Nr. 14 - März / April 2008
Nordkfrankreich: Côte d'Opale, Centre historique Minier, Amiens, Baie de Somme Loire-Tal: die Poesie der Natur Annecy: zwischen Urbanität und Alpenromantik Biarritz: vom Fischerdorf zum legendären Seebad Rezept: la poule au pot
Nordkfrankreich: Côte d'Opale, Centre historique Minier, Amiens, Baie de Somme
Loire-Tal: die Poesie der Natur
Annecy: zwischen Urbanität und Alpenromantik
Biarritz: vom Fischerdorf zum legendären Seebad
Rezept: la poule au pot
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Das erste deutschsprachige Frankreich-Magazin nr. <strong>14</strong> · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong><br />
Nordfrankreich<br />
Terra incognita im Herzen Europas<br />
Paris<br />
Neue Hochhäuser für die Hauptstadt<br />
Biarritz<br />
Vom Fischerdorf zum eleganten Seebad<br />
Annecy<br />
Zwischen Alpenromantik und Urbanität<br />
Heinrich IV.<br />
Der Lieblingskönig der Franzosen<br />
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Editorial<br />
Liebe Leserin, lieber Leser,<br />
der französische Staatspräsident machte in den letzten<br />
Wochen vor allem mit seinem Privatleben Schlagzeilen.<br />
Die Frage, wann er seine neue Freundin Carla Bruni heiratet<br />
und ob sie vielleicht sogar schwanger ist, dominierte<br />
die Presse mehr als die politischen Angelegenheiten des<br />
Landes. Mit den im <strong>März</strong> anstehenden Kommunalwahlen<br />
rückt nun aber die Politik wieder in den<br />
Vordergrund. Zwar hat dieses Mal das Votum des<br />
Volkes keinerlei direkte Auswirkung auf die nationale<br />
Politik, dennoch sind die Wahlen ein wichtiges<br />
Stimmungsbarometer. Deshalb wird auch Nicolas<br />
Sarkozy die Ergebnisse sicherlich genau studieren.<br />
Währenddessen sucht die Opposition in<br />
Frankreich unverändert nach einem Ausweg<br />
aus der Krise, ohne diesen wirklich zu finden.<br />
Eines der wenigen Gesichter der Sozialisten,<br />
das die Wirren des Wahldebakels<br />
der größten Oppositionspartei im letzten<br />
Jahr unbeschadet überstand und<br />
heute zu den Sympathieträgern der<br />
Parti Socialiste zählt, ist Bertrand<br />
Delanoë, der amtierende Bürgermeister von<br />
Paris. Er muss sich bei den Kommunalwahlen<br />
im <strong>März</strong> dem Votum der Pariser<br />
stellen. Vor dem Urnengang präsentierte der<br />
Bürgermeister noch schnell spektakuläre Hochhausprojekte<br />
für die Hauptstadt. Nach eigenem<br />
Bekunden soll es sich dabei lediglich um Denkanstöße<br />
handeln. Einzelheiten zu diesen Plänen<br />
finden Sie in unserer Rubrik Frankreich heute.<br />
Ganz unpolitisch geht es wie jedes<br />
Mal in unserem Reiseteil zu. Wir möchten<br />
Ihnen in dieser Ausgabe eine Gegend vorstellen, die<br />
viele Touristen meist nur von der Durchreise her kennen:<br />
den äußersten Norden des Landes. Dabei gibt es gerade in<br />
der Picardie und der Region Nord-Pas de Calais manchen<br />
Geheimtipp zu entdecken. Aufblühende Städte, sympathische<br />
Seebäder, lange Strände und malerische Steilküsten<br />
sowie ein vielfältiges kulturelles Angebot und architektonisches<br />
Erbe lohnen bei der nächsten Reise mit Sicherheit<br />
einen längeren Zwischenstopp. Gerade im ehemaligen<br />
Kohlerevier an der Grenze zu Belgien fand in den<br />
letzten Jahren ein bemerkenswerter Strukturwandel<br />
statt, der sich heute auch positiv auf die Gästezahlen<br />
auswirkt. Schließlich befindet man sich<br />
im Norden Frankreichs mitten im Herzen<br />
von Europa: London, Brüssel, Amsterdam<br />
oder Köln liegen quasi vor der Haustür.<br />
Für alle Romantiker empfehlen wir<br />
einen Abstecher in die Alpen nach<br />
Annecy. Die Hauptstadt des Departements<br />
Haute-Savoie vereint alpine Idylle mit städtischem<br />
Flair. Wer es gerne etwas mondäner mag, ist gut<br />
in Biarritz, einem der legendärsten Seebäder der Belle<br />
Epoque, aufgehoben. Oder wie wäre es mit der Ruhe<br />
und Beschaulichkeit des Loir-Tals nördlich der<br />
Loire? Abseits ausgetretener Touristenpfade findet<br />
man dort noch ein Stück unverfälschtes ländliches<br />
Frankreich, das keine sensationellen Höhepunkte<br />
verspricht, sondern die Poesie der Natur sprechen<br />
lässt, wie einer unserer Fotografen feststellte.<br />
Sie sehen bereits, es warten wieder 100 spannende<br />
Seiten über Frankreich auf Sie. Wie immer<br />
wünsche ich Ihnen viel Spaß beim Lesen.<br />
Titelblatt: Côte d’Opale<br />
Jean-Charles Albert<br />
Chefredakteur<br />
jc.albert@frankreicherleben.de<br />
Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong> · 3
Inhalt<br />
Nordfrankreich – Terra incognita im Herzen Europas · 10<br />
Ob Le Touquet-Paris-Plage, das gerne in einem Atemzug mit anderen legendären Seebädern wie Deauville genannt<br />
wird, ob die Steilküste zwischen dem Cap Blanc-Nez und dem Cap Gris-Nez, die sich nicht hinter den bekannteren<br />
Felsen bei Etretat in der Normandie verstecken muss, ob dynamische Großstädte, quirlige Häfen oder Zeugnisse<br />
der neueren Geschichte wie das Bergbaumuseum in Lewarde, der Norden Frankreichs hat viel zu bieten.<br />
Annecy · 64<br />
Mögen Sie Städte wie Luzern<br />
oder Zürich? Dann werden<br />
Sie Annecy lieben. Romantisch<br />
am See gelegen und<br />
umgeben von Bergen ist<br />
Annecy eine Bilderbuchstadt<br />
in den Alpen.<br />
Biarritz · 70<br />
Angefangen hat alles als<br />
Fischerdorf, dann kamen<br />
Staatsoberhäupter und<br />
Adelige, später die Surfer.<br />
Der Glanz vergangener<br />
Zeiten wirkt in Biarritz bis<br />
heute nach.<br />
Loir-Tal · 60<br />
Nicht zu verwechseln mit dem Loire-Tal, lockt<br />
das Loir-Tal etwas weiter nördlich mit lieblicher<br />
Natur und viel Ruhe.<br />
4 · Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong>
Fokus<br />
10 Nordfrankreich –<br />
Terra incognita im Herzen Europas<br />
<strong>14</strong> Côte d’Opale Immer am Ärmelkanal entlang<br />
22 Centre Historique Minier Die Geschichte<br />
des Bergbaus erleben<br />
28 Amiens Kleine Kapitale der Picardie<br />
34 Baie de Somme Paradies für Menschen und Vögel<br />
42 Reise-Infos Nordfrankreich<br />
Hochhäuser<br />
für Paris · 52<br />
Kurz vor der Kommunal -<br />
wahl ist in der französischen<br />
Hauptstadt eine<br />
Diskussion über den<br />
Bau neuer Hochhäuser<br />
ausgebrochen.<br />
Unterwegs in Frankreich<br />
60 Loir-Tal Die Poesie der Natur<br />
64 Annecy Zwischen Urbanität und Alpenromantik<br />
70 Biarritz Vom Fischerdorf zum legendären Seebad<br />
74 Hotel Collège Hôtel, Lyon<br />
Heinrich IV. · 78<br />
Er gilt als einer der<br />
beliebtesten Könige<br />
Frankreichs. Sein Leben<br />
war vom Kampf zwischen<br />
Katholizismus und Protestantismus<br />
geprägt.<br />
Frankreich heute<br />
46 Kulturpolitik Kulturelle Prestigeprojekte:<br />
Naht das Ende einer Kulturpolitik um jeden Preis?<br />
48 Porträt Auf der Suche nach Gerechtigkeit<br />
52 Stadtentwicklung Neue Hochhäuser für Paris?<br />
56 Kaufkraft Leere Portemonnaies:<br />
Billigprodukte als Gegenstrategie?<br />
Wein · 86<br />
Die Qualität des Weinfasses<br />
ist entscheidend für<br />
die Qualität eines Weines.<br />
Besuchen Sie mit uns eine<br />
der traditionellsten Böttchereien<br />
des Bordelais.<br />
Art de vivre<br />
78 Geschichte Heinrich IV.: Der gute König<br />
82 Kulturprogramm <strong>März</strong> & <strong>April</strong> <strong>2008</strong><br />
84 Kulturszene CDs, Bücher, Filme<br />
86 Wein Die Kunst, ein perfektes Weinfass herzustellen<br />
90 Genuss Suprême Denoix<br />
92 Chantals Rezept La Poule au Pot<br />
Rubriken<br />
60<br />
10-43<br />
52<br />
3 Editorial<br />
6 On en parle<br />
44 Kulturschock<br />
51 Abonnement<br />
58 Leben in Frankreich<br />
76 Arte-Programm<br />
94 Leserbriefe<br />
94 Impressum<br />
95 Heftnachbestellungen<br />
98 Vorschau<br />
70<br />
90<br />
74<br />
64<br />
Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong> · 5
On En Parle<br />
Arles mit neuem Museum<br />
von Frank Gehry?<br />
Ungläubige Franzosen<br />
Gerne hält sich bei einigen das Klischee vom « katholischen Frankreich ».<br />
Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung hat nun aber das Gegenteil<br />
bewiesen: Franzosen sind viel weniger religiös als die meisten anderen<br />
Europäer. Auch Deutsche zeigen einen größeren Hang zum Glauben<br />
als Franzosen. So bezeichnen sich in Deutschland 18 Prozent der<br />
Bevölkerung als « hoch religiös », d.h. ihre Sicht auf die Welt und ihr<br />
Leben ist entscheidend durch den Glauben geprägt, und 52 Prozent<br />
als « religiös », d.h. die Religion spielt eine eher periphere Rolle im<br />
Alltag. Die Religiosität der Österreicher und Schweizer liegt noch leicht<br />
darüber. In Frankreich sind dies dagegen nur 13 bzw. 40 Prozent, d.h. fast<br />
jeder zweite Franzose teilt keine Lehre der Kirchen und glaubt nicht an<br />
übernatürliche Kräfte.<br />
Champs-Elysées:<br />
Internationale Ketten bedrohen den Boulevard<br />
Gerne wird behauptet, die Champs-Elysées sei die schönste Avenue<br />
der Welt. Doch das besondere Flair der Straße scheint mehr und mehr<br />
bedroht zu sein. Der Grund liegt in den immer höheren Ladenmieten.<br />
So kostet ein Quadratmeter mittlerweile bis zu 10.000 Euro im Jahr. Ein<br />
Wert, der weltweit zu den Spitzenmieten für Einkaufsstraßen zählt und<br />
den sich kleine Ladeninhaber nicht mehr erlauben können. Daher<br />
prägen zunehmend internationale Ladenketten das Straßenbild,<br />
kürzlich eröffnete etwa Nespresso eine neue Edelboutique an diesem<br />
Prachtboulevard. Damit geht aber auch Stück für Stück der besondere<br />
Charakter der Straße verloren. Zudem sind die zahlreichen Cafés<br />
und Kinos in Gefahr, können sie dem drastischen Anstieg der Mieten<br />
dauerhaft nicht standhalten. Ein kleiner Lichtblick ist allerdings in<br />
Sicht: Die Stadt Paris prüft, ob die legendären Lichtspielhäuser unter<br />
besonderen Schutz gestellt werden können, um eine kulturelle Verödung<br />
des Boulevards zu verhindern.<br />
Die provenzalische Kleinstadt Arles hat gute<br />
Chancen, in ein paar Jahren über eine weitere<br />
Sehenswürdigkeit zu verfügen: ein Kunst- und<br />
Kulturzentrum, entworfen vom Stararchitekten Frank<br />
Gehry, der auch das spektakuläre Guggenheim-<br />
Museum in Bilbao baute. In Arles ist für dieses Projekt<br />
eine der SNCF gehörende Industriebrache unweit<br />
des historischen Stadtzentrums vorgesehen. Hinter<br />
dem ganzen Vorhaben steht die in Zürich lebende<br />
Roche-Erbin Maja Hoffmann, die bereits viele<br />
Museen auf der Welt unterstützt und selbst über eine<br />
reiche Kunst- und Fotografiesammlung verfügt. Zwar<br />
befinden sich die Gespräche mit der Region und<br />
der Stadt noch am Anfang, doch ist Maja Hoffmann<br />
optimistisch, im Sommer bereits ein allererstes<br />
Konzept präsentieren zu können. Auch Frank Gehry<br />
sah sich bereits in Arles um.<br />
Fußball-Europameisterschaft<br />
2016 in Frankreich?<br />
Bernard Laporte, Staats sekretär für<br />
den Sport, hat erklärt, dass sich Frankreich<br />
für die Austragung der Fuß ball-<br />
Europameisterschaft im Jahr 2016<br />
bewerben will. Mit der Fuß ball-Weltmeister<br />
schaft 1998 und der Rugby-<br />
Weltmeisterschaft 2007 bewies das<br />
Land nach seiner Meinung bereits<br />
sein Organisationstalent für große<br />
Sportereignisse. Mit einer offiziellen<br />
Bewerbung ist aber nicht vor Ende<br />
dieses Jahres bzw. Anfang 2009 zu<br />
rechnen, wird das Austragungsland<br />
für 2016 erst 2011 bestimmt.<br />
6 · Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong>
Paris-CDG wird noch größer<br />
Die Pariser Flughafengesellschaft will in den kommenden fünf Jahren<br />
weitere 2,5 Milliarden Euro in die Infrastruktur der Flughäfen der Stadt<br />
investieren. Herzstück der Ausbaupläne ist ein weiterer Satellit S4 in<br />
Paris-CDG, der 2012 fertig sein soll. In dem Jahr werden rund 80 Millionen<br />
Passagiere am Flughafen erwartet, zurzeit sind es bereits über 61<br />
Millionen. Im <strong>März</strong> soll auch der Gatebereich des 2004 eingestürzten<br />
Terminal 2E wiedereröffnet werden. Lufthansa investiert ebenfalls in<br />
Paris-CDG und renoviert die eigene Lounge im Satellit 6 des Terminal 1.<br />
Die Neugestaltung soll bis zum Ende des Jahres abgeschlossen sein und<br />
findet parallel zur Renovierung des ganzen Satelliten statt.<br />
Frankreich<br />
überholt<br />
Großbritannien<br />
Frankreich hat Groß bri tan -<br />
nien vom fünf ten Platz der<br />
wirt schaftlich stärks ten Staaten<br />
der Welt ver drängt. Laut<br />
der britischen Financial<br />
Times läge der Haupt grund<br />
dafür aber lediglich im<br />
schwachen Pfund bzw.<br />
star ken Euro.<br />
Ambitionierte Projekte für Marseille<br />
Der französische Premierminister François Fillon hat dem<br />
geplanten Musée des Civilisations de l’Europe et de la<br />
Méditeranée (Mucem) in Marseille seine volle Unterstützung<br />
zugesagt. Das Museum soll ab 2012 die Sammlungen<br />
von zwei Pariser Einrichtungen, dem Musée des Arts<br />
et Traditions Populaires und dem Musée de l’Homme,<br />
aufnehmen. Währenddessen geht auch das ambitionierte<br />
Stadterneuerungsprogramm « Euro mé diterranée » weiter,<br />
das 1995 gestartet und 2020 abgeschlossen sein soll. Es ist<br />
das größte Ent wick lungs projekt auf französischem Boden,<br />
bei dem ganze Stadtteile und alte Hafenflächen mit<br />
neuem Leben erweckt werden. Hierzu gehört auch die<br />
Totalsanierung des TGV-Bahnhofs Saint-Charles, der seit<br />
kurzem in frischem Glanz erstrahlt.<br />
Weniger Werbung in Paris<br />
Die Stadt Paris überlegt, Wer bung im öffentlichen Raum zu rück zudrängen. Zu den vor gesehenen<br />
Maßnahmen zählt, die Anzahl von Werbe flächen insgesamt zu redu zieren, die<br />
maximale Größe von Werbetafeln von zwölf auf acht Quadratmeter zu reduzieren, Plakate<br />
an Schau fenstern zu verbieten, Wer bung im Umkreis von Schulen, an der Seine und auf dem<br />
Montmatre zu untersagen. Der Gesetzestext wird zurzeit diskutiert.<br />
Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong> · 7
On En Parle<br />
Palais Royal: Sanierung<br />
der Buren-Säulen<br />
22 Jahre nach der Errichtung der Säulen<br />
des Künstlers Buren im In nen hof des<br />
Palais Royal in Paris, die damals einen<br />
kleinen Skandal auslösten, drohte der<br />
Erschaffer mit ihrem Abriss. Der Grund<br />
lag in der jahre langen Vernachlässigung<br />
des Kunstwerkes. Buren hatte die<br />
Säulen ursprünglich als ein Ge samt -<br />
kunst werk mit Licht- und Was ser installati<br />
onen entworfen. Doch schon seit<br />
Jahren funktioniert die Elek tronik nicht<br />
mehr und setzte die Erosion den Säulen<br />
zu. An stelle eines Sterbens auf Raten<br />
hätte Buren eine komplette Zer störung<br />
bevorzugt. Die Drohung hat gewirkt: Das<br />
Kulturministerium stellt nun das benötigte<br />
Geld zur Sanierung bereit.<br />
Altes Geld<br />
Bei Straßenbauarbeiten wurden in Laniscat in der<br />
Bretagne Relikte aus der Eisenzeit gefunden. Es<br />
handelt sich um den größten keltischen Geldschatz,<br />
der jemals in der Region entdeckt wurde.<br />
Umweltbewusstes Verhalten<br />
auf dem Vormarsch<br />
Nach einer Umfrage des französischen Umweltinstituts<br />
praktizieren 70 Prozent der Haushalte die<br />
Mülltrennung von Glas, Papier und Verpackungen<br />
sowie Batterien. 1998 sammelten erst 36 Prozent<br />
altes Papier und 64 Prozent Glas. Sechs von<br />
zehn Haushalten geben dazu an, beim Kauf<br />
von Küchengeräten den Energieverbrauch zu<br />
berücksichtigen. Dagegen kaufen nur 34 Prozent<br />
Bio-Produkte oder energiesparende Glühbirnen.<br />
Zum Essen ins Museum<br />
Das Museum für zeitgenössische Kunst Mac/Val in Vitry-sur-Seine<br />
im Pariser Großraum lockt mit einer neuen Attraktion: Jeden ersten<br />
Sonntag im Monat wird ein Museumsrundgang angeboten, bei dem<br />
an fünf Stellen kleine kulinarische Happen gereicht werden, zubereitet<br />
vom museumseigenen Restaurant Le Transversal. So kann man sich<br />
