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Paul Gauguin: Die Aufzeichnungen von Noa Noa (Büchse der Pandora) ISBN 978-3-88178-102-2

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Ihr leichten Winde<br />

<strong>von</strong> Süd und Ost,<br />

<strong>Die</strong> ihr euch vereint,<br />

über meinem Haupt<br />

zu spielen und<br />

zärtlich zu kosen,<br />

Eilt alle schnell<br />

zur nächsten Insel.<br />

Dort findet ihr den,<br />

<strong>der</strong> mich verlassen hat,<br />

Sitzend im Schatten<br />

seines Lieblingsbaumes.<br />

Sagt ihm, daß ihr<br />

in Tränen mich gesehen.<br />

isbn <strong>978</strong>-3-<strong>88178</strong>-<strong>102</strong>-2


I<br />

»…Dites, qu’avez-vous vu?«<br />

Charles Baudelaire (Le Voyage)<br />

Am achten Juni, in <strong>der</strong> Nacht, nach sechzig Tagen bewegter<br />

Überfahrt – für mich dreiundsechzig Tagen fieberhafter<br />

Erwartung, ungeduldigen Träumens nach dem ersehnten<br />

Land – bemerkten wir auf dem Meer seltsame Feuer, die<br />

sich im Zickzack fortbewegten. Von einem dunklen Himmel<br />

hob sich ein zackiger schwarzer Kegel ab.<br />

Wir fuhren um Moorea und sahen Tahiti vor uns.<br />

Einige Stunden später graute <strong>der</strong> Tag. Wir näherten uns<br />

langsam den Klippen, auf die Venus-Spitze zu, liefen in<br />

das schmale Fahrwasser <strong>von</strong> Papeete ein und gingen in <strong>der</strong><br />

Reede ohne Unfall vor Anker.<br />

Der erste Anblick <strong>der</strong> kleinen Insel bietet nichts Zauberhaftes,<br />

nichts, was sich zum Beispiel mit <strong>der</strong> wun<strong>der</strong>vollen<br />

Bucht <strong>von</strong> Rio de Janeiro messen könnte. Ganz Auge schaute<br />

ich, ohne vergleichen zu wollen.<br />

Es ist <strong>der</strong> Gipfel eines in den fernen Tagen <strong>der</strong> Sintflut<br />

versunkenen Berges. Nur die höchste Spitze ragte aus den<br />

Wassern. Eine Familie flüchtete sich dahin (kein Zweifel)<br />

und gründete ein Geschlecht. Auch die Korallen kletterten<br />

empor, umgaben die neue Insel und vergrößerten sie.<br />

Sie dehnt sich noch immer aus, bewahrt aber <strong>von</strong> ihrem<br />

Ursprung her den Charakter <strong>der</strong> Abgeschiedenheit und<br />

Kleinheit, den das Meer in seiner Unendlichkeit noch<br />

steigert…<br />

5


Um zehn Uhr vormittags stellte ich mich beim Gouverneur<br />

– dem Neger Lacascade – vor, <strong>der</strong> mich wie eine<br />

Persönlichkeit <strong>von</strong> Rang empfing. Ich verdankte diese Ehre<br />

<strong>der</strong> Mission, mit <strong>der</strong> mich – ich weiß nicht recht warum –<br />

die französische Regierung betraut hatte.<br />

Eine künstlerische Mission allerdings, aber in den Augen<br />

des Negers war dieses Wort nur <strong>der</strong> offizielle Ausdruck fiir<br />

Spionage, und ich machte umsonst alle Anstrengungen,<br />

ihm das auszureden. Seine ganze Umgebung teilte seinen<br />

Irrtum, und als ich sagte, meine Mission sei unbezahlt,<br />

wollte mir niemand glauben.<br />

Das Leben in Papeete wurde mir rasch zur Last. Das<br />

war ja Europa – jenes Europa, <strong>von</strong> dem ich loszukommen<br />

geglaubt hatte –, dazu unter den erschwerenden Aspekten<br />

des kolonialen Snobismus, einer kindlichen und bis zur<br />

Karikatur grotesken Nachahmung. Nicht um das anzutreffen,<br />

war ich so weit gereist.<br />

Doch ein öffentliches Ereignis interessierte mich.<br />

In jener Zeit war König Pomare tödlich erkrankt und<br />

täglich erwartete man die Katastrophe. Nach und nach<br />

nahm die Stadt ein eigenartiges Aussehen an. Alles was<br />

aus Europa stammte, Kaufleute, Beamte, Offiziere und<br />

Soldaten, lachte und sang auf den Straßen wie sonst, während<br />

sich die Eingeborenen mit ernsten Mienen und<br />

gedämpfter Stimme in <strong>der</strong> Nähe des Palastes unterhielten.<br />

In <strong>der</strong> Reede eine ungewöhnliche Belebung mit orangefarbenen<br />

Segeln auf dem blauen Meer, das die silberfunkelnden<br />

Blitze <strong>der</strong> Klippenreihe im Sonnenlicht oft<br />

und jäh durchzuckten. Es waren die Bewohner <strong>der</strong><br />

6<br />

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enachbarten Inseln, die Tag für Tag herbeieilten, um<br />

den letzten Augenblicken ihres Königs – <strong>der</strong> endgültigen<br />

Besitzergreifung ihres Reiches durch Frankreich – beizuwohnen.<br />

Zeichen <strong>von</strong> oben hatten es ihnen kundgetan.<br />

Denn jedesmal wenn ein König stirbt, bedecken sich die<br />

Berge an bestimmten Hängen bei Sonnenuntergang mit<br />

dunklen Flecken.<br />

Der König starb und wurde in seinem Palast vor aller<br />

Augen in großer Admiralsuniform aufgebahrt.<br />

Dort sah ich die Königin Maraū: so hieß sie. Sie<br />

schmückte den königlichen Salon mit Blumen und Stoffen.<br />

Als mich <strong>der</strong> Leiter <strong>der</strong> »Öffentlichen Arbeiten« für die<br />

künstlerische Gestaltung des Begräbnisprunkes um Rat<br />

fragte, wies ich ihn als Antwort an die Königin, die mit<br />

dem schönen Instinkt <strong>der</strong> Maorirasse Anmut um sich verbreitete<br />

und alles, was sie berührte, zum Kunstwerk<br />

gestaltete.<br />

Doch an jenem Tag verstand ich sie erst unvollkommen.<br />

Enttäuscht <strong>von</strong> Menschen und Dingen, die so ganz an<strong>der</strong>s<br />

waren als ich sie ersehnt hatte, angeekelt <strong>von</strong> dieser ganzen<br />

europäischen Trivialität, zu kurz erst an Land, um herausfinden<br />

zu können, was alles an Nationalem in dieser unterworfenen<br />

Rasse weiterlebt, an Echtem und Schönem unter<br />

dem künstlichen und abstoßenden Firnis alles dessen, was<br />

wir importiert haben, war ich in gewissem Sinne blind.<br />

So sah ich denn in <strong>der</strong> schon in reifen Jahren stehenden<br />

Königin nur eine gewöhnliche dicke Frau, mit Spuren<br />

früherer Schönheit. Vielleicht hatte auch <strong>der</strong> jüdische<br />

Einschlag in ihrem Blut an jenem Tag alles absorbiert.<br />

7


Später, als ich sie wie<strong>der</strong>sah,<br />

begriff ich ihren maorischen<br />

Charme. Das tahitanische<br />

Blut gewann die Oberhand.<br />

<strong>Die</strong> Erinnerung an ihren Ahnherrn,<br />

den großen Häuptling<br />

Tati, verlieh dieser Frau, wie<br />

ihrem Bru<strong>der</strong>, wie ihrer ganzen<br />

Familie, ein wahrhaft imposantes<br />

Gepräge <strong>von</strong> Größe.<br />

Sie besaß die majestätische,<br />

skulpturale Gestalt ihrer<br />

Rasse, stattlich und doch<br />

anmutig, mit Armen wie die<br />

beiden Säulen eines Tempels, einfach, gerade, und oben in<br />

einer Spitze endend, ein Körperbau, <strong>der</strong> in mir unabweislich<br />

das große Dreieck <strong>der</strong> Dreieinigkeit wachruft. In ihren<br />

Augen funkelte es manchmal wie <strong>von</strong> vage aufsteigenden<br />

Leidenschaften, die sich jäh entzünden und alsbald das<br />

Leben ringsum in Brand setzen. Und so ist die Insel selbst<br />

aus dem Ozean emporgetaucht und sind die Pflanzen darauf<br />

beim ersten Sonnenstrahl erblüht.<br />

Alle Tahitaner kleideten sich in Schwarz und zwei Tage<br />

lang sang man die Landestrauerweisen, Totengesänge.<br />

Mir war, als hörte ich die Sonate Pathétique.<br />

Es kam <strong>der</strong> Tag <strong>der</strong> Bestattung.<br />

Um sechs Uhr morgens verließ man den Palast.<br />

Truppe und Behörden in schwarzer Kleidung und weißen<br />

Helmen und die Eingeborenen in ihren Trauergewän<strong>der</strong>n.<br />

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Alle Distrikte marschierten in geordnetem Zug, und<br />

<strong>der</strong> Anfiihrer eines jeden trug die französische Fahne.<br />

Das bildete eine weite schwarze Masse.<br />

Im Distrikt <strong>von</strong> Aruë wurde Halt gemacht. Dort erhob<br />

sich ein unbeschreibliches Monument, das zur Atmosphäre<br />

und zur Pflanzenwelt in fürchterlichstem Kontrast stand:<br />

ein unförmiger Haufen zementierter Korallenfelsstücke.<br />

Der Neger Lacascade hielt eine Rede nach bekanntem<br />

Muster, die dann ein Dolmetscher für die anwesenden<br />

Maori übertrug. Hierauf hielt <strong>der</strong> protestantische Pfarrer<br />

eine Predigt. Zuletzt antwortete Tati, <strong>der</strong> Bru<strong>der</strong> <strong>der</strong> Königin.<br />

Und das war alles. Man brach auf. <strong>Die</strong> Beamten verstauten<br />

sich in die Vehikel… es sah aus wie eine Rückkehr<br />

vom Rennen.<br />

Bunt durcheinan<strong>der</strong>, unterwegs, wo die Unbekümmertheit<br />

<strong>der</strong> Franzosen den Ton angab, fand das seit einigen<br />

Tagen so ernste Volk sein Lachen wie<strong>der</strong>. <strong>Die</strong> Vahines<br />

nahmen wie<strong>der</strong> den Arm ihrer Tanes und wiegten sich in<br />

den Hüften, während ihre kräftigen nackten Füße gewichtig<br />

den staubigen Weg traten.<br />

Beim Fluß Faūtaūa zerstreute sich männiglich. Zwischen<br />

den Steinen verborgen, kauerten da und dort Frauen mit<br />

bis zum Gürtel aufgenommenen Röcken im Wasser und erfrischten<br />

ihre Hüften und die vom Marsch und <strong>von</strong> <strong>der</strong><br />

Hitze angegriffenen Beine. So gereinigt machten sie sich<br />

mit geschwellter Brust, den beiden Muscheln auf den<br />

Busen spitzen unter dem Musselin des Gewandes, wie<strong>der</strong><br />

auf den Weg nach Papeete, mit <strong>der</strong> Elastizität und Grazie<br />

junger, gesun<strong>der</strong> Tiere. Ein gemischtes, halb animalisches,<br />

9


halb vegetabilisches Parfum strömte <strong>von</strong> ihnen aus, das<br />

Parfum ihres Blutes und das Parfum <strong>der</strong> Gardenien –<br />

Tiare –, die sie im Haar trugen.<br />

Teïne merahi noa noa (jetzt sehr wohlriechend),<br />

sagten sie.<br />

Und alles nahm wie<strong>der</strong> seinen gewohnten Gang. Es gab<br />

nur einen König weniger. Mit ihm verschwanden die letzten<br />

Spuren alter Gewohnheiten und alter Größe. Mit ihm<br />

war die Maoritradition dahin. Es war griindlich zu Ende.<br />

<strong>Die</strong> Zivilisation – Soldaten, Handel und Beamtentum –<br />

triumphierte!<br />

Eine tiefe Traurigkeit bemächtigte sich meiner. Einen so<br />

weiten Weg zurückzulegen, um dies zu finden, gerade das,<br />

was ich floh! Der Traum, <strong>der</strong> mich nach Tahiti führte,<br />

war durch die Wirklichkeit grausam zerstört. Das Tahiti<br />

<strong>von</strong> einst liebte ich. Und ich konnte einfach nicht glauben,<br />

es sei gänzlich vernichtet, und diese schöne Rasse habe<br />

nirgendwo etwas <strong>von</strong> ihrer alten Herrlichkeit bewahrt.<br />

Aber wie die Spuren dieser so fernen, so geheimnisvollen<br />

Vergangenheit – wenn sie noch vorhanden waren – entdekken,<br />

ganz allein, ohne Belehrung, ohne jede Hilfe?<br />

Wie den erloschenen Herd wie<strong>der</strong>finden, das Feuer unter<br />

all <strong>der</strong> Asche <strong>von</strong> neuem anfachen? …<br />

Ich mag noch so nie<strong>der</strong>geschlagen sein, es ist nicht<br />

meine Art, mein Vorhaben aufzugeben, ohne alles versucht<br />

zu haben, auch das Unmögliche.<br />

Mein Entschluß war bald gefaßt. Ich beschloß Papeete<br />

zu verlassen, mich vom europäischen Zentrum zu entfernen.<br />

Ich hatte das Gefühl, wenn ich völlig das Leben<br />

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<strong>der</strong> Eingeborenen lebte, mit ihnen, im Busch, würde es mir,<br />

geduldig wartend, gelingen, das Mißtrauen dieser Menschen<br />

zu besiegen, und ich würde ein Wissen<strong>der</strong> sein.<br />

Ein Offizier <strong>der</strong> Gendarmerie stellte mir liebenswürdig<br />

seinen Wagen und sein Pferd zur Verfügung. Eines Morgens<br />

machte ich mich auf, meine Hütte zu suchen.<br />

Meine Vahine begleitete mich. Sie hieß Titi. Halb englischer<br />

Abstammung, sprach sie etwas Französisch. Sie<br />

hatte an diesem Tag ihr schönstes Kleid angezogen, trug<br />

eine Blume hinter dem Ohr, nach Maorisitte, und ihr<br />

Basthut, den sie selbst geflochten hatte, war über einem<br />

Band <strong>von</strong> Strohblumen mit einer Garnitur orangefarbener<br />

Muscheln geschmückt. Ihr schwarzes Haar fiel aufgelöst<br />

auf die Schultern herab. Sie war stolz, in einem Wagen zu<br />

fahren, stolz, elegant. Stolz, die Vahine eines Mannes zu<br />

sein, den sie für einflußreich und begütert hielt. Sie war so<br />

wirklich hübsch, und all ihr Stolz hatte nichts Lächerliches,<br />

so gut steht die majestätische Miene dieser Rasse. Von <strong>der</strong><br />

jahrhun<strong>der</strong>tealten Geschichte ihrer Feudalherrschaft und<br />

den weit zurückreichenden Erinnerungen an die großen<br />

Häuptlinge bewahren sie einen unauslöschlich stolzen Zug.<br />

Ich wußte wohl, daß ihre sehr eigennützige Liebe in rein<br />

europäischen Augen nicht schwerer gewogen hätte als die<br />

käufliche Gefälligkeit einer Dirne. Aber ich erkannte etwas<br />

an<strong>der</strong>es darin. <strong>Die</strong>se Augen und dieser Mund konnten nicht<br />

lügen. Bei all diesen Tahitanerinnen steckt die Liebe <strong>der</strong>maßen<br />

im Blut, ist sie so wesentlich, daß sie, ob eigennützig<br />

o<strong>der</strong> uneigennützig, immer Liebe bleibt.<br />

Der Weg wurde übrigens recht schnell zurückgelegt.<br />

11


Unter nichtssagenden Gesprächen und in einer reichen<br />

und einförmigen Landschaft. Zur Rechten immer das Meer,<br />

die Korallenriffe und Wasserfälle, die zuweilen wie Dampf<br />

zerstoben, wenn die Wellen in zu ungestüme Berührung<br />

mit dem Felsen gerieten.<br />

Mittags hatten wir unsern fünfundvierzigsten Kilometer<br />

zurückgelegt und erreichten den Distrikt <strong>von</strong> Mataïea.<br />

Ich durchforschte den Distrikt und fand schließlich eine<br />

recht schöne Hütte, die mir <strong>der</strong> Eigentümer zur Miete überließ.<br />

