Stanislaw Lem - Transfer
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Erfüllung nur für wenige Menschen bot, zu dem ein Weg voller Gefahren, Verzicht,<br />
Kompromisse, moralischer Niederlagen, die die materiellen Erfolge kompensierten, geführt hatte,<br />
ist nunmehr allgemein, leicht und sicher zu erreichen. Halb so schlimm war es noch, solange man<br />
allgemeine Weisheiten verbreitete, um zahlreiche Merkmale der Vergangenheit zu verurteilen,<br />
wie zum Beispiel die Kriege - das konnte ich noch hinnehmen; auch das - völlige! - Fehlen von<br />
Politik, Reibereien, Spannungen, internationalen Konflikten - obwohl es anfangs erstaunlich<br />
schien und die Vermutung nahelegte, dass sie doch existierten, jedoch verschwiegen würden,<br />
musste ich als einen Erfolg, nicht als Verlust ansehen. Schlimmer wurde es aber, als diese<br />
Umkehrung aller Werte ganz nahe meine intimsten Angelegenheiten berührte. Denn nicht allein<br />
Starck hatte mit seinem Buch, das - wie ich hier hinzufügen will - ein halbes Jahrhundert vor<br />
meiner Rückkehr geschrieben wurde, auf die Raumexpedition verzichtet. Hier konnte Eri, die ihre<br />
archäologischen Studien absolvierte, mir so manches beibringen. Die ersten betrisierten<br />
Generationen hatten ihre Einstellung zur Astronautik radikal geändert, jedoch blieb sie - nach der<br />
Änderung der Plus- in Minus-Zeichen- auch weiterhin intensiv. Man war also der Meinung, dass<br />
ein tragischer Fehler begangen worden sei, dessen Höhepunkt gerade in die Jahre unserer<br />
Expedition fiel – damals wurden ja viele derartige Expeditionen unternommen. Der Fehler<br />
beruhte aber nicht allein darauf, dass die Ergebnisse solcher Expeditionen ziemlich dürftig<br />
ausfielen, dass die Erforschung der Sonnengegend- mit Ausnahme der Entdeckung auf nur<br />
wenigen Planeten primitiver und im allgemeinen uns auch fremder Vegetationsformen - im<br />
Radius mehrerer Lichtjahre zu keinem Kontakt mit irgendeiner hochentwickelten Zivilisation<br />
führte. Nicht einmal das wurde für das Schlimmste gehalten, dass die furchtbare Dauer dieser<br />
Reisen - indem ihre Ziele stets weitergesteckt wurden - die Mannschaften der Raumschiffe, dieser<br />
Vertreter der Erde, in einen Haufen unglücklicher, tödlich gequälter Wesen verwandeln musste,<br />
die nach ihrer Landung- hier oder dort- eine sorgfältige Betreuung und Rekonvaleszenz erfordern<br />
würden; dass die Entscheidung, derartige Hitzköpfe hinauszuschicken, gedankenlos und grausam<br />
war. Für das Wesentlichste hielt man die Tatsache, dass die Erde den Kosmos erobern wollte,<br />
obwohl sie für sich selbst noch nicht alles getan hatte. Als ob es nicht selbstverständlich wäre,<br />
dass heroische Flüge die unendlichen Leiden, Ungerechtigkeiten, Ängste und Hungersnöte der<br />
Menschen nicht besänftigen konnten.<br />
So aber dachte nur die erste betrisierte Generation. Später, im natürlichen Lauf der Dinge, kam<br />
das Vergessen. Die Gleichgültigkeit. Und die Kinder, als sie von der romantischen Zeit der<br />
Raumflüge erfuhren, waren darüber erstaunt, hatten vielleicht gar ein wenig Angst ihren<br />
unfassbaren Ahnen gegenüber, die ihnen ebenso fremd, ebenso unverständlich wie ihre Ur-<br />
Urahnen erschienen, die da in Raubkriege und Goldsucherexpeditionen verwickelt waren. Eben<br />
diese Gleichgültigkeit erschreckte mich am meisten, sie war schlimmer als eine rücksichtslose<br />
Verurteilung - das Werk unseres Lebens wurde mit Schweigen bedeckt, begraben und vergessen.<br />
Eri versuchte nicht, bei mir Enthusiasmus für die neue Welt zu wecken, sie wollte mich auch nicht<br />
ganz schnell zu ihr bekehren - sie erzählte nur ganz einfach davon. Und ich - eben weil sie von<br />
sich selbst sprach und so dieser Welt ein Zeugnis ausstellte - konnte vor ihrem Glanz nicht die<br />
Augen verschließen. Es war eine Zivilisation, die der Angst entbehrte. Alles, was es gab, diente<br />
den Menschen. Nichts war wichtig, außer ihrer Bequemlichkeit, der Erfüllung ihrer<br />
selbstverständlichen wie auch äußerst übertriebenen Wünsche. Überall, auf sämtlichen Gebieten,<br />
wo die Anwesenheit des Menschen, die Schwäche seiner Leidenschaften, die Langsamkeit seiner<br />
Reaktionen auch nur das geringste Risiko befürchten ließ - wurde er ausgeschaltet zugunsten toter<br />
Vorrichtungen - Automaten.<br />
Diese Welt war der Gefahr unzugänglich. Dem Grauen, dem Kampf und jeglicher Gewalt- dafür<br />
gab es dort keinen Platz; es war eine Welt der Milde, der weichen Formen und Sitten, der<br />
unscharfen Übergänge und undramatischen Situationen, genauso staunenswert wohl, wie meine<br />
oder unsere - hierbei denke ich an Olaf - Reaktion darauf.<br />
Denn gerade wir hatten zehn Jahre hindurch so viele Schrecken geschluckt, so vieles, was dem<br />
Menschen zuwider ist, was ihn verletzt und zerbricht, und er kam so satt zurück, so schrecklich<br />
satt davon; jeder von uns, wenn er gehört hätte, dass sich die Rückkehr verspäten könnte, dass<br />
man neuen Monaten der Leere die Stirn würde bieten müssen, wäre wohl dem, der das<br />
verkündete, an die Gurgel gesprungen. Und eben wir, die dieses ständige Risiko nicht mehr