beispielsweise vor einem Werk, das den Schrei eines Kindes darstellen<br />
soll, an dem Duft von Lakritze erfreuen.<br />
8 · Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong>
SCHNAPPSCHÜSSE<br />
Paris wird als<br />
Drehort immer<br />
beliebter<br />
Letztes Jahr fanden in der französischen<br />
Haupt stadt 765 Dreharbeiten statt, was einer<br />
Steigerung von fünf Prozent zum Vorjahr<br />
entspricht. Einer von zwei französischen<br />
Filmen wurde in Paris gedreht, mehr als<br />
4.600 Orte dienten als Kulisse. Auch<br />
ausländische Regisseure fühlen sich<br />
von der französischen Hauptstadt<br />
angezogen, so kamen zum Beispiel<br />
sechs Filmschaffende aus den USA<br />
zum Drehen an die Seine. Doch auch<br />
koreanische oder indonesische<br />
Regisseure erlagen dem Charme<br />
der Metropole.<br />
Kühlt sich der französische<br />
Immobilienmarkt ab?<br />
Immobilienbesitzer in Frankreich konnten sich in den<br />
letzten zehn Jahren freuen, erzielten sie beim Verkauf<br />
ihres Eigentums doch meist große Gewinne. Im<br />
Durchschnitt verdoppelten sich die Immobilienpreise<br />
in diesem Zeitraum. In Spitzenlagen der Hauptstadt<br />
oder einigen Gegenden im Süden lagen die Zuwächse<br />
sogar noch höher. Doch auch ländliche Gebiete<br />
sind von den enormen Preissteigerungen betroffen.<br />
So sorgten etwa Briten im Périgord dafür, dass in<br />
einigen Dörfern Englisch längst zur zweiten inoffiziellen<br />
Alltagssprache wurde. Nun treten aber Anzeichen auf,<br />
dass sich der französische Immobilienmarkt abkühlt.<br />
Nach einer jährlichen Teuerungsrate von bis zu zehn<br />
Prozent in den letzten zehn Jahren lag der Preisanstieg<br />
2007 signifikant niedriger. Auch dauert es zunehmend<br />
länger, bis eine Immobilie ihren Eigentümer<br />
wechselt, und das Angebot bei den Maklern wächst.<br />
Allerdings rechnet zurzeit niemand mit dem Platzen<br />
einer Immobilienblase, da Banken auch in den<br />
Wachstumsjahren Kredite vorsichtig vergaben und<br />
viele Immobilien vor zehn Jahren im internationalen<br />
Vergleich massiv unterbewertet waren.<br />
Öffentlich-rechtliches Fernsehen ohne Werbung<br />
Nicolas Sarkozy hat angekündigt, die Werbung in<br />
der öffentlich-rechtlichen Senderfamilie von France<br />
Télévison abzuschaffen. Während einige ein werbe -<br />
frei es Fernsehen befürworten, sorgen sich andere um<br />
die langfristige finanzielle Ausstattung des nicht-kom -<br />
me r zi ellen Fernsehens. Der Aktienkurs des größten<br />
Privat senders TF1 schnellte nach der präsidialen Ankün<br />
di gung jedenfalls sofort in die Höhe.<br />
Französische Autos sind sauberer<br />
Während deutsche Automodelle der Marken<br />
Mercedes und BMW durchschnittlich über 180 Gramm<br />
CO 2<br />
ausstoßen und die gemittelte Emission von VW-<br />
Fahrzeugen bei rund 166 Gramm liegt, sind dies bei<br />
Autos der Marken Peugeot und Citroën nur <strong>14</strong>2 Gramm<br />
und bei Renault <strong>14</strong>7 Gramm.<br />
Orléans kehrt an den Fluss zurück<br />
Nach Lyon, Bordeaux und Paris entdecken nun auch<br />
die Bewohner von Orléans die Reize des Flusses inmitten<br />
ihrer Stadt wieder. Für rund 15 Millionen Euro wurden<br />
die Ufer der Loire neu angelegt. Die Bauarbeiten<br />
dauerten etwas über ein Jahr. Viel Platz wurde dabei<br />
für Spaziergänger und Fahrradfahrer geschaffen.<br />
Niemals ohne Handy<br />
Nach einer Untersuchung des französischen Verbandes<br />
der Mobiltelefonie und des Meinungsforschungsinstituts<br />
TNS Sofres besitzen 76 Prozent der Franzosen ein Handy.<br />
Bei den 12- bis 24-Jährigen sind es sogar 91 Prozent.<br />
Immer mehr Franzosen<br />
Auch 2007 hatte Frankreich gemeinsam mit Irland die<br />
höchste Geburtenrate Europas. Jede Französin gebärt<br />
im Durchschnitt fast zwei Kinder. Erstmals leben mehr<br />
als 63 Millionen Menschen in Frankreich.<br />
Exportschlager TGV<br />
Mit Argentinien hat sich ein weiteres Land für den TGV als<br />
Hoch ge schwin digkeitszug entschieden. Die argentinische<br />
Regierung hat Alstom den Auftrag erteilt, die erste<br />
südamerikanische Hoch ge schwin digkeitsstrecke von<br />
Buenos Aires nach Rosario und Córdo ba zu bauen.<br />
Antibiotika im Rückzug<br />
Die Verschreibung von Antibiotika geht in Frankreich<br />
beständig zurück und hat sich seit 2002 bereits um<br />
rund 25 Prozent reduziert. Bei Kleinkindern bis zu<br />
fünf Jahren beträgt der Rückgang sogar 34 Prozent.<br />
Dennoch bleiben die Franzosen nach den Griechen<br />
die zweitgrößten « Konsumenten » von Antibiotika.<br />
Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong> · 9
Fokus Nordfrankreich<br />
Nordfrankreich<br />
10 · Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong>
Terra incognita im<br />
Herzen Europas<br />
Malerische Kreidefelsen an der Côte d’Opale, weite Ebenen und Felder im Inland<br />
der Picardie, aber auch vom Untergang des Bergbaus gezeichnete Dörfer im Kohlerevier<br />
zwischen Valenciennes und Béthune – der Norden Frankreichs hat viele<br />
Gesichter. Hier befindet man sich im Herzen Europas: Die Hochgeschwindigkeitszüge<br />
brauchen von Lille nach London weniger als eineinhalb Stunden, nach Brüssel lediglich 35<br />
Minuten und nach Paris eine knappe Stunde. Und auch für viele Deutsche liegt die Region<br />
quasi vor der Haustür: Von Köln aus ist man in gerade einmal drei Stunden mit dem Auto in<br />
Frankreichs flämischer Metropole oder in unter fünf Stunden im mondänen Seebad Le<br />
Touquet-Paris-Plage am Ärmelkanal.<br />
Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong> · 11
Fokus Nordfrankreich<br />
Bei einer derart zentralen Lage<br />
sollte man davon ausgehen, dass der<br />
Landstrich längst zu einer beliebten<br />
Urlaubsregion geworden ist, dass<br />
zumindest Belgier, Holländer, Briten<br />
und Deutsche zahlreich hierher<br />
strömen, um französisches Savoir<br />
vivre ohne langen Anfahrtsweg zu<br />
genießen. Doch die Realität sieht<br />
etwas anders aus. Zwar befinden sich<br />
die Übernachtungszahlen kontinuierlich<br />
im Aufwind, doch gerade für<br />
Besucher aus dem deutschsprachigen<br />
Raum bleibt der Norden Frankreichs<br />
noch viel zu oft eine reine Transitregion.<br />
Dabei lohnt es sich, unterwegs<br />
anzuhalten und die landschaftlichen<br />
Schönheiten sowie sehenswerten Städte<br />
zu erkunden. Die Côte d’Opale ist<br />
vielleicht nicht die Côte d’Azur und<br />
die Picardie nicht die Provence, aber<br />
auch hier gibt es viel zu entdecken.<br />
Ohne Mühe lassen sich erlebnisreiche<br />
Tage verbringen.<br />
Eine administrative Region<br />
« Nordfrankreich » existiert dabei<br />
nicht. Was man für den Norden des<br />
Landes hält, ist insbesondere eine<br />
Frage des Blickwinkels. Für Franzosen<br />
aus Marseille dürften alle Landesteile<br />
nördlich der mediterranen Klimagrenze<br />
bereits dazu zählen. Ein Pariser<br />
würde wahrscheinlich nur das Departement<br />
Nord meinen, das sich an der<br />
belgischen Grenze entlangzieht. Seit<br />
einiger Zeit begannen allerdings zwei<br />
Jeweils von oben nach unten.<br />
Linke Spalte: renaturierte Abraumhalde<br />
in Rieulay, Fährverkehr in Calais.<br />
Mittlere Spalte: Belfried von Armentières,<br />
Strand bei Dunkerque, Marais<br />
Audomarois, Mühle von Watten.<br />
Rechte Spalte: Strand von Cayeux-sur-<br />
Mer, Bäder architektur in Wimereux.<br />
S. 10/11: Innenstadt von Lille.<br />
Regionen, die zusammen den « oberen<br />
Zacken » des Hexagons bilden, eine<br />
Marke « Nordfrankreich » auf dem<br />
deutschsprachigen Markt zu etablieren:<br />
die Picardie und die Region Nord-<br />
Pas de Calais.<br />
Zwei Regionen, die einiges gemeinsam<br />
haben, manchmal aber<br />
kaum unterschiedlicher sein könnten.<br />
Auf der einen Seite steht die Region<br />
Nord-Pas de Calais, das « Ruhrgebiet »<br />
Frankreichs. Der sperrige Name ist<br />
den beiden Departements Nord und<br />
Pas de Calais geschuldet, die zusammen<br />
diese Region bilden. Es ist ein<br />
Landstrich, der jahrzehntelang durch<br />
den Bergbau und die Industrie geprägt<br />
wurde. Das schwarze Gold sorgte für<br />
Wohlstand, zahlreiche Gastarbeiter<br />
schufteten neben den Einheimischen<br />
unter Tage. Die Städte im Revier waren<br />
Lebensmittelpunkt der Kumpel<br />
und Arbeiter. Sie mussten ein Zuhause<br />
bieten und nicht schön für Touristen<br />
sein. Noch heute, auch wenn die letzte<br />
Zeche längst geschlossen ist, zeugen<br />
alte Abraumhalden und stillgelegte<br />
Industriebrachen von der einstigen<br />
Zeit.<br />
Mit fast 2,6 Millionen Einwohnern<br />
ist das Departement Nord sogar<br />
das bevölkerungsreichste Departement<br />
von ganz Frankreich, und die Region<br />
Nord-Pas de Calais besitzt mit 325<br />
Einwohnern pro Quadratkilometer<br />
nach der Ile-de-France die höchste<br />
12 · Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong>
Bevölkerungsdichte des Landes. Daher ist es nicht erstaunlich,<br />
dass die Region sehr urban geprägt ist. Inzwischen hat<br />
die Gegend auch den Strukturwandel erstaunlich gut gemeistert<br />
und blickt wieder mit Optimismus in die Zukunft.<br />
So konnte beispielsweise Valenciennes vor einigen Jahren<br />
mit der Ansiedlung eines großen Toyota-Werkes seine<br />
Kompetenz im Automobilbau ausbauen, zählen die Häfen<br />
Dunkerque, Calais und Boulogne-sur-Mer zu den großen<br />
des Landes und ist Roubaix das « Versandhaus » Frankreichs,<br />
sind dort doch rund 70 Prozent der Arbeitsplätze<br />
der Versandhandelsbranche beheimatet.<br />
Doch auch die Kultur kommt im hohen Norden Frankreichs<br />
nicht zu kurz. Spätestens seitdem Lille im Jahre 2004<br />
Europas Kulturhauptstadt war, wird dies auch im Rest des<br />
Landes und im nahen Ausland wahrgenommen. Die Metropole<br />
des Nordens strotzt ohnehin vor Dynamik. Die<br />
wunderschön restaurierte Innenstadt mit ihren prachtvollen<br />
Plätzen und gemütlichen Gassen wirkt wohlhabend und attraktiv.<br />
Das Lebensgefühl ist von Nord- und Mitteleuropa<br />
beeinflusst. Hier findet man in den Restaurants der Stadt<br />
nicht nur leckeres Essen, sondern auch ein Design, das man<br />
sonst eher aus Antwerpen, Amsterdam oder Berlin denn<br />
von einem klassischen französischen Bistro kennt. Die Region<br />
Nord-Pas de Calais ist außerdem für ihre Brauereien<br />
bekannt, wenn seit dem Zweiten Weltkrieg auch viele kleinere<br />
Anlagen schließen mussten. Kein Zweifel, in Lille ist<br />
man in Europa zu Hause. Die Architektur erinnert ohnehin<br />
mehr ans flämische Gent oder Brügge als an Paris.<br />
Der kulturelle Aufbruch im Jahre 2004 blieb dabei<br />
keine Sackgasse. Ganz im Gegenteil war dies erst der Anfang,<br />
sich endgültig als kulturelles Reiseziel zu etablieren.<br />
Der Norden Frankreichs zeigt sich diesbezüglich sogar als<br />
besonders innovativ. So wurde in der im Großraum über<br />
eine Million Einwohner zählenden Hauptstadt der Region<br />
Nord-Pas de Calais das Event lille3000 ins Leben gerufen,<br />
das alle zwei Jahre den Erfolg von 2004 wiederholen soll.<br />
In der Region gibt es neuerdings zudem – dem europäischen<br />
Vorbild folgend – den Titel der regionalen Kulturhauptstadt.<br />
Zum ersten Mal durfte sich Valenciennes damit<br />
schmücken.<br />
All dies sollte aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass<br />
Frankreichs nördlichste Region auch ein Agrarland ist. Die<br />
Böden zählen zu den besten Europas. Rund 70 Prozent der<br />
Fläche des Territoriums werden agrarisch genutzt. Dies<br />
hat Nord-Pas de Calais gemeinsam mit seinem südlichen<br />
Nachbarn. Denn die Picardie ist ebenfalls für ihre fruchtbaren<br />
Felder bekannt, die geologisch zum Pariser Becken<br />
gehören. Überhaupt geht es hier viel ländlicher zu. Die<br />
Region besitzt keine quirlige Metropole wie Lille, keine<br />
Hafenstädte wie Dunkerque oder Calais, dafür aber auch<br />
nicht die Probleme ehemaliger Revierstädte.<br />
Die Picardie ist ein Land des Übergangs – von den Industriezentren<br />
des Nordens zur Millionenmetropole Paris.<br />
Während die südlichen Gefilde noch im Dunstkreis der<br />
Weltstadt liegen und bei Pendlern und Pariser Wochenendausflüglern<br />
beliebt sind, geht das Leben weiter nördlich<br />
recht geruhsam zu. Dies schützte die Region aber nicht vor<br />
verheerenden Kämpfen während der beiden Weltkriege. So<br />
ging etwa die Schlacht an der Somme von 1916 als trauriger<br />
Höhepunkt eines wahnwitzigen Krieges in die Annalen der<br />
Geschichte ein. Denn die Picardie liegt nicht am Ende der<br />
Welt, sondern strategisch im Kernland Europas.<br />
Für die Touristen von heute bieten die drei picardischen<br />
Departements Somme, Oise und Aisne vor allem viel Natur<br />
und Ruhe, beeindruckende Kathedralen und prächtige<br />
Schlösser, aber auch attraktive Dörfer und Städte. Die<br />
wenigsten Reisenden werden hier drei Wochen verbringen,<br />
doch gerade für Kurzurlaube ist die Picardie das ideale<br />
Reiseziel. Es kommt der Region dabei zugute, dass sie –<br />
trotz ihrer zentralen Lage – vom Massentourismus bisher<br />
verschont blieb und so unverändert ein Stück authentisches<br />
Frankreich bietet. Etwas, was in vielen Touristenhochburgen<br />
des Landes leider immer schwieriger zu finden ist. So<br />
kann eine Reise in den Norden Frankreichs zu einem unvergesslichen<br />
Erlebnis werden, und aus der Terra incognita<br />
wird ein Geheimtipp für Kenner.<br />
Marqués au vert…<br />
„Die Natur hat<br />
ein ihr ebenbürtiges<br />
Land gefunden“<br />
Französische<br />
…Ardennen Ab 45 (*)<br />
(*) Preis <strong>2008</strong> : Übernachtung und Frühstück pro Person im Gästezimmer Qualität „4 Schlüssel“ (Basis Doppelzimmer)<br />
www.ardennes.com<br />
Tél. +33 (0)3 24 56 06 08
Fokus Nordfrankreich<br />
Côte d’Opale<br />
Immer am Ärmelkanal entlang<br />
Sie ist trotz ihres wohlklingenden Namens weniger berühmt als andere Küsten<br />
Frankreichs. Dabei muss sich die Côte d’Opale nicht verstecken: Zwischen Calais<br />
und Berck-sur-Mer locken wildromantische Steilküsten, einladende Küstenorte<br />
und eine oft unverfälschte Natur. Das mondäne Seebad Le Touquet-Paris-<br />
Plage bringt sogar einen Hauch von Glamour an den Ärmelkanal.<br />
Eines fällt in Calais sofort auf: Hier hat man sich ganz<br />
und gar auf den großen Nachbarn jenseits des Ärmelkanals<br />
eingestellt. Denn seitdem nicht nur unzählige<br />
Fähren täglich britische Urlauber und Geschäftsleute<br />
über die Wasserstraße bringen, sondern seit 1994 auch der<br />
Eurotunnel in der Hafenstadt seinen Endpunkt hat, wurde<br />
Calais für die Inselbewohner zum Tor zum europäischen<br />
Festland und für Kontinentaleuropäer zur bevorzugten Transitstation<br />
nach Großbritannien. Calais ist ein Knotenpunkt<br />
par excellence, für Menschen genauso wie für Güter.<br />
Sichtbares Zeichen dieser Offenheit gegenüber der<br />
angelsächsischen Welt sind bereits die zweisprachigen<br />
Verkehrsschilder, die den Weg ins Zentrum auch auf<br />
Englisch weisen. Dies ist im Land der Sprache von Molière<br />
als durchaus ungewöhnlich zu bezeichnen. Das zweite<br />
unfehlbare Zeichen sind die vielen Läden für Wein und<br />
andere alkoholische Getränke, die vor allem an den breiten<br />
Ausfallstraßen mit großen Werbetafeln auf sich aufmerksam<br />
machen. Denn viele Briten kommen nur für ein paar<br />
Stunden über den Ärmelkanal, um sich auf französischer<br />
Seite günstig mit Alkoholika einzudecken.<br />
Diesen Umstand wollte sich auch die Cité de l’Europe<br />
zunutze machen, ein riesiges Shoppingcenter auf der grünen<br />
Wiese direkt am Ausgang des Eurotunnels. Neben<br />
den vielen bekannten Handelsketten und Modeboutiquen<br />
hat hier auch eine große britische Supermarktkette einen<br />
riesigen Weindiscounter eröffnet. Die britischen Kunden<br />
erkennt man in den langen Gängen des Konsumtempels<br />
also nicht nur an ihrer Sprache, sondern auch an den mit<br />
Weinflaschen bis zum Rand vollgepackten Einkaufswagen.<br />
Doch auch mancher weltoffener Franzose findet den Weg<br />