Er wollte sich eine neue als Wohnung daneben bauen.<br />

Als wir am Abend des nächsten Tages nach Papeete zurückkehrten,<br />

fragte mich Titi, ob ich sie nicht mit mir nehmen<br />

wolle.<br />

Später – in einigen Tagen, wenn ich eingerichtet sei.<br />

Ich war mir bewußt, daß diese Halbweiße, welche ihre<br />

Rasse und <strong>der</strong>en Merkmale im Verkehr mit all den Europäern<br />

so gut wie vergessen hatte, mich nichts <strong>von</strong> dem,<br />

was ich wissen wollte, lehren und mir nichts <strong>von</strong> dem<br />

beson<strong>der</strong>en Glück, das ich ersehnte, gewähren konnte.<br />

Und dann sagte ich mir, daß ich im Innern, auf dem<br />

Lande, finden würde, was ich suchte und nur zu wählen<br />

brauchte. Doch das Land ist nicht die Stadt…<br />

* *<br />

*<br />

Seit einigen Tagen bin ich recht krank, das Nachwehen<br />

einer Bronchitis, die ich mir im Winter in Paris zugezogen<br />

habe, und ich fühle mich recht einsam in Papeete.<br />

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Nun, fassen wir uns in Geduld. Binnen kurzem werde ich<br />

dort unten beim fünfundvierzigsten Kilometer sein...<br />

– Ia orana, <strong>Gauguin</strong>.<br />

Es war die Prinzessin, die in mein Zimmer trat. Ich lag<br />

auf meinem Bett, nur einen einfachen Pareo um die Hüften.<br />

Keine Art, eine Frau <strong>von</strong> Rang zu empfangen.<br />

– Du bist krank, sagte sie, ich komme, um nach dir<br />

zu sehen.<br />

– Und du heißest, sagte ich zu ihr.<br />

– Vaïtua<br />

Vaïtua war eine richtige Prinzessin, wenn es solche überhaupt<br />

noch gibt, seitdem die Europäer in diesem Land<br />

alles auf ihr Niveau herabgedrückt haben. Tatsache ist,<br />

sie erschien mit nackten Füßen, eine Blume hinterm<br />

Ohr und in schwarzem Gewand. Sie war in Trauer um<br />

ihren Onkel, den König Pomare. Ihr Vater, Tamatoa, hatte<br />

trotz <strong>der</strong> Berührung mit den Europäern, den Admiralsempfängen,<br />

nie etwas an<strong>der</strong>es sein wollen als ein königlicher<br />

Maori, ein gigantischer Raufbold in seinen Zornesausbrüchen<br />

und ein furchtbarer Fresser bei den Orgien.<br />

Vaïtua – so hieß es – sehe ihm sehr ähnlich.<br />

Wie je<strong>der</strong> Europäer, <strong>der</strong> im weißen Helm auf <strong>der</strong> Insel<br />

landet, betrachtete ich diese gestürzte Prinzessin mit skeptischem<br />

Lächeln auf den Lippen. Doch ich wollte höflich<br />

sein und sagte:<br />

– Es ist liebenswürdig <strong>von</strong> dir, zu kommen. Wollen wir<br />

zusammen einen Absinth trinken? Und mit dem Finger wies<br />

13


ich auf eine Flasche, die ich eben erst für meine Empfänge<br />

gekauft hatte.<br />

Kühl, ganz unbefangen übrigens, ging sie an den bezeichneten<br />

Ort und bückte sich, um die Flasche zu ergreifen.<br />

Ihr leichtes, durchsichtiges Gewand spannte sich<br />

iiber den Lenden, Lenden, eine Welt zu tragen. Kein Zweifel,<br />

sie war wirklich eine Prinzessin. Ihre Ahnen? Tapfere<br />

und starke Riesen. Fest saß ihr Kopf auf den kraftvollen<br />

Schultern. Einen Augenblick sah ich nur ihren Menschenfresserkiefer,<br />

ihre zum Zerreißen bereiten Zähne, ihren<br />

scheuen Blick eines listigen Tieres, und trotz einer sehr<br />

schönen, edlen Stirn fand ich sie ganz und gar häßlich.<br />

Wenn sie sich nur nicht auf mein Bett setzen wollte!<br />

Das schwache Gestell würde uns niemals beide tragen.<br />

Doch gerade das tat sie. Das Bett krachte bedenklich,<br />

hielt aber stand.<br />

Beim Trinken schlossen wir Bekanntschaft. <strong>Die</strong> Unterhaltung<br />

wollte nicht in Fluß kommen, und das Schweigen<br />

genierte mich. Ich beobachtete sie, sie sah mich an. Doch<br />

die Flasche leerte sich… Vaïtua trank kräftig.<br />

<strong>Die</strong> Sonne sank rasch.<br />

Vaïtua drehte sich eine tahitanische Zigarette. Dann<br />

streckte sie sich auf dem Bett aus. Ihre nackten Füße<br />

strichen liebkosend über das Holz am Bettende, wie die<br />

Zunge eines Tigers über einen Schädel. Ihre Züge hatten<br />

sich merkwürdig besänftigt und belebt. Mir war, als hörte<br />

ich das Schnurren eines Katzentiers, das auf blutige<br />

Genüsse sinnt.<br />

Wie verän<strong>der</strong>lich ist <strong>der</strong> Mensch! Jetzt fand ich sie<br />

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schön, sehr schön. Und als sie mit bewegter Stimme sagte:<br />

»Du bist hübsch«, iiberkam mich eine große Verwirrung.<br />

<strong>Die</strong> Prinzessin war entschieden… köstlich.<br />

Mit sehr ernster und metallischer Stimme schickte sie<br />

sich an, die Fabel <strong>von</strong> La Fontaine »<strong>Die</strong> Grille und die<br />

Ameise« ganz zu rezitieren – eine hübsche Erinnerung aus<br />

ihrer Kindheit bei den »Schwestern«, die sie unterrichtet<br />

hatten.<br />

<strong>Die</strong> Zigarette war in Rauch aufgegangen. Sie erhob<br />

sich.<br />

– Weißt du, <strong>Gauguin</strong>, sagte sie, ich liebe deinen<br />

La Fontaine nicht.<br />

– Wie! Unseren guten La Fontaine?<br />

– Vielleicht ist er gut, aber er langweilt mich mit seiner<br />

häßlichen Moral.<br />

– Ameisen! (Ihr Mund drückte Abscheu aus.)<br />

– Grillen! Wie liebe ich sie. Es ist schön, so gut, zu<br />

singen.<br />

– Immer singen.<br />

– Immer… geben.<br />

Und voll Stolz fügte sie hinzu: Wie schön war einst unser<br />

Reich, damals, als <strong>der</strong> Mensch wie die Erde Gutes in Fülle<br />

hervorbrachte. Wir sangen das ganze Jahr...<br />

– Ich glaube, ich habe viel Absinth getrunken. Ich gehe,<br />

ich würde sonst Dummheiten machen.<br />

An <strong>der</strong> Gartentüre redete ein junger Mann Vaïtua an.<br />

Einer jener jungen Leute, die alles und doch im Grunde<br />

nichts wissen…<br />

15


Vaïtua nannte ihn uri (Hund) und entfernte sich.<br />

Ich legte den Kopf auf das Kissen zurück, und mein Ohr<br />

vernahm <strong>von</strong> weit her die Worte:<br />

– Ia orana, <strong>Gauguin</strong>.<br />

– Ia orana, Prinzessin.<br />

Ich ruhte…<br />

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II<br />

Ich bin nicht mehr in Papeete, son<strong>der</strong>n im Distrikt <strong>von</strong><br />

Mataïea.<br />

Auf <strong>der</strong> einen Seite das Meer, auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Berg –<br />

<strong>der</strong> Berg zerklüftet, ein ungeheurer Spalt, den eine gewaltige<br />

Gruppe <strong>von</strong> Mangobäumen, an den Felsen gelehnt,<br />

zudeckt.<br />

Zwischen Berg und Meer erhebt sich meine Hütte aus<br />

Buroaholz. Und bei meiner Hütte ist eine an<strong>der</strong>e, kleine –<br />

Fare amu (Haus für Speisen).<br />

Es ist Morgen.<br />

Auf dem Meer, nahe am Strand, sehe ich eine Piroge<br />

und in <strong>der</strong> Piroge eine Frau. Am Strand ein fast nackter<br />

Mann. Neben dem Mann ein kranker Kokosnußbaum, <strong>der</strong><br />

aussieht wie ein ungeheurer Papagei, dessen vergoldeter<br />

Schwanz herabhängt und <strong>der</strong> eine große Traube Kokosnüsse<br />

in den Krallen hält. Mit harmonischer und gewandter<br />

Gebärde hebt <strong>der</strong> Mann mit beiden Händen eine schwere<br />

Axt, die oben am silbrigen Himmel eine blaue Spur und<br />

unten einen Einschnitt auf dem abgestorbenen Stamm<br />

hinterläßt, wo die <strong>von</strong> Tag zu Tag, seit Jahrhun<strong>der</strong>ten,<br />

aufgespeicherte Glut in den Flammen eines Augenblicks<br />

wie<strong>der</strong> aufleben wird.<br />

Lange, schlangenartige Blätter <strong>von</strong> metallischem Gelb<br />

auf dem purpurnen Boden erschienen mir wie Schriftzüge<br />

17


einer fernen orientalischen Sprache – und ich glaubte das<br />

Wort, das aus Ozeanien stammt, zu lesen: Atua, Gott, <strong>der</strong><br />

Taata o<strong>der</strong> Takata, <strong>der</strong>, <strong>von</strong> Indien her, überall ausstrahlt<br />

und sich in allen Religionen wie<strong>der</strong>findet…<br />

In den Augen des Tathagata ist die herrlichste Pracht<br />

<strong>der</strong> Könige und ihrer Minister nichts als Auswurf und<br />

Staub.<br />

In seinen Augen sind Reinheit und Unreinheit wie<br />

<strong>der</strong> Tanz <strong>der</strong> sechs Nagas.<br />

In seinen Augen ist das Suchen nach dem Weg des<br />

Buddha gleich Blumen…<br />

In <strong>der</strong> Piroge ordnete die Frau einige Netze.<br />

<strong>Die</strong> blaue Linie des Meeres wurde häufig vom Grün <strong>der</strong><br />

Wellenkämme unterbrochen, die an den Korallenriffen<br />

brandeten.<br />

An diesem Abend ging ich an den Meeresstrand, um eine<br />

Zigarette zu rauchen.<br />

<strong>Die</strong> Sonne, die rasch zum Horizont gesunken, war schon<br />

zur Hälfte hinter <strong>der</strong> Insel Moorea verborgen, die mir zur<br />

Rechten lag. Im Zwielicht hoben sich die Berge, <strong>der</strong>en<br />

Kämme alten, mit Zinnen bewehrten Schlössern glichen,<br />

in schwarzen Silhouetten <strong>von</strong> einem flammenden Himmel<br />

deutlich und kraftvoll ab.<br />

Ist es ein Wun<strong>der</strong>, daß mich vor diesen Naturerscheinungen<br />

Visionen aus <strong>der</strong> Feudalzeit verfolgen? Dort, jener<br />

Gipfel hat die Form eines gigantischen Helmes. <strong>Die</strong> Wogen,<br />

die ihn umgeben und <strong>der</strong>en Rauschen wie <strong>der</strong> Lärm einer<br />

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ungeheuren Menge klingt, werden ihn nie erreichen. Unter<br />

aller zugrundegegangenen Herrlichkeit bleibt <strong>der</strong> schützende<br />

Helm allein aufrecht, ein Nachbar des Himmels.<br />

Von dort taucht ein heimlicher Blick in die tiefen Wasser,<br />

die einst die Masse <strong>der</strong> Lebenden, schuldig, sich am Baum<br />

<strong>der</strong> Erkenntnis vergangen zu haben, und schuldig <strong>der</strong> Sünde<br />

am Haupt, verschlangen, und <strong>der</strong> Helm, auch er ein Haupt,<br />

<strong>von</strong> undefinierbarer Ähnlichkeit mit einer Sphinx, scheint<br />

durch den weiten Spalt, welcher <strong>der</strong> Mund sein könnte, den<br />

Wogen, in denen die Vergangenheit schlummert, ein ironisches<br />

o<strong>der</strong> mitleidiges Lächeln majestätisch übermitteln<br />

zu wollen…<br />

<strong>Die</strong> Nacht brach rasch herein – Moorea schlief.<br />

Stille! Ich lernte die Stille einer tahitanischen Nacht<br />

kennen.<br />

Ich hörte nichts als das Schlagen meines Herzens.<br />

Von meinem Bett aus unterschied ich im Schein <strong>der</strong> Mondstrahlen<br />

das in gleichmäßiger Entfernung <strong>von</strong>einan<strong>der</strong><br />

stehende Rohr meiner Hütte. Es sah aus wie ein Musikinstrument,<br />

wie die Hirtenflöte <strong>der</strong> Alten, welche die<br />

Tahitaner Vivo nennen. Aber tagsüber schweigt das<br />

Instrument. Nachts, dank dem Mond, ruft es uns geliebte<br />

Weisen ins Gedächtnis zurück.<br />

Ich schlief ein bei dieser Musik.<br />

Zwischen dem Himmel und mir nichts als das große,<br />

hohe und leichte Dach aus Pandanusblättern, in denen<br />

die Eidechsen hausten. Ich konnte mir im Schlafen den<br />

freien Raum über meinem Haupt vorstellen, das Himmels-<br />

19


gewölbe, die Sterne. Ich war weit fort <strong>von</strong> jenen Gefängnissen,<br />

den europäischen Häusern. Eine Maorihütte verbannt,<br />

trennt den Menschen nie vom Leben, vom Raum, <strong>von</strong> <strong>der</strong><br />

Unendlichkeit.<br />

Doch ich fühlte mich recht einsam.<br />

<strong>Die</strong> Bewohner des Distrikts und ich beobachteten einan<strong>der</strong><br />

gegenseitig, und die Entfernung zwischen uns blieb<br />

die selbe.<br />

Vom dritten Tage an waren meine Vorräte erschöpft.<br />

Was tun? Ich hatte mir vorgestellt, ich könnte für Geld<br />

alles Nötige zum Leben finden. Irrtum! An die Natur muß<br />

man sich wenden, um zu leben, und sie ist reich und ist<br />

frei gebig. Sie verweigert keinem, <strong>der</strong> sich an sie wendet, seinen<br />

Anteil an den Schätzen, die sie an den Bäumen, in den<br />

Bergen und im Meer aufspeichert. Aber man muß verstehen,<br />

auf hohe Bäume zu klettern, ins Gebirge zu steigen und<br />

mit schweren Lasten beladen zurückzukehren, Fische zu<br />

fangen, zu tauchen, auf dem Meeresgrund die fest am<br />

Stein haftenden Muscheln loszureißen…<br />

Ich, <strong>der</strong> Zivilisierte, stand also vorläufig hinter den Wilden<br />

zurück, die neben mir glücklich dahinlebten, an einem<br />

Ort, an dem das Geld, das nicht <strong>der</strong> Natur entstammt, zum<br />

Erwerb <strong>der</strong> lebenswichtigen Dinge, welche<br />

die Natur hervorbringt, nicht verwendbar ist.<br />

Da, als ich, mit leerem Magen, traurig über meine<br />

Lage nachsann, bemerkte ich einen Eingeborenen, <strong>der</strong><br />

mir gestikulierend etwas zurief. <strong>Die</strong> sehr ausdrucksvollen<br />

Gesten ersetzten die Worte, und ich verstand –<br />

20<br />

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mein Nachbar lud mich zum Essen ein. Aber ich schämte<br />

mich. Mit einem Kopfschütteln lehnte ich ab. Einige Minuten<br />

später stellte ein kleines Mädchen, ohne etwas zu sagen,<br />

einige <strong>von</strong> frisch gepflückten Blättern sauber umrahmte<br />

Nahrungsmittel auf meine Türschwelle und zog sich dann<br />

zurück. Ich hatte Hunger. Und ebenfalls schweigend<br />

nahm ich an.<br />

21


Ein wenig später ging <strong>der</strong> Mann an meiner Hütte vorbei<br />

und mir zulächelnd sagte er, ohne stehen zu bleiben, in<br />

fragendem Tone ein einziges Wort:<br />

– Païeu?<br />

Ich erriet: Bist du zufrieden?<br />

Das war <strong>der</strong> Beginn gegenseitiger Vertraulichkeit<br />

zwischen den Wilden und mir.<br />

Wilde! <strong>Die</strong>ses Wort kam mir unabweislich auf die Lippen,<br />

wenn ich diese schwarzen Wesen mit den Kanni balenzähnen<br />

betrachtete.<br />

Doch schon begann ich ihre echte Anmut zu verstehen…<br />

Jenes braune Köpfchen mit den stillen Augen, am Boden,<br />

unter buschigen, großblättrigen Giromonen, jenes kleine<br />

Kind, das mich heimlich beobachtete und floh, als mein<br />

Blick dem seinen begegnete… Wie sie für mich, war ich<br />

für sie ein Gegenstand <strong>der</strong> Beobachtung, <strong>der</strong> Unbekannte,<br />

<strong>der</strong>, welcher we<strong>der</strong> Sprache noch Gebräuche kennt, ja nicht<br />

einmal die primitivsten und natürlichsten Handgriffe.<br />

Wie sie für mich, war ich für sie <strong>der</strong> «Wilde». Und vielleicht<br />

war ich es, <strong>der</strong> unrecht hatte.<br />

* *<br />

*<br />

Ich begann zu arbeiten: Notizen und Skizzen aller Art.<br />

Aber die Landschaft mit ihren reinen und starken Farben<br />

blendete mich, machte mich ganz blind. Dauernd unsicher,<br />

suchte ich in falscher Richtung… Und doch war es so ein-<br />

22<br />

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fach, zu malen wie ich sah, ohne allzu viel Überlegung<br />

ein Rot, ein Blau auf die Leinwand zu setzen! In den Bächen<br />

entzückten mich übergoldete Formen. Warum<br />

zögerte ich, all dieses Gold und all diesen Sonnenjubel<br />

auf meine Leinwand auszugießen? – Oh, diese alte europäische<br />

Routine, diese Ausdrucksängstlichkeit degenerierter<br />

Rassen!<br />

Um mich mit dem so eigenartigen Charakter eines tahitanischen<br />

Gesichtes, mit all dem Charme eines Maori lächelns<br />

gut vertraut zu machen, wünschte ich seit langem das<br />

Porträt einer meiner Nachbarinnen zu malen, einer Frau<br />

reiner tahitanischer Abstammung.<br />

Sie darum zu bitten, machte ich mir einen Tag zunutze,<br />

an dem sie sich ein Herz faßte und in meine Hütte kam,<br />

um Photographien <strong>von</strong> Bil<strong>der</strong>n anzusehen. Mit ganz<br />

beson<strong>der</strong>em Interesse betrachtete sie die «Olympia».<br />

– Was hältst du da<strong>von</strong>? fragte ich sie. (Ich hatte in den<br />

Monaten, da ich nicht mehr französisch sprach, einige<br />

tahitanische Worte gelernt.)<br />

Meine Nachbarin erwi<strong>der</strong>te:<br />

– Sie ist sehr schön.<br />

Ich lächelte über diese Bemerkung und sie rührte mich.<br />

Sie besaß Sinn für das Schöne! Was aber würden die<br />

Professoren <strong>der</strong> Ecole des Beaux-Arts <strong>von</strong> ihr sagen?<br />

