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Stanislaw Lem - Transfer

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vorne, bildete etwas wie eine phantasievoll geschwungene Hutkrempe und gab recht viel<br />

Schatten. Das Nachbarhäuschen sah man hinter einer großen, spärlich bewachsenen Düne. Bis zu<br />

ihm waren es sechshundert Schritte. Unten, auf dem halbmondförmigen Strand sah man winzige<br />

menschliche Silhouetten.<br />

Ich öffnete die Wagentür.<br />

»Eri...«<br />

Wortlos stieg sie aus. Könnte ich bloß ahnen, was da unter dieser leicht gekrausten Stirn vorging.<br />

Sie ging neben mir - schritt auf diese Tür zu.<br />

»Nein - nicht so«, sagte ich. »Selbst darfst du nicht über die Schwelle treten, weißt du?«<br />

»Warum?«<br />

Ich hob sie hoch.<br />

»Mach auf«, bat ich. Sie berührte die Türplatte mit den Fingern, und die Tür öffnete sich. Ich trug<br />

sie über die Schwelle und ließ sie dann auf den Boden gleiten.<br />

»Es ist so ein Brauch. Bringt... Glück.«<br />

Als erstes ging sie die Zimmer ansehen. Die Küche war hinten, automatisch, und ein Roboter,<br />

eigentlich kein richtiger, sondern nur so ein elektrisches Dummerchen zum Saubermachen. Es<br />

konnte auch servieren. Führte Befehle aus, sprach aber selbst nur ein paar Worte.<br />

»Eri«, sagte ich, »willst du an den Strand?«<br />

Sie verneinte mit dem Kopf. Wir standen inmitten des größten Zimmers: weiß und Gold.<br />

»Und was willst du? Vielleicht...«<br />

Ehe ich noch zu Ende sprach, wieder dieselbe Kopfbewegung. Ich sah schon, was sich da<br />

anbahnte. Aber ich hatte ja die Würfel geworfen, und das Spiel musste weitergehen.<br />

»Ich bringe die Sachen«, sagte ich. Wartete noch, ob sie etwas sagen würde, aber sie setzte sich in<br />

einen der grasgrünen Sessel, und ich verstand, dass sie nichts sagen wollte. Dieser erste Tag war<br />

schrecklich. Eri tat nichts Demonstratives, mied mich auch nicht absichtlich, versuchte sogar nach<br />

dem Mittagessen etwas zu lernen- da bat ich sie, im Zimmer bleiben zu dürfen, um ihr<br />

zuzuschauen. Ich versprach, kein Wort zu reden und nicht zu stören. Aber schon nach einer<br />

Viertelstunde - was war ich doch für ein heller Kopf! - begriff ich, dass meine Anwesenheit auf<br />

ihr wie ein schwerer Felsbrocken lastete. Die Linie ihres Rückens, ihre kleinen, vorsichtigen<br />

Gesten und ihre verborgene Anstrengung hatten es mir verraten. Also lief ich schweißbedeckt fort<br />

und fing an, in meinem Zimmer auf und ab zu gehen. Ich kannte sie noch nicht, obwohl ich schon<br />

wusste, dass sie kein dummes Mädchen war, sondern vielleicht eher das Gegenteil davon. Bei der<br />

nun entstandenen Situation war das sowohl gut wie schlecht. Gut: denn wenn sie es nicht<br />

verstand, so konnte sie sich zumindest denken, wer ich war, und sah in mir kein barbarisches<br />

Ungeheuer und auch keinen Wilden.<br />

Schlecht: denn wenn dem so war, blieb der Rat, den mir Olaf im letzten Augenblick gegeben<br />

hatte, wertlos. Er zitierte mir einen Aphorismus aus dem Buche Hon, den ich auch kannte: »Soll<br />

die Frau wie eine Flamme werden, muss der Mann wie Eis sein.«<br />

Also sah ich meine einzige Chance in der Nacht, nicht im Tage. Ich wollte dies nicht und quälte<br />

mich darum so schrecklich. Aber ich verstand, dass ich in dieser kurzen Zeit, die ich vor mir hatte,<br />

mit ihr durch Worte keinen Kontakt bekommen würde. Ganz gleich was ich sage, alles wird<br />

außerhalb bleiben - weil es nicht an ihre Gründe heranreicht, an ihren kurzen, durchaus<br />

gerechtfertigten Zornausbruch, als sie »...will nicht, ich will nicht!« zu rufen anfing. Und auch die<br />

Tatsache, dass sie sich damals wieder so schnell beherrschen konnte, hielt ich für ein schlechtes<br />

Zeichen.<br />

Am Abend bekam sie Angst. Ich versuchte, leiser als das Wasser und kleiner als die Grashalme zu<br />

sein, wie Woow - dieser kleine Pilot, der allergrößte Schweiger, den ich je kannte: er vermochte -<br />

ohne ein Wort zu sprechen - alles, was er nur wollte, klarzumachen und auch zu tun.<br />

Nach dem Abendessen- sie aß nichts, was in mir ein Entsetzen hervorrief- spürte ich eine Wut<br />

aufsteigen, so dass ich sie manchmal wegen meiner eigenen Qual fast hasste. Und die uferlose<br />

Ungerechtigkeit dieses Gefühls vertiefte es nur noch.<br />

Unsere erste, wirkliche Nacht: als sie in meinen Armen, noch ganz erhitzt, einschlief und ihr<br />

keuchender Atem mit einzelnen, immer schwächeren Seufzern ins Vergessen überging, war ich<br />

eigentlich sicher, ein Sieger zu sein. Die ganze Zeit über hatte sie gekämpft, nicht mit mir,

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