in den Laden. Denn hier gibt es etwas, was man in franzö-<br />
<strong>14</strong> · Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong>
sischen Supermärkten sonst nur spärlich findet: Weine aus<br />
Südafrika, Australien, Neuseeland und Südamerika. Denn<br />
die Tatsache, dass die Briten zum Weinkauf nach Calais<br />
kommen, bedeutet nicht automatisch, dass sie französische<br />
Weine erwerben wollen. Vielmehr möchten viele die Produkte<br />
aus den heimischen Supermärkten wiederfinden, nur<br />
zu günstigeren Preisen eben.<br />
Von Calais zum Cap Blanc-Nez<br />
Ansonsten ist Calais eine Stadt, die nicht viele touristische<br />
Sehenswürdigkeiten im klassischen Sinne zu bieten hat.<br />
Nichtsdestotrotz lohnt sich ein kleiner Stadtrundgang. Die<br />
Straßen der Innenstadt wurden erst kürzlich neu angelegt<br />
und wirken einladend. Im Anschluss einer Stadtbesichtigung<br />
wartet « der » landschaftliche Höhepunkt der Côte d’Opale<br />
nur wenige Kilometer südwestlich der Transitstadt. Hierfür<br />
verlässt man Calais über die Küstenstraße D940 und durchquert<br />
zunächst Blériot-Plage, anschließend Sangatte. Der<br />
zweite Name stand lange Zeit synonym für viele menschliche<br />
Einzelschicksale, stand hier doch ein Auffanglager für<br />
afrikanische Flüchtlinge auf dem Weg ins gelobte Land:<br />
Großbritannien. Vor allem aufgrund britischer und lokaler<br />
Proteste wurde das humanitäre Zentrum Anfang dieses<br />
Jahrtausends geschlossen. Die britische Regierung verschärfte<br />
außerdem die früher sehr großzügige Asylgesetzgebung,<br />
um somit dem ungeliebten Zustrom entgegenzuwirken. Und<br />
dennoch sieht man noch immer vereinzelt Gruppen von Afrikanern<br />
im Großraum von Calais, die verzweifelt versuchen,<br />
heimlich auf der Ladefläche eines Lkws auf die andere Seite<br />
des Ärmelkanals zu gelangen.<br />
Als Tourist bekommt man davon aber wenig mit. Viel-<br />
Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong> · 15
Fokus Nordfrankreich<br />
Die Straßen der Innenstadt von<br />
Calais im neuen Gewand.<br />
Blick vom Cap Blanc-Nez in<br />
Richtung Cap Gris-Nez.<br />
Das Rathaus von Calais mit seinem 75 Meter hohen Bergfried wurde von 1911 bis 1924 erbaut.<br />
S. <strong>14</strong>/15: Cap Blanc-Nez mit dem Dover Petrol Monument.<br />
Bunkerruinen erinnern an<br />
die Schrecken des Krieges.<br />
mehr fallen die vielen Blockhäuser auf dem Dünenkamm<br />
in Sangatte auf. Schnell stellt man sich vor, wie schön es<br />
sein muss, von dort aus einen Sonnenuntergang zu erleben<br />
oder an einem stürmischen Tag gemütlich hinter großen<br />
Fenstern auf das aufgewühlte Meer zu schauen. Sobald<br />
man Sangatte hinter sich lässt, wird die Landschaft einsam.<br />
Baumlose Hügel mit weiten Feldern und Wiesen prägen die<br />
Natur. Nach rechts schweift der Blick immer wieder über<br />
den Ärmelkanal und auf die weißen Fährschiffe. An der<br />
Küste entlang zeichnet sich vor dem Betrachter bereits das<br />
Cap Blanc-Nez ab.<br />
Es macht Spaß, die Landstraße gemütlich zum Kap<br />
hinaufzufahren. Die anderen Autofahrer sind überwiegend<br />
Ausflügler, die ebenfalls die Landschaft genießen wollen.<br />
Oben angekommen, stellt man das Auto auf einem Parkplatz<br />
neben der Straße ab und legt die letzten Meter zum Cap<br />
Blanc-Nez zu Fuß zurück. Etwas über 130 Meter recken sich<br />
die Kreidefelsen an dieser Stelle in die Höhe. Der Ausblick<br />
ist unbeschreiblich schön. Über das Meer erkennt man bei<br />
guter Sicht die Steilküste von Dover. Ein nicht ganz ernst<br />
gemeintes Sprichwort sagt: « Siehst Du die Küste auf der anderen<br />
Seite, wird es Regen geben. Siehst Du sie nicht, regnet<br />
es bereits! » In Richtung Nordosten fällt der Blick zurück auf<br />
Sangatte und Calais. Im Südwesten sieht man das Cap Gris-<br />
Nez, den kleinen Bruder vom Cap Blanc-Nez.<br />
Beide Kaps gehören zu den Grands Sites de France. Es<br />
handelt sich dabei um einen Zusammenschluss der größten<br />
landschaftlichen Sehenswürdigkeiten Frankreichs, die gemeinsam<br />
die touristische Vielfalt des Landes repräsentieren.<br />
Das Cap Blanc-Nez und das Cap Gris-Nez stehen damit in<br />
einer Reihe mit Attraktionen wie der Mont-Saint-Michel,<br />
die Dune du Pilat oder der Pont du Gard. Seit einiger Zeit<br />
hat man zusätzliche Maßnahmen zum Schutz der fragilen<br />
Küste eingeleitet. So wurde auch der Parkplatz näher zur<br />
Landstraße verlegt, um der Natur wieder mehr Raum zu<br />
lassen, und der weithin sichtbare Obelisk auf dem Cap<br />
Blanc-Nez, das Dover Petrol Monument, restauriert.<br />
Auf diversen Pfaden kann man die nähere Umgebung<br />
erkunden. Nur an der Felskante sollte man vorsichtig sein.<br />
Warntafeln weisen darauf hin, dass akute Absturzgefahr<br />
besteht. Das Meer bringt immer wieder Felsen zum Einstürzen.<br />
Wissenschaftler fanden heraus, dass alle 100 Jahre<br />
rund 25 Meter der Küste der Erosion zum Opfer fallen.<br />
Geologisch gehört die Felsenküste des Cap Blanc-Nez zu<br />
den Ausläufern der Hügel des Boulonnais. Nicht übersehbar<br />
sind unterwegs die vielen Bunkerüberbleibsel aus dem<br />
Zweiten Weltkrieg. Sie sind ein stummes Mahnmal gegen<br />
den Wahnsinn dieses Krieges. Die robuste Bauweise wird<br />
auch zukünftige Generationen noch an dieses schreckliche<br />
Kapitel der Geschichte erinnern. Außerdem erkennt man<br />
unverändert die Krater von abgeworfenen Bomben. Sie<br />
geben dem Kap eine stark wellige Oberfläche. Im Schutz<br />
16 · Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong>
Blick auf die Steilküste des Cap Blanc-Nez. Bei Ebbe tummeln sich zahlreiche Spaziergänger am Strand. Besonders schön<br />
sind die Lichtverhältnisse am späten Nachmittag, wenn die Felsen vom sanften Sonnenlicht angestrahlt werden.<br />
der Krater wachsen ein paar kleine Bäume am ansonsten<br />
baumlosen Kap.<br />
Vom Cap Blanc-Nez zum Cap Gris-Nez<br />
Wenn man vom Cap Blanc-Nez zum Cap Gris-Nez<br />
weiterfährt, sollte man einen kleinen Abstecher zum Strand<br />
von Escalles unternehmen. Eine kleine Straße biegt in einer<br />
engen Kurve in der Dorfmitte dorthin ab. Am Ende befindet<br />
sich ein Parkplatz. Manche wandern von hier aus hoch<br />
zum Cap Blanc-Nez. Auf jeden Fall sollte man jedoch die<br />
Möglichkeit nutzen, an dieser Stelle ans Meer zu gelangen,<br />
um die beeindruckenden Kreidefelsen des Kaps von unten<br />
aus zu sehen. Je nachdem, ob Ebbe oder Flut ist, kann man<br />
die Steilküste mit etwas Abstand bewundern. Vorsicht ist<br />
aber erneut geboten, wenn man sich zu dicht an die Felsen<br />
begibt. Herabstürzende Steine stellen jederzeit eine Gefahr<br />
dar. Besonders schön sind die Lichtverhältnisse hier in den<br />
späten Nachmittagsstunden, wenn die Kreidefelsen goldgelb<br />
im Sonnenlicht glänzen.<br />
Das Cap Gris-Nez ist weniger spektakulär als das Cap<br />
Blanc-Nez und mit 45 Metern auch deutlich niedriger.<br />
Doch auch auf dieser Landzunge lassen sich schöne Wanderungen<br />
in rauer Natur unternehmen. Ein Leuchtturm<br />
Office de Tourisme Intercommunal Calais / Côte d’Opale<br />
12, Boulevard Clémenceau - 62100 CALAIS - Tél. 03 21 96 62 40 - Fax 03 21 96 01 92
Fokus Nordfrankreich<br />
weist den Schiffen den Weg. Unterirdisch befindet sich das<br />
Seerettungszentrum CROSS, das den Ärmelkanal, einem<br />
der meist befahrenen Wasserwege der Welt, überwacht.<br />
Die Reste deutscher Bunker erinnern erneut an die strategische<br />
Bedeutung der Küste im Zweiten Weltkrieg. Eine<br />
ehemalige Abschussrampe in der Nähe beherbergt heute<br />
ein Museum über den Atlantikwall. Eine Fahrt an die<br />
Côte d’Opale ist auch eine Reise in die jüngere deutsche<br />
Geschichte.<br />
Vom Cap Gris-Nez nach Boulogne-sur-Mer<br />
Hinter dem Cap Gris-Nez wird die Landschaft flacher.<br />
Es dauert nun nicht mehr lange, bis man Boulogne-sur-<br />
Mer erreicht. Der quirlige Ort ist Frankreichs größter<br />
Fischereihafen. Neben Calais und Dunkerque fahren von<br />
hier aus auch Fähren ins britische Dover. Im Zweiten<br />
Weltkrieg wurden 85 Prozent der Bausubstanz der Stadt<br />
zerstört oder stark beschädigt. Gerade der untere Bereich<br />
zum Hafen hin wirkt heute deshalb modern. Nachkriegsbauten<br />
prägen hier das Stadtbild. Der Wiederaufbau von<br />
Boulogne-sur-Mer wurde nach einem Masterplan des<br />
Architekten Pierre Vivien durchgeführt, der sich dabei von<br />
der Charta von Athen von Le Corbusier inspirieren ließ.<br />
Er wollte eine moderne, menschliche Stadt schaffen, die<br />
dennoch traditionelle Elemente respektiert und lokale Besonderheiten<br />
berücksichtigt.<br />
Die Besucher von heute strömen vor allem in die gut<br />
erhaltende Oberstadt. Man erreicht sie vom Hafen aus über<br />
die ansteigende Hauptstraße, die von zahlreichen Geschäften<br />
gesäumt wird. Umgeben wird die Oberstadt von einer<br />
massiven Befestigungsmauer aus dem 13. Jahrhundert, von<br />
der aus sich ein schöner Blick über die Dächer von Boulogne-sur-Mer<br />
bietet. Vier Stadttore erlauben den Zugang<br />
zum Inneren der Oberstadt, wo verwinkelte Gassen zum<br />
Bummeln einladen. Die Hauptstraße ist in eine Fußgängerzone<br />
umgewandelt. Zahlreiche Restaurants stellen fast<br />
das ganze Jahr über ihre Tische und Stühle auf den Fußweg.<br />
Es herrscht eine angenehm entspannte Atmosphäre.<br />
Vor allem britische Touristen und Tagesausflügler kommen<br />
hierher und kosten die Errungenschaften der französischen<br />
Küche. Viele der Restaurants bieten eine durchgehende<br />
18 · Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong>
Küche an, eine große Ausnahme in Frankreich.<br />
Dominiert wird die Oberstadt baulich durch die Basilika<br />
Notre-Dame. Das Gotteshaus wurde im 19. Jahrhundert<br />
an der Stelle einer Kathedrale aus dem Mittelalter errichtet,<br />
die während der französischen Revolution zerstört wurde.<br />
Die Architektur ist von der Renaissance und Klassik inspiriert.<br />
Doch besonders auffällig ist die imposante Kuppel.<br />
Sie erhebt sich weit über die Dächer der umliegenden Häuser<br />
und prägt auch von außerhalb der Stadt die Silhouette<br />
von Boulogne-sur-Mer.<br />
Von Boulogne-sur-Mer nach<br />
Le Touquet-Paris-Plage<br />
Hinter der Hafenstadt wird die Landschaft weniger<br />
spektakulär. Höhepunkte wie das Cap Blanc-Nez fehlen.<br />
Die beiden Seebäder Equihen-Plage und Hardelot-Plage<br />
geben sich recht bodenständig. Nach rund 20 Kilometern<br />
erreicht man die Mündung der Canche. Die Landstraße führt<br />
wieder etwas ins Landesinnere, um bei Etaples den Fluss zu<br />
überqueren. Dann kündigt sich bereits das nächste lohnenswerte<br />
Ziel der Côte d’Opale an: Le Touquet-Paris-Plage.<br />
Der Ort ist kein Ferienziel wie jedes andere. Le Touquet<br />
möchte in der Liga der mondänen Seebäder mitspielen.<br />
Gerne wird die Kommune mit Städten wie Deauville<br />
oder Biarritz in einem Atemzug genannt. Schon kurz vor<br />
dem Ortseingang wird ein gewisses Geltungsbedürfnis<br />
deutlich: So weisen Schilder den Weg zum « Internationalen<br />
Flughafen Le Touquet Côte d’Opale » aus. Dabei landen<br />
und starten schon lange keine Linienflugzeuge mehr<br />
auf diesem Airport. Die einzige reguläre Flugverbindung<br />
besteht nach Lydd in England, die mit winzigen Propellermaschinen<br />
beflogen wird. Dafür nutzen manchmal Privatjets<br />
den Flughafen. Denn einige Besucher des Seebades<br />
verfügen nicht nur über eine herrschaftliche Villa im Ort,<br />
sondern auch über die finanziellen Mittel für eine « standesgemäße<br />
» Anreise.<br />
Bereits hinter dem Ortsschild spürt man die besondere<br />
Aura von Le Touquet-Paris-Plage. Die Straße führt durch<br />
ein elegantes Wohngebiet. Alles wirkt sehr gediegen, aber<br />
nicht protzig. Villen und Bungalows verteilen sich auf<br />
großzügigen Grundstücken unter hohen alten Bäumen.<br />
Auf den ersten Blick fühlt man sich mehr in einem Park<br />
als in einem Wohngebiet. Auffallend ist zudem, dass hohe<br />
Mauern oder Zäune fast ganz fehlen. Die Grundstücke<br />
sind offen gestaltet, ganz anders als an der Côte d’Azur.<br />
Die Nadelbäume erinnern einen außerdem an die Wälder<br />
der Landes im Südwesten Frankreichs.<br />
Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong> · 19
Fokus Nordfrankreich<br />
Die Basilika Notre-Dame dominiert die<br />
Stadtsilhouette von Boulougne-sur-Mer.<br />
In der Rue de Lille in der Oberstadt locken<br />
Restaurants mit durchgehender Küche.<br />
S. 18/19: Steilküste am Strand von Escalles.<br />
Nach einigen Kilometern gelangt man zu einem großen<br />
Kreisel. Die Straße ins Zentrum führt anschließend<br />
an herrschaftlichen Bauten vorbei, wie man sie aus vielen<br />
mondänen Kurbädern kennt. Auf der linken Seite beherbergt<br />
der Palais de l’Europe ein Kasino sowie das lokale<br />
Fremdenverkehrsamt. Alles wirkt aber immer noch sehr<br />
grün. Man hat nicht wirklich den Eindruck, am Meer zu<br />
sein. Auf der rechten Seite folgt das Westminster Hotel, das<br />
seit Jahrzehnten britischen Charme nach Le Touquet-Paris-<br />
Plage bringt. Es sind bis heute vor allem Gäste von der anderen<br />
Seite des Ärmelkanals, die neben den Franzosen die<br />
Vorzüge des eleganten Seebades zu schätzen wissen.<br />
Das Hotel erinnert aber auch daran, dass Le Touquet auf<br />
eine glamouröse Vergangenheit zurückblicken kann. Der<br />
Grundstein zum späteren Ruhm wurde im 19. Jahrhundert<br />
gelegt. 1837 kauften zwei Herren die unwirtliche Gegend<br />
der Canche-Mündung. Einer der beiden versuchte zunächst<br />
den Aufbau einer landwirtschaftlichen Produktion, was<br />
allerdings ohne Erfolg blieb. In der Mitte des Jahrhunderts<br />
pflanzten sie schließlich einen Pinienwald, der der Stadt<br />
noch heute ihren parkähnlichen Charakter gibt. Es war<br />
schließlich der Gründer des Tageszeitung Le Figaro, der die<br />
Landeigentümer bei einem Besuch 1874 davon überzeugte,<br />
ein Seebad mit dem Namen Paris-Plage zu gründen. Der<br />
Anfang war gemacht. Doch erst zwei Engländer bauten zum<br />
Ende des Jahrhunderts die Infrastruktur nennenswert aus<br />
und verhalfen dem Seebad damit zum Durchbruch. Nach<br />
dem Ersten Weltkrieg waren es die Goldenen Zwanziger,<br />
die Le Touquet-Paris-Plage legendär werden ließen. Hier<br />
findet man seitdem alles, was die Schönen und Reichen der<br />
Welt mögen: ein Kasino, eine Pferderennbahn, einen Golfplatz,<br />
einen Flughafen und natürlich edle Boutiquen.<br />
Hinter dem Westminster Hotel erreicht man schließlich<br />
die Ortsmitte. Verkehrsberuhigte Straßen laden zu einem<br />
Stadtbummel ein. Die Architektur vieler Gebäude erinnert<br />
bereits an die nahe Normandie. Alles wirkt sehr elegant<br />
und schick. In den Gassen buhlen Design-Restaurants neben<br />
klassischen Bistros um die Gunst der Besucher. Keine<br />
Frage, in Le Touquet herrscht eine mondänere Atmosphäre<br />
als in den anderen Küstenorten der Côte d’Opale. Hier<br />
spürt man eine gewisse Pariser Eleganz. Die Touristen unterscheiden<br />
sich von den Besuchern benachbarter Orte. Es<br />
ist ein Publikum, das man sonst in London, Paris oder an<br />
der Côte d’Azur antrifft.<br />
Enttäuschend ist dagegen der Moment, an dem man<br />
sich endlich bis zum Meer durchgeschlagen hat. Die<br />
Uferbebauung besteht aus gesichtslosen Apartmentblocks,<br />
und die Promenade ist weniger elegant als die Innenstadt.<br />
Doch der breite Strand stimmt wieder versöhnlich. So ist<br />
Le Touquet-Paris-Plage vielleicht das einzige der mondänen<br />
Seebäder Frankreichs, das für seinen außergewöhnlichen<br />
Reiz ganz ohne das Meer auskommt.<br />
20 · Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong>
Edle Boutiquen und gepflegte Grünstreifen verströmen einen<br />
Hauch von Exklusivität in Le Touquet-Paris-Plage.<br />
Rue Jean Monnet mit dem<br />
Marché Couvert in der Ferne.<br />
Herrschaftliche Bauten an<br />
der Avenue du Verger.<br />
Das Westminister Hotel gilt als das erste Haus am Platz.