Plötzlich, nach einem Schweigen, wie es <strong>der</strong> Entstehung<br />

eines Gedankens vorausgeht, fügte sie hinzu:<br />

– Ist das deine Frau?<br />

– Ja.<br />

23


Ich sagte diese Lüge! Ich, <strong>der</strong> Tane <strong>der</strong> «Olympia»!<br />

Während sie mit großer Neugier einige religiöse Gemälde<br />

<strong>der</strong> italienischen Primitiven genau betrachtete,<br />

versuchte ich ihr Porträt zu skizzieren, wobei ich mich<br />

beson<strong>der</strong>s bemühte, das rätselvolle Lächeln festzuhalten.<br />

Sie verzog ihr Gesicht, äußerte in beinahe zornigem Ton:<br />

Aïta (nein) und lief da<strong>von</strong>.<br />

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Eine Stunde später war sie wie<strong>der</strong> da, geschmückt mit<br />

einem schönen Kleid und mit einer Blume hinter dem Ohr.<br />

Was war in ihrem Inneren vorgegangen? Warum kam<br />

sie zu mir zurück? War es eine Regung <strong>der</strong> Koketterie, die<br />

Freude, nachzugeben, nachdem sie sich geweigert? O<strong>der</strong> das<br />

Lockende <strong>der</strong> verbotenen Frucht? O<strong>der</strong> einfach eine Laune,<br />

ohne jeden an<strong>der</strong>n Beweggrund, eine einfache und reine<br />

25


Laune, wie sie für die Maori so bezeichnend ist? Ich war<br />

mir bewußt, daß meine Bewährung als Maler neben einem<br />

intensiven Studium des Innenlebens des Modells gleichsam<br />

eine physische Besitzergreifung, eine stumme und inständige<br />

Werbung, eine absolute und endgültige Eroberung in<br />

sich schloß.<br />

Im Grunde war sie wenig hübsch nach den europäischen<br />

Regeln <strong>der</strong> Ästhetik. Aber sie war schön. Alle ihre Züge<br />

zeigten eine raffaelische Harmonie im Zusammenklang<br />

<strong>der</strong> Kurven, und den Mund hatte ein Bildhauer modelliert,<br />

<strong>der</strong> alle Äußerungen des Denkens und Zärtlichseins, <strong>der</strong><br />

Freude und des Leidens kennt. Und ich las in ihr die Furcht<br />

vor dem Unbekannten, die Melancholie <strong>der</strong> Enttäuschung,<br />

die <strong>der</strong> Lust beigemischt ist, und jene Gabe <strong>der</strong> Passivität,<br />

die scheinbar nachgibt und schließlich doch siegreich<br />

bleibt.<br />

Ich arbeitete eilig – wohl bewußt, daß die Bereitwilligkeit<br />

nicht <strong>von</strong> Dauer war – eilig und mit Leidenschaft.<br />

Ich legte in das Bildnis alles, was mein Herz meine Augen<br />

sehen ließ und namentlich vielleicht das, was die Augen<br />

allein nicht gesehen hätten, jenes intensive Glühen einer<br />

verhaltenen Kraft… Ihre sehr edle Stirne erinnerte durch<br />

überhohe Linien an jenes Wort <strong>von</strong> Edgar Poe: «Es gibt<br />

keine vollkommene Schönheit ohne eine gewisse Singularität<br />

in den Proportionen.» Und die Blume, die sie hinter<br />

dem Ohr trug, harmonisierte mit ihrem Duft.<br />

26<br />

* *<br />

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Jetzt arbeitete ich besser, freier.<br />

Aber die Einsamkeit lastete auf mir. Ich sah wohl junge<br />

Frauen mit ruhigem Blick, reine Tahitanerinnen, und die<br />

eine o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e <strong>von</strong> ihnen hätte – vielleicht? – gerne das<br />

Leben mit mir geteilt. Aber alle wollen genommen sein,<br />

genommen nach Maoriart (mau, packen), ohne ein Wort,<br />

brutal. Alle haben irgendwie den Wunsch nach Vergewaltigung.<br />

Und ich, in ihrer Gegenwart, zum mindesten in<br />

Gegenwart <strong>der</strong>er unter ihnen, die nicht mit einem Tane<br />

lebten, fühlte mich wirklich eingeschüchtert, so frank, so<br />

voll Würde und Stolz sahen sie uns – die an<strong>der</strong>n Männer<br />

und mich – an.<br />

Und dann hieß es <strong>von</strong> vielen, sie seien krank – krank<br />

an jenem Übel, das die Europäer den Wilden als erstes und<br />

zweifellos wesentliches Element <strong>der</strong> Zivilisation gebracht<br />

haben.<br />

So konnten die Alten lange zu mir sagen, indem sie auf<br />

eine <strong>von</strong> ihnen zeigten: maû tera (nimm diese), ich spürte<br />

we<strong>der</strong> die nötige Kühnheit noch das nötige Vertrauen in<br />

mir.<br />

Ich ließ Titi wissen, daß ich sie mit Vergnügen aufnehmen<br />

würde. Und doch hatte sie einen furchtbaren Ruf in<br />

Papeete, da sie nacheinan<strong>der</strong> mehrere Liebhaber unter<br />

den Boden gebracht…<br />

Der Versuch glückte mir übrigens nicht, und an <strong>der</strong><br />

Langeweile, die ich in <strong>der</strong> Gesellschaft dieser an den Luxus<br />

<strong>der</strong> Beamten gewöhnten Frau empfand, konnte ich ermessen,<br />

welche wirklichen Fortschritte ich bereits im «Wildentum»<br />

gemacht hatte.<br />

27


Nach Verlauf einiger Wochen trennten wir uns für immer,<br />

Titi und ich.<br />

Von neuem allein.<br />

* *<br />

*<br />

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III<br />

Meine Nachbarn sind für mich fast Freunde geworden. Ich<br />

kleide mich und esse wie sie! Wenn ich nicht arbeite, teile<br />

ich ihr Leben <strong>der</strong> Lässigkeit und Freude, mit jähen Übergängen<br />

zu Ernst.<br />

Abends versammelt man sich in Gruppen unter dicht<br />

belaubten Sträuchern, die <strong>von</strong> den zerzausten Wipfeln <strong>der</strong><br />

Kokosnußbäume überragt werden: Männer, Frauen und<br />

Kin<strong>der</strong>. <strong>Die</strong> einen sind aus Tahiti, die an<strong>der</strong>n <strong>von</strong> den<br />

Tonga-, den Aroraï-, den Marquesasinseln.<br />

<strong>Die</strong> matten Töne ihrer Körper stehen<br />

in schöner Harmonie zum Samt des<br />

Laubes, und aus ihrer kupferfarbenen<br />

Brust steigen vibrierende Melodien,<br />

die <strong>von</strong> den rauhen Stämmen <strong>der</strong><br />

Kokosnußbäume gedämpft zurück -<br />

geworfen werden. <strong>Die</strong> erste Sängerin<br />

beginnt: wie ein<br />

stolzer Vogel<br />

steigt<br />

sie plötzlich bis zu<br />

den höchsten<br />

Sphären. Ihre<br />

laute, machtvolle<br />

Stimme<br />

29


senkt und erhebt sich, schwebt wie ein Vogel, während die<br />

an<strong>der</strong>n als treue Satelliten den Stern umfliegen. Dann beschließen<br />

alle Männer mit einem einzigen barbarischen<br />

Schrei einstimmig den Gesang. Es sind das die tahitanischen<br />

Gesänge, die Himénés.<br />

O<strong>der</strong> man versammelt sich in einer Art Gemein schaftshütte<br />

zum Singen und Plau<strong>der</strong>n. Man beginnt mit einem<br />

Gebet. Ein Greis spricht es zuerst gewissenhaft vor, und alle<br />

Anwesenden wie<strong>der</strong>holen den Schluß! Dann wird gesungen.<br />

An<strong>der</strong>e Male erzählt man lustige Geschichten. Seltener wird<br />

über ernste Fragen diskutiert, werden weise Vorschläge<br />

gemacht.<br />

Folgenden hörte ich eines Abends – ich muß gestehen,<br />

nicht ohne Staunen.<br />

– In unserem Dorf, sagte ein Greis, sieht man seit<br />

einiger Zeit da und dort Häuser, die zerfallen, und verfaulte,<br />

halboffene Dächer, durch die das Wasser dringt,<br />

wenn es zufällig einmal regnet. Warum? Je<strong>der</strong>mann muß<br />

Schutz und Schirm haben. Es mangelt we<strong>der</strong> an Holz<br />

noch an Laub, um Bedachungen herzustellen. Ich schlage<br />

vor, daß wir uns eine Zeitlang zu einer Arbeitsgemeinschaft<br />

zusammentun und an Stelle <strong>der</strong> unbewohnbar gewordenen<br />

geräumige und solide Hütten bauen. Wir wollen alle <strong>der</strong><br />

Reihe nach Hand anlegen.<br />

Alle Anwesenden, ohne Ausnahme, spendeten Beifall:<br />

– So ist es gut.<br />

Und <strong>der</strong> Vorschlag des Greises wurde einstimmig gutgeheißen.<br />

Ein kluges Volk, dachte ich, als ich nach Hause ging.<br />

30<br />

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Als ich mich jedoch am nächsten Tag nach dem Beginn<br />

<strong>der</strong> beschlossenen Arbeiten erkundigte, bemerkte ich, daß<br />

niemand mehr daran dachte. Auf meine Fragen antwortete<br />

man mir nur mit einem ausweichenden Lächeln, das aber<br />

bezeichnende Linien in die breiten, träumerischen Stirnen<br />

legte. Voll wi<strong>der</strong>spruchsvoller Gedanken zog ich mich zurück.<br />

Man hatte recht getan, dem Vorschlag des Alten beizustimmen,<br />

und vielleicht hatte man auch recht, das, was<br />

er geraten, nicht zu tun. Wozu arbeiten? Spenden die Götter<br />

Tahitis ihren Getreuen nicht das Nötige für das<br />

tägliche Leben? Morgen? Vielleicht! Und auf alle Fälle<br />

wird morgen die Sonne aufgehen, wohltätig und strahlend,<br />

wie sie heute aufgegangen ist. Ist das Sorglosigkeit, Leichtsinn,<br />

o<strong>der</strong> – wer weiß! – tiefste Philosophie? Hüte dich<br />

vor dem Luxus, hüte dich, unter dem Vorwand des Vorsorgens<br />

Geschmack daran zu gewinnen!…<br />

Mit jedem Tag gestaltet sich das Leben für mich besser.<br />

Ich verstehe die Sprache allmählich recht gut. Meine Nachbarn<br />

– drei ganz in <strong>der</strong> Nähe, die zahlreichen an<strong>der</strong>n in<br />

größerer und kleinerer Entfernung – betrachten mich als<br />

einen <strong>der</strong> Ihren.<br />

In dauern<strong>der</strong> Berührung mit den Kieselsteinen sind<br />

meine Füße abgehärtet und an den Boden gewöhnt. Und<br />

mein fast beständig nackter Körper leidet nicht mehr unter<br />

<strong>der</strong> Sonne.<br />

<strong>Die</strong> Zivilisation fällt nach und nach <strong>von</strong> mir ab. Ich<br />

fange an, einfach zu denken, nur wenig Haß gegen meinen<br />

Nächsten zu empfinden, mehr – ihn zu lieben. Ich genieße<br />

alle Freuden eines freien, animalischen und mensch lichen<br />

31


Lebens. Ich entwinde mich dem Gekünstelten, ich dringe<br />

in die Natur ein. Mit <strong>der</strong> Gewißheit, daß das Morgen nicht<br />

an<strong>der</strong>s sein wird als das Heute, ebenso frei, ebenso schön,<br />

senkt sich Friede in meine Seele. Ich entwickle mich normal<br />

und habe keine eitlen Sorgen mehr.<br />

Ein Freund ist mir zuteil geworden. Er kam <strong>von</strong> selbst<br />

und sicherlich nicht aus niedrigem Eigennutz! Es ist einer<br />

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meiner Nachbarn, ein sehr einfacher und sehr schöner<br />

junger Mensch. Meine farbigen Bil<strong>der</strong> und meine Arbeiten<br />

in Holz haben ihn neugierig gemacht, meine Antworten<br />

auf seine Fragen haben ihn belehrt. Kein Tag, an dem er<br />

mir nicht beim Malen o<strong>der</strong> Schnitzen zusieht.<br />

Und abends, wenn ich <strong>von</strong> meiner Tagesarbeit ausruhte,<br />

plau<strong>der</strong>ten wir. Neugierig – als junger Wil<strong>der</strong> – über<br />

33


europäische Dinge etwas zu erfahren, stellte er Fragen,<br />

beson<strong>der</strong>s über Liebessachen, und oft brachten mich seine<br />

Fragen in Verlegenheit. Aber seine Antworten waren noch<br />

naiver als seine Fragen.<br />

Als ich ihm eines Tages meine Werkzeuge anvertraute<br />

und ihn auffor<strong>der</strong>te, sich an einer Skulptur zu versuchen,<br />

sah er mich erstaunt an und sagte schlicht und aufrichtig,<br />

ich sei nicht wie die an<strong>der</strong>n, ich verstände Dinge, zu denen<br />

die an<strong>der</strong>n unfähig seien. Ich glaube, Jotefa ist <strong>der</strong> erste<br />

Mensch auf <strong>der</strong> Welt, <strong>der</strong> so zu mir gesprochen hat – so<br />

kindlich, denn ein Kind muß man sein, nicht wahr, um<br />

sich einzubilden, ein Künstler sei etwas Nützliches…<br />

Es geschah, daß ich für meine skulpturalen Pläne einen<br />

Stamm aus Rosenholz brauchte. Ich wollte einen festen und<br />

massiven. Ich fragte Jotefa um Rat.<br />

– Man muß ins Gebirge gehen, sagte er. Ich weiß an<br />

einem bestimmten Ort mehrere schöne Stämme. Wenn du<br />

willst, führe ich dich hin. Wir fällen den Baum, <strong>der</strong> dir<br />

gefällt, und bringen ihn zusammen her.<br />

Frühmorgens brachen wir auf. <strong>Die</strong> Indianerpfade auf<br />

Tahiti sind für einen Europäer recht beschwerlich.<br />

Zwischen zwei Bergen, die man nicht erklimmen könnte,<br />

zwei hohen Basaltwänden, höhlt sich ein Spalt, in dem<br />

sich das Wasser zwischen Felsblöcken schlängelt, die es<br />

eines Tages, wenn <strong>der</strong> Bach zum Strom geworden, loslöst<br />

und etwas weiter unten liegen läßt, um sie ein wenig<br />

später wie<strong>der</strong> mitzunehmen und schließlich bis zum<br />

Meer zu stoßen und zu wälzen.<br />

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Zu beiden Seiten des Baches, häufig <strong>von</strong> richtigen<br />

Wasserfällen unterbrochen, führt eine Art Weg durch ein<br />

buntes Gemisch <strong>von</strong> Bäumen: Brotbäumen, Eisenbäumen,<br />

Pandanus, Buraos, Kokosnußbäumen, riesenhaften Farnen,<br />

eine ganze tolle Vegetation, die immer wil<strong>der</strong> und immer<br />

undurchdringlicher wird, je weiter man zum Zentrum <strong>der</strong><br />

Insel aufsteigt.<br />

Wir gingen beide nackt, mit dem Linnen um die Hüften,<br />

die Axt in <strong>der</strong> Hand, und durchschritten viele Male den<br />

Bach, um den Weg abzukürzen, den mein Begleiter mehr<br />

mit dem Geruch als mit dem Auge wahrzunehmen schien,<br />

so völlig war er <strong>von</strong> einem zauberhaften Gewirr <strong>von</strong> Gräsern,<br />

Blättern und Blumen bedeckt, die sich des ganzen Bodens<br />

bemächtigt hatten.<br />

Es herrschte vollkommene Stille, trotz dem klagenden<br />

Rauschen des Wassers in den Felsen, einem monotonen<br />

Rauschen, als stiller Begleitung.<br />

Und in diesem wun<strong>der</strong>vollen Wald, in dieser Einsamkeit,<br />

in dieser Stille waren wir zu zweit – er, ein ganz junger<br />

Mensch, und ich, fast ein Greis, dem viele Illusionen die<br />

Seele entzaubert, viele Anstrengungen den Körper erschlafft<br />

hatten, und <strong>der</strong> behaftet war mit dem alten und verhängnisvollen<br />

