daher konnte man darin keine andere außer der eigenen Stimme hören.<br />
So musste man in diesem immateriellen Schwarz und den Sternen um sich herum, in der<br />
Schwerelosigkeit hängen und warten. Etwas lange, stimmt schon, aber nicht allzu sehr. Und<br />
weiter nichts. Ja, aber die Menschen wurden wahnsinnig davon; auf die Rakete der Basis zog man<br />
sie, die sich in epileptischen Zuckungen wanden. Das war nämlich allem, was in dem Menschen<br />
steckt, am meisten zuwider - diese vollkommene Vernichtung, die Verlorenheit, der Tod bei<br />
vollerhaltenem Bewusstsein, es war die Erfahrung der Ewigkeit, sie ging in den Menschen ein und<br />
ließ ihn ihren greulichen Geschmack kosten. Das stets für unmöglich, unsichtbar gehaltene<br />
Wissen über die in alle Richtungen verlaufende Bodenlosigkeit der außerirdischen Existenz wurde<br />
uns zuteil; ein endloses Fallen, Sterne zwischen den - ach, so hilflos zappelnden Beinen, die<br />
Nutzlosigkeit, fehlende Notwendigkeit der Hände, des Mundes, der Gesten, aller Bewegung und<br />
Unbeweglichkeit. In den Raumanzügen schwoll der Schrei an, die Unglücklichen heulten - genug.<br />
Genug dieser Erinnerungen an das, was ja doch nur eine Probe, eine Einleitung war, absichtlich<br />
und vorsorglich vorbereitet und das noch mit Sicherheitsvorkehrungen: keinem der »Gekrönten«<br />
ist, im körperlichen Sinne, etwas passiert - nichts; samt und sonders wurden sie alle von der Basis-<br />
Rakete wiedergefunden. Zwar sagte man uns auch das nicht, damit die Authentizität der Situation<br />
nach Möglichkeit die größte bliebe.<br />
Die Krönung verlief bei mir gut, weil ich ein eigenes System hatte. Es war ganz einfach und<br />
vollkommen unehrlich; man durfte es eben nicht tun. Als man mich aus der Luke warf, schloss ich<br />
die Augen. Dann dachte ich an die verschiedensten Dinge. Das einzige, was man dabei in rauen<br />
Mengen braucht, ist der Wille. Man musste sich fest vornehmen, diese unglückseligen Augen<br />
eben nie zu öffnen, komme, was da wolle. Janssen, glaube ich, wusste von meinem Kniff. Aber er<br />
hatte für mich keine Konsequenzen gehabt. Vielleicht hielt der Doktor es sogar für gut?<br />
Das alles geschah auf Erden oder in ihrer Nähe. Dann aber kam keine erdachte und im Labor<br />
geschaffene Leere. Die nun wirklich, nicht nur scheinbar, tötete. Manche schonte auch sie: Olaf,<br />
Gimma, Thurber, mich, die anderen sieben vom »Ulysses« - und ließ uns sogar zurückkehren.<br />
Und dann haben wir, die nichts anderes so stark wie Ruhe ersehnten, als wir unseren Traum so<br />
vollkommen verwirklicht sahen, ihn sofort verschmäht. Mir scheint, Plato hat einst gesagt:<br />
»Unglückseliger - du wirst bekommen, was du haben wolltest.«