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Stanislaw Lem - Transfer

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Doch schon wurde das alles verworren, ich sank, ich schwamm durch die Finsternis. Im letzten<br />

Augenblick vor dem Einschlafen schien mir, ich wäre dort, auf meinem Platz, in der Koje, tief,<br />

ganz dem eisernen Boden nah, und neben mir lag der kleine Arne - da wurde ich für einen<br />

Augenblick wieder wach. Nein, Arne lebte nicht mehr, und ich war auf der Erde. Das Mädchen<br />

atmete leise.<br />

»Sei gesegnet, Eri«, hauchte ich, sog den Geruch ihrer Haare ein und schlief auch schon.<br />

Ich öffnete die Augen, ohne zu wissen, wo und gar neben wem ich war. Dunkles Haar, das auf<br />

meiner Schulter lag - ich spürte es nicht, als ob es etwas Fremdes wäre -, machte mich stutzig. Es<br />

war nur ein Sekundenbruchteil. Im nächsten wusste ich alles. Die Sonne war noch nicht<br />

aufgegangen, milchweißer Morgen, ohne einen Tropfen von Morgenröte, klar und durchdringend<br />

kalt, stand in den Fenstern. Ich sah in diesem allerfrühesten Licht Eris Gesicht so, als sähe ich es<br />

zum ersten Mal. Sie schlief fest, atmete mit festgeschlossenen Lippen, es war ihr wohl nicht sehr<br />

bequem auf meiner Schulter: denn sie schob eine Hand unter den Kopf und bewegte ab und zu<br />

ganz leicht die Augenbrauen, als wunderte sie sich immer wieder. Diese Bewegung war ganz<br />

gering, ich sah ihr aber aufmerksam zu, als ob auf diesem Gesicht mein eigenes Los geschrieben<br />

stünde.<br />

Ich dachte an Olaf. Fing an, äußerst vorsichtig, meinen Arm zu befreien. Diese Vorsicht erwies<br />

sich als gänzlich unnötig. Sie schlief einen festen Schlaf, träumte auch - ich hielt inne, versuchte<br />

nicht so sehr den Traum zu erraten, sondern nur, ob es kein böser war. Ihr Gesicht war fast<br />

kindlich. Nein, böse war der Traum sicher nicht. Ich rückte von ihr ab, stand auf. Ich war im<br />

Bademantel, so wie ich mich hingelegt hatte. Barfuss trat ich in den Gang, schloss leise die Tür,<br />

sehr langsam und mit der gleichen Vorsicht sah ich in Olafs Zimmer hinein. Das Bett war<br />

unberührt. Er saß am Tisch, den Kopf in die Hand gestützt, und schlief. Er hatte sich nicht<br />

ausgezogen, so wie ich es mir gedacht hatte. Was ihn aufwachen ließ, weiß ich nicht - mein Blick<br />

etwa? Plötzlich sah er mich durchdringend mit seinen hellen Augen an, streckte und reckte sich<br />

ausgiebig.<br />

»Olaf«, sagte ich, »sollte ich auch hundert Jahre lang...«<br />

»Halt's Maul«, schlug er mir äußerst freundlich vor. »Hal, du hattest ja immer schon schlimme<br />

Neigungen...«<br />

»Fängst du wieder an? Ich wollte dir nur sagen...«<br />

»Ich weiß, was du sagen wolltest. Weiß immer, was du sagen willst, eine Woche im voraus.<br />

Hätten wir auf dem >Prometheus< einen Bordkaplan gebraucht, würdest du dich dazu wie kein<br />

anderer eignen. Zum Kuckuck, dass mir das nicht früher in den Sinn kam! Da hätte ich dich aber<br />

schön ins Gebet genommen. Hal! Keine Predigt! Keine großen Worte, Verwünschungen, Schwüre<br />

und sonstiges. Wie geht's? Gut. Ja?«<br />

»Ich weiß nicht. Scheint so. Wenn es dir um... na, um... geht - na, ist zwischen uns nichts<br />

passiert.«<br />

»Zuerst solltest du wohl niederknien«, meinte er. »Und dann kniend weitersprechen. Alter<br />

Dummkopf, frage ich dich denn nach so was? Ich rede von Perspektiven und so weiter.«<br />

»Keine Ahnung. Weißt du, ich will dir was sagen: sie selbst weiß es auch nicht. Ich flog ihr an<br />

den Kopf, richtig wie ein Stein.«<br />

»Tja. Das ist unangenehm«, meinte Olaf. Er zog sich aus. Suchte seinen Slip. »Wieviel wiegst du?<br />

Hundertzehn?«<br />

»So ungefähr. Brauchst nicht zu suchen: deinen Slip habe ich an.«<br />

»Bei aller Heiligkeit hast du immer und alles geklaut«, brummte er, und als ich den Slip ausziehen<br />

wollte: »Idiot, lass das doch sein. Ich habe einen anderen im Koffer.«<br />

»Wie wird eine Scheidung durchgeführt? Weißt du es zufällig?« erkundigte ich mich.<br />

Olaf schaute mich an, über seinen offenen Koffer gebückt. Er grinste. »Nein, weiß ich nicht.<br />

Möchte wissen, woher ich es wissen sollte. Ich hörte aber, dass es wie ein Niesen ist. Und dabei<br />

braucht man nicht mal Gesundheit zu wünschen. Gibt es hier nirgends ein anständiges<br />

Badezimmer mit Wasser?«<br />

»Keine Ahnung. Wohl kaum. Nur so eins - na, du weißt schon.«<br />

»Ja. Ein erfrischender Sturmwind, der nach Mundwasser riecht. Schauderhaft. Gehen wir zum<br />

Schwimmbecken. Ohne Wasser fühle ich mich ungewaschen. Schläft sie?«

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