Erbe <strong>der</strong> Laster einer moralisch und physisch<br />

kranken Gesellschaft!<br />

Er schritt vor mir her, mit <strong>der</strong> animalischen Geschmeidigkeit<br />

seiner anmutigen, androgynen Formen. Ich meinte<br />

die ganze vegetabilische Herrlichkeit rings um uns in ihm<br />

verkörpert und atmen zu sehen. Und <strong>von</strong> ihr zu ihm, durch<br />

ihn, löste sich, ging aus ein Duft <strong>von</strong> Schönheit, <strong>der</strong> meine<br />

35


Seele berauschte und mit dem sich, wie eine starke Essenz,<br />

das Gefühl <strong>der</strong> Freundschaft mischte, die zwischen uns<br />

durch die Anziehungskraft entstanden war, die das Ein-fache<br />

und das Komplizierte auf einan<strong>der</strong> ausüben.<br />

War es ein Mann, <strong>der</strong> da vor mir schritt? – Bei diesen<br />

nackten Völkerschaften ist, wie bei den Tieren, <strong>der</strong> Unterschied<br />

<strong>der</strong> Geschlechter viel weniger deutlich als in unserem<br />

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Klima. Wir steigern die Schwäche <strong>der</strong> Frau, indem wir sie<br />

<strong>von</strong> Anstrengungen fernhalten, mit an<strong>der</strong>n Worten <strong>von</strong> <strong>der</strong><br />

Gelegenheit, sich zu entwickeln, und wir formen sie nach<br />

einem trügerischen Schlankheitsideal.<br />

In Tahiti kräftigt die Wald- und Meeresluft alle Lungen,<br />

macht alle Schultern und alle Hüften breit, und <strong>der</strong> Kiessand<br />

des Strandes, zusammen mit den Sonnenstrahlen,<br />

37


verschont die Frauen so wenig wie die Männer. Jene<br />

verrichten die selben Arbeiten wie diese und diese haben<br />

die gleiche Lässigkeit wie jene. In den Frauen steckt<br />

etwas Männliches und in den Männern etwas Weibliches.<br />

<strong>Die</strong>se Ähnlichkeit <strong>der</strong> beiden Geschlechter erleichtert ihre<br />

Beziehungen, denen die beständige Nacktheit völlige Reinheit<br />

verleiht, da sie den Sitten alle Vorstellungen <strong>von</strong><br />

unbekannten Dingen, <strong>von</strong> geheimnisvollen Vorrechten, <strong>von</strong><br />

Zufällen o<strong>der</strong> erfolgversprechenden <strong>Die</strong>bereien nimmt, das<br />

ganze sadistische Getue, die ganze schmähliche und verstohlene<br />

Art <strong>der</strong> Liebe bei den Zivilisierten.<br />

Warum weckte diese Abschwächung <strong>der</strong> Unterschiede<br />

zwischen den beiden Geschlechtern, die bei den «Wilden»,<br />

weil sie aus Mann und Frau ebensosehr Freunde als<br />

Liebende macht, sogar die Vorstellung des Lasterhaften<br />

nicht aufkommen läßt, diese Vorstellung plötzlich bei<br />

einem alten Zivilisierten, mit dem furchtbaren Reiz des<br />

Neuen, Unbekannten?<br />

Ich näherte mich, Fieber in den Schläfen. Und wir<br />

waren nur wir beide. Es überkam mich wie eine Ahnung<br />

drohenden Verbrechens…<br />

Aber <strong>der</strong> Pfad war zu Ende. Um den Bach zu durchschreiten,<br />

wandte sich mein Gefährte und kehrte mir bei<br />

dieser Bewegung die Brust zu.<br />

Der Androgyne war verschwunden. Es war wirklich ein<br />

junger Mann, und seine unschuldigen Augen hatten die<br />

durchsichtige Klarheit stiller Wasser.<br />

Sogleich kehrte Friede in meine Seele zurück.<br />

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Ich empfand einen unendlichen, ebenso geistigen als physischen<br />

Genuß, in das kalte Wasser des Baches zu tauchen.<br />

– Toë toë (es ist kalt), sagte er.<br />

– O nein! erwi<strong>der</strong>te ich.<br />

Und dieser Ausruf, <strong>der</strong> zum Abschluß des Kampfes paßte,<br />

den ich eben in meinem Innern gegen eine ganze ver<strong>der</strong>bte<br />

Zivilisation bestanden hatte, weckte ein tönendes Echo im<br />

Gebirge. <strong>Die</strong> Natur verstand mich, hörte mich und jetzt,<br />

nach dem Kampf und dem Sieg, erhob auch sie ihre starke<br />

Stimme, um mir zu sagen, daß sie mich unter ihre Kin<strong>der</strong><br />

aufnahm.<br />

Voll Eifer drang ich in das Dickicht, als ob ich in dieser<br />

ungeheuren, mütterlichen Natur hätte aufgehen wollen.<br />

Und mein Gefährte schritt mit unverän<strong>der</strong>t ruhigem Blick<br />

weiter vor mir her. Er war ohne Argwohn gewesen: ich<br />

allein trug die Last eines bösen Gedankens.<br />

Wir langten am Ziel an. Hier traten die steilen Bergwände<br />

auseinan<strong>der</strong>, und hinter einem Vorhang ineinan<strong>der</strong><br />

verflochtener Bäume dehnte sich, völlig versteckt, aber<br />

meinem Führer gut bekannt, eine Art Plateau. Etwa zehn<br />

Rosenholzbäume breiteten dort ihr weites Geäst aus. Den<br />

schönsten <strong>von</strong> allen griffen wir mit <strong>der</strong> Axt an und wir<br />

mußten ihn umhauen, um ihm einen für mein Vorhaben<br />

passenden Ast zu rauben.<br />

Ich hieb drauf los, ich riß mir die Hände blutig, mit<br />

<strong>der</strong> freudigen Wut, dem intensiven Vergnügen, eine<br />

undefinierbare göttliche Brutalität in mir zu befriedigen.<br />

Nicht auf den Baum hieb ich ein, nicht ihn wollte ich fällen.<br />

Und doch hätte ich den Klang meiner Axt gern noch an<br />

39


an<strong>der</strong>n Stämmen vernommen, als dieser am Boden lag.<br />

Und dies glaubte ich <strong>von</strong> meiner Axt im Takt <strong>der</strong> hallenden<br />

Hiebe zu hören:<br />

Den ganzen Wald schlag nie<strong>der</strong> an <strong>der</strong> Wurzel,<br />

dessen Keime einst in dich drangen durch tödlichen<br />

Hauch.<br />

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Zerstöre die Eigenliebe in dir,<br />

Wie man im Herbst mit <strong>der</strong> Hand die Lotusblüte<br />

schneidet!<br />

Ja, <strong>von</strong> nun an ist <strong>der</strong> alte Zivilisierte wirklich völlig vernichtet,<br />

völlig tot! Ich wurde wie<strong>der</strong>geboren, o<strong>der</strong> vielmehr,<br />

ein reiner und starker Mensch gewann Leben in mir.<br />

41


<strong>Die</strong>ser grausame Anfall würde <strong>der</strong> letzte Abschied <strong>von</strong> <strong>der</strong><br />

Zivilisation, vom Bösen sein. <strong>Die</strong> ver<strong>der</strong>bten Instinkte,<br />

die auf dem Grunde aller dekadenten Seelen schlummern<br />

und sich so steigerten, daß sie mit ihrer Scheußlichkeit<br />

die zauberhafte Reinheit des Lichtes, das ich atmete,<br />

auslöschen wollten, verliehen durch ihren Kontrast <strong>der</strong><br />

gesunden Einfachheit des Lebens, mit <strong>der</strong> ich mich schon<br />

zu befreunden begonnen, einen unsagbaren Charme. <strong>Die</strong>se<br />

innere Prüfung war eine Prüfung <strong>der</strong> Selbstbeherrschung.<br />

Ich war jetzt ein an<strong>der</strong>er Mensch, ein Wil<strong>der</strong>, ein Maori.<br />

Jotefa und ich kehrten zur Hütte zurück, ruhig und<br />

fröhlich, beladen mit unserer schweren Rosenholzlast:<br />

<strong>Noa</strong> noa!<br />

<strong>Die</strong> Sonne war noch nicht untergegangen, als wir müde<br />

vor meiner Hütte anlangten.<br />

Jotefa sagte zu mir:<br />

– Bist du zufrieden?<br />

– Ja.<br />

Und in <strong>der</strong> Tiefe meiner Seele wie<strong>der</strong>holte ich für mich:<br />

– Ja.<br />

Ich tat keinen Meißelhieb in das Holz, ohne den Duft des<br />

Sieges und <strong>der</strong> Verjüngung einzuatmen – jedesmal stärker.<br />

* *<br />

*<br />

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Durch das Tal des Punaruu – die große Kluft <strong>von</strong> Tahiti –<br />

gelangt man zu dem Plateau <strong>von</strong> Tamanau. Von dort<br />

kann man das Diadem, den Orohena und den Aoraï sehen,<br />

das Zentrum <strong>der</strong> Insel. Gar manche hatten mir da<strong>von</strong><br />

gesprochen, und ich nahm mir vor, hinzugehen – allein –<br />

und dort einige Tage zu verbringen.<br />

– Aber was wirst du nachts machen?<br />

– <strong>Die</strong> Tupapaus werden dich ängstigen.<br />

– Du mußt unbesonnen o<strong>der</strong> toll sein, daß du die<br />

Geister des Gebirges stören willst!…<br />

Doch die Unruhe und Besorgnis meiner guten tahitanischen<br />

Freunde stachelte meine Neugier nur noch mehr an.<br />

Also brach ich eines Morgens auf.<br />

Fast zwei Stunden konnte ich einem Pfad folgen, <strong>der</strong><br />

dem Ufer des Punaruuflusses entlang führte. Dann aber<br />

war ich mehrmals gezwungen, den Fluß zu durchschreiten.<br />

Dazu wurden auf beiden Seiten die Bergwände zusehends<br />

steiler und trieben bis in die Mitte des Wassers gewaltige<br />

Felsblöcke vor. Schließlich war ich gezwungen, meinen<br />

Weg im Wasser fortzusetzen, und bald ging es mir bis an<br />

die Knie, bald bis an die Schultern.<br />

Zwischen den beiden ungemein hohen Wänden war die<br />

Sonne kaum sichtbar. Am grell blauen Himmel sah man am<br />

hellen Tag beinahe die Sterne.<br />

Gegen fünf Uhr, beim Einbruch <strong>der</strong> Dunkelheit, beschäftigte<br />

ich mich eben mit dem Ort, an dem ich die Nacht<br />

zubringen könnte, als ich zur Rechten ein Hektar fast<br />

flaches Land bemerkte, auf dem bunt durcheinan<strong>der</strong> Farne,<br />

wilde Bananenbäume und Buraos wuchsen. Ich hatte das<br />

43


Glück, einige reife Bananen zu finden. Eilig brannte ich<br />

etwas Holz an, um sie zu rösten – und das war meine<br />

Mahlzeit. Dann legte ich mich so gut es ging schlafen,<br />

unter einem Baum, dessen Zweige ich mit Bananenblättern<br />

verflochten hatte, um mich vor Regen zu schützen.<br />

Es war kalt, und ich schlotterte nach meinem Waten<br />

im Wasser. Ich schlief schlecht. Aus Furcht, die wilden<br />

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Schweine könnten mir die Beine aufreißen, hatte ich die<br />

Schnur meiner Axt am Handgelenk befestigt.<br />

<strong>Die</strong> Nacht war finster. Unmöglich, irgend etwas zu unterscheiden,<br />

außer nahe bei meinem Kopf eine Art phospho reszierenden<br />

Staubs, <strong>der</strong> mich seltsam beunruhigte. Ich lächelte<br />

bei dem Gedanken an das, was mir die Maori vom Tupapau<br />

45


erzählt hatten, jenem bösen Geist, <strong>der</strong> mit hereinbrechen<strong>der</strong><br />

Nacht erwacht, um die schlafenden Menschen zu ängstigen.<br />

Sein Sitz ist im Herzen des Gebirges, das <strong>der</strong> Wald in Finsternis<br />

hüllt. Dort wimmelt es <strong>von</strong> seiner Art, und die Seelen<br />

aller Verstorbenen mehren seine Legionen. Wehe dem Lebenden,<br />

<strong>der</strong> sich an diese <strong>von</strong> Dämonen unsicher gemachten<br />

Orte wagt! Und ich war dieser Unvorsichtige. Meine Träume<br />

waren denn auch recht unruhig.<br />

Später erfuhr ich, daß dieser leuchtende Staub <strong>von</strong> einer<br />

beson<strong>der</strong>n Art kleiner Champignons herrührt, die an feuchten<br />

Stellen auf abgestorbenen Ästen wachsen, wie jenen,<br />

die mir zum Feuermachen gedient hatten.<br />

Am nächsten Tag machte ich mich bei Morgengrauen<br />

wie<strong>der</strong> auf den Weg.<br />

Der immer mehr sich verän<strong>der</strong>nde Fluß, bald Bach,<br />

bald Strom, bald Wasserfall, krümmt sich immer stärker.<br />

Häufig ist kein Pfad mehr vorhanden, und oft helfe ich<br />

mir mit den Händen weiter, <strong>von</strong> Ast zu Ast, und nur selten<br />

stütze ich mich auf den Boden.<br />

Vom Grunde des Wassers sahen mich Krebse <strong>von</strong> außerordentlichem<br />

Umfang an, als ob sie sagen wollten: Was<br />

willst du hier? Und hun<strong>der</strong>tjährige Aale flohen bei meinem<br />

Nahen.<br />

Plötzlich, bei einer jähen Biegung, bemerkte ich an<br />

einen Felsvorsprung gelehnt, den es mit seinen beiden<br />

Händen mehr liebkoste, als daß es sich an ihm festhielt,<br />

ein junges, nacktes Mädchen. Es trank aus einer Quelle,<br />

die aus großer Höhe zwischen den Steinen hervorsprudelte.<br />

Nachdem es getrunken hatte, nahm es Wasser in seine<br />

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Hände und ließ es zwischen den Brüsten nie<strong>der</strong>rieseln.<br />

Dann – obwohl ich nicht das geringste Geräusch gemacht<br />

hatte – senkte es wie eine furchtsame Antilope, die instinktmäßig<br />

den Fremden wittert, den Kopf und schaute<br />

forschend nach dem Dickicht, in dem ich verborgen war.<br />

Und mein Blick begegnete dem seinen nicht. Kaum sah es<br />

mich, als es sofort mit dem lauten Ruf: Taë haë!<br />

(Frecher) untertauchte. Unverzüglich schaute ich ins<br />

Wasser: Niemand. Nichts als ein riesiger Aal, <strong>der</strong> sich<br />

zwischen den kleinen Kieseln auf dem Grunde wand.<br />

Nicht ohne Schwierigkeit und Ermüdung gelangte ich<br />

endlich an den Fuß des Aoraï, des Gipfels <strong>der</strong> Insel, den<br />

gefürchteten Berg. Es war Abend. Der Mond ging auf, und<br />

als ich ihn betrachtete, erinnerte ich mich des heiligen<br />

Zwiegesprächs, gerade an dem Ort, den ihm die Legende<br />

als Schauplatz zuweist:<br />

Hina sagte zu Tefatu:<br />

– Laßt den Menschen wie<strong>der</strong> auferstehen, wenn er<br />

tot ist.<br />

Der Gott <strong>der</strong> Erde antwortete <strong>der</strong> Göttin des Mondes:<br />

– Nein, ich werde ihn nicht auferstehen lassen.<br />

Der Mensch wird sterben, die Vegetation wird<br />

sterben, wie die, welche sich <strong>von</strong> ihr nähren.<br />

<strong>Die</strong> Erde wird sterben, die Erde wird untergehen;<br />

sie wird untergehen, um nie wie<strong>der</strong> zu erstehen.<br />

Hina antwortete:<br />

– Tut, wie es euch gefällt.<br />

Ich aber werde den Mond wie<strong>der</strong> auferstehen lassen.<br />

47


Und was Hina gehörte, fuhr fort zu leben,<br />

was Tefatu gehörte, ging zugrunde,<br />

und <strong>der</strong> Mensch mußte sterben.<br />

* *<br />

*<br />

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IV<br />

Seit einiger Zeit war ich melancholisch geworden. Meine<br />

Arbeit litt darunter. Allerdings fehlten mir viele wichtige<br />

Dinge. Vor allem aber fehlte mir die Freude.<br />

Es war mehrere Monate her, seit ich Titi nach Papeete<br />

zurückgeschickt hatte, mehrere Monate, seit ich das<br />

Geplau<strong>der</strong> <strong>der</strong> Vahine nicht mehr hörte, die mir ununterbrochen<br />