Fokus Nordfrankreich<br />
Centre Historique Minier<br />
Die Geschichte des Bergbaus erleben<br />
Die Wirtschaft und Gesellschaft im<br />
Norden Frankreichs waren über<br />
Jahrzehnte durch den Bergbau geprägt.<br />
Das Bergbaumuseum von<br />
Lewarde hält diese Vergangenheit<br />
für zukünftige Generationen lebendig<br />
und bietet die einmalige Gelegenheit,<br />
den technischen Fortschritt<br />
der letzten drei Jahrhunderte zu verfolgen.<br />
Die größte Überraschung erwartet uns am Ende des Rundgangs, als<br />
der Museumsführer, ein ehemaliger Kumpel, der selbst jahrelang<br />
in diesem Bergwerk schuftete, vorschlägt, die Stollen wieder zu<br />
verlassen und nach oben zu fahren. Nun, wer vorher sehr aufmerksam war,<br />
hätte es ahnen können, doch viele der Teilnehmer unserer Gruppe sind<br />
dennoch äußerst erstaunt. Nur wenige vermuteten die Überraschung bereits.<br />
Aber vielleicht sollten wir mit der Geschichte von vorne beginnen.<br />
Wir sind hier in Lewarde, einer Kleinstadt östlich von Douai im<br />
Herzen einer traditionsreichen Bergbauregion, die sich über die beiden<br />
Departements Nord und Pas de Calais erstreckt. Der Norden Frankreichs<br />
zählte zu den großen Kohlerevieren Europas. So wie im deutschen<br />
Ruhrgebiet oder im belgischen Wallonien drehte sich hier Jahrzehnte<br />
lang alles um die Kohle. Das schwarze Gold war die Lebensader einer<br />
Region und bildete den Grundstein für die Prosperität einer ganzen Nation.<br />
Tausende von Kumpeln arbeiteten dafür unter Tage und setzten<br />
22 · Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong>
Schon von außen macht das Bergwerksmuseum von Lewarde neugierig. Viele Details aus dem Alltag der Kumpel wurden hier<br />
erlebbar gemacht und geben dem Besucher einen guten Eindruck von der harten Arbeit unter Tage im Laufe der Jahrhunderte.<br />
dabei nicht selten ihre Gesundheit und manchmal sogar ihr<br />
Leben aufs Spiel.<br />
Gerade nach den beiden Weltkriegen spielte die Kohleförderung<br />
in Nordfrankreich eine Schlüsselrolle für den<br />
Wiederaufbau des Landes. Kohle bedeutete Energie, und<br />
Energie erlaubte eine Industrialisierung, die Wohlstand<br />
schuf. Die Nachfrage nach Arbeitskräften war derart groß,<br />
dass nach dem Ersten Weltkrieg zahlreiche Polen, nach dem<br />
Zweiten Weltkrieg viele Südeuropäer und Nordafrikaner<br />
ins nordfranzösische Kohlerevier kamen. Doch nicht nur<br />
im 20. Jahrhundert förderte man in dieser Region Kohle.<br />
Eine fast dreihundertjährige Tradition<br />
Schon 1682 wurde dieser kostbare Rohstoff zum ersten<br />
Mal in Hardinghem entdeckt. Eine systematische Ausbeutung<br />
wurde aber erst seit 1716 erwogen, als Jacques Désandrouin<br />
anfing, Bodenanalysen in der Gegend von Valenciennes<br />
vorzunehmen. Drei Jahre zuvor hatte Frankreich im<br />
Frieden von Utrecht die Bergbauregion Wallonien verloren.<br />
Es lag auf der Hand, dass die Flöze nicht an der neuen<br />
Landesgrenze endeten, sondern dass man auch hier, weiter<br />
westlich, Kohle finden müsste. Nach vielen aufwendigen<br />
Bohrungen wurde Désandrouin 18 Jahre später endlich fündig.<br />
Am 24. Juni 1734 entdeckte er in Anzin, vor den Toren<br />
von Valenciennes, Kohleflöze von höchster Qualität. Die Ära<br />
des Bergbaus im Norden Frankreichs konnte beginnen.<br />
Im Laufe der Jahre dehnte sich das Kohlerevier immer<br />
weiter in Richtung Westen aus und reichte schließlich bis in<br />
den Großraum von Béthune. Dabei musste man jedoch immer<br />
mehr in die Tiefe gehen. Waren die Stollen im Osten<br />
nicht tiefer als 500 Meter, ging die tiefste Zeche in der Nähe<br />
von Lens bis zu 1.200 Meter unter die Erde. Die Bergwerke<br />
erstreckten sich schließlich auf einem Streifen mit einer<br />
Länge von rund 120 Kilometern, der aber niemals breiter<br />
als zwölf Kilometer war. In der Hochzeit der Kohleförderung<br />
in den Jahren von 1930 bis 1960 fanden rund 200.000<br />
Kumpel ihr Auskommen in den Zechen des Reviers.<br />
Doch dann kam der 21. Dezember 1990. An diesem Tag<br />
kurz vor Weihnachten wurde die Kohleförderung im Norden<br />
Frankreichs endgültig eingestellt. Eine fast dreihundertjährige<br />
Tradition ging zu Ende, während der insgesamt mehr als zwei<br />
Milliarden Tonnen Kohle gefördert wurden. Bis heute konnte<br />
sich die Region von diesem wirtschaftlichen Schock nicht<br />
Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong> · 23
Fokus Nordfrankreich<br />
24 · Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong>
gänzlich erholen. Der Grund für das jähe Ende<br />
lag nicht in der Erschöpfung des Rohstoffes, sondern<br />
– wie auch in vielen anderen europäischen<br />
Kohlerevieren – in der fehlenden Wettbewerbsfähigkeit<br />
der heimischen Kohleförderung. Um<br />
neue Flöze zu erschließen, musste man immer<br />
tiefer graben. Doch auch höhere Sicherheitsanforderungen<br />
und gestiegene Löhne trugen dazu<br />
bei, dass die Förderung nicht mehr mit der aus<br />
Billiglohnländern bzw. mit anderen Energiequellen<br />
konkurrieren konnte.<br />
Vom Bergwerk zum Museum<br />
Hier in Lewarde, wo wir uns befinden, gingen<br />
die Lichter allerdings schon ein wenig früher aus.<br />
Im Jahre 1971 war die Zeche Delloye, in der seit<br />
1931 Kohle gefördert wurde, erschöpft. Schon die<br />
Jahre zuvor nahm die Fördermenge ab, war der<br />
Höhepunkt doch bereits 1963 erreicht, als über<br />
1.200 Tonnen Kohle pro Tag gewonnen wurden.<br />
Doch anstelle einer Schließung für immer meinte<br />
es das Schicksal gut mit Lewarde. Denn schon damals<br />
hielten es die Politiker und Verantwortlichen<br />
des Bergbaus in der Region für wünschenswert,<br />
mit Hilfe eines Museums die Erinnerung an die<br />
lange Tradition der Kohleförderung aufrechtzuerhalten.<br />
Der Standort Lewarde wurde aufgrund<br />
seiner günstigen Lage im Herzen des Reviers und<br />
seiner Repräsentativität ausgewählt. Im Mai 1984<br />
öffnete schließlich das Centre Historique Minier<br />
zum ersten Mal seine Tore.<br />
Seitdem wurde das Museum kontinuierlich<br />
ausgebaut. Zahlreiche temporäre Ausstellungen<br />
locken jedes Jahr zusätzliche Gäste an. 2002 wurde<br />
zudem ein neues Empfangsgebäude mit einer<br />
Architektur aus viel Glas eingeweiht, durch das<br />
auch wir an diesem Tag das Museum betreten.<br />
Von außen hatten wir bereits die zwei Fördertürme<br />
der Anlage gesichtet, die für ein Bergbaurevier<br />
so typisch sind. Schon der erste Eindruck<br />
ist sehr positiv. Das Personal am Empfang ist<br />
äußerst freundlich und erklärt uns, wie ein Besuch<br />
des Museums abläuft: Zunächst hat man<br />
Zeit, das Gelände auf eigene Faust zu erkunden.<br />
Anschließend geht man zu einem vorgegebenen<br />
Zeitpunkt zu dem ehemaligen Duschraum der<br />
Bergleute. Dort beginnt eine rund 90-minütige<br />
Führung, deren Höhepunkt die Besichtigung der<br />
Stollen mit einem echten Kumpel ist.<br />
Wir machen uns also zunächst auf den Weg<br />
durch die frei zugänglichen Räume. Man sieht<br />
sofort, dass das Zentrum erst vor einigen Jahren<br />
erneuert wurde. Alles wirkt modern und<br />
aufgeräumt. Vom Schmutz vergangener Tage,<br />
als die Zeche noch auf Hochtouren lief, ist<br />
nichts übrig geblieben. Vor allem Schulklassen<br />
sind an diesem Tag nach Lewarde gekommen.<br />
Doch auch einige Individualtouristen haben<br />
den Weg hierher gefunden. Uns fällt sofort eine<br />
große Glashalle zwischen zwei alten Gebäuden<br />
vor den beiden Fördertürmen auf. Dieser Bau<br />
im Stil eines Wintergartens wurde natürlich<br />
erst nachträglich angefügt und beherbergt diverse<br />
Maschinen, die auch aus anderen Zechen<br />
stammen. Eine Ausstellung beschäftigt sich<br />
außerdem mit der Frage der Energiegewinnung<br />
von gestern, heute und morgen.<br />
In den umliegenden Gebäuden sind weitere<br />
Maschinen und Hilfsmittel aus verschiedenen<br />
Epochen zu besichtigen. Überdies wurde der<br />
Pferdestall der Zeche wieder hergestellt. Es<br />
ist noch gar nicht so lange her, dass nicht nur<br />
Menschen, sondern auch Pferde unter Tage<br />
arbeiteten. Unser Museumsführer wird später<br />
dazu schelmisch bemerken, dass wir darüber<br />
bloß nicht mit Brigitte Bardot sprechen sollten.<br />
Anschließend überqueren wir die Freifläche in<br />
der Mitte der Anlage und begeben uns in einen<br />
Gebäuderiegel, von dem aus auch der geführte<br />
Rundgang beginnt. Dort sind weitere Räume<br />
und Ausstellungen zu besichtigen. Unter anderem<br />
über die Entstehung von Kohle, die Geschichte<br />
des Bergbaus im Norden Frankreichs<br />
und den Alltag der Kumpel. Auch das Büro des<br />
verantwortlichen Ingenieurs der Zeche wurde<br />
wie in den 1930er-Jahren nachgebildet. Ebenso<br />
das Büro des Geometers, der die Arbeit des Ingenieurs<br />
unterstützte, und des Buchhalters, der<br />
unter anderem die Löhne auszahlte.<br />
Ein Duschraum für 1.000 Kumpel<br />
Schließlich ist der Zeitpunkt gekommen,<br />
an dem unsere Führung beginnen soll. Wir gehen<br />
dafür zum Ende des Gebäudes, in dem ein<br />
Teil des alten Duschraumes erhalten geblieben<br />
ist, und nehmen auf einer der Bänke, an denen<br />
sich früher die Kumpels umgezogen haben,<br />
mit einer Handvoll anderer Besucher Platz, um<br />
den Erzählungen einer jungen Frau, die den<br />
ersten Teil der Führung gestaltet, zu lauschen.<br />
So erfahren wir zum Beispiel, dass früher rund<br />
1.000 Kumpel in diesem großen Saal pro Tag<br />
duschten. Dabei durften die Männer nicht zu<br />
prüde sein. Man ist hier weit entfernt von den<br />
Der Duschraum der Zeche ist zum Teil originalgetreu erhalten. Hier beginnt auch die Führung.<br />
In Lewarde sind Maschinen, Loren und Werkzeuge aus verschiedenen Epochen zu besichtigen.<br />
Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong> · 25
Fokus Nordfrankreich<br />
teilweise luxuriösen Duschkabinen moderner<br />
Schwimmbäder oder Fitnessstudios heutiger<br />
Zeit. Hier reihte sich an den Wänden vielmehr<br />
ein Duschkopf an den nächsten. Alles<br />
war äußerst schlicht und simpel gehalten. Eine<br />
Privatsphäre gab es nicht. Die Kumpel mussten<br />
meist lange ihre Haut schrubben, um sich vom<br />
Dreck eines harten Arbeitstages zu befreien.<br />
Dabei war es üblich, dass man jeweils den Rücken<br />
des Duschnachbarn wusch.<br />
In der Raummitte standen nur einige Bänke.<br />
An ihnen waren auch die Seile befestigt, mit<br />
denen die eigenen Klamotten vor Schichtbeginn<br />
bzw. die Arbeitsbekleidung nach getaner<br />
Arbeit nach oben gezogen wurde. Es gab drei<br />
wesentliche Gründe, warum man sich für dieses<br />
System entschieden hatte und gegen Spinde:<br />
Zunächst einmal war es eine platzsparende<br />
Möglichkeit, die Sachen einer so hohen Anzahl<br />
von Bergleuten auf möglichst engem Raum unterzubringen.<br />
Dann erleichterte es das Reinigen<br />
des Duschraumes. Doch vor allem hatte das<br />
System den Vorteil, dass die Arbeitskleidung<br />
besser trocknen konnte, da sich warme Luft<br />
bekanntlich unter der Decke staut.<br />
Unsere Museumsführerin erklärt uns auch,<br />
dass ein Bergwerk sehr hierarchisch organisiert<br />
war. So hatte die Führungsetage einen eigenen<br />
Duschraum, der Ingenieur der Zeche sogar eine<br />
Badewanne. Auch wurde deren Arbeitskleidung<br />
gereinigt, während dies beim einfachen Kumpel<br />
ausblieb. In dem großen Duschsaal war nur eine<br />
Ecke abgetrennt. Hier befanden sich die Duschen<br />
für die jungen Auszubildenden. Im Alter<br />
von 13 bis <strong>14</strong> Jahren fing man gewöhnlich mit<br />
der Arbeit unter Tage an. Den Jungen gewährte<br />
man durch eine Trennwand zumindest ein wenig<br />
Intimsphäre gegenüber den anderen Männern.<br />
Eine Besucherin aus unserer Gruppe fragt<br />
daraufhin leicht entsetzt, ob es denn gar keine<br />
separaten Duschräume für Frauen gab?<br />
Die Legende von der<br />
schmutzigen Lampe<br />
Diese Frage ist die perfekte Überleitung<br />
zum nächsten Raum der Besichtigungstour.<br />
Denn seit Ende des 19. Jahrhunderts war es<br />
mit dem Fortschritt der Sozialgesetzgebung<br />
Frauen untersagt, unter Tage zu arbeiten. Separate<br />
Duschräume für Frauen waren also in<br />
Zu den Besonderheiten des Bergwerksmuseums<br />
zählt, dass die Führungen in den Stollen von<br />
ehemaligen Kumpeln durchgeführt werden.<br />
26 · Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong>
Lewarde nicht notwendig. Dennoch gab es damals in den<br />
Zechen auch weibliche Angestellte. Sie kümmerten sich<br />
zum Beispiel um das Putzen der Lampen der Bergleute. Im<br />
Lampensaal sind in einer Vitrine Lampen aus den verschiedenen<br />
Epochen ausgestellt.<br />
Die Lampe war seit jeher eines der wichtigsten Werkzeuge<br />
des Bergmanns. Lange Zeit diente sie nicht nur dazu,<br />
unter Tage Licht zu schaffen, sondern war auch ein wichtiges<br />
Warninstrument, wenn die Luft unter Tage lebensgefährlich<br />
dünn wurde. Nach jedem Schichtende gaben die<br />
Kumpel ihre Lampe ab, damit diese sorgfältig geputzt und<br />
auf ihre Funktionstüchtigkeit überprüft werden konnten.<br />
Die Legende sagt dabei, dass sich ein Bergmann besonders<br />
glücklich schätzen konnte, wenn eine Lampenputzerin zu<br />
seinen Verehrerinnen zählte. Denn natürlich würde sie die<br />
Lampe ihres angebeteten Bergmanns am gründlichsten<br />
putzen. Sollte er jedoch eines Morgens ankommen und<br />
eine schmutzige Lampe vorfinden, war es ein eindeutiges<br />
Zeichen dafür, dass er sich vorher falsch verhalten haben<br />
musste. In einem regionalen Volkslied wird diese Legende<br />
noch heute besungen.<br />
In den Stollen mit einem echten Kumpel<br />
Nun ist auch der Moment gekommen, wo wir uns<br />
alle einen Schutzhelm aufsetzen müssen. Dann geht es<br />
