Stanislaw Lem - Transfer
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ertragen konnten, diese blinde Chance eines Meteoriten-Treffers, diese ewige Spannung des<br />
Erwartens, die Qualen, die wir erlebten, wenn da irgendein Arder oder Ennesson von einem<br />
Erkundungsflug nicht wiederkam - ausgerechnet wir fingen plötzlich an, uns auf jene<br />
Schreckenszeit als auf etwas einzig Richtiges, Angemessenes zu berufen, das uns Würde und Sinn<br />
gegeben hat. Obwohl ich jetzt noch zusammenzuckte, wenn mir die Erinnerung kam, wie wir<br />
sitzend oder liegend, in den eigenartigsten Stellungen über der runden Radiokabine hängend,<br />
gewartet und gewartet hatten in einer Stille, die nur durch das gleichmäßige Brummen eines<br />
Signals unterbrochen wurde, das von der automatischen Raumschiffanlage kam, und die<br />
Schweißtropfen in dem toten blauen Licht von der Stirn des Funkers fließen sahen, der in der<br />
gleichen Erwartung erstarrte - während die betätigte Alarmglocke lautlos weiterging, bis der<br />
Augenblick kam, in dem ihr Zeiger den roten Punkt auf dem Blatt berührte und Erleichterung<br />
brachte. Erleichterung, denn nun konnte man auf die Suche gehen und selbst umkommen, und das<br />
schien wirklich leichter als diese Wartezeit. Wir Piloten, keine Wissenschaftler, waren alte<br />
Jungen, unsere Zeit blieb schon drei Jahre vor dem eigentlichen Start stehen. Innerhalb dieser drei<br />
Jahre erlebten wir verschiedene Arten einer ansteigenden psychischen Belastung.<br />
Es gab davon drei Hauptstadien, drei Stationen, die kurz Mangel, Geisterschloss und Krönung<br />
genannt wurden. Das Geisterschloss war ein Einschließen in einem kleinen Behälter, der so<br />
vollkommen, wie man es sich nur vorstellen kann, von der Welt abgeschnitten war. In sein<br />
Inneres gelangte kein Ton, kein Lichtstrahl, kein Lufthauch, nicht die allergeringste Bewegung<br />
von außen. Dieser Behälter - einer kleinen Rakete gleich - war mit Phantom-Apparatur, mit<br />
Wasser-, EB- und Sauerstoffvorräten ausgestattet. Und dort musste man untätig leben, hatte<br />
absolut nichts zu tun- einen Monat lang, der wie eine Ewigkeit schien. Keiner kam dort so heraus,<br />
wie er hineingegangen war. Ich, einer der Härtesten von Doktor Janssen, fing erst in der dritten<br />
Woche an, diese wunderlichen Dinge zu sehen, die die anderen bereits am vierten oder fünften<br />
Tag bemerkten: gesichtslose Ungeheuer, gestaltlose Menschenmengen, die aus den tot<br />
leuchtenden Zifferblättern der Armaturen hervorkamen, um mit mir irrsinnige Gespräche zu<br />
führen, über meinem schweißnassen Körper - der seine Grenzen verlor - zu baumeln. Der Körper<br />
veränderte sich, wurde riesengroß, endlich - und das war das ekelhafteste - fing er an, sich<br />
irgendwie zu verselbständigen: zuerst zuckten die einzelnen Muskelfasern, dann - über<br />
Krabbelgefühle und Erstarrungen - kam es zu Krämpfen, endlich zu Bewegungen, die ich starr vor<br />
Staunen beobachtete, ohne etwas zu begreifen- und ohne einleitendes Training, ohne theoretische<br />
Hinweise wäre ich schon bereit gewesen zu glauben, dass meine Hände, mein Kopf, mein Nacken<br />
von Dämonen besessen waren.<br />
Der gepolsterte Innenraum dieses Behälters hatte - so wurde gemunkelt- schon unbeschreibliche,<br />
unnennbare Szenen gesehen. Janssen und der Stab seiner Leute waren dank entsprechender<br />
Apparate die Zeugen dessen, was sich da drinnen abspielte, jedoch keiner von uns wusste -<br />
damals! - etwas davon. Das Isolationsgefühl musste wirklich und vollständig sein. Deshalb war<br />
für uns das Verschwinden einiger Assistenten des Doktors unverständlich. Erst während der Fahrt<br />
sagte mir Gimma, dass sie ganz einfach zusammengebrochen waren. Einer von ihnen, ein<br />
gewisser Gobek, hatte wohl versucht, den Behälter mit Gewalt zu öffnen, da er die Qualen des<br />
darin eingeschlossenen Menschen nicht mitansehen konnte.<br />
Dies aber war erst das Geisterschloss. Hinterher kam noch die Mangel, mit ihren Fallen und<br />
Zentrifugen, mit der teuflischen Beschleunigungsmaschine, die imstande war, 400 g zu geben -<br />
eine Beschleunigung, die selbstverständlich nie verwirklicht wurde, da sie den Menschen in eine<br />
Pfütze verwandelt hätte, aber schon einhundert g reichten voll aus, damit der ganze Rücken des so<br />
Untersuchten in einem Sekundenbruchteil klebrig von dem durch die Haut geschwitzten Blut<br />
wurde.<br />
Die letzte Probe, die Krönung, hielt ich ganz gut aus. Es war das letzte Sieb, die letzte<br />
Auswahlstation. A1 Martin, ein Kerl, der damals auf Erden so wie ich heute aussah, ein wahrer<br />
Riese, ein einziges Knäuel eisenstarker Muskeln, die Ruhe selbst, wie es schien, kam von der<br />
Krönung zur Erde zurück in einem Zustand, dass man ihn sofort in die Klapsmühle brachte.<br />
Diese Krönung war eine ganz einfache Sache. Der Mensch wurde in einen Raumanzug gesteckt,<br />
auf die Erdnebenkreisbahn gebracht und in der Höhe von etwa hunderttausend Kilometern, wo die<br />
Erde wie ein fünffach vergrößerter Mond leuchtete, einfach aus der Rakete in die Leere geworfen,