über die selben Dinge die selben Fragen stellte,<br />

auf die ich unabän<strong>der</strong>lich mit den selben Geschichten<br />

antwortete. Und diese Stille tat mir nicht gut.<br />

Ich beschloß fortzugehen, eine Reise um die Insel zu<br />

unternehmen, für die ich mir kein bestimmtes Ziel festsetzte.<br />

Während ich einige leichte Pakete für die Bedürfnisse<br />

<strong>der</strong> Reise machte und alle meine Studien ordnete, schaute<br />

mir mein Nachbar und Eigentümer, Freund Anani, beunruhigt<br />

zu. Schließlich entschloß er sich, mich zu fragen,<br />

ob ich mich zum Fortgehen anschicke. Ich erwi<strong>der</strong>te, nein,<br />

ich bereitete mich bloß für einen Ausflug <strong>von</strong> einigen Tagen<br />

vor und würde wie<strong>der</strong>kommen. Er glaubte mir nicht und<br />

fing an zu weinen. Sein Weib gesellte sich zu ihm und<br />

sprach mir <strong>von</strong> ihrer Zuneigung, sagte, ich brauche kein<br />

Geld, um unter ihnen zu leben, auch könnte ich einst für<br />

immer dort ruhen – und sie zeigte mir einen mit einem<br />

Bäumchen geschmückten Platz bei ihrer Hütte…<br />

49


Und ich spürte das Verlangen, für immer dort zu ruhen.<br />

Dort wenigstens würde mich in alle Ewigkeit niemand stören…<br />

– Ihr Europäer, fügte das Weib <strong>von</strong> Anani bei, versprecht<br />

immer, zu bleiben, und wenn man euch endlich lieb<br />

gewonnen, geht ihr fort! Um wie<strong>der</strong>zukommen, versichert<br />

ihr, aber ihr kommt nie wie<strong>der</strong>.<br />

– Nun denn, was mich anlangt, ich kann schwören,<br />

daß ich die Absicht habe, in einigen Tagen zurück zu<br />

kommen. Später (ich wagte nicht zu lügen), später würde<br />

ich sehen…<br />

Endlich ging ich. Ich weiche vom Wege ab, <strong>der</strong> dem<br />

Meer entlang führt, folge einem schmalen Pfad durch ein<br />

Dickicht, das sich recht weit ins Gebirge hinein erstreckt<br />

und gelange in ein kleines Tal, dessen Bewohner nach<br />

alter Maorisitte leben. Sie sind glücklich und still. Sie<br />

träumen, sie lieben, sie schlummern, sie singen, sie beten<br />

und deutlich sehe ich – obwohl sie in Wirklichkeit nicht<br />

da sind – die Statuen ihrer weiblichen Gottheiten, Statuen<br />

<strong>von</strong> Hina und Feste zu Ehren <strong>der</strong> Mondgöttin. Das Idol,<br />

aus einem einzigen Block, mißt zehn Fuß <strong>von</strong> einer Schulter<br />

zur an<strong>der</strong>n und vierzig in <strong>der</strong> Höhe. Auf dem Haupt trägt<br />

es in Form einer Haube einen gewaltigen Stein <strong>von</strong> rötlicher<br />

Farbe. Um das Idol herum tanzt man nach altem Ritus –<br />

matamua – und das Vivo variiert seinen Ton, bald hell<br />

und heiter, bald melancholisch und düster, je nach den<br />

Stunden, die einan<strong>der</strong> folgen.<br />

Ich setze meinen Weg fort. In Taravao, am äußersten<br />

Ende <strong>der</strong> Insel, leiht mir ein Gendarm sein Pferd, und ich<br />

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eite an <strong>der</strong> Ostküste weiter, die <strong>von</strong> den Europäern wenig<br />

besucht wird.<br />

In Faone, einem kleinen Distrikt, <strong>der</strong> vor dem <strong>von</strong> Itia<br />

liegt, ruft mich ein Eingeborener an:<br />

– He! Mann, <strong>der</strong> Menschen macht (er weiß, daß ich<br />

Maler bin): Haëre maï ta maha! (Komm und iß mit uns),<br />

die tahitanische Formel <strong>der</strong> Gastfreundschaft.<br />

Ich lasse mich nicht bitten, so verführerisch und anmutig<br />

ist das Lächeln, das die Einladung begleitet. Ich steige vom<br />

Pferd. Mein Gastgeber nimmt es und bindet es an einen Ast,<br />

ohne jede Unterwürfigkeit, unbefangen und ge wandt. Und<br />

wir treten beide in eine Hütte, in <strong>der</strong> Männer, Frauen und<br />

Kin<strong>der</strong> beisammen sind, am Boden sitzen, plau<strong>der</strong>n und<br />

rauchen.<br />

– Wohin gehst du? fragt mich eine schöne, etwa vier zigjährige<br />

Maori.<br />

– Ich gehe nach Itia.<br />

51


– Zu welchem Zweck?<br />

Ich weiß nicht, welcher Gedanke mir durch den Kopf<br />

ging, und vielleicht sagte ich, ohne es zu wissen, das wahre,<br />

mir selbst verborgene Ziel meiner Reise:<br />

– Um dort eine Frau zu suchen, erwi<strong>der</strong>te ich.<br />

– In Itia gibt es viele und hübsche. Willst du eine?<br />

– Ja.<br />

– Wenn du willst, will ich dir eine geben. Es ist meine<br />

Tochter.<br />

– Ist sie jung?<br />

– Ja.<br />

– Ist sie gesund?<br />

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– Ja.<br />

– Gut. Hole sie mir.<br />

<strong>Die</strong> Frau ging hinaus.<br />

Eine Viertelstunde später, während man Maiore, wilde<br />

Bananen, Krabben und einen Fisch für das Mahl brachte,<br />

kam sie zurück, gefolgt <strong>von</strong> einem großen jungen Mädchen,<br />

das ein kleines Bündel in <strong>der</strong> Hand hielt. Durch das<br />

53


Gewand <strong>von</strong> ungemein durchsichtigem rosa Musselin<br />

sah man die goldene Haut <strong>der</strong> Schultern und Arme. Zwei<br />

Knospen hoben sich fest <strong>von</strong> ihrer Brust. In ihrem bezaubernden<br />

Gesicht fand ich nicht den Typus, den ich bis<br />

dahin überall auf <strong>der</strong> Insel als vorherrschend getroffen<br />

hatte, und auch ihr Haar war ganz ungewöhnlich, überaus<br />

buschig und etwas kraus. In <strong>der</strong> Sonne bot all das eine<br />

Orgie <strong>von</strong> Chromtönen.<br />

Ich erfuhr später, daß sie <strong>von</strong> den Tongainseln stammte.<br />

Als sie sich neben mich gesetzt hatte, richtete ich einige<br />

Fragen an sie:<br />

– Du fürchtest dich nicht vor mir?<br />

– Aïta (nein).<br />

– Willst du in meiner Hütte wohnen – für immer?<br />

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– Eha (ja).<br />

– Du bist nie krank gewesen?<br />

– Aïta.<br />

Das war alles. Das Herz klopfte mir, während das junge<br />

Mädchen gelassen am Boden vor mir auf einem großen<br />

Bananenblatt die Speisen ordnete, die man mir angeboten.<br />

Ich aß mit gutem Appetit, aber ich war zer-streut und eingeschüchtert.<br />

<strong>Die</strong>ses junge Mädchen, dieses Kind <strong>von</strong> etwa<br />

dreizehn Jahren, entzückte und erschreckte mich.<br />

Was ging in dieser Seele vor?<br />

Und ich, so alt im Vergleich zu ihr, war es, <strong>der</strong> im Augenblick<br />

<strong>der</strong> Unter zeichnung eines so eilig ersonnenen und<br />

abgeschlossenen Vertrags zögerte.<br />

Vielleicht – so dachte ich – hat die Mutter befohlen,<br />

verlangt. Vielleicht ist es ein Handel, den sie unter sich<br />

ausgemacht haben… Und doch sah ich bei dem großen<br />

Kind sehr deutlich Zeichen <strong>von</strong> Unabhängigkeit und Stolz,<br />

wie sie für seine Rasse charakteristisch sind.<br />

Vor allem beruhigte mich, daß sie unzweifelhaft die<br />

Haltung, den heiteren Ausdruck hatte, <strong>der</strong> bei jungen<br />

Wesen eine ehrenhafte und löbliche Handlung begleitet.<br />

Doch <strong>der</strong> spöttische Zug um ihren, übrigens guten, sinnlichen<br />

und weichen Mund war mir ein Wink, daß die<br />

Gefahr auf meiner Seite lag, nicht auf ihrer…<br />

Ich verhehle nicht, daß mein Herz <strong>von</strong> einer seltsamen<br />

Furcht, einer peinigenden Besorgnis, einer wahren Angst<br />

bedrückt war, als ich die Schwelle <strong>der</strong> Hütte überschritt.<br />

Ich nahm mein Pferd und stieg auf. Das junge Mädchen<br />

folgte.<br />

55


Seine Mutter, ein Mann, zwei junge Frauen – seine<br />

Tanten, wie es sagte – folgten auch.<br />

Wir kehrten nach Taravao zurück, das neun Kilometer<br />

<strong>von</strong> Faone entfernt ist.<br />

Aber nach dem ersten Kilometer sagte man zu mir: Parahi<br />

teïe (hier mache Halt). Ich stieg vom Pferde, und wir traten<br />

in eine große, reinlich gehaltene, beinahe reiche Hütte –<br />

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eich an Erzeugnissen des Bodens – mit hübschen Matten<br />

auf Heu. Ein noch junges und ungemein liebenswürdiges<br />

Paar bewohnte sie. Meine Braut setzte sich neben die Frau<br />

und stellte sie mir vor:<br />

– Hier meine Mutter.<br />

Dann füllte man schweigend einen Becher mit frischem<br />

Wasser, aus dem wir alle <strong>der</strong> Reihe nach tranken, als<br />

57


handle es sich um einen frommen Familienbrauch. Hierauf<br />

sagte die, welche mir meine Braut eben als ihre Mutter vorgestellt<br />

hatte, mit gerührtem Blick und feuchten Wimpern<br />

zu mir:<br />

– Du bist gut?<br />

Ich antwortete – nicht ohne Verwirrung – nachdem ich<br />

mein Gewissen geprüft:<br />

– Ja.<br />

– Du wirst meine Tochter glücklich machen?<br />

– Ja.<br />

– In acht Tagen muß sie wie<strong>der</strong>kommen. Wenn sie nicht<br />

glücklich ist, wird sie dich verlassen.<br />

Langes Schweigen. Endlich gingen wir hinaus und <strong>von</strong><br />

neuem zu Pferd, brach ich wie<strong>der</strong> auf, immer begleitet <strong>von</strong><br />

meinem Gefolge.<br />

Unterwegs begegneten wir mehreren Personen, die meine<br />

neue Familie kannten, und die, als sie das junge Mädchen<br />

grüßten, sagten:<br />

Wie! Du bist jetzt die Vahine eines Franzosen? Sei<br />

glücklich. Alles Gute. – Zweifel lag in ihrem Blick.<br />

Ein Punkt beunruhigte mich. Wie kam Tehura (so hieß<br />

meine Frau) zu zwei Müttern? Ich fragte also die, welche<br />

sie mir zuerst angeboten hatte:<br />

– Warum hast du gelogen?<br />

<strong>Die</strong> Mutter <strong>von</strong> Tehura antwortete:<br />

– Auch die an<strong>der</strong>e ist ihre Mutter, ihre Pflegemutter,<br />

die welche sich mit ihr abgibt.<br />

Den ganzen Weg träumte ich und mein Pferd, das keine<br />

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Führung mehr spürte, trottete unsicher und stolperte über<br />

die großen Kieselsteine.<br />

In Taravao gab ich dem Gendarm das Pferd zurück.<br />

<strong>Die</strong> Frau des Gendarmen, eine nicht hinterhältige, aber<br />

taktlose Französin, sagte zu mir:<br />

– Was! Sie nehmen eine Dirne mit?<br />

Und ihre gehässigen Augen entkleideten das junge Mädchen,<br />

das diesem beleidigenden Examen mit stolzer Gleichgültigkeit<br />

begegnete. Ich betrachtete einen Augen-blick das<br />

symbolische Schauspiel, das die beiden Frauen mir boten.<br />

Dort Verfall, hier neues Blühen, Gesetz und Glaube, Künstlichkeit<br />

und Natur, und über das reine<br />

Geschöpf wehte <strong>der</strong> unreine Atem <strong>der</strong> Lüge und Bosheit.<br />

Auch zwei Rassen standen sich gegenüber, und ich<br />

schämte mich <strong>der</strong> meinen. Es schien mir, sie beflecke den<br />

so schönen Himmel mit einer Wolke schmutzigen Rauchs.<br />

59


Rasch wandte ich den Blick ab, um mich am Glanz dieses<br />

lebenden Goldes, das ich schon liebte, zu erholen und zu<br />

erfreuen.<br />

Der Abschied <strong>von</strong> <strong>der</strong> Familie geschah in Taravao, bei<br />

dem Chinesen, bei dem alles zu haben ist, Menschen so gut<br />

wie Tiere.<br />

Meine Braut und ich nahmen den öffentlichen Wagen,<br />

<strong>der</strong> uns fünfundzwanzig Kilometer weiter, in Mataïea,<br />

bei meiner Hütte absetzte.<br />

60<br />

* *<br />

*<br />

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Meine Frau war wenig gesprächig, melancholisch und<br />

spottlustig.<br />

Wir beobachteten uns gegenseitig unablässig, aber sie<br />

blieb für mich unergründlich, und ich war bald <strong>der</strong> Besiegte<br />

in diesem Kampf. Ich konnte mir noch so vornehmen, mich<br />

zu überwachen, zu beherrschen, um ein scharfsichtiger<br />

Zeuge zu bleiben, es dauerte nicht lange, und meine<br />

ernstesten Entschlüsse scheiterten an meinen Nerven, und<br />

in kurzer Zeit war ich für Tehura ein offenes Buch.<br />

Ich lernte so – gewissermaßen auf meine Kosten und an<br />

meiner eigenen Person – die große Kluft kennen, die eine<br />

Seele Ozeaniens <strong>von</strong> einer lateinischen, vor allem einer<br />

französischen Seele trennt. <strong>Die</strong> Seele <strong>der</strong> Maori gibt sich<br />

nicht sofort. Es braucht viel Geduld und Studium, um<br />

ihrer habhaft zu werden. Sie entzieht sich zuerst und bringt<br />

einen auf tausend Arten, unter Lachen und Stimmungswechsel,<br />

aus <strong>der</strong> Fassung. Und während man sich <strong>von</strong><br />

diesem Schein, wie <strong>von</strong> Äußerungen ihres wirklichen<br />

Wesens, überrumpeln läßt, beobachtet sie einen, ohne sich<br />

als Persönlichkeit aufspielen zu wollen, mit ruhiger<br />

Zuversicht aus <strong>der</strong>Tiefe ihrer lachenden Sorglosigkeit,<br />

ihres kindlichen Leichtsinns.<br />

Eine Woche verfloß, während <strong>der</strong> ich <strong>von</strong> einer «Kindhaftigkeit»<br />

war, die ich selber an mir nicht kannte. Ich<br />

liebte Tehura und sagte es ihr, was ihr ein Lächeln entlockte:<br />

sie wußte es ja! Auch sie schien mich zu lieben –<br />

doch sie sagte es mir nicht. Aber zuweilen, in <strong>der</strong> Nacht,<br />

zuckten Blitze über das Gold <strong>von</strong> Tehuras Haut…<br />

Am achten Tag – mir war als hätten wir eben zum<br />

61


erstenmal zusammen eine Hütte betreten – bat mich Tehura<br />

um die Erlaubnis, ihre Mutter in Faone zu besuchen, wie es<br />

versprochen war. Betrübt fügte ich mich, knüpfte einige<br />

Piaster in ihr Taschentuch, damit sie die Kosten <strong>der</strong> Reise<br />

bestreiten und ihrem Vater Rum bringen konnte, und begleitete<br />

sie zum öffentlichen Wagen.<br />

Es war für mich wie ein Abschied.<br />

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Würde sie wie<strong>der</strong>kommen?<br />

<strong>Die</strong> Einsamkeit trieb mich aus <strong>der</strong> Hütte. Ich konnte<br />

meine Gedanken auf keine Arbeit konzentrieren…<br />

Mehrere Tage später kam sie zurück.<br />

* *<br />

*<br />

63


Nun begann ein vollkommen glückliches Leben, gegründet<br />

auf Zuversicht hinsichtlich <strong>der</strong> Zukunft, auf gegenseitiges<br />

Vertrauen und auf die Gewißheit gegenseitiger Liebe.<br />

Ich hatte wie<strong>der</strong> angefangen zu arbeiten, und das Glück<br />

wohnte in meinem Haus: es ging auf mit <strong>der</strong> Sonne, strahlend<br />

wie sie. Das Gold <strong>von</strong> Tehuras Antlitz überflutete das<br />

Innere <strong>der</strong> Hütte und die Landschaft ringsum mit Freude<br />

und Licht. Und beide lebten wir so vollkommen einfach!<br />

Wie wohl tat es, sich morgens im benachbarten Bach zusammen<br />

zu erfrischen, so wie es im Paradies zweifelsohne<br />

<strong>der</strong> erste Mann und das erste Weib getan!<br />

Paradies <strong>von</strong> Tahiti, nave nave fenua…<br />

Und die Eva dieses Paradieses gibt sich immer fügsamer<br />

und lieben<strong>der</strong>. Ihr Duft durchdringt mich: <strong>Noa</strong> noa! Zur<br />

rechten Zeit ist sie in mein Leben getreten. Früher hätte ich<br />

64<br />

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sie vielleicht nicht verstanden und später wäre es recht spät<br />

gewesen. Heute verstehe ich sie, wie ich sie liebe, und durch<br />

sie dringe ich endlich in gar viele Mysterien ein, die mir<br />

bis dahin unzugänglich waren. Aber vorläufig wird es <strong>von</strong><br />

meinem Verstand nicht verarbeitet, <strong>von</strong> meinem Gedächtnis<br />

nicht aufgenommen. Alles was Tehura mir sagt, erfasse<br />

ich mit dem Gefühl. In meinen Sinnen und Empfindungen<br />

werde ich ihre Worte später wie<strong>der</strong>finden. Sicherer als<br />

durch irgendeine an<strong>der</strong>e Methode führt sie mich durch die<br />

Aufklärung des täglichen Lebens zum vollen Verständnis<br />

ihrer Rasse. Und ich habe kein Bewußtsein mehr <strong>von</strong> Tagen<br />

und Stunden, <strong>von</strong> Gut und Böse. Glück ist <strong>der</strong> Zeit so<br />

fremd, daß es den Begriff da<strong>von</strong> aufhebt, und alles ist gut,<br />

wenn alles schön ist.<br />

Und Tehura stört mich nie, wenn ich arbeite o<strong>der</strong> wenn<br />

65


ich träume. Aus Instinkt schweigt sie dann. Sie weiß sehr<br />

gut, wann sie die Stimme erheben kann, ohne mich zu stören.<br />

Dann sprechen wir über Europa, über Gott und über<br />

Götter. Ich unterrichte sie und sie unterrichtet mich.<br />

66<br />

* *<br />

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Ich war genötigt, für einen Tag nach Papeete zu fahren.<br />