vor die Tür, wo wir mit einer Bahn, in der früher die<br />
Bergleute transportiert wurden, zu den beiden Fördertürmen<br />
fahren. Dort werden wir schließlich von einem<br />
echten Kumpel in Empfang genommen. Er erzählt uns,<br />
dass er Bergmann in der fünften Generation sei. Viele<br />
Jahre seines aktiven Berufslebens hat er in der Zeche<br />
von Lewarde verbracht. Noch heute merkt man seine<br />
große Leidenschaft für diesen Beruf. Die Tatsache, dass<br />
ehemalige Kumpel die Führungen des Museums übernehmen,<br />
macht den Besuch dieses Bergwerkzentrums<br />
besonders lohnenswert. Man hat das Gefühl, ein möglichst<br />
authentisches Bild von der Arbeit unter Tage zu<br />
bekommen, kleine Anekdoten inklusive.<br />
Nach der Begrüßung geht es sofort weiter zu einem der<br />
Fördertürme. Wir steigen ein paar Treppen hoch, sehen einen<br />
kurzen Film über die Rolle der Frauen im Bergbau und<br />
gelangen schließlich vorbei an Loren voller Kohle zum Förderschaft,<br />
über den sowohl die Kohle und Werkzeuge als<br />
auch die Kumpels transportiert wurden. Ein etwas mulmiges<br />
Gefühl kommt in unserer Gruppe auf, geht es nun doch<br />
endlich unter Tage. Wir betreten die Seilfahrt, die wie ein<br />
moderner Fahrstuhl wirkt. Unser Museumsführer drückt<br />
auf einen Knopf, und schon geht es mit rasanter Geschwindigkeit<br />
nach unten. Die eine Seitenwand wurde durch eine<br />
Glasscheibe ersetzt, so dass man die Schachtwand vorbeirauschen<br />
sieht. Unser Kumpel erzählt von den Gefühlen,<br />
die er am Anfang der Schicht hatte, wenn es nach unten<br />
ging, und wie er sich auf die Welt über Tage freute, wenn<br />
die Schicht zu Ende ging. Nach einigen Sekunden, oder<br />
sind es Minuten, kommen wir schließlich an unserem Ziel<br />
an. Die Tür öffnet sich, und vor uns liegt ein langer Stollen<br />
im Halbdunkel.<br />
Insgesamt sind rund 450 Meter Gänge zugänglich, in<br />
denen die Arbeit unter Tage aus den verschiedenen Epochen<br />
des Bergbaus dargestellt wird. Beflissen erklärt unser<br />
Führer den Alltag der Kumpel. Immer wieder gibt er dabei<br />
auch Einblicke, wie sich die Arbeit im Laufe der Zeit<br />
verbessert hat. Puppen machen deutlich, wie beschwerlich<br />
das Schuften in gerade einmal einen Meter hohen Stollen<br />
gewesen sein muss. Von Zeit zu Zeit wirft unser Bergmann<br />
ein paar Originalmaschinen an, um ein Gefühl für die<br />
Geräuschkulisse in den Stollen zu geben. Der Lärm ist ohrenbetäubend.<br />
Mit jedem Schritt mehr wird einem bewusst,<br />
wie beschwerlich diese Arbeit unter Tage war.<br />
Etwas später treffen wir auf eine Pferdeattrappe. Früher<br />
wurden die Tiere unter Tage zum Ziehen der Loren<br />
eingesetzt. Dabei war das Pferd genau an eine bestimmte<br />
Anzahl von Loren gewohnt. Eine Lore zuviel, und das Tier<br />
hätte seine Zugkraft verweigert. Viele Pferde überlebten die<br />
Jahre unter Tage nicht. Taten sie es doch, waren sie meist<br />
blind und krank, wenn sie außer Dienst gestellt wurden.<br />
Erst später führte man ein, dass die Pferde regelmäßig an<br />
die Oberfläche gebracht wurden und nicht permanent unter<br />
Tage blieben.<br />
Nach einer guten Dreiviertelstunde lädt uns unser Führer<br />
schließlich ein, auf einer Bank Platz zu nehmen. Er<br />
erzählt uns nun ein wenig von den Sicherheitsvorkehrungen<br />
in der Zeche. Und von den Unglücken, die trotz aller<br />
Vorsichtsmaßnahmen im Bergbau immer wieder passierten<br />
bzw. in anderen Ecken der Welt noch immer geschehen. Er<br />
spricht von der Angst, die man als Kumpel jeden Tag aufs<br />
Neue hatte. Und von der Solidarität unter den Männern. Er<br />
sagt auch des Öfteren, dass heute noch immer Menschen<br />
auf der Welt in Bergwerken unter Bedingungen arbeiten<br />
müssen, wie sie in Westeuropa vor Jahrzehnten herrschten;<br />
dass Sicherheit Geld kostet. Geld, das in einer globalisierten<br />
Welt nicht überall aufgewendet wird.<br />
Es schwingt hier zum ersten Mal ein wenig Sentimentalität<br />
und Wehmut in seinen Worten mit, nachdem er zuvor<br />
voller Leidenschaft und Stolz über seinen Beruf gesprochen<br />
hatte. Man merkt, dass mit der Schließung der letzten<br />
Zeche eine Ära zu Ende ging. Der Bergbau war eine Welt<br />
für sich. Eine Welt, die ihre eigenen Regeln und Herausforderungen<br />
hatte, die aus Kumpeln aber auch eine große<br />
Familie machte. Man versteht, warum in diesem Milieu<br />
Gewerkschaften überlebenswichtig wurden und warum die<br />
Sozialdemokratie hier einen wichtigen Nährboden fand.<br />
Anschließend werden noch ein paar Fragen gestellt.<br />
Unser Kumpel beantwortet sie mit größter Sorgfalt. Dann<br />
neigt sich die Führung dem Ende zu. Doch noch sind wir<br />
im Stollen, müssen den freien Himmel erst wiedergewinnen.<br />
Wir brechen also zusammen auf, um wieder nach oben zu<br />
fahren. Doch dann kommt die große Überraschung. Nein,<br />
wir wollen jetzt nicht verraten, was es ist. Nur ein kleiner<br />
Tipp: Achten Sie bei Ihrem Besuch darauf, wie lange der<br />
Fahrstuhl am Anfang der Besichtigungstour unterwegs ist.<br />
Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong> · 27
Fokus Nordfrankreich<br />
Restaurants am Quai Bélu im Saint-Leu-Viertel.<br />
Amiens<br />
Kleine Kapitale der Picardie<br />
Auf halbem Weg zwischen Paris und Calais gelegen, lockt die sympathische<br />
Hauptstadt der Picardie mit einer wunderschönen Kathedrale, schwimmen den<br />
Gärten, einem Jules-Verne-Haus sowie dem Stadtviertel Saint-Leu, das gerne<br />
als das « kleine Venedig des Nordens » bezeichnet wird. Und auch die Zukunft<br />
trifft man in Amiens, denn am Bahnhof entsteht ein neues Stadtviertel mit<br />
beeindruckender Architektur.<br />
28 · Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong>
Die Kathedrale Notre-Dame ist Wahrzeichen und Orientierungspunkt.<br />
Es ist noch gar nicht so lange her, da war Amiens nur<br />
per Landstraße erreichbar. Die Hauptschlagader des<br />
Nordens, die Autobahn A1 von Paris nach Lille und<br />
weiter nach Belgien, führt weit östlich der Stadt durch die<br />
Weiten der Picardie, genauso wie die Hochgeschwindigkeitszuglinie<br />
nach Belgien, Deutschland, in die Niederlande<br />
sowie Großbritannien. Die Hauptstadt der Region befindet<br />
sich zwar im Herzen des Städtedreiecks Paris, Brüssel, London,<br />
stand im Gegensatz zu Lille bisher aber im Schatten<br />
der großen Verkehrsströme. Vielleicht ist das auch einer der<br />
Gründe, warum die 156.000 Einwohner zählende Stadt bis<br />
heute einen gewissen provinziellen Charme besitzt. Dabei<br />
hat sich die verkehrstechnische Anbindung in den letzten<br />
Jahren komplett verändert. Neue Autobahnen führen inzwischen<br />
nach Paris, Rouen, zur Küste und in den Osten, so<br />
dass Amiens längst zu einem kleinen Knotenpunkt im Herzen<br />
Nordfrankreichs wurde, was sich bei einem Blick auf die<br />
Landkarte schnell bestätigt.<br />
Städtebauprojekt Gare la Vallée<br />
Es ist daher gut nachvollziehbar, dass in der Stadt an der<br />
Somme zurzeit eine gewisse Aufbruchstimmung herrscht.<br />
Äußerliches Zeichen dieses neuen Optimismus ist vor allem<br />
das für eine Stadt dieser Größe ambitionierte städtebauliche<br />
Projekt « Gare la Vallée », das die Planer gerne als das « Tor<br />
zum 21. Jahrhundert » bezeichnen. Hierfür wird gerade das<br />
Viertel um den Bahnhof herum umgestaltet und aufgewertet,<br />
so dass die Innenstadt an ihrem östlichen Rand einen<br />
neuen urbanen Höhepunkt erhält.<br />
Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong> · 29
Fokus Nordfrankreich<br />
Das Herzstück der Neugestaltung:<br />
Ein riesiges Glasdach über dem<br />
Bahnhofsvorplatz gibt der Stadt<br />
einen modernen Anstrich.<br />
Die Kathedrale von Amiens ist das<br />
größte gotische Bauwerk Frankreichs.<br />
30 · Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong>
Herzstück des Projektes ist die Neugestaltung des<br />
Bahnhofsvorplatzes. Unter der Federführung des elsässischen<br />
Architekten Claude Vasconi aus Paris, der auch in<br />
Deutschland einige Bauten errichtete, wie das Bürohaus<br />
« Grand Bateau » in Düsseldorf oder das Shoppingzentrum<br />
« Hallen am Borsigturm » in Berlin-Tegel, entsteht ein<br />
riesiges Dach aus Glas und Stahl in luftiger Höhe. Damit<br />
soll eine neue Verbindung zwischen der historischen Innenstadt,<br />
dem Bahnhof und den angrenzenden Wohnvierteln<br />
geschaffen werden. Die futuristische Architektur stellt darüber<br />
hinaus eine neue Touristenattraktion für Amiens dar.<br />
Sie ist ein Zeichen der Zukunftsorientierung der Stadt.<br />
Doch nicht nur dieses Dach gehört zu diesem ehrgeizigen<br />
Projekt. Auch der Bahnhof selbst wird umgestaltet und<br />
modernisiert, genauso wie die umliegenden Boulevards. Es<br />
ist angedacht, die Gleisanlagen mit einer Betondecke zu<br />
überbauen und auf dieser einen Park anzulegen. Ein großes<br />
Multiplexkino mit Restaurants ist neben dem Bahnhof bereits<br />
fertiggestellt. Außerdem sind neue Büro- und Wohnhäuser<br />
vorgesehen. Schließlich ist man nur eine Stunde von<br />
Paris entfernt und der Bahnhof liegt direkt vor der Haustür.<br />
Dies könnte vielleicht sogar manchen echten Hauptstädter<br />
von den Vorzügen der Hauptstadt der Picardie überzeugen.<br />
La Tour Perret und die<br />
Kathedrale Notre-Dame<br />
Bisher strömten Touristen insbesondere wegen des<br />
Hochhauses von Auguste Perret aus den 1950er-Jahren auf<br />
den Bahnhofsvorplatz, welches im Rahmen des Stadterneuerungsprojektes<br />
ebenfalls saniert wurde. Der in Belgien geborene<br />
Architekt ist vor allem für den Wiederaufbau von Le<br />
Havre berühmt. Die Hafenstadt wurde von der UNESCO<br />
inzwischen sogar zum Weltkulturerbe gekürt. Doch wie<br />
bei vielen Bauten nach dem Krieg, die mit dem großzügigen<br />
Einsatz von Beton eine neue Architektursprache<br />
etablierten, scheiden sich auch am Hochhaus von Amiens<br />
die Geister. Für viele Architekturliebhaber ist der Bau ein<br />
Ausdruck der Moderne, entstanden auf den Trümmern des<br />
Zweiten Weltkrieges. Andere finden das Hochhaus einfach<br />
nur scheußlich.<br />
Wie auch immer man selbst diese architektonische Epoche<br />
bewerten mag, das Hochhaus von Auguste Perret prägt<br />
heute die Skyline von Amiens – neben der Kathedrale.<br />
Denn mit einer Länge von <strong>14</strong>5 Metern, einer Breite von 70<br />
Metern im Querschiff und einer Höhe des Kirchenschiffs<br />
von 42,30 Metern beherbergt Amiens das größte gotische<br />
Bauwerk Frankreichs. Schon wenn man die Autobahn verlässt,<br />
fällt die Kathedrale auf. Sie dominiert die Stadtsilhouette.<br />
Das Gotteshaus gilt seit 1981 zudem als Weltkulturerbe.<br />
Dabei ist es glücklichen Umständen zu verdanken,<br />
dass der Sakralbau die Wirren der Jahrhunderte seit dem<br />
Baubeginn im Jahre 1220 relativ unbeschadet überstanden<br />
hat. Besonders kritische Momente waren dabei die Französische<br />
Revolution und der Zweite Weltkrieg. Doch beide<br />
Male blieb die Kathedrale verschont. Gerade während des<br />
Enge Gassen und niedrige Häuser sorgen für einen<br />
gemütlichen Charakter der Hauptstadt der Picardie.<br />
Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong> · 31
Fokus Nordfrankreich<br />
Im Musée de Picardie befindet sich Kunst aus diversen<br />
Epochen, darunter Werke von Puvis de Chavannes.<br />
Das Jules-Verne-Haus gibt Aufschluss über<br />
das Leben des Schriftstellers in Amiens.<br />
Zweiten Weltkrieges kommt dies fast einem Wunder gleich,<br />
legten Bombenangriffe doch weite Teile der Innenstadt in<br />
Schutt und Asche.<br />
Ein Besuch der Kirche gehört mit Sicherheit zu den Höhepunkten<br />
eines Stadtrundgangs. Bereits die Portale zeugen<br />
von dem damaligen Geschick der Handwerker und der Gottesfürchtigkeit<br />
der Menschen, die einen derartigen Prachtbau<br />
ermöglichte. Erst im Inneren wird man sich der enormen<br />
Höhe des Kirchenschiffes wirklich bewusst. Die Raumwirkung<br />
ist überwältigend. Sehenswert ist unter anderem<br />
das Chorgestühl, das am Anfang des 16. Jahrhunderts von<br />
heimischen Künstlern und Holzschnitzern mit Skulpturen<br />
verziert wurde. Das Fremdenverkehrsamt gibt eine Broschüre<br />
mit einem kleinen Rundgang durch die Kathedrale heraus.<br />
Im Anschluss lohnt es sich, den Parc de l’Echêvé hinter dem<br />
Gotteshaus, eine kleine grüne Oase, aufzusuchen.<br />
Saint-Leu und die schwimmenden Gärten<br />
Durch diesen Park gelangt man auch hinunter zum<br />
Stadtviertel Saint-Leu. Dieses mit Kanälen der Somme<br />
durchzogene Stadtgebiet wird von den lokalen Tourismusstrategen<br />
immer wieder gerne als das « kleine Venedig des<br />
Nordens » vermarktet. Der Vergleich mag ein wenig übertrieben<br />
wirken, dennoch lohnt das Viertel aus dem Mittelalter<br />
zweifelsohne einen Abstecher. Das Wasser trieb hier früher<br />
Mühlen an, so dass sich dank der Energiegewinnung Handwerker<br />
an den Kanälen niederließen. Heute ist Saint-Leu bei<br />
Spaziergängern und Nachtschwärmern beliebt. Zahlreiche<br />
Restaurants säumen vor allem den Quai Bélu und laden zum<br />
Ausgehen ein. Von der gegenüberliegenden Uferseite bietet<br />
sich ein schöner Blick auf die bunten Häuser. Dort findet jeden<br />
Samstagmorgen der Wochenmarkt statt, auf dem früher<br />
die Bauern der schwimmenden Gärten ihr Gemüse und Obst<br />
anboten. Auch ein Teil der Universität ist in Saint-Leu zu<br />
Hause. Am besten man nimmt sich etwas Zeit und schlendert<br />
entlang der Kanäle. Vielleicht fühlt man sich nicht wie<br />
in Venedig, aber romantisch ist Saint-Leu auf jeden Fall.<br />
Einen kleinen Fußmarsch von hier entfernt gelangt<br />
man zu einer weiteren Sehenswürdigkeit von Amiens, den<br />
