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Stanislaw Lem - Transfer

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Ihre Augen weiteten sich vor Staunen, sie sah mich aufmerksam an, witterte wohl einen Betrug,<br />

eine Komödie. Sie nickte. Ich sprang auf. »Wir fahren.«<br />

»Wohin?«<br />

»Nach Klavestra. Pack deine Sachen. Wir werden - ich sah auf meine Uhr - in drei Stunden dort<br />

sein.«<br />

Unbeweglich stand sie da. »Wirklich?« fragte sie.<br />

»Wirklich, Eri! Ich hab's nicht verstanden. Ja, ich weiß. Es klingt unwahrscheinlich. Es gibt aber<br />

Grenzen. Ja, Grenzen. Eri, ich begreife es noch nicht ganz - wie ich das eigentlich konnte – habe<br />

mich wohl selbst belogen. Na, ich weiß nicht, egal auch, jetzt spielt es keine Rolle mehr.«<br />

Sie packte - so schnell... Alles in mir war zerschlagen und zerrüttet. Äußerlich jedoch war ich<br />

ganz - ja, fast ganz ruhig. Als sie neben mir im Auto saß, sagte sie: »Hal- ich bitte dich um<br />

Entschuldigung.«<br />

»Weshalb? - Ah!« verstand ich. »Du dachtest, ich hätte es gewusst?«<br />

»Ja.«<br />

»Schön. Reden wir nicht mehr darüber.«<br />

Und wieder fuhr ich los; vorbei flogen lila, weiße, blaue Häuschen, die Straße wand sich, ich<br />

erhöhte die Geschwindigkeit noch, der Verkehr war recht stark, hörte dann auf, die Häuschen<br />

verloren ihre Farben, der Himmel wurde dunkelblau, die Sterne kamen auf, und wir flogen im<br />

langgezogenen Pfeifen des Windes.<br />

Die ganze Gegend wurde grau, die Höhen schienen nicht mehr bauchig, wurden zu Konturen, zu<br />

einer Reihe grauer Höcker, die Straße schien im Halbdunkel wie ein breiter, phosphoreszierender<br />

Gurt. Ich erkannte die ersten Häuser von Klavestra, die typische Straßenwendung, die Hecken.<br />

Dicht am Eingang hielt ich den Wagen an, brachte ihre Sachen in den Garten, unter die Veranda.<br />

»Ich möchte nicht ins Haus... verstehst du.«<br />

»Ja.«<br />

Ich wollte mich nicht von ihr verabschieden, drehte mich einfach um. Sie berührte meine Hand,<br />

ich zuckte zusammen, als ob ich mich verbrannt hätte. »Hal, danke dir...«<br />

»Sag nichts. Um Gottes willen, sprich bloß nicht.«<br />

Ich lief weg. Sprang in den Wagen, fuhr los, das Dröhnen des Motors schien mich für eine Weile<br />

zu erlösen. Auf zwei Rädern kam ich auf die pfeilgerade Straße. Es war zum Lachen. Natürlich<br />

hatte sie Angst, ich würde ihn töten. Sie sah doch, dass ich Olaf zu töten versuchte, der ja völlig<br />

unschuldig war, und nur deshalb, weil er mir nicht erlaubte.., ach, überhaupt!... überhaupt nichts<br />

mehr.<br />

Ich schrie allein im Wagen, konnte mir alles leisten, der Motor verdeckte mein irrsinniges Toben -<br />

und wieder weiß ich nicht, in welchem Augenblick ich erkannte, was ich zu tun hatte. Noch<br />

einmal - wie vorher - kam die Ruhe. Nicht dieselbe zwar. Denn die Tatsache, dass ich die<br />

Situation so gemein ausgenutzt und sie auf diese Weise gezwungen hatte, mit mir zu gehen, und<br />

dass alles allein nur deshalb geschah - das war schlimmer als alles, was ich mir vorstellen konnte,<br />

weil es mir sogar die Erinnerungen, den Gedanken an unsere Nacht, raubte - einfach alles. Ich<br />

selbst hatte es mit meinen eigenen Händen durch einen uferlosen Egoismus, eine Verblendung<br />

vernichtet, die mich das, was ganz oben lag und am selbstverständlichsten war, nicht sehen ließ -<br />

sie log ja nicht, als sie sagte, sie hätte keine Angst vor mir. Nicht ihretwegen hatte sie Angst, klar.<br />

Nur seinetwegen. Hinter den Fenstern flogen kleine Lichter vorbei, zerliefen, rannten weich nach<br />

rückwärts, die Gegend war unbeschreiblich schön. Und ich, zerrissen, zermalmt, raste mit<br />

quietschenden Reifen von einer Kurve in die andere, zum Stillen Ozean, zu den Felsen dort; in<br />

einem Moment, als der Wagen stärker als erwartet ins Schleudern geriet und mit den rechten<br />

Rädern über den Straßenrand kam, fühlte ich Angst, es dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde,<br />

dann lachte ich wie ein Irrer - dass ich Angst hatte, gerade hier umzukommen, weil ich mir<br />

vorgenommen hatte, es woanders zu tun. Und dieses Lachen ging dann plötzlich in ein<br />

Schluchzen über. >Ich sollte es schnell machendenn nun bin ich nicht mehr<br />

derselbe. Das, was mit mir geschieht, ist mehr als schrecklich, es ist ekelhaft.< Und noch etwas<br />

sagte ich mir: - dass ich mich schämen sollte. Aber diese Worte hatten jetzt weder Sinn noch<br />

Gewicht.

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