Ich hatte versprochen, am selben Abend zurückzukommen,<br />

aber <strong>der</strong> Wagen, den ich nahm, setzte mich auf halbem<br />

Wege ab, ich mußte den Rest zu Fuß zurücklegen, und es<br />

war ein Uhr morgens, als ich zu Hause anlangte.<br />

Wir besaßen im Augenblick nur sehr wenig Licht, da<br />

mein Vorrat erneuert werden mußte.<br />

67


Als ich die Türe öffnete, war die Lampe erloschen, und<br />

<strong>der</strong> Raum lag im Dunkeln. Ein plötzliches Gefühl <strong>von</strong><br />

Besorgnis, <strong>von</strong> Argwohn überkam mich: <strong>der</strong> Vogel war<br />

gewiß da<strong>von</strong>geflogen. Rasch zündete ich ein Streichholz<br />

an und sah…<br />

Regungslos, nackt, platt hingestreckt auf dem Bett, die<br />

Augen übermäßig groß vor Angst, blickte mich Tehura<br />

an und schien mich nicht zu erkennen. Ich selber verharrte<br />

einige Augenblicke in seltsamer Ungewißheit. Ansteckung<br />

ging <strong>von</strong> Tehuras Entsetzen aus.<br />

Mir war, ein phosphoreszieren<strong>der</strong> Glanz entströme ihren<br />

starr blickenden Augen. Nie hatte ich sie so schön, vor<br />

allem nie <strong>von</strong> so ergreifen<strong>der</strong> Schönheit gesehen.<br />

Und dann fürchtete ich, in diesem sicherlich <strong>von</strong> gefährlichen<br />

Erscheinungen, <strong>von</strong> zweideutigen Einflüsterungen<br />

bevölkerten Halbdunkel eine Bewegung zu machen, die<br />

den Schrecken des Kindes zum Paroxysmus steigern konnte.<br />

Wußte ich denn, was ich in diesem Augenblick für sie war?<br />

Ob sie mich mit meinem beunruhigten Gesicht nicht für<br />

einen jener Dämonen o<strong>der</strong> Geister hielt, jener Tupapaus,<br />

mit denen die Legenden ihrer Rasse die schlaflosen Nächte<br />

anfüllen? Wußte ich auch nur, wer sie in Wirklichkeit war?<br />

<strong>Die</strong> Intensität des Gefühls, <strong>von</strong> dem sie unter <strong>der</strong> physischen<br />

und moralischen Gewalt ihres Aberglaubens besessen<br />

war, machte sie zu einem so fremden Wesen für mich, so<br />

verschieden <strong>von</strong> allem, was ich bisher gekannt.<br />

Endlich kam sie zu sich, und ich gab mir alle Mühe,<br />

sie zu beruhigen und ihr wie<strong>der</strong> Vertrauen einzuflößen.<br />

Sie hörte mich schmollend an, dann, mit einer Stimme,<br />

68<br />

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die vor Schluchzen<br />

bebte:<br />

– Laß mich nie<br />

wie<strong>der</strong> so allein<br />

ohne Licht!<br />

Aber kaum<br />

war die Furcht<br />

zerstreut, als die<br />

Eifersucht erwachte.<br />

– Was tatest du in <strong>der</strong> Stadt? Du hast Frauen besucht,<br />

solche, die auf Märkten trinken und tanzen und sich dann<br />

Offizieren und Matrosen und jedem hingeben…<br />

Ich ließ mich auf keinen Streit ein, und die Nacht ward<br />

süß, eine süße und glutvolle Nacht, eine Tropennacht.<br />

* *<br />

*<br />

Tehura war bald sehr vernünftig und sehr liebevoll, bald<br />

ausgelassen und sehr frivol, zwei sehr verschiedene Wesen<br />

in einem, die unversehens und mit verwirren<strong>der</strong> Schnelligkeit<br />

auf einan<strong>der</strong> folgten. Sie war nicht verän<strong>der</strong>lich, sie<br />

war ein Doppelwesen, das Kind einer alten Rasse.<br />

Eines Tages kommt <strong>der</strong> ewige Hausierer-Jude – er macht<br />

die Inseln unsicher wie das Festland – in den Distrikt, mit<br />

einem Kästchen mit Schmucksachen aus vergoldetem Kupfer.<br />

Er breitet seine Ware aus, man umringt ihn. Ein Paar<br />

Ohrringe gehen <strong>von</strong> Hand zu Hand. Alle Augen leuchten,<br />

alle Frauen begehren sie.<br />

69


Tehura runzelt die Brauen und sieht mich an. Sie will<br />

die Ohrringe, und ihre Augen sagen es mir deutlich. Ich<br />

tue, als ob ich sie nicht verstehe.<br />

Sie zieht mich in eine Ecke.<br />

– Ich will sie.<br />

Ich bemerke ihr, in Frankreich sei dieses Zeug kaum<br />

zwei Francs wert, es sei aus Kupfer.<br />

– No atu. Ich will sie.<br />

– Aber es wäre verrückt, zwanzig Francs für solchen<br />

Dreck zu zahlen! Nein.<br />

– Ich will sie.<br />

Und mit leidenschaftlicher Zungenfertigkeit, die Augen<br />

voll Tränen:<br />

– Wie! Du würdest dich nicht schämen, diesen Schmuck<br />

70<br />

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an den Ohren einer an<strong>der</strong>n Frau zu sehen! Schon spricht<br />

einer da<strong>von</strong>, sein Pferd zu verkaufen, um die Ohrringe<br />

seiner Vahine zu schenken!<br />

Ich konnte auf etwas so Törichtes nicht eingehen und<br />

weigere mich, diesmal brutal.<br />

Tehura sieht mich immer noch an, besiegt. Sie sagt<br />

nichts mehr, sie weint.<br />

Ich entferne mich, komme zurück, gebe dem Juden die<br />

zwanzig Francs – und die Sonne scheint wie<strong>der</strong>.<br />

Zwei Tage später war Sonntag. Tehura macht große<br />

Toilette. Das Haar wird mit Seife gewaschen, dann in<br />

<strong>der</strong> Sonne getrocknet und schließlich mit duftendem Öl<br />

eingerieben. Im Kleid, eines <strong>von</strong> meinen Taschentüchern in<br />

<strong>der</strong> Hand, eine Blume hinter dem Ohr, mit nackten Füßen,<br />

geht sie zum Tempel, die Psalmen rekapitulierend, die sie<br />

gleich hersagen wird.<br />

– Und deine Ohrringe? sage ich zu ihr.<br />

Tehura verzieht verächtlich den Mund:<br />

– Sie sind aus Kupfer! Aïta piro, piru piru.<br />

Und laut lachend tritt sie über die Schwelle <strong>der</strong> Hütte<br />

und geht – wie<strong>der</strong> ernst geworden – zum Tempel.<br />

<strong>Die</strong> Mittagsruhe verbringen wir entkleidet, in schlichter<br />

Nacktheit, und schlummern, wie an jedem an<strong>der</strong>n Tag,<br />

nebeneinan<strong>der</strong> o<strong>der</strong> träumen – und vielleicht sieht Tehura<br />

in ihrem Traum an<strong>der</strong>e Ohrringe funkeln. Ich aber möchte<br />

alles vergessen, was ich weiß, und immerfort schlafen…<br />

* *<br />

*<br />

71


Eine große Hochzeit fand in Mataïea statt, eine richtige<br />

Hochzeit, eine legale Hochzeit, wie sie die Missionare<br />

den bekehrten Tahitanern vorzuschreiben suchen.<br />

Ich war dazu eingeladen, und Tehura kam mit mir.<br />

<strong>Die</strong> Mahlzeit bildete den Hauptteil des Festes, und es<br />

ist Brauch, bei solchen Feierlichkeiten den größten kulinarischen<br />

Luxus zu entfalten: ganze, auf heißen Steinen<br />

gebratene Ferkel, eine außerordentliche Menge Fische,<br />

Maiore, wilde Bananen, Taros usw. Der Tisch, an dem eine<br />

ansehnliche Zahl Gäste saß, war unter ein improvisiertes<br />

Dach gestellt worden, das anmutig mit Blättern und<br />

Blumen geschmückt war.<br />

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Alle Verwandten und alle Freunde <strong>der</strong> beiden Gatten<br />

waren da.<br />

Das junge Mädchen – die Lehrerin des Ortes – eine<br />

Halbweiße, nahm einen echten Maori zum Mann, den<br />

Sohn des Häuptlings <strong>von</strong> Punaauia. Sie kam aus den<br />

«religiösen Schulen» <strong>von</strong> Papeete, und <strong>der</strong> protestantische<br />

Bischof, <strong>der</strong> sich für sie interessierte, hatte sie zu dieser<br />

73


Heirat veranlaßt, wie man sagte, etwas eilig. Dort unten<br />

gilt: was <strong>der</strong> Missionar will, ist Gottes Wille.<br />

Man ißt und trinkt viel, und nach einer Stunde beginnen<br />

die Reden. Sie sind zahlreich. Sie werden in guter Ordnung<br />

und mit Methode hergesagt, es ist ein wirklich interessanter<br />

Wettstreit <strong>der</strong> Beredsamkeit, voll Überraschungen.<br />

Dann kommt die wichtige Frage: welche <strong>der</strong> beiden<br />

Familien gibt <strong>der</strong> Vermählten einen neuen Namen? <strong>Die</strong>ser<br />

nationale Brauch, <strong>der</strong> aus ältester Zeit stammt, bedeutet<br />

ein wertvolles, sehr begehrtes Vorrecht. Es geschieht nicht<br />

selten, daß die Diskussion über diesen Punkt in blutigen<br />

Streit ausartet.<br />

An diesem Tag kam es nicht dazu. Alles verlief friedlich.<br />

<strong>Die</strong> ganze Tischgesellschaft war herzlich und fröhlich –<br />

und nicht wenig betrunken. Meine arme Vahine, <strong>von</strong> ihren<br />

Tischnachbarinnen verleitet (ich überwachte sie nicht),<br />

hatte schließlich einen furchtbaren Rausch, und nur mit<br />

großer Mühe brachte ich sie nach Hause: sehr heiter, aber<br />

wie schwer!<br />

In <strong>der</strong> Mitte des Tisches thronte die Frau des Häuptlings<br />

<strong>von</strong> Punaauia, wun<strong>der</strong>voll in ihrer Würde. Ihr anspruchsvolles<br />

und bizarres Kleid <strong>von</strong> orangefarbenem Samt verlieh<br />

ihr entfernt das Aussehen einer Jahrmarktsheldin. Aber die<br />

angeborene Anmut ihrer Rasse und das Bewußtsein ihres<br />

Ranges verliehen diesem Flitter eine undefinierbare Größe.<br />

Bei diesem tahitanischen Fest fügte sie zum Geruch <strong>der</strong><br />

Gerichte, zum Duft <strong>der</strong> Blumen <strong>der</strong> Insel, so schien mir,<br />

ein stärkeres Parfum als die an<strong>der</strong>n, einen Duft, <strong>der</strong> alle<br />

in sich schloß – noa noa!<br />

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Neben ihr saß eine hun<strong>der</strong>tjährige Ahne – scheußlich in<br />

ihrem Zerfall – welche die vollständig erhaltene Reihe<br />

ihrer Menschenfresserzähne noch schrecklicher erscheinen<br />

ließ. Sie nahm wenig teil an dem, was um sie her vorging,<br />

unbeweglich, starr, fast eine Mumie. Doch eine Tätowierung<br />

auf ihrer Wange, ein dunkles Mal <strong>von</strong> unbestimmter Form,<br />

das an einen lateinischen Buchstaben erinnerte, sprach in<br />

meinen Augen für sie.<br />

Ich hatte schon viele Tätowierungen gesehen, aber noch<br />

keine <strong>von</strong> solcher Art. <strong>Die</strong>se war sicher europäisch.<br />

Einst, so sagte man mir, als die Missionare gegen die<br />

Wollust wüteten, zeichneten sie gewisse Frauen mit einem<br />

Stempel <strong>der</strong> Ehrlosigkeit, einem Höllenzeichen, das sie mit<br />

Schande bedeckte – nicht etwa wegen <strong>der</strong> begangenen<br />

Sünde, son<strong>der</strong>n wegen <strong>der</strong> Lächerlichkeit und Schmach<br />

eines solchen Mals <strong>der</strong> Verwüstung. Nun begriff ich das<br />

75


Mißtrauen <strong>der</strong> Maori den Europäern gegenüber, ein Mißtrauen,<br />

das noch heute besteht, sehr gemil<strong>der</strong>t übrigens<br />

durch die großherzige Gastfreundschaft <strong>der</strong> Ozeanier.<br />

Wie viele Jahre lagen doch zwischen <strong>der</strong> vom Priester<br />

gezeichneten Ahne und dem vom Priester vermählten jungen<br />

Mädchen! Das Mal ist immer noch sichtbar, ein zwiefaches<br />

Zeichen <strong>der</strong> Ehrlosigkeit, einmal für die Rasse, die es erlitt,<br />

und dann ohne Zweifel vor allem für die Rasse, die es aufzwang…<br />

Fünf Monate später brachte die junge Frau ein wohlgebildetes<br />

Kind zur Welt. Wütend verlangten die Eltern die<br />

Trennung.<br />

Der junge Mann wollte nichts da<strong>von</strong> wissen:<br />

– Was tut es, da wir uns lieben ? Ist es bei uns nicht<br />

Brauch, fremde Kin<strong>der</strong> zu adoptieren? Ich adoptiere<br />

dieses.<br />

Ein Punkt aber in dieser ganzen Geschichte blieb<br />

dunkel: warum hatte sich <strong>der</strong> Bischof so sehr<br />

bemüht, die gesetzliche und religiöse Zeremonie<br />

<strong>der</strong> Eheschließung zu beschleunigen? Böse<br />

Zungen behaupteten, daß…<br />

Aber, was behaupten böse Zungen nicht<br />

alles?…<br />

Und dann,<br />

was tut’s!<br />

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V<br />

Abends im Bett führen wir große Gespräche, lange und<br />

oft sehr ernste. Ich suche in dieser Kin<strong>der</strong>seele die Spuren<br />

einer fernen, sozial längst toten Vergangenheit, und nicht<br />

alle meine Fragen bleiben ohne Antwort. Vielleicht haben<br />

die Männer, verführt o<strong>der</strong> beherrscht <strong>von</strong> unserer Zivilisation<br />

und unserer Eroberung, schon vergessen. Aber im<br />

Gedächtnis <strong>der</strong> Frauen haben sich die alten Götter eine<br />

Zufluchtsstätte bewahrt. Und es ist ein ergreifendes und<br />

eigenartiges Schauspiel für mich, wenn ich sehe, wie in<br />

Tehura die nationalen Gottheiten erwachen und unter<br />

den Schleiern, in denen die Missionare sie zu begraben<br />

geglaubt, lebendig werden. Im Grunde ist das Werk <strong>der</strong><br />

Religionslehrer sehr oberflächlich. Ihre Lehre ist wie eine<br />

dünne Firnisschicht, die abblättert und beim ersten gewandten<br />

Angriff rasch schwindet. Tehura geht regelmäßig<br />

zum Tempel und betätigt mit Lippen und Händen die<br />

offizielle Religion. Aber sie weiß die Namen aller Götter<br />

des maorischen Olymps auswendig. Sie kennt ihre Geschichte,<br />

weiß, wie sie die Welt erschaffen haben, und wie<br />

sie geehrt sein wollen. <strong>Die</strong> strengen Vorschriften <strong>der</strong> christlichen<br />

Moral sind ihr unbekannt, o<strong>der</strong> sie kümmert sich<br />

nicht darum und denkt schwerlich daran, zu bereuen,<br />

daß sie außerhalb <strong>der</strong> regu lären Ehebande mit einem<br />

Tane lebt. Ich weiß nicht recht, wie sie Taaroa und Jesus<br />

77


in ihrem Glauben miteinan<strong>der</strong> verbindet. Ich glaube, sie<br />

verehrt alle beide…<br />

<strong>Die</strong> Sterne interessieren sie sehr. Sie fragt mich nach<br />

dem französischen Namen des Morgen- und des Abendsterns.<br />

Es wird ihr schwer, zu begreifen, daß die Erde sich um<br />

die Sonne dreht.<br />

Sie wie<strong>der</strong>um nennt mir die Sterne in ihrer Sprache, und<br />

während sie zu mir spricht, unterscheide ich beim hellen<br />

Schein <strong>der</strong> Gestirne – die Gottheiten sind – die vagen und<br />

geheiligten Gestalten <strong>der</strong> maorischen Herrscher <strong>der</strong> Erde<br />

und <strong>der</strong> Himmel.<br />

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Wahrscheinlich besaßen die Bewohner <strong>von</strong> Tahiti seit<br />