Hortillonnages. Es handelt sich dabei um Kleingärten, die<br />
in einem ehemaligen Flussbett der Somme liegen. Schon in<br />
der Antike soll dieses Sumpfgebiet für den Gemüse- und<br />
Obstanbau benutzt worden sein. Der Höhepunkt wurde<br />
aber im 19. Jahrhundert erreicht. Am Anfang des 20. Jahrhunderts<br />
zählte man immerhin noch 250 Gemüsebauern,<br />
die ihre Ware mit flachen Holzkähnen zum Markt in Saint-<br />
Leu brachten. Heute sind es dagegen weniger als zehn, die<br />
dieser Aktivität noch professionell nachgehen. Dafür teilen<br />
sich über 1.000 Privatbesitzer die Gärten, die meist der Entspannung<br />
oder dem hobbymäßigen Gemüseanbau dienen<br />
und sich über eine Fläche von rund 300 Hektar erstrecken.<br />
32 · Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong>
Das Viertel Saint-Lieu wird von Kanälen der Somme durchzogen und war früher ein Stadtteil der armen Leute. Heute gehört<br />
es zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt und bezaubert mit malerischen Gassen und vielen Cafés und Kneipen.<br />
Touristen können einen Teil der insgesamt 65 Kilometer<br />
langen Kanäle vom Boot aus genießen. Kahnfahrten finden<br />
im Sommer an jedem Nachmittag statt. Aber auch zu Fuß<br />
lassen sich die Kleingärten erkunden.<br />
Musée de Picardie und Jules-Verne-Haus<br />
Wer nach soviel Natur Lust auf Kultur verspürt, sollte<br />
die Innenstadt in Richtung Süden durchqueren und sich<br />
zum Musée de Picardie begeben. In dem Gebäude, das<br />
von 1855 bis 1867 entstand und ein schönes Beispiel der<br />
Architektur des Zweiten Kaiserreiches ist, befinden sich<br />
unter anderem archäologische Sammlungen, Kunst aus dem<br />
Mittelalter, Skulpturen aus dem 19. Jahrhundert und monumentale<br />
Werke von Puvis de Chavannes.<br />
Vom Museum aus ist es auch nicht mehr weit bis zum<br />
Dokumentationszentrum eines der berühmtesten Bewohner<br />
der Stadt: Jules Verne. Der Schriftsteller ist zwar nicht<br />
in Amiens geboren, schrieb aber einen Großteil seiner bekannten<br />
Romane in der Hauptstadt der Picardie. Folgenreich<br />
sollte dabei sein Besuch in der Stadt im Jahre 1856<br />
sein. Aus Paris kam er damals nach Amiens, um der Hochzeit<br />
eines Freundes beizuwohnen. Dabei verliebte er sich in<br />
die Schwester der Braut. Im folgenden Jahr heirateten beide<br />
und seine Gemahlin zog zunächst zu ihm nach Paris. 1871<br />
siedelte die Familie aber nach einem Zwischenspiel in Le<br />
Crotoy schließlich nach Amiens über. Dort veröffentlichte<br />
er unter anderem das Buch « Amiens im Jahr 2000, eine<br />
ideale Stadt ». 1888 wurde er zum Stadtrat gewählt. Sein<br />
Grab befindet sich auf dem Friedhof La Madeleine.<br />
In dem heutigen Jules-Verne-Haus wohnte der Autor<br />
von 1882 bis 1900. In den 1980er-Jahren wurde es von der<br />
Stadt erworben und erstmalig für eine breite Öffentlichkeit<br />
zugänglich gemacht. 2005 erfolgte zum 100. Todestag dann<br />
eine komplette Renovierung. Doch nicht nur in diesem Dokumentationszentrum<br />
ist Jules Verne in der Stadt präsent.<br />
Das Fremdenverkehrsamt gibt sogar eine Broschüre heraus,<br />
womit man sich auf den Spuren des Schriftstellers durch<br />
die Stadt begeben kann. Diese führt beispielsweise zum<br />
hübschen Zirkus, der den Namen des Autors trägt, zum<br />
Rathaus, in dem er als Stadtrat wirkte, oder zur Bibliothek<br />
Louis Aragon, die der Schriftsteller oft besuchte und in der<br />
sich heute die Sammlung der Stadt über ihn befindet.<br />
Ein Besuch von Amiens bietet also alles, was Touristenherzen<br />
höher schlagen lässt: eine beeindruckende Kathedrale,<br />
romantische Gassen und Kanäle, zukunftsweisende<br />
Stadtentwicklungsprojekte, grüne Oasen und einen weltbekannten<br />
Autor. Und natürlich ist auch ein ganz simpler<br />
Shoppingbummel durch die Fußgängerzone der Innenstadt<br />
kurzweilig. Es spricht also nichts dagegen, dass Amiens<br />
endlich aus seinem Schatten tritt und ein beliebtes Reiseziel<br />
im Herzen Europas wird.<br />
Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong> · 33
Fokus Nordfrankreich<br />
Baie de<br />
Paradies für<br />
Die Mündung der Somme gehört zu den Höhepunkten einer<br />
Reise durch die Picardie. Die Landschaft ist nicht spektakulär,<br />
doch es ist gerade dieses unscheinbare harmonische Zusammenspiel<br />
von flachen Salzwiesen, maritimem Flair und weitem<br />
Horizont, das den besonderen Reiz dieser Bucht ausmacht.<br />
34 · Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong>
Somme<br />
Menschen und Vœgel<br />
Den Namen des Flusses Somme hörte ich zum ersten<br />
Mal kurz nach der Jahrtausendwende. Ich war damals<br />
gerade von Berlin nach Paris gezogen, als das<br />
sanfte Somme-Tal von heftigen Überschwemmungen heimgesucht<br />
wurde. Die Bevölkerung war wütend und von der<br />
Politik enttäuscht. Der Groll ging sogar so weit, dass Gerüchte<br />
in der Region aufkamen, Politiker hätten Wasser von<br />
der Seine in die Somme umgeleitet, um dadurch die Hauptstadt<br />
vor Überflutungen zu schützen. Man mutmaßte in der<br />
Picardie über einen Komplott der Pariser Zentralmacht gegenüber<br />
der unschuldigen Provinz. Am Anfang belächelt,<br />
nahmen die Anschuldigungen derartige Ausmaße an, dass<br />
sich die Regierung schließlich genötigt sah, offiziell zu erklären,<br />
dass es gar keine Verbindung zwischen der Somme und<br />
der Seine gäbe. Der Vorwurf sei also schon rein technisch<br />
betrachtet unhaltbar, ganz zu schweigen davon, dass man<br />
auch sonst nicht auf eine so abwegige Idee gekommen wäre.<br />
Als Neubürger im Lande links des Rheins verfolgte ich<br />
amüsiert dieses Scharmützel zwischen Paris und der Provinz.<br />
Für mich wirkte es wie die Geschichte vom gallischen<br />
Dorf aus den Asterix-Comics, das gegen eine Übermacht<br />
aufbegehrt. Nur, dass die Bösen diesmal nicht die Römer,<br />
sondern die Hauptstädter waren. Zwar kam ich selbst aus<br />
einer Hauptstadt, doch schien mir diese angestaute Wut gegenüber<br />
Paris absurd. Die Geschehnisse machten mich aber<br />
neugierig auf diese Ecke Frankreichs. Ich nahm mir vor, eines<br />
Tages selbst in die Picardie zu reisen und die Menschen<br />
an der Somme kennenzulernen.<br />
Wie aber so oft im Leben, liegt manchmal ein wenig<br />
Zeit zwischen dem Vorsatz und seiner Realisierung. So<br />
kommt es, dass ich im letzten Herbst zum ersten Mal an<br />
die Somme fuhr. Zwar war ich schon einige Male in der<br />
Picardie, doch irgendwie schaffte ich es nie an diesen Fluss,<br />
der in der Nähe von Saint-Quentin entspringt und nach fast<br />
Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong> · 35
Fokus Nordfrankreich<br />
250 Kilometern in den Ärmelkanal<br />
fließt. Doch nun ist es endlich soweit,<br />
und ich kundschafte das viel gepriesene<br />
Mündungsgebiet der Somme aus.<br />
Ich habe mich dafür an einem Samstagmittag<br />
mit Jean-Claude im Hafen<br />
von Saint-Valery-sur-Somme verabredet.<br />
Hier liegen ein paar Fischerkutter<br />
neben kleinen Jachten. Mein Plan ist<br />
dabei, zunächst einen ersten Eindruck<br />
vom Wasser aus zu gewinnen, bevor<br />
ich am nächsten Tag ein paar Erkundungen<br />
auf eigene Faust vornehmen<br />
möchte.<br />
Jean-Claude ist Hobbyskipper und<br />
stammt gebürtig aus Abbeville. Eine<br />
Stadt rund 15 Kilometer im Inland<br />
gelegen, die im Mittelalter einen lebendigen<br />
Hafen besaß. Seitdem ist<br />
die Somme-Mündung aber derart<br />
versandet, dass der Ort per Schiff nur<br />
noch dank des Canal de la Somme<br />
zu erreichen ist. Jean-Claude erwartet<br />
mich bereits. Er hat ein kleines<br />
Segelboot und ist gerade im Sommer<br />
oft damit unterwegs. « Für mich ist<br />
es die schönste Art, nach einer anstrengenden<br />
Woche zu entspannen »,<br />
erzählt er mir nach der Begrüßung.<br />
Und dann fährt er vielversprechend<br />
fort: « Sie werden mir nach unserem<br />
Ausflug sicherlich Recht geben, wenn<br />
ich behaupte, dass wir hier ein kleines<br />
Paradies vor der Haustür haben ». Es<br />
ist nicht zu leugnen, bereits der erste<br />
Eindruck ist verlockend. Der Hafen<br />
von Saint-Valery-sur-Somme liegt am<br />
östlichen Ortsrand. Zur einen Seite<br />
hin sieht man pittoreske Häuser am<br />
Ufer der sympathischen Kleinstadt,<br />
zur anderen spazieren Menschen über<br />
eine Landzunge mit einer Baumallee,<br />
die das Hafenbecken von der eigentlichen<br />
Flussmündung trennt.<br />
Leinen los. Wir machen uns sofort<br />
auf den Weg in Richtung Meer. Als<br />
erstes fallen mir der weite Horizont<br />
und die friedvolle Ruhe auf. Wenn<br />
man aus einer Großstadt kommt wie<br />
ich, hat man schnell vergessen, wie beruhigend<br />
die Weite der Natur wirken<br />
kann. Die Gebäude von Saint-Valerysur-Somme<br />
ziehen an uns vorbei. Die<br />
Sonne strahlt von einem stahlblauen<br />
Himmel, und eine leichte Brise sorgt<br />
für ein geruhsames Gleiten übers Wasser.<br />
Sobald wir die Landzunge hinter<br />
uns gelassen haben, wird der Blick<br />
endgültig frei auf die große Flussmündung.<br />
Man fühlt sich eher wie<br />
36 · Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong>
Die Baie de Somme ist<br />
bei Seglern beliebt.<br />
Der Hafen von Saint-<br />
Valery-sur-Somme. Von<br />
hier aus starten auch wir<br />
unseren Segeltörn.<br />
S. 34/35: Blick auf die<br />
Somme-Mündung von der<br />
Uferpromenade von Saint-<br />
Valery-sur-Somme aus. In<br />
der Ferne liegt Le Crotoy.<br />
AC_AZ55x122:Layout 1 25.01.<strong>2008</strong> 9:37<br />
Valeria Bruni Tedeschi<br />
Noémie Lvovsky<br />
Mathieu Amalric<br />
Louis Garrel<br />
SÉLECTION OFFICIELLE UN CERTAIN REGARD<br />
PRIX SPÉCIAL DU JURY<br />
auf einem großen See, soweit scheint<br />
das andere Ufer entfernt zu sein, als in<br />
einer Flussmündung. « Wir haben gerade<br />
Flut », erklärt mir mein Kapitän.<br />
« Hier in der Bucht machen sich die<br />
Gezeitenunterschiede stark bemerkbar,<br />
stärker als sonst an der Küste. »<br />
Steuerbords sehe ich zum ersten<br />
Mal die großen Salzwiesen, die für<br />
die Somme-Mündung so typisch sind.<br />
« Wie in anderen Buchten wird auch<br />
hier viel Sand angeschwemmt. Hinzu<br />
kommt, dass die Somme ein sehr langsam<br />
fließender Fluss ist. Dies hängt<br />
einmal mit dem geringen Gefälle von<br />
der Quelle bis zur Mündung zusammen,<br />
andererseits wird ein Teil des<br />
Wassers unterwegs vom torfhaltigen<br />
Untergrund absorbiert », berichtet<br />
Jean-Claude. « Im Laufe der Zeit bildeten<br />
sich Sandbänke, auf denen wiederum<br />
Gras wuchs. Es entstanden die<br />
sogenannten Mollières. Diese Salzwiesen<br />
dienen als Weidegebiet für Schafe.<br />
Das Fleisch dieser Tiere ist übrigens<br />
köstlich. » Ich nehme mir vor, später<br />
auf den Speisekarten der Restaurants<br />
darauf zu achten.<br />
« Früher herrschte auf der Somme<br />
einmal reger Schiffsverkehr », fährt<br />
Jean-Claude fort. « Doch diese Zeiten<br />
sind seit Ewigkeiten vorbei. Zwar<br />
baute man am Anfang des 19. Jahrhunderts<br />
einen Kanal bzw. kanalisierte<br />
streckenweise das Flussbett, doch diese<br />
Maßnahme konnte den Niedergang<br />
der Schifffahrt nicht verhindern. Im<br />
Ersten Weltkrieg nutzten dann die<br />
Engländer die Bucht als Stützpunkt,<br />
was nochmals für ein wenig Verkehr<br />
Ein Film von Valeria Bruni Tedeschi<br />
www.actrices-der-film.de<br />
MIT MARISA BORINI VALERIA GOLINO MAURICE GARREL SIMONA MARCHINI BERNARD NISSILLE OLIVIER RABOURDIN LAETITIA SPIGARELLI REGIE VALERIA BRUNI TEDESCHI<br />
BUCH VALERIA BRUNI TEDESCHI NOÉMIE LVOVSKY IN ZUSAMMENARBEIT MIT AGNÈS DE SACY KAMERA JEANNE LAPOIRIE SCHNITT ANNE WEIL PRODUZENTEN OLIVIER DELBOSC MARC MISSONNIER<br />
EINE PRODUKTION VON FIDÉLITÉ FILMS IN ZUSAMMENARBEIT MIT VIRTUAL FILMS UND WILD BUNCH MIT BETEILIGUNG VON CANAL+ UND CNC IM VERLEIH DER PIFFL MEDIEN<br />
Ab 10. <strong>April</strong> im Kino!<br />
Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong> · 37
Fokus Nordfrankreich<br />
Prachtvolle Villen säumen das Ufer von Saint-Valery-sur-Somme.<br />
An der Baie de Somme scheint der Horizont kein Ende nehmen zu wollen.<br />
auf dem Wasser sorgte. Heute ist die Mündung dagegen vor<br />
allem ein Paradies für Hobbykapitäne. »<br />
Wir segeln währenddessen immer weiter dem offenen<br />
Meer entgegen. Ich genieße den Anblick der flachen Salzwiesen.<br />
Sie geben der Gegend eine ganz besondere Aura.<br />
Das Grün der Wiesen unterscheidet sich vom Farbton normaler<br />
Wiesen. Auf der rechten Seite erkennt man immer<br />
deutlicher den Fischerort Le Crotoy. Er liegt quasi genau<br />
gegenüber von Saint-Valery-sur-Somme auf der anderen<br />
Uferseite. Bis dorthin fährt auch ein Zug mit alten Waggons<br />
und einer Dampflokomotive, mit dem man einmal die<br />
Somme-Mündung umfahren kann. « In Le Crotoy hielt man<br />
Jeanne d’Arc fest, bevor sie über Saint-Valery nach Rouen<br />
gebracht wurde », erzählt Jean-Claude. « Heute kommen vor<br />
allem am Wochenende viele Tagesausflügler dorthin. Von<br />
der Uferpromenade ergibt sich ein wunderschöner<br />
Blick auf die gesamte Mündung. »<br />
Inzwischen frischt der Wind etwas auf, so<br />
dass wir an Fahrt zulegen. Es gibt eigentlich<br />
keine schönere Fortbewegungsart, als mit dem<br />
Segelboot still übers Wasser zu gleiten. Es ist<br />
für mich der passende Augenblick, Jean-Claude<br />
nach der Angelegenheit mit dem Hochwasser<br />
zu fragen. « Ach wissen Sie », antwortet er, « die<br />
Leute reden doch immer viel. Man darf das<br />
nicht überbewerten. Wir sind in der Picardie<br />
nahe an der Hauptstadt. Viele Pariser kommen<br />
übers Wochenende zu uns oder haben sogar ein<br />
Wochenendhaus hier. Wir sind uns gar nicht<br />
