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Stanislaw Lem - Transfer

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sondern mit ihrem eigenen Körper, den ich nun kennenlernte. Von den dünnen Fingernägeln,<br />

winzigen Fingern, Handflächen, Füßen an, deren einzelne Bestandteilchen und jede Biegung ich<br />

öffnete und mit meinen Küssen zum Leben rief, mit meinem Atem in sie eindringend - gegen sie<br />

selbst, mit einer unendlichen Geduld und Langsamkeit, so dass die Obergänge fast unmerklich<br />

waren.<br />

Und als ich einen ansteigenden Protest, wie den Tod, spürte, zog ich mich zurück, fing an, ihr<br />

verrückte, sinnlose, kindische Worte zuzuflüstern, schwieg dann wieder und liebkoste sie nur,<br />

umkreiste sie, stundenlang, mit meinem Tastsinn, spürte, wie sie sich öffnete, wie ihre Steifheit in<br />

das Zittern des letzten Widerstandes überging... dann erzitterte sie schon anders, bereits besiegt,<br />

ich aber wartete noch immer, ohne zu sprechen, denn dies war jenseits aller Worte. Aus dem<br />

Dunkel holte ich ihre auf dem Lager ruhenden, schlanken Schultern und ihre Brust, die linke, weil<br />

dort das Herz schlug, schneller, immer schneller... Sie atmete immer heftiger, immer<br />

verzweifelter, und dann ist es geschehen; es war nicht einmal Lust, sondern die Gnade des<br />

Absterbens und Zusammenfließens, ein Sturm an der Grenze unserer Körper, damit sie in dieser<br />

Heftigkeit zu einem zusammenschmolzen. Unsere kämpfenden Atemzüge, unsere Glut gingen in<br />

eine Ohnmacht über, sie schrie einmal schwach, mit einer hohen Kinderstimme auf und umarmte<br />

mich dann.<br />

Später glitten ihre Hände von mir ab, verstohlen wie mit einer großen Scham und Traurigkeit, so<br />

als ob sie plötzlich verstanden hätte, wie schrecklich ich sie hintergangen und betrogen hatte. Und<br />

ich fing noch einmal alles an: das Küssen ihrer Fingerkrümmungen, die stummen<br />

Beschwörungen, diesen zärtlichen und doch so grausamen Feldzug. Alles wiederholte sich wie in<br />

einem schwarzen, heißen Traum. Und mit einemmal spürte ich ihre Hand, die in meinem Haar<br />

steckte, die mein Gesicht an ihren nackten Arm drückte mit einer Kraft, die ich bei ihr nie<br />

vermutet hätte. Und dann, todmüde, schnell atmend, als wollte sie die steigende Hitze und die<br />

plötzliche Angst loswerden, schlief sie ein. Ich lag reglos, wie ein Toter, bis zum äußersten<br />

gespannt, und versuchte zu verstehen, ob das, was geschehen war, alles oder überhaupt nichts<br />

bedeutete. Kurz vor dem Einschlafen schien mir, dass wir gerettet seien. Und erst dann kam die<br />

Ruhe, die große Ruhe, so groß wie auf Kerenea, als ich auf den heißen Platten der geborstenen<br />

Lava mit dem bewusstlosen Arder lag, aber hinter dem Glas seines Raumanzuges sah ich seinen<br />

Mund atmen und wusste, dass alles nicht umsonst gewesen war. Ich hatte aber keine Kraft mehr,<br />

um für ihn auch nur den Hahn der Reserveflasche zu öffnen; ich lag da wie gelähmt mit dem<br />

Gefühl, dass mein größtes Lebenserlebnis doch schon hinter mir wäre, und wenn ich nun stürbe,<br />

würde sich nichts mehr ändern. Und diese meine Ratlosigkeit war wie ein unausgesprochenes<br />

Schweigen des Triumphes.<br />

Am Morgen aber fing alles wieder von vorne an. In den ersten Stunden schämte sie sich noch,<br />

oder war es vielleicht Verachtung, mir gegenüber? Ich weiß nicht; vielleicht verachtete sie sich<br />

selbst wegen der Dinge, die da geschehen waren. Gegen Mittag gelang es mir, sie zu einer kleinen<br />

Fahrt zu überreden. Wir fuhren die Straße hinunter an den Riesenstränden entlang. Der Stille<br />

Ozean lag in der Sonne, ein rauschender Riese, von weißen und goldenen Schaumsicheln<br />

zerfurcht und bis zum Horizont mit bunten Segelläppchen besät. Ich hielt den Wagen dort an, wo<br />

die Strände ein Ende nahmen und plötzlich ein kleiner Felsvorsprung zum Vorschein kam. Die<br />

Straße wendete dort scharf: einen Meter hinter ihr konnte man direkt in die heftig steigenden<br />

Wellen schauen. Dann fuhren wir zum Mittagessen zurück.<br />

Es war wieder wie gestern, in mir aber erstarb alles, als ich an die Nacht dachte. Weil ich das<br />

nicht wollte. So wollte ich es nicht. Als ich sie nicht ansah, spürte ich ihre Blicke. Ich versuchte<br />

zu erraten, was die auf ihrer Stirn wiederkehrenden Runzeln und ihre plötzlich verlorenen Blicke<br />

zu bedeuten hatten - und urplötzlich - ich weiß nicht wieso und warum, als ob mir jemand den<br />

Schädel mit einem Hieb geöffnet hätte - verstand ich alles. Ich hatte Lust, mich mit den eigenen<br />

Fäusten an den Kopf zu schlagen. Was für ein egoistischer Dummkopf war ich doch wieder, was<br />

für ein sich selbst betrügender Schweinehund! Ich saß, reglos, verstört, nur dieser Sturm wütete in<br />

mir, Schweiß trat mir auf die Stirn, ich fühlte mich plötzlich ganz schwach.<br />

»Was hast du?« fragte sie.<br />

»Eri«, sagte ich heiser, »ich... erst jetzt. Ich schwör es dir! Erst jetzt begreif ich, erst jetzt, dass du<br />

mit mir gegangen bist, weil du Angst hattest, dass ich.., ja?«

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