ältester Zeit ziemlich ausgedehnte Kenntnisse in <strong>der</strong> Astronomie.<br />

<strong>Die</strong> periodischen Feste <strong>der</strong> Areoïs, einer Geheimgesellschaft,<br />

die einst über die Inseln herrschte, beruhten<br />

auf <strong>der</strong> Stellung <strong>der</strong> Gestirne. Den Maori scheint sogar die<br />

Natur des Mondlichtes nicht unbekannt gewesen zu sein.<br />

Sie nahmen an, <strong>der</strong> Mond sei eine <strong>der</strong> Erde recht ähnliche<br />

Kugel, wie diese bewohnt und reich an Produkten gleich<br />

den unsrigen. <strong>Die</strong> Distanz <strong>der</strong> Erde zum Mond schätzten<br />

sie auf ihre Weise:<br />

Der Samen des Baumes Ora wurde <strong>von</strong> einer weißen<br />

Taube vom Mond auf die Erde gebracht. Sie brauchte zwei<br />

79


Monde, um den Trabanten zu erreichen, und als sie nach<br />

abermals zwei Monden wie<strong>der</strong> auf die Erde fiel, hatte sie<br />

keine Fe<strong>der</strong>n mehr. – <strong>Die</strong>ser Vogel ist <strong>von</strong> allen den Maori<br />

bekannten <strong>der</strong>, welchem <strong>der</strong> schnellste Flug zugeschrieben<br />

wird…<br />

Merkwürdig ist die Geschichte <strong>der</strong> Zwillingskönige, die<br />

sicherlich die selben sind wie unser Kastor und Pollux.<br />

Sie stammten aus Borabora. Als sie hörten, wie ihre<br />

Eltern da<strong>von</strong> sprachen, sie zu trennen, verließen sie das<br />

väterliche Haus und gingen zusammen nach Raïatea,<br />

dann nach Huahine, nach Eïmeo und Otaïti. Voll Unruhe<br />

hatte sich ihre Mutter sogleich nach ihrem Weggang aufgemacht,<br />

sie zu suchen. Aber sie kam immer zu spät auf<br />

den verschiedenen Inseln an. In Otaïti jedoch gelang es ihr,<br />

ihrer Flucht zuvorzukommen und sie erfuhr, daß sie sich<br />

im Gebirge verborgen hielten, wo sie sie endlich entdeckte.<br />

Sie flüchteten vor ihr bis auf den Gipfel des Aoraï, und <strong>von</strong><br />

dort flogen sie in dem Augenblick, da sie, in Tränen aufgelöst,<br />

sie zu erreichen glaubte, in den Himmel, wo sie<br />

noch unter den Sternbil<strong>der</strong>n figurieren…<br />

Tehura wollte nie zugeben, daß die Sternschnuppen, die<br />

in diesem Klima häufig sind, keine Tupapaus, unglückliche,<br />

verbannte Genien seien. Langsam, melancholisch schweben<br />

sie durch das Große Tal, auf <strong>der</strong> Suche nach einer neuen<br />

Heimat…<br />

* *<br />

*<br />

80<br />

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Eines Tages – das Wetter war schön wie immer – machten<br />

wir uns beide morgens auf, um Freunde zu besuchen, <strong>der</strong>en<br />

Hütte etwa zehn Kilometer <strong>von</strong> <strong>der</strong> unsrigen entfernt lag.<br />

Wir waren um sechs Uhr aufgebrochen, legten den Weg<br />

in <strong>der</strong> Kühle ziemlich rasch zurück und langten ungefähr<br />

um halbneun Uhr an. <strong>Die</strong> Überraschung war groß, und<br />

nach beendeter Begrüßung machte man sich auf die Suche<br />

nach einem Ferkel, um uns zu feiern. <strong>Die</strong> Schlachtung<br />

wurde vollzogen, und man fügte zwei Hühner bei, dazu<br />

eine prachtvolle, am selben Morgen gefangene Tintenschnecke,<br />

einige Taros und Bananen: unsere Mahlzeit<br />

versprach reichlich und kräftig zu werden.<br />

Ich schlug vor, während <strong>der</strong> Zeit bis zum Mittag die<br />

Grotten <strong>von</strong> Mara aufzusuchen, die ich oft <strong>von</strong> weitem<br />

erblickt hatte, ohne daß mir <strong>der</strong> Gedanke kam, sie zu<br />

besichtigen.<br />

Ein Knabe, drei junge Mädchen, Tehura und ich. <strong>Die</strong><br />

ganze Gesellschaft brach fröhlich zu dem kurzen Ausflug<br />

auf: die Grotte war ganz in <strong>der</strong> Nähe.<br />

<strong>Die</strong> fast vollständig <strong>von</strong> Guavenbäumen verdeckte Grotte<br />

erscheint vom Rand des Weges aus lediglich wie eine Felspartie,<br />

die sich losgelöst hat. Biegt man jedoch die Äste zurück<br />

und läßt man sich einen Meter hinuntergleiten, so<br />

befindet man sich in einem dunklen Loch. Nichts.<br />

<strong>Die</strong> Augen haben die Erinnerung an die blendende<br />

Sonne ver loren, die drau ßen herrscht. Sie sehen eine Grotte,<br />

<strong>der</strong>en Grund wie eine kleine Theaterbühne aussieht, ohne<br />

Vorhang, mit stark roter Decke, etwa hun<strong>der</strong>t Meter entfernt.<br />

81


An den Wänden, auf beiden Seiten, gleiten riesige Schlangen<br />

(wenigstens wirken sie so) langsam dahin, um an <strong>der</strong><br />

Oberfläche dieses Binnensees zu trinken. Doch es sind Wurzeln,<br />

die sich einen Weg durch die Felsspalten suchen.<br />

Ich schlage ein Bad vor, aber ohne Erfolg. Man antwortet<br />

mir, das Wasser sei sehr kalt. Lange Beratungen abseits,<br />

dann Lachausbrüche, die mich neugierig machen. Ich<br />

bleibe fest. Endlich entschließen sich die jungen Mädchen,<br />

legen ihre leichten Gewän<strong>der</strong> ab. Mit dem Pareo umgürtet,<br />

sind wir bald alle im Wasser.<br />

Einstimmig erschallt <strong>der</strong> Ruf: toë toë. Das Wasser spritzt<br />

überall, und das Echo wie<strong>der</strong>holt: toë toë.<br />

82<br />

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– Kommst du mit mir, sage ich zu Tehura und zeige<br />

auf den Grund.<br />

– Bist du toll? Da hinunter, sehr weit… und die Aale!<br />

Da hinunter geht man nie.<br />

Und geschmeidig und anmutig, nahe am Ufer, treibt sie<br />

ihr Spiel mit dem Wasser, wie ein junges Wesen, das auf<br />

seine Gewandtheit im Schwimmen stolz ist.<br />

83


Betrübt, ganz allein hinunter zu müssen, mache ich<br />

mich auf den Weg, auch ich stolz auf meine Schwimmkunst.<br />

Durch welches seltsame Phänomen entfernte sich <strong>der</strong><br />

Grund <strong>der</strong> Grotte stetig <strong>von</strong> mir, je mehr ich auf ihn zuschwamm!<br />

Immer weiter drang ich vorwärts, und <strong>von</strong><br />

beiden Seiten schauten mich die Schlangen ironisch an.<br />

Einen Augenblick glaubte ich eine große Schildkröte<br />

schwimmen zu sehen. Ja noch mehr: <strong>der</strong> Kopf kam aus<br />

dem Wasser, um mich herauszufor<strong>der</strong>n. Dummheiten<br />

all das – die Meerschildkröten halten sich nicht im<br />

Süßwasser auf.<br />

Bin ich denn toll geworden o<strong>der</strong> vielmehr ein völliger<br />

Maori, <strong>der</strong> an Fabeln glaubt? Es gelingt mir in diesem<br />

Moment nicht, meine Zweifel zu überwinden, und ich<br />

fürchte mich fast. Zum mindesten bin ich ängstlich. Und<br />

diese bewegten Wellen vor mir? Aale!<br />

Ich muß diesen Schrecken überwinden und lasse mich<br />

mit Elan senkrecht hinunter, um den Grund zu erforschen.<br />

Ich erreiche ihn nicht und steige wie<strong>der</strong> hinauf. Nicht<br />

einmal mit <strong>der</strong> Ferse habe ich den Boden berührt, um<br />

neue Kraft zu gewinnen.<br />

Tehura ruft mir zu: Komm zurück!<br />

Ich wende mich um und sehe sie sehr weit weg.<br />

Welches neue Phänomen bewirkt, daß die Entfernung<br />

auch hier ins Unendliche geht: Tehura ist nur noch ein<br />

kleiner schwarzer Punkt auf einem leuchtenden Zentrum.<br />

Zum Teufel… ich werde <strong>der</strong> Sache schon auf den Grund<br />

kommen und wütend schwimme ich etwa eine halbe Stunde.<br />

84<br />

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Endlich, nach einer Stunde, erreiche ich das Ziel. Ein kleines,<br />

ganz gewöhnliches Plateau und ein gähnendes Loch. Wohin<br />

führt es? Geheimnis. Ich muß gestehen, ich fürchte mich.<br />

Ich kehre um… Tehura allein erwartet mich. Ihre<br />

Gefährtinnen sind gleichgültig fortgegangen.<br />

Tehura spricht ein Gebet und wir gehen zurück.<br />

<strong>Die</strong> Luft ist mild. Meine Gefährtin reibt mich ab. <strong>Die</strong><br />

Wärme kommt wie<strong>der</strong> und ich lebe auf.<br />

Ironie scheint mir im Lächeln <strong>von</strong> Tehura zu liegen, als<br />

sie sagt:<br />

– Du hast dich nicht gefürchtet?<br />

Dreist antwortete ich:<br />

– Wir Franzosen fürchten uns nie.<br />

Übrigens bezeigte Tehura nicht die geringste Bewun<strong>der</strong>ung.<br />

Und sie fand es ganz natürlich, daß ich nicht weit<br />

<strong>von</strong> dort einige wohlriechende Tiare pflückte und sie ihr<br />

in den Haarbusch steckte. Der Weg war schön, das Meer<br />

prachtvoll, Moorea vor uns grandios und erhaben.<br />

Wie gut tut es doch, zu leben, und wenn man Hunger<br />

hat, das Spanferkel zu verzehren, das uns zu Hause<br />

erwartet!<br />

* *<br />

*<br />

85


VI<br />

Seit etwa vierzehn Tagen wimmelte es <strong>von</strong> Fliegen, die<br />

vorher selten auftraten. Sie wurden unerträglich.<br />

Aber alle Maori freuten sich, denn die Breit- und Thunfische<br />

stiegen an die Oberfläche. <strong>Die</strong> Fliegen kündigten die<br />

Zeit des großen Fischfangs, die einzige Zeit <strong>der</strong> Arbeit auf<br />

Tahiti, an.<br />

Je<strong>der</strong> prüfte die Haltbarkeit seiner Angelschnüre und<br />

Angel haken. Frauen und Kin<strong>der</strong>, überhaupt alle, machten<br />

sich daran, Netze o<strong>der</strong> vielmehr lange Gitter <strong>von</strong> Kokosnußblättern<br />

dem Ufer entlang auf die Korallenriffe zu schleppen,<br />

die sich auf dem Meeresgrund zwischen Land und Klippen<br />

erheben. Auf diese Art werden gewisse kleine Fische gefangen,<br />

auf welche die Thunfische sehr erpicht sind.<br />

Als die Vorbereitungen beendet waren, was nicht weniger<br />

als drei Wochen in Anspruch nahm, ließ man zwei große,<br />

miteinan<strong>der</strong> verbundene Pirogen aufs Meer, die am<br />

Vor<strong>der</strong>teil mit einer sehr langen Stange versehen waren,<br />

die mittels zweier hinten befestigter Taue rasch gehoben<br />

werden konnte. An <strong>der</strong> Stange ist eine Angel und ein Kö<strong>der</strong><br />

angebracht. Wenn <strong>der</strong> Fisch angebissen hat, wird er sofort<br />

aus dem Wasser gezogen und im Fahrzeug eingesperrt.<br />

Wir fuhren durch die Klippenreihe und wagten uns weit<br />

ins Meer hinaus. Ich sehe noch eine Schildkröte, den<br />

Kopf über dem Wasser, die uns nachschaute.<br />

86<br />

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Alle Fischer waren in fröhlicher Stimmung und ru<strong>der</strong>ten<br />

eifrig. Wir gelangten an eine Stelle, wo das Meer sehr tief<br />

ist. Man nennt sie das Thunloch. Dort, neben den Grotten<br />

<strong>von</strong> Mara, schlafen, so heißt es, diese Fische nachts in<br />

Tiefen, die für Haie unerreichbar sind.<br />

Eine Wolke <strong>von</strong> Meervögeln schwebt über dem Loch,<br />

überwacht die Thunfische. Wenn ein Fisch an <strong>der</strong> Oberfläche<br />

erscheint, stoßen die Vögel auf das Meer herab und<br />

steigen mit einem Fleischfetzen im Schnabel wie<strong>der</strong> in die<br />

Höhe.<br />

Im Meer und in <strong>der</strong> Luft, selbst auf unsern Pirogen,<br />

überall sinnt man auf blutiges Morden und vollzieht es.<br />

Als ich fragte, warum man nicht eine lange Angelschnur<br />

auf den Grund des Thunloches hinunterlasse, wurde mir<br />

geantwortet, das sei unmöglich, <strong>der</strong> Ort sei geheiligt!<br />

Der Gott des Meeres wohne dort.<br />

Ich ahnte eine Legende. Ohne Mühe erreichte ich,<br />

daß man sie mir erzählte.<br />

Rana Hatu, eine Art tahitanischer Neptun, schlief auf dem<br />

Meeresgrund an dieser Stelle. Ein Fischer war so unvorsichtig,<br />

dort zu fischen, und als sein Angelhaken sich in den Haaren<br />

des Gottes verfing, wachte <strong>der</strong> Gott auf. Erzürnt stieg er an<br />

die Oberfläche, um zu sehen, wer so kühn gewesen, seine<br />

Ruhe zu stören, und als er sah, daß <strong>der</strong> Schuldige ein Mensch<br />

war, beschloß er sofort, die ganze Menschenrasse zu vertilgen,<br />

um die Beschimpfung zu sühnen.<br />

Doch durch geheimnisvolle Nachsicht blieb gerade <strong>der</strong><br />

einzig Schuldige <strong>von</strong> <strong>der</strong> Strafe verschont.<br />

87


Der Gott gebot ihm, mit seiner ganzen Familie auf den<br />

Toa Marama zu gehen, <strong>der</strong> nach den einen eine Insel o<strong>der</strong><br />

ein Berg, nach den an<strong>der</strong>n eine Piroge, eine «Arche» ist.<br />

Als sich <strong>der</strong> Fischer mit seiner Familie an den bezeichneten<br />

Ort begeben hatte, begannen die Wasser des Meeres<br />

zu steigen. Sie bedeckten nach und nach selbst die höchsten<br />

Berge und vernichteten alle Lebenden bis auf jene, die sich<br />

auf – o<strong>der</strong> in – den Toa Marama geflüchtet hatten und die<br />

später die Inseln wie<strong>der</strong> bevölkerten.<br />

Wir fuhren also am Thunloch vorbei, und <strong>der</strong> Anführer<br />

<strong>der</strong> Pirogen bezeichnete einen Mann, <strong>der</strong> die Stange ins<br />

Meer hinunterlassen und die Angel auswerfen sollte.<br />

Man wartete lange Minuten. Kein einziger Thunfisch<br />

biß an.<br />

Ein an<strong>der</strong>er Ru<strong>der</strong>er kam an die Reihe. <strong>Die</strong>smal biß ein<br />

prächtiger Thunfisch an und bog die Stange tief hinunter.<br />

Vier kräftige Arme hoben das Holz empor, indem sie die<br />

Taue hinten anzogen, und <strong>der</strong> Thunfisch erschien an <strong>der</strong><br />

Oberfläche. Aber allsogleich stürzte sich ein großer Hai<br />

auf unsere Beute: einige Bisse <strong>der</strong> furchtbaren Zähne und<br />

wir besaßen nur noch den Kopf unseres Fisches.<br />

<strong>Die</strong> Reihe war an mir. Der Anführer gab mir ein Zeichen.<br />

Ich warf die Angel aus. Nach sehr kurzer Zeit fingen wir<br />

einen riesigen Thunfisch – ich hörte, wie meine Nachbarn<br />

unter sich lachten und tuschelten. Ich achtete nicht darauf.<br />

Das durch Stockhiebe auf den Kopf erschlagene Tier wand<br />

sich in Todeszuckungen in <strong>der</strong> Piroge, und sein Leib, jetzt ein<br />

überall schillern<strong>der</strong> Spiegel, sprühte tausend feurige Strahlen.<br />

88<br />

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Ein zweites Mal war ich ebenfalls erfolgreich. Der<br />