so fremd. » Seine relative Wortkargheit macht<br />
mir deutlich, dass Jean-Claude nicht viel Lust<br />
hat, mehr über dieses Thema zu sprechen.<br />
Ich belasse es dabei und bewundere lieber die<br />
traumhafte Landschaft. Um uns herum sind<br />
weitere Jachten unterwegs. Die weißen Segel,<br />
der blaue Himmel, die grünen Wiesen im Hintergrund:<br />
Die Somme-Mündung hat wirklich<br />
etwas Magisches.<br />
Backbords passieren wir den Leuchtturm<br />
von Le Hourdel. Es ist die letzte Landzunge,<br />
die ins Mündungsgebiet ragt. Danach weitet<br />
sich die Somme immer mehr, um schließlich<br />
ins offene Meer überzugehen. Das Ufer rückt<br />
in weite Ferne. Dann zeigt Jean-Claude auf das<br />
nördliche Ufer: « Dort liegt das Vogelschutzgebiet<br />
von Marquenterre. Es ist ein Paradies<br />
für alle Ornithologen. Allerdings sollte man<br />
das Schutzgebiet vor allem bei Flut besuchen.<br />
Mehr als 300 Vogelarten lassen sich dort beobachten.<br />
Auch viele Zugvögel machen hier<br />
im Frühling und im Herbst halt. Wissen Sie,<br />
woher der Name kommt? » Ich kann nur ratlos<br />
den Kopf schütteln. « Er kommt von la mer<br />
qui entre en terre, also dem Meer, das auf das<br />
Land fließt. Es handelt sich nämlich um eine<br />
Schwemmlandebene, die aus Dünen und Salzwiesen<br />
besteht und durch Pflanzen befestigt wurde. »<br />
Für uns ist der Zeitpunkt gekommen, wieder umzukehren<br />
und zum Jachthafen zurück zu schippern. Es ist bereits<br />
Nachmittag, und die herbstliche Sonne steht schon recht<br />
tief. Die Lichtverhältnisse sind schlicht und einfach umwerfend.<br />
Die Natur glänzt golden im Sonnenlicht. Würde<br />
man in diesem Augenblick ein Bild malen, es wäre fast zu<br />
kitschig. Als wir nach einiger Zeit wieder in Saint-Valerysur-Somme<br />
ankommen, erklärt mir Jean-Claude noch den<br />
Weg zu meiner Unterkunft und gibt mir ein paar Tipps für<br />
gute Restaurants.<br />
Am nächsten Morgen gehe ich selbst auf Entdeckungstour.<br />
Ich habe mich dazu durchgerungen, das Vogelschutzgebiet<br />
für einen anderen Aufenthalt aufzusparen und stattdessen<br />
das Südufer der Somme-Mündung zu erkunden.<br />
38 · Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong>
Nach einem leckeren Croissant aus der Hand<br />
spaziere ich zunächst die lange Promenade von<br />
Saint-Valery-en-Somme entlang. Die Straße,<br />
die als Einbahnstraße ausgewiesen ist, wurde<br />
durch breite Holzbohlen erweitert, eine städtebaulich<br />
sehr gelungene Lösung. Der Ort<br />
hat viel maritimes Flair. Und obwohl es noch<br />
recht früh ist, sind bereits einige Spaziergänger<br />
unterwegs. In die « Hauptstadt » des Vimeu<br />
kommt man gerne für einen Tag oder ein<br />
Wochenende. Sie ist eine dieser typischen Ausflugsstädte,<br />
in denen alles recht adrett wirkt<br />
und zahlreiche Restaurants zum Verweilen<br />
einladen. Doch trotz des Touristenrummels<br />
hat der Ort seinen Charme bewahren können.<br />
Kein Zweifel, es fällt nicht schwer, sich in<br />
Saint-Valery-sur-Somme zu verlieben.<br />
Im Anschluss mache ich mich auf den Weg<br />
zu meinem nächsten Ziel: Le Hourdel. Den<br />
Leuchtturm hatte ich gestern schon vom Wasser<br />
aus gesehen. Zuvor unternehme ich aber<br />
noch einen kleinen Abstecher zum Cap Hornu.<br />
Man erreicht es über eine kleine Stichstraße<br />
von der Landstraße in Richtung Cayeux-sur-<br />
Mer. Vom Kap aus bietet sich erneut ein schöner<br />
Panoramablick auf die Somme-Mündung<br />
sowie auf Le Crotoy an der anderen Uferseite.<br />
Hier kann man über Schotter hinweg mit dem<br />
Auto bis ans Ufer fahren. Eine Familie lässt<br />
gerade ihr kleines Boot ins Wasser.<br />
Die Ankunft in Le Hourdel ist äußerst<br />
romantisch: Im Vordergrund die markanten<br />
Salz wiesen, dazwischen schaukeln einige Boote<br />
im kleinen Hafen des Ortes. In der Ferne eine<br />
Uferstraße mit Alleebäumen und der Leuchtturm.<br />
Das Spiel der Farben ist erneut betörend.<br />
Le Hourdel ist nicht sehr groß. Gerade einmal<br />
ein Bistro und ein Restaurant gibt es im Ort.<br />
Dafür kann man einen wunderschönen Spaziergang<br />
auf eine kleine Landzunge hinter dem<br />
Leuchtturm unternehmen.<br />
Gerne würde ich im Anschluss die kleine<br />
Küstenstraße hinter den Dünen nach Cayeuxsur-Mer<br />
nehmen. Doch der Weg ist als Einbahnstraße<br />
ausgewiesen – leider in entgegengesetzter<br />
Richtung. Ich fahre deshalb zurück<br />
zur Landstraße im Landesinneren. Von der<br />
Kreuzung führt eine Piste zum Maison de la<br />
Baie de Somme et de l’Oiseau. Dort sieht man<br />
präparierte Vögel und Bilder von der « fliegenden<br />
» Fauna der Somme-Mündung. Ein<br />
weiterer beliebter Ort für Ornithologen und<br />
Naturinteressierte.<br />
In Cayeux-sur-Mer wähle ich schließlich<br />
zielstrebig den Weg zum Strand. Das Seebad<br />
ist für eine frische Brise bekannt. So auch heute.<br />
Der kleine Hafen von Le Hourdel mit seinem markanten Leuchtturm.<br />
Die Salzwiesen der Somme-Mündung unterliegen dem Spiel von Ebbe und Flut.<br />
Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong> · 39
Fokus Nordfrankreich<br />
Kieselstrand in Cayeux-sur-Mer. Im Sommer werden pittoreske<br />
Badehäuschen an den Strand gestellt.<br />
Nördlich von Cayeux-sur-Mer erinnert ein halb versunkener Bunker an die Wirren des Krieges.<br />
Der Ort wirkt weniger elegant als Saint-Valery-sur-Somme.<br />
Das für Seebäder übliche Kasino macht sogar einen sehr heruntergekommenen<br />
Eindruck. Dafür locken ein unverstellter<br />
Blick aufs Meer und eine lange Seepromenade. Der Strand<br />
selbst besteht aus groben Kieselsteinen. In einem kürzlich<br />
erschienenen Reiseführer über Nordfrankreich aus einem<br />
renommierten deutschen Verlag hatte ich zuvor gelesen, dass<br />
rund « 400 Badehäuschen am Strand wie Spielzeugklötze<br />
schön der Reihe nach angeordnet sind ». Ich hatte mir bereits<br />
ausgemalt, ein paar malerische Fotoaufnahmen zu machen.<br />
Doch die Ernüchterung folgt<br />
sogleich. Es gibt keine Badehäuschen<br />
am Strand. Ich bin zu spät<br />
dran. Die Häuschen werden zum<br />
Winter hin weggeräumt. In dem<br />
Reiseführer stand das aber leider<br />
nicht.<br />
Ich beschließe, einen kleinen<br />
Strandspaziergang zu unternehmen.<br />
Unterwegs komme ich mit<br />
Françoise und Nicolas ins Gespräch.<br />
Beide wohnen im nördlichen<br />
Pariser Großraum. « Wir<br />
kommen jedes Jahr mehrmals an<br />
die Somme-Mündung, meist für<br />
einen Tag, manchmal auch über<br />
Nacht », erzählt Françoise. « Für<br />
uns ist das sehr praktisch, da<br />
wir bereits im Norden von Paris<br />
wohnen. So brauchen wir nur<br />
ein bisschen mehr als eine Stunde<br />
mit dem Auto. Aber schauen<br />
Sie sich mal um, hier laufen<br />
viele Menschen aus dem Pariser<br />
Großraum herum. » Wie könnte<br />
ich ihr widersprechen, wohne ich<br />
doch selbst in der Hauptstadt.<br />
Die Zeit verging mal wieder<br />
schneller als es einem lieb ist.<br />
Ich beschließe, mich langsam<br />
zurück auf den Weg nach Paris<br />
zu machen. Zuvor will ich mir<br />
aber nicht die Küstenstraße nach<br />
Le Hourdel entgehen lassen.<br />
Der Weg verläuft direkt hinter<br />
den Sanddünen. Das Parken unterwegs<br />
ist untersagt. Dennoch<br />
halte ich ab und zu kurz an, um<br />
einen Blick hinter die Dünen zu<br />
werfen. Etwas weiter den Strand<br />
herunter steht ein vom Wasser<br />
aus dem Gleichgewicht gebrachter<br />
Bunker. Am Strand wandern<br />
vereinzelt Menschen entlang.<br />
Auf der Straße kommen mir<br />
zahlreiche Fahrradfahrer entgegen.<br />
Es ist die perfekte Urlaubsidylle.<br />
Danach komme ich wieder an Le Hourdel und den Salzwiesen<br />
vorbei. Es fällt mir schwer, von dieser wunderschönen<br />
Landschaft und ihrer beruhigenden Wirkung Abschied<br />
zu nehmen. Aber es ist bereits Sonntagnachmittag. Morgen<br />
wartet ein Arbeitstag in Paris auf mich. Ein letztes Mal<br />
gleitet mein Blick über die breite Somme-Mündung. Kein<br />
Zweifel, ich werde wiederkommen. Und dank moderner<br />
Autobahnen braucht es dazu auch keine Wasserverbindung<br />
von der Seine an die Somme.<br />
40 · Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong>
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aufregend. anregend. anders.
Fokus Nordfrankreich<br />
Anreise<br />
Auto: Aus Norddeutschland erreicht man<br />
den Norden Frankreichs am besten über<br />
Belgien, je nach Her kunfts ort über die Achse<br />
Aachen-Liège-Valen cien nes oder die Route<br />
Duis burg-Ant wer pen-Lille. Aus Süd deutschland,<br />
der Schweiz und Öster reich fährt<br />
man über die A4 (Straß burg/Saarbrücken-<br />
Paris) bis zur A26 (Reims-Calais). Gerade in<br />
der Picardie wurden in den letzten Jahren<br />
zahlreiche Auto bahn ver bin dun gen gebaut,<br />
so dass der Kauf einer aktuellen Landkarte<br />
ratsam ist. Berlin-Lille ca. 850 km, Köln-Lille<br />
ca. 320 km, Wien-Lille ca. 1.240 km, Zürich-<br />
Lille ca. 770 km, Berlin-Amiens ca. 980 km,<br />
Köln-Amiens ca. 410 km, Wien-Amiens ca.<br />
1.280 km, Zürich-Amiens ca. 750 km.<br />
Flugzeug: Der einzige im Linienverkehr<br />
an ge flo ge ne Flughafen von Nord-Pas<br />
de Calais ist in Lille. Nachdem Lufthansa<br />
die Strecke München-Lille nach kurzer<br />
Zeit wieder einstellte, bestehen keine direk<br />
ten Flugverbindungen mehr aus dem<br />
deutschsprachigen Raum in die Stadt. Air<br />
France bindet Lille über das europäische<br />
Drehkreuz in Lyon bzw. per TGV vom<br />
Flughafen Paris-CDG aus an. Die Picardie<br />
hat ebenfalls nur einen einzigen in ter na -<br />
<br />
<br />
<br />
ti onalen Flughafen in Beauvais, der ausschließlich<br />
von Billigfluggesellschaften bedient<br />
wird. Aus dem deutschsprachigen<br />
Raum bietet nur Ryanair Flüge von Bremen<br />
nach Beauvais an. Der wichtigste Flughafen<br />
für Nordfrankreich ist daher Paris-CDG,<br />
von wo aus man bequem in die Picardie<br />
und nach Nord-Pas de Calais per Zug<br />
oder Mietwagen weiterreisen kann. Wer<br />
ganz in den Norden möchte, sollte auch<br />
den Brüsseler Flughafen als Alternative<br />
in Erwägung ziehen, gerade wenn die<br />
Weiterreise per Mietwagen geplant ist.<br />
Zug: Lille ist bestens an das Hoch ge schwindig<br />
keits netz der europäischen Bahn ge -<br />
sell schaf ten angeschlossen. Von Köln aus<br />
erreicht man Lille mit ein ma li gem Um steigen<br />
in Brüssel: Köln-Brüssel mit dem Thalys<br />
bzw. ICE, Brüssel-Lille mit dem Euro star bzw.<br />
TGV. Nach Amiens geht es da gegen über<br />
Paris: Beispielsweise Köln-Paris mit dem<br />
Thalys oder Frankfurt-Paris mit dem ICE und<br />
dann weiter mit dem Corail. Außerdem<br />
halten einige TGV-Züge auf der Strecke<br />
Paris-Lille am Bahnhof TGV Haute-Picardie<br />
in Ablaincourt-Pressoir.<br />
<br />
A16<br />
A25<br />
Allgemeine Informationen<br />
Comité Régional de Tourisme<br />
du Nord-Pas de Calais<br />
6, place Mendès France – BP 99<br />
59028 Lille Cedex<br />
Telefon: +33 (0)3 20 55 71 02<br />
www.nordfrankreich-tourismus.com<br />
Comité Régional de Tourisme de Picardie<br />
3, rue Vincent Auriol<br />
80011 Amiens Cedex<br />
Telefon: +33 (0)3 22 22 33 66<br />
www.picardietourisme.com<br />
Côte d’Opale<br />
Die beschriebene Reise lässt sich theore<br />
tisch an einem Tag erledigen. Wer es<br />
lieber etwas geruhsamer angehen möchte<br />
und vor allem unterwegs Zeit für kleine<br />
Wanderungen und Ausflüge haben will,<br />
sollte zwei bis drei Tage dafür reservieren.<br />
Office de Tourisme<br />
12, boulevard Clemenceau<br />
62100 Calais<br />
Telefon: +33 (0)3 21 96 62 40<br />
<br />
www.calais-cotedopale.com<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
42 · Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong><br />
A28/E402<br />
A 16/ E402<br />
<br />
A16<br />
A26/E15<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
A29/E44<br />
A29/E44<br />
A 1/E15<br />
<br />
<br />
A1/E17<br />
A27<br />
<br />
A2/E19<br />
A23
Gegenüber vom Bahnhof<br />
von Valenciennes<br />
Office de Tourisme<br />
Forum Jean Noël<br />
62200 Boulogne-sur-Mer<br />
Telefon: +33 (0)3 21 10 88 10<br />
www.tourisme-boulognesurmer.com<br />
Office de Tourisme<br />
Palais de l’Europe<br />
Place de l’Hermitage<br />
62520 Le Touquet-Paris-Plage<br />
Telefon: +33 (0)3 21 06 72 00<br />
www.letouquet.com<br />
Bergbaumuseum<br />
Centre Historique Minier<br />
Fosse Delloye<br />
59287 Lewarde<br />
Telefon: +33 (0)3 27 95 82 82<br />
www.chm-lewarde.com<br />
Öffnungszeiten<br />
<strong>März</strong> – Oktober: Täglich 9.00 – 19.30 Uhr<br />
(Kassenschluss 17.30 Uhr)<br />
November – Februar: Mo – Sa<br />
13.00 – 19.00 Uhr, So 10.00 – 19.00 Uhr<br />
(Kassenschluss jeweils 17.00 Uhr)<br />
Eintrittspreise<br />
10,90 €, ermäßigt 5,90 €, spezielle<br />
Gruppentarife<br />
Anreise<br />
Von Douai über die N45 nach Lewarde.<br />
Im Ort ausgeschildert.<br />
Amiens<br />
Office de Tourisme<br />
6bis, rue Dusevel<br />
80000 Amiens<br />
<br />
Telefon: +33 (0)3 22 71 60 50<br />
www.amiens.com/tourisme<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
Hortillonnages<br />
Kahnfahrten jeden Nachmittag vom 01.04.<br />
bis 31.10., wenn die Navigation möglich ist.<br />
Abfahrt:<br />
54, boulevard Beauvillé<br />
Telefon: +33 (0)3 22 92 12 18<br />
Musée de Picardie<br />
48, rue de la République<br />
80000 Amiens<br />
Telefon: +33 (0)3 22 97 <strong>14</strong> 00<br />
Maison de Jules Verne<br />
2, rue Charles Dubois<br />
80000 Amiens<br />
Telefon: +33 (0)3 22 45 45 75<br />
Somme-Mündung<br />
Syndicat Mixte Baie de Somme<br />
1, place de l’Amiral Courbet<br />
80<strong>14</strong>2 Abbeville Cedex<br />
Telefon: +33 (0)3 22 20 60 30<br />
www.baiedesomme.fr<br />
Comité de Tourisme de la Somme<br />
21, rue Ernest Cauvin<br />
80000 Amiens<br />
Telefon: +33 (0)3 22 71 22 71<br />
www.somme-tourisme.fr<br />
Office de Tourisme<br />
2, place Guillaume le Conquérant<br />
80230 Saint-Valery-sur-Somme<br />
Telefon: +33 (0)3 22 60 93 50<br />
www.saint-valery-sur-somme.fr<br />
Parc du Marquenterre<br />
25bis, chemin des Garennes<br />
<br />
80120 Saint-Quentin-en-Tourmont<br />
Telefon: +33 (0)3 22 25 68 99<br />
Maison de la Baie de Somme<br />
et de l’Oiseau<br />
Carrefour du Hourdel – RD 204<br />
80230 Lanchéres<br />
Telefon: +33 (0)3 22 26 93 93<br />
Office de Tourisme<br />
2, esplanade Aristide Briand<br />
80410 Cayeux-sur-Mer<br />
Telefon: +33 (0)3 22 26 61 15<br />
www.cayeux-sur-mer.fr<br />
Hotel<br />
95 Zimmer<br />
darunter Suiten / Whirlpools<br />
kostenlose Sauna<br />
WLAN<br />
1<br />
Restaurant<br />
1<br />
Brasserie HANS<br />
Elsässische Spezialitäten<br />
1<br />
8 place de la Gare<br />
59300 VALENCIENNES · FRANKREICH<br />
(0033) 327 463 201<br />
www.grand-hotel-de-valenciennes.fr<br />
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33 geschmackvolle Komfortzimmer<br />
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25 rue Tholozé<br />
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im Monat geirrt. Aber nein, sie meinte wirklich<br />
den 17. nächsten Monats und nicht den 17. in<br />
zwei Wochen. Woher soll ich denn heute schon<br />
wissen, ob ich in rund sechs Wochen Zeit für<br />
ein gemeinsames Abendessen habe? Vielleicht<br />
bin ich an dem Tag noch nicht einmal in der<br />
Stadt. Seitdem ich in Deutschland lebe, kenne<br />
ich die Vorliebe dieser Nation für eine stark antizipative<br />
Planungsmentalität. Doch eine Anfrage<br />
für ein privates Treffen in eineinhalb Monaten<br />
ist mir bisher noch nicht passiert.<br />
Ohnehin bedurfte es am Anfang ein wenig<br />
Zeit, bis ich mich an den anderen Umgang miteinander<br />
gewöhnt hatte. Zwar weiß ich inzwischen, dass<br />
man Verabredungen im Voraus planen sollte, doch bei<br />
der Umsetzung hapert es noch. So verzweifle ich jedes Mal<br />
von Neuem, wenn ich am späten Nachmittag noch spontan<br />
jemanden für einen gemeinsamen Abend im Kino oder<br />
Thea ter suche. Immer sind alle verplant – vom aus Einsamkeit<br />
zu Depressionen neigenden Single bis zur überforderten<br />
berufstätigen Mutter. Deutschland scheint ein Land zu sein,<br />
in dem Zeit ein seltenes Gut geworden ist. Von unangemeldeten<br />
Besuchen sehe ich inzwischen sogar ganz ab. Zwar<br />
wurde ich niemals abgewiesen, aber der Empfang war meist<br />
doch recht unterkühlt. Jedenfalls unterkühlt genug, um zu<br />
verstehen, dass man so etwas nicht unbedingt macht.<br />
Aufgefallen ist mir auch, dass diesseits des Rheins<br />
Beziehungen zwischen Menschen jeglicher Art viel mehr<br />
« diskutiert » werden müssen. Man ist nicht nur einfach<br />
befreundet, sondern muss diese Freundschaft auch definieren.<br />
Dabei scheint es säuberliche Kategorien zu geben:<br />
lose Bekannte, Bekannte, entfernte Freunde, Freunde, enge<br />
Freunde usw. Meist kommen dazu noch Extra-Kategorien<br />
für Arbeitskollegen oder die liebe Verwandtschaft. Gerne<br />
scheint man seinen Freundeskreis auch thematisch einzuteilen:<br />
Es gibt dann Bekannte, mit denen man Sport macht;<br />
andere, mit denen man zusammen kocht; wiederum andere,<br />
die den Psychologen ersetzen sollen.<br />
Viel Wert wird auch auf die Exklusivität einer Freundschaft<br />
gelegt. Aus meiner Heimat war ich es durchaus gewohnt,<br />
andere Bekannte unangekündigt zu einer Verabredung<br />
mitzubringen. Für mich ist dies sogar eine ganz besondere<br />
Ehrerweisung, bringe ich mit dieser Geste doch zum Ausdruck,<br />
meine Freunde miteinander teilen zu wollen. Meine<br />
Gegenüber fanden das meistens weniger berauschend.<br />
Manche nahmen es mir sogar übel, dass ich nicht allein<br />
zum Treffen kam.<br />
Trifft man sich in einer Kneipe oder einem Restaurant,<br />
wird die Zeche am Ende natürlich getrennt beglichen. Diese<br />
Verhaltensweise, über die außerhalb Deutschlands gerne<br />
gelästert wird, finde ich gar nicht so unangenehm, hat sie<br />
doch, wenn man sie nicht zu versessen anwendet, etwas<br />
Grundehrliches. Bis heute konnte ich mich aber nicht daran<br />
gewöhnen, dass nach dem Bezahlen alle sofort aufstehen<br />
müssen. Der Zahlvorgang scheint der ultimative Endpunkt<br />
eines jeden gemütlichen Beisammenseins zu sein.<br />
44 · Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong>
Der Reiz der Oberflächlichkeit<br />
Als ich das erste Mal eine E-Mail von einer Freundin<br />
bekam, die mit den Worten « Je t’aime » endete, war ich perplex.<br />
Kein Zweifel, wir sind gute Freundinnen, verstanden<br />
uns eigentlich vom ersten Augenblick an, aber warum sagte<br />
sie mir nun, dass sie mich liebe? Da sie mit einem Mann<br />
verheiratet war, vermutete ich zwar keine homoerotischen<br />
Gelüste, es dauerte aber noch einige Lebensjahre in meiner<br />
Wahlheimat Frankreich, bis ich den Umgang der Franzosen<br />
mit diesen drei Wörtern verstand, die mitnichten nur eine<br />
Liebeserklärung zwischen einem glücklichen Paar sind.<br />
Gewöhnen musste ich mich auch an eine gewisse Unverbindlichkeit.<br />
Jeder kennt dieses Klischee aus<br />
den USA, wonach Menschen einen<br />
Die Zeichnung in der letzten Ausgabe war eine<br />
Reminiszenz an Jean Geoffroy, geboren 1853<br />
in Marennes, gestorben 1924, der offiziell für<br />
den Schuldienst zeichnete. Und dieses Mal?<br />
Kleiner Tipp: Es handelt sich um einen der<br />
bedeutendsten Künstler des<br />
20. Jahrhunderts.<br />
einladen und dann erstaunt sind, wenn man eines Tages<br />
wirklich vor der Tür steht. Doch auch in Frankreich erlebe<br />
ich dies öfter. Da ist zum Beispiel die nette Nachbarin, die<br />
einen auf einen Kaffee einlädt, ohne es wirklich so zu meinen,<br />
oder der höfliche Arbeitskollege, der regelmäßig etwas<br />
zusammen unternehmen möchte, nur irgendwie niemals<br />
dazu kommt.<br />
Aber auch mit guten Freunden fällt es mir oft schwer,<br />
eine tiefe emotionale Beziehung aufzubauen. Für Franzosen<br />
scheint es Themen zu geben, die sind nur für ganz wenige<br />
enge Vertraute bestimmt. Natürlich spricht man auch in<br />
Frankreich über Liebe, Sorgen, Freundschaften, also die<br />
intimsten Dinge des Lebens. Doch meist lässt man das<br />
Gespräch auf einem abstrakten Niveau und hütet sich, einen<br />
zu tiefen Einblick ins eigene Leben zu gewähren. So<br />
spricht man beispielsweise lieber über Scheidungen im Allgemeinen<br />
als über die vielleicht anstehende Trennung vom<br />
eigenen Partner.<br />
So kann es sein, dass ich die Freundin, die mir eben noch<br />
eine E-Mail mit den obigen Worten schrieb, danach frage,<br />
wie es denn momentan in ihrer kriselnden Beziehung läuft,<br />
und dennoch nicht weiß, ob ich ihre Antwort nun glauben<br />
soll. Wo ich in meiner Heimat gewohnt bin, lange intensive<br />
Gespräche zu führen, scheine ich bei gleichem<br />
Vorgehen in Frankreich die meisten Menschen nur<br />
ungewollt vor den Kopf zu stoßen. Es heißt dann,<br />
ich wäre zu direkt, zu wenig diplomatisch.<br />
Die Diplomatie hat jenseits des Rheins<br />
ohnehin einen enormen Stellenwert in zwischenmenschlichen<br />
Beziehungen. Sie scheint<br />
die Ehrlichkeit im Wertekodex bei weitem zu<br />
übertreffen. Doch dieser Ansatz hat auch seine<br />
positiven Seiten. So wirkt das Miteinander oft<br />
störungsfreier, beschwingter. Probleme werden<br />
nicht künstlich groß geredet, nehmen keinen zu<br />
wichtigen Raum ein. Es geht mehr darum, gemeinsam<br />
eine nette Zeit zu verbringen. Warum<br />
muss alles authentisch sein? Am Ende ist jeder<br />
Mensch im Herzen ohnehin allein, warum soll man<br />
sich das Leben deshalb schwerer als nötig machen.<br />
Die Leichtigkeit des Seins ist verlockend.<br />
Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong> · 45
Frankreich Heute Kulturpolitik<br />
Musée du Quai Branly: Nicht nur der Bau wurde teurer als geplant, auch der Unterhalt verschlingt hohe Summen.<br />
Kulturelle Prestigeprojekte: Naht das Ende einer Kulturpolitik um jeden Preis?<br />
Frankreich ist stolz auf seine kulturellen Vorzeigeeinrichtungen. Über Jahrzehnte hinweg liebten<br />
es vor allem die Präsidenten des Landes, sich durch den Bau bzw. die Renovierung von Museen<br />
oder anderen kulturellen Einrichtungen zu verewigen. Dies nahm derartige Ausmaße an,<br />
dass in Frankreich alleine in den letzten zehn Jahren rund 60 mehr oder weniger spektakuläre<br />
Projekte initiiert wurden. Nun hat der Rechnungshof Alarm geschlagen. Nach einem kürzlich<br />
veröffentlichten Bericht gilt diese Art der Kulturpolitik als wenig effizient und vor allem als viel zu<br />
kostspielig. Die Kritik der Finanzkontrolleure ist so stark, dass die Fortführung dieses Politikstils auf<br />
der Kippe steht.<br />
Die kulturellen Prestigeprojekte des Landes sind seit jeher<br />
ein sensibles Thema in Frankreich. Die Befürworter<br />
sehen darin eine originelle und mutige Mög lichkeit,<br />
die Kulturlandschaft zu entwickeln und Einrichtungen zu<br />
schaffen, um die Frankreich in der ganzen Welt beneidet wird<br />
– etwa das Centre Georges Pompidou, die Pyramide des Louvre,<br />
die neue große Nationalbibliothek François Mitterrand<br />
oder das erst kürzlich eröffnete Musée du Quai Branly, ein<br />
Lieblingsanliegen des Altpräsidenten Jacques Chirac, um nur<br />
die bekanntesten Bauten zu nennen. Den Fürsprechern dieser<br />
Vorzeigeprojekte gemäß brauche man sich nur die Warteschlangen<br />
an den Kassen anzuschauen, um sich vom Erfolg der<br />
Einrichtungen zu überzeugen. Die Besuchermassen seien der<br />
Beweis für ein Bedürfnis der Menschen nach derartigen<br />
« Leuchttürmen » in der Museums- und Kulturlandschaft.<br />
Die Gegner führen dagegen schon lange an, dass diese<br />
Prestigeprojekte die wirkliche Lage der Kulturpolitik verschleiern<br />
und ihre Finanzierung auf Kosten der vielen weniger<br />
spektakulären kulturellen Einrichtungen im ganzen Land<br />
gingen, die chronisch an Unterfinanzierung litten, da sie nur<br />
einen Bruchteil des nationalen Kulturbudgets erhielten. Kritisiert<br />
wird auch, dass die Vorzeigeeinrichtungen meist nur<br />
von einem einzigen Menschen, dem Präsidenten, beschlossen<br />
wurden und sich fast ausschließlich im Pariser Großraum befinden,<br />
zu Lasten einer kulturellen Dezentralisierungspolitik,<br />
die wünschenswert wäre.<br />
In diesem Kontext hat der französische Rechnungshof<br />
kürzlich einen Bericht veröffentlicht. Routiniert werden dabei<br />
die Projekte und Einrichtungen auf den Prüfstand gestellt und<br />
zahlreiche Missstände bemängelt. Das Resümee ist unmissverständlich:<br />
Die Politik der kulturellen Prestigeprojekte in<br />
Frankreich kann so nicht weitergehen. Das Urteil ist mehr als<br />
46 · Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong>
ein bloßes Alarmsignal, es ist ein Aufruf, insbesondere ans Kulturministerium,<br />
die Kulturpolitik nachhaltig zu reformieren.<br />
Dabei geht es um viel Geld. Der Rechnungshof hat rund<br />
60 Prestigeprojekte seit dem Jahr 1998 untersucht. Projekte,<br />
die unter der Federführung des Kulturministeriums durchgeführt<br />
werden und jeweils ein Budget zwischen vier und 290<br />
Millionen Euro aufweisen. Insgesamt geht es um die stolze<br />
Summe von 2,27 Milliarden Euro.<br />
Nicht ganz einfach ist in diesem Zusammenhang die<br />
Einordnung eines Vorhabens als Prestigeprojekt. Für eine<br />
derartige Zuordnung stehen zunächst der Symbolwert und die<br />
Prestigeträchtigkeit eines Projekts im Vordergrund. Oft existiert<br />
dabei ein gewisser politischer Druck, den man ungern so<br />
direkt benennt, denn meist handelt es sich um Vorhaben, die<br />
vom Präsidenten gewünscht werden. Grundsätzlich legte der<br />
Rechnungshof für seine Analyse aber drei Kategorien zugrunde:<br />
Projekte, die sich auf die Restaurierung oder die Rekonstruktion<br />
von Gebäuden und Einrichtungen beziehen, die das<br />
nationale Kulturerbe ausmachen, wie etwas die Domaine de<br />
Versailles, das Grand Palais,<br />
das Théâtre d’Odéon oder<br />
die Opéra Garnier. Dann<br />
Vorhaben, die existierende<br />
Einrichtungen zukünftig<br />
beherbergen sollen, da die<br />
bisherigen Konditionen entweder<br />
unzureichend sind oder<br />
mit der Entwicklung einer<br />
Institution nicht mithalten.<br />
Hierzu gehören beispielsweise<br />
die Projekte für das Archiv<br />
in Pierrefitte oder die Ecoles<br />
Ausgaben des Kulturministeriums (in Mio. Euro)<br />
280.000<br />
260.00<br />
240.000<br />
220.000<br />
d’Architecture. Schließlich<br />
komplette Neuprojekte wie<br />
etwa das Musée du Quai<br />
Branly oder die Cité Nationale de l’Histoire de l’Immigration.<br />
Die Hälfte der 60 untersuchten Vorhaben ist bereits fertiggestellt.<br />
Hier konnte der Rechnungshof also die Planung mit<br />
der Durchführung der Arbeiten vergleichen. Das Ergebnis ist<br />
erschreckend: Die 30 Projekte hätten gemäß der Planungen<br />
insgesamt 763 Millionen Euro kosten dürfen. In Wirklichkeit<br />
fielen die Bauvorhaben dem Steuerzahler jedoch mit 1,09<br />
Milliarden Euro zur Last, also mit 246 Millionen Euro mehr<br />
als vorgesehen, was eine Verteuerung um 30 Prozent bedeutet.<br />
Doch nicht nur das. Auch die Zeiträume zur Realisierung der<br />
Projekte waren viel länger als prognostiziert. So betrug die minimale<br />
Verzögerung unter allen Vorhaben bereits neun Monate<br />
– wie bei der Cité de la Musique in Paris. Den Negativrekord<br />
hält jedoch die neue Cinémathèque der Hauptstadt, die erst 45<br />
Monate später als vorgesehen eröffnet wurde. Kein Wunder,<br />
dass bei diesen Verzögerungen auch die Kostenentwicklung<br