Franzose brachte entschieden Glück. Meine Gefährten<br />

beglückwünschten mich fröhlich, erklärten, ich sei ein<br />

ganzer Kerl, und ich, voll Stolz, wi<strong>der</strong>sprach nicht. Aber<br />

in dem Lobeskonzert unterschied ich, wie bei meiner<br />

ersten Tat, ein unerklärliches Getuschel und Lachen.<br />

Der Fischfang ging weiter bis zum Abend. Als <strong>der</strong><br />

Vorrat an kleinen Kö<strong>der</strong>fischen erschöpft war, färbte<br />

die Sonne den Horizont mit roten Flammen, und unsere<br />

Piroge war mit zehn wun<strong>der</strong>vollen Thunfischen schwer<br />

beladen. Man bereitete sich zur Rückfahrt vor.<br />

Während alles instand gesetzt wurde, fragte ich einen<br />

jungen Burschen nach dem Sinn <strong>der</strong> leise gewechselten<br />

Worte und <strong>der</strong> Lachausbrüche, die beide Male meine Beute<br />

begrüßt hatten. Er weigerte sich zu antworten. Aber ich<br />

drang in ihn, denn ich wußte, wie gering die Wi<strong>der</strong>standskraft<br />

des Maori ist, wie rasch er nachgibt, wenn man ihn<br />

energisch drängt. Mein Partner vertraute mir dann an:<br />

wenn <strong>der</strong> Fisch vom Angelhaken am untern Teil des Kiefers<br />

erfaßt wird – und das war <strong>der</strong> Fall – bedeute das Untreue<br />

<strong>der</strong> Vahine während <strong>der</strong> Abwesenheit des Tane.<br />

Ich lächelte ungläubig.<br />

Und wir kehrten zurück.<br />

<strong>Die</strong> Nacht bricht in den Tropen rasch herein. Es galt<br />

ihr zuvorzukommen.<br />

Zweiundzwanzig kräftige Arme tauchten die Pagaien ins<br />

Meer, und um sich anzufeuern ließen die Ru<strong>der</strong>er im Takt<br />

laute Rufe erschallen. Eine phospho reszierende Furche<br />

bildete sich hinter unseren Pirogen.<br />

89


Ich hatte das Gefühl einer tollen Flucht: die gefürchteten<br />

Herrscher des Ozeans verfolgten uns, und um uns schnellten<br />

Scharen neugieriger Fische aus dem Wasser.<br />

Zwei Stunden später näherten wir uns den ersten Klippen.<br />

<strong>Die</strong> Meeresbrandung ist dort fürchterlich und die<br />

Durchfahrt <strong>der</strong> Sandbank wegen gefährlich. Es ist gar<br />

nicht leicht, die Piroge richtig durch die Wellen zu steuern.<br />

90<br />

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Doch die Eingeborenen sind gewandt, und mit lebhaftem<br />

Interesse, aber nicht ganz ohne Furcht, verfolgte ich das<br />

Manöver, das vollkommen gelang.<br />

Vor uns war das Land <strong>von</strong> lohenden Feuern erhellt:<br />

enorme brennende Fackeln <strong>von</strong> dürren Ästen <strong>der</strong> Kokosnußbäume.<br />

Es war ein wun<strong>der</strong>voller Anblick. Auf dem<br />

Sand, am Ufer <strong>der</strong> beleuchteten Fluten, erwarteten uns<br />

die Familien <strong>der</strong> Fischer. Einige Gestalten saßen unbeweglich<br />

da, an<strong>der</strong>e liefen dem Strand entlang, mit den Kin<strong>der</strong>n,<br />

die herumsprangen und schrille Rufe ausstießen.<br />

Mit kräftigem Schwung fuhr die Piroge auf den Sand.<br />

Dann schritt man zur Teilung. Unsere ganze Beute<br />

wurde auf die Erde gelegt, und <strong>der</strong> Anführer teilte sie<br />

in ebensoviele gleiche Teile als die Zahl <strong>der</strong> Personen –<br />

Männer, Frauen und Kin<strong>der</strong> – betrug, die sich am Fang<br />

<strong>der</strong> Thunfische und am Fang <strong>der</strong> kleinen Fische beteiligt<br />

hatten. Das ergab siebenunddreißig Teile.<br />

Ohne Zeit zu verlieren, nahm meine Vahine die Axt,<br />

spaltete Holz und zündete ein Feuer an, während ich ein<br />

wenig Toilette machte und mich wegen <strong>der</strong> Kühle <strong>der</strong><br />

Nacht einhüllte.<br />

Von unsern beiden Anteilen wurde <strong>der</strong> eine gebraten,<br />

den ihren bewahrte Tehura roh auf.<br />

Dann fragte sie mich lange über die verschiedenen Ereignisse<br />

beim Fischfang aus, und ich befriedigte willfährig<br />

ihre Neugier. Anspruchslos und naiv ergötzte sie sich an<br />

allem, und ich beobachtete sie genau, ohne sie das geringste<br />

<strong>von</strong> meinen geheimen Gedanken merken zu lassen.<br />

In meinem Innern war ohne richtigen Grund eine Unruhe<br />

91


erwacht, die sich nicht beschwichtigen ließ. Ich brannte<br />

darauf, an Tehura eine Frage zu richten, eine gewisse<br />

Frage… und ich konnte mir lange sagen: Wozu? Ich antwortete<br />

mir selber: Wer weiß!<br />

Es kam die Schlafenszeit, und als wir beide neben einan<strong>der</strong><br />

lagen sagte ich plötzlich:<br />

– Bist du brav gewesen?<br />

– Ja.<br />

– Und war dein heutiger Geliebter nach deinem<br />

Geschmack?<br />

– Ich hatte keinen Geliebten.<br />

– Du lügst, <strong>der</strong> Fisch hat gesprochen.<br />

Tehura erhob sich und sah mich starr an. Ihr Antlitz<br />

trug einen unerhörten Ausdruck <strong>von</strong> Mystik und Majestät,<br />

<strong>der</strong> mir fremd war und den ich ihren kindlichen Zügen nie<br />

zugetraut hätte. Eine neue Atmosphäre entstand in unserer<br />

kleinen Hütte, und ich fühlte, daß etwas Erhabenes sich<br />

zwischen uns aufrichtete. Ja, wi<strong>der</strong> Willen unterlag ich <strong>der</strong><br />

Einwirkung des Glaubens und erwartete eine Botschaft<br />

<strong>von</strong> oben. Ich zweifelte nicht, daß sie kommen mußte und<br />

stellte rasche und schmerzliche Betrachtungen an über<br />

die Kleinlichkeit unseres Skeptizismus, verglichen mit den<br />

glühenden Gewißheiten eines Glaubens, und wenn es<br />

auch nur ein Aberglaube war.<br />

Still ging Tehura zur Türe, schloß sie, und als sie in<br />

die Mitte des Raumes zurückgekommen war, sprach sie<br />

mit lauter Stimme dieses Gebet:<br />

92<br />

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Rette mich! Rette mich!<br />

Es ist Abend, es ist Abend <strong>der</strong> Götter.<br />

Wache bei mir, o mein Gott!<br />

Bei mir, o mein Herr!<br />

Behüte mich vor Betörung und üblen Ratschlägen.<br />

Behüte mich vor einem plötzlichen Tod,<br />

Vor bösen Gedanken und vor Verwünschungen.<br />

Behüte mich vor geheimen Anschlägen<br />

Und vor Streit um die Teilung des Landes.<br />

Möge dauern<strong>der</strong> Friede herrschen unter uns!<br />

O mein Gott! Schütze mich vor dem rasenden Krieger,<br />

Vor dem, <strong>der</strong> rasend umherirrt,<br />

Den es freut zu schrecken,<br />

Dessen Haar sich ständig sträubt!<br />

Auf daß ich und mein Geist leben,<br />

O mein Gott!<br />

An diesem Abend betete ich fast.<br />

Als sie ihr Gebet beendet hatte, kam sie auf mich zu und<br />

sagte mit Tränen in den Augen:<br />

– Du mußt mich schlagen, fest schlagen.<br />

Und vor diesem Antlitz voll Ergebung, vor diesem wun<strong>der</strong>vollen<br />

Körper, hatte ich die Vision eines voll kommenen<br />

Idols.<br />

Verflucht für immer sei meine Hand, wenn sie es wagte,<br />

sich gegen ein Meisterwerk <strong>der</strong> Natur zu erheben!<br />

In ihrer Nacktheit schien sie mir mit dem orangegelben<br />

Gewand <strong>der</strong> Reinheit, dem goldenen Mantel Bhixu’s bekleidet.<br />

93


Schöne goldene Blume, <strong>der</strong>en tahitanisches noa noa<br />

Wohlgeruch verbreitete und die <strong>der</strong> Mann wie <strong>der</strong> Künstler<br />

in mir anbetete!…<br />

Sie wie<strong>der</strong>holte:<br />

– Du mußt mich schlagen, fest schlagen, sonst wirst<br />

du lange zürnen und krank werden.<br />

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Ich küßte sie, und meine Augen, die sie nun ohne Mißtrauen<br />

bewun<strong>der</strong>ten, sprachen die Worte Buddha’s:<br />

«Ja, durch Sanftmut muß man die Heftigkeit besiegen,<br />

durch das Gute das Böse, durch Wahrheit die Lüge.»<br />

Ich mußte ihr wohl recht son<strong>der</strong>bar vorkommen. Noch<br />

son<strong>der</strong>barer erschien mir Tehura während dieser ganzen,<br />

göttlichen Nacht.<br />

* *<br />

*<br />

Strahlend erwachte <strong>der</strong> Tag. Früh am Morgen brachte uns<br />

ihre Mutter einige frische Kokosnüsse. Mit dem Blick<br />

befragte sie Tehura. – Sie wußte.<br />

Zu mir sagte sie – ihr Mienenspiel war ungemein fein:<br />

– Du warst gestern auf dem Fischfang? Ist alles gut<br />

verlaufen?<br />

Ich antwortete:<br />

– Ich hoffe, bald wie<strong>der</strong> mitzutun.<br />

* *<br />

*<br />

95


VII<br />

Ich mußte nach Frankreich zurückkehren. Familienpflichten<br />

riefen mich gebieterisch.<br />

Leb wohl, gastliches Land, köstliches Land, Heimat<br />

<strong>der</strong> Freiheit und <strong>der</strong> Schönheit! Ich gehe fort, zwei Jahre<br />

älter, um zwanzig Jahre verjüngt, mehr Barbar auch als<br />

bei meiner Ankunft und doch wissen<strong>der</strong>. Jawohl, die Wilden<br />

haben den alten Zivilisierten viele Dinge gelehrt – sie, die<br />

Unwissenden – viele Dinge über die Kunst, zu leben, und<br />

über die Kunst, glücklich zu sein.<br />

* *<br />

*<br />

Als ich den Quai verließ, um mich einzuschiffen, schaute<br />

ich Tehura zum letzten Mal. Mehrere Nächte hindurch<br />

hatte sie geweint. Erschöpft und immer noch traurig, doch<br />

ruhig, saß sie jetzt mit herabhängenden Beinen auf einem<br />

Stein, und ihre festen und starken Füße streiften das salzige<br />

Wasser. <strong>Die</strong> Blume, die sie hinter dem Ohr getragen, war<br />

verwelkt auf ihre Knie gefallen.<br />

Da und dort blickten an<strong>der</strong>e ihres Geschlechts, wie sie,<br />

müde, stumm, gedankenlos nach dem dichten Rauch des<br />

96<br />

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Schiffes, das uns alle forttrug, uns, die Geliebten eines<br />

Tages. Und <strong>von</strong> <strong>der</strong> Schiffsbrücke aus glaubten wir mit<br />

dem Fernglas auf ihren Lippen noch lange jene alte maorische<br />

Weise zu lesen:<br />

Ihr leichten Winde <strong>von</strong> Süd und Ost,<br />

<strong>Die</strong> ihr euch vereint, über meinem Haupt<br />

Zu spielen und zärtlich zu kosen,<br />

Eilt alle schnell zur nächsten Insel.<br />

Dort findet ihr den, <strong>der</strong> mich verlassen hat,<br />

Sitzend im Schatten seines Lieblingsbaumes.<br />

Sagt ihm, daß ihr in Tränen mich gesehn.<br />

* *<br />

*<br />

97


98<br />

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*<br />

In dieser Ausgabe <strong>von</strong> «<strong>Noa</strong> <strong>Noa</strong>» wurden<br />

weggelassen die Vers- und Prosazutaten<br />

<strong>von</strong> Charles Morice, <strong>der</strong> Tahiti nie gesehen<br />

hat, ferner die allgemeinen Ausführungen<br />

des Künstlers über die Mythologie <strong>der</strong> Maori,<br />

die im wesentlichen fremden Quellen<br />

entnommen sind. Abrißartig und lehrhaft<br />

gehalten, wirken sie innerhalb <strong>der</strong><br />

Erzählung retardierend und<br />

unorganisch.<br />

*<br />

99


Pa ul <strong>Gauguin</strong> (1848 – 1903) verließ Frankreich auf <strong>der</strong> Suche nach<br />

dem Paradies, auf <strong>der</strong> Suche nach den Ursprüngen des Menschen, den<br />

Mythen, <strong>der</strong> Liebe. In «<strong>Noa</strong> <strong>Noa</strong>», den <strong>Aufzeichnungen</strong> seiner ersten<br />

tahitanischen Reise (1891–1893), legt er Begebenheiten und Impressionen<br />

nie<strong>der</strong>. Was er findet, kann er nicht fassen, nicht festhalten. Was er<br />

in religiösem Eifer in Worte und Bil<strong>der</strong> bannt, ist ein winziger Zipfel <strong>der</strong><br />

Antworten auf seine Fragen, <strong>der</strong> ihm fortwährend entgleitet. In seinen<br />

Bil<strong>der</strong>n wie<strong>der</strong>holt er beschwörend immer neu Substanzen frem<strong>der</strong> und<br />

eigener vorausgegangener Arbeiten – mystische Figuren, Anordnungen<br />

<strong>von</strong> Menschen, Tieren und Landschaften. Doch in Tahiti ist er den<br />

Ursprüngen näher, <strong>der</strong>en Spuren sich sammeln und verdichten. Formal<br />

gewinnt er Raum, überwindet Europa.<br />

Nach seiner Rückkehr zeigt sich Paris verständnislos. Um sich zu<br />

erklären, plant er die Veröffentlichung seiner <strong>Aufzeichnungen</strong> <strong>von</strong><br />

«<strong>Noa</strong> <strong>Noa</strong>», wie er Tahiti nennt. Charles Morice, ein befreundeter symbolistischer<br />

Schriftsteller soll das Manuskript zur Veröffentlichung aufbereiten.<br />

Seine Bearbeitungen entsetzen <strong>Gauguin</strong>. Mit dem miserablen<br />

Ergebnis einer Versteigerung seiner Bil<strong>der</strong> flieht er zurück nach Tahiti.<br />

1897 malt er sein Vermächtnis: «Woher kommen wir? Wer sind wir?<br />

Wohin gehen wir?»<br />

Dann <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>gang – Tahitis und <strong>Gauguin</strong>s.<br />

Nach seinem Tod findet sich im Nachlaß ein in Bast gebundener<br />

Foliant. Versehen mit zahlreichen Aquarellen, eingeklebten Abbildungen,<br />

Zeichnungen und kolorierten Holzschnitten enthält er die letzte,<br />

<strong>von</strong> <strong>Gauguin</strong> selbst überarbeitete Fassung <strong>der</strong> <strong>Aufzeichnungen</strong> <strong>von</strong><br />

«<strong>Noa</strong> <strong>Noa</strong>», wie sie die vorliegende, <strong>von</strong> Hans Graber nach dem Manuskript<br />

des Künstlers übertragene Ausgabe wie<strong>der</strong>gibt.<br />

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Hans Graber (1886 – 1959) doktorierte nach Studien in Basel,<br />

München und Berlin mit «Beiträgen zu Nicola Pisano», nachdem er<br />

schon im Jahre 1913 mit dem Werk «Schweizer Maler» in <strong>der</strong> Reihe <strong>der</strong><br />

«Blauen Bücher» zum erstenmal und mit großem Erfolg in die Diskussion<br />

um den «verruchten» Ferdinand Hodler und die damals entstandene,<br />

sich überraschend entwickelnde Schweizer Malerei eingegriffen<br />

hatte. In den zwanziger Jahren war Graber als Kunstkritiker an den<br />

«Basler Nachrichten» und 1932 bis 1937 an <strong>der</strong> «Neuen Zürcher Zeitung»<br />

tätig. Anfangs <strong>der</strong> vierziger Jahre zog er sich <strong>von</strong> <strong>der</strong> aktuellen<br />

Zeitungsarbeit zurück und wandte sich <strong>der</strong> französischen Kunst zu.<br />

Er schrieb eine Reihe <strong>von</strong> Monographien «Nach eigenen und fremden<br />

Zeugnissen». Innerhalb eines knappen Jahrzehnts erschienen die nachfolgenden<br />

Werke über Degas, Manet, Pissaro, Sisley, Monet, Renoir,<br />

Cézanne und <strong>Gauguin</strong>, sowie die Briefwechsel van Goghs mit seinem<br />

Bru<strong>der</strong> und seinen Freunden.


Gesamtherstellung:<br />

Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar<br />

www.digitalakrobaten.de<br />

Layout und Gestaltung: Peter Großhaus<br />

Neusatz und Redigitalisierung: Sarah Kröcker<br />

Kalligraphie des Titels: Peter Berger<br />

Gesetzt aus <strong>der</strong> Bauer Bodoni<br />

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Ihr leichten Winde<br />

<strong>von</strong> Süd und Ost,<br />

<strong>Die</strong> ihr euch vereint,<br />

über meinem Haupt<br />

zu spielen und<br />

zärtlich zu kosen,<br />

Eilt alle schnell<br />

zur nächsten Insel.<br />

Dort findet ihr den,<br />

<strong>der</strong> mich verlassen hat,<br />

Sitzend im Schatten<br />

seines Lieblingsbaumes.<br />

Sagt ihm, daß ihr<br />

in Tränen mich gesehen.<br />

isbn <strong>978</strong>-3-<strong>88178</strong>-<strong>102</strong>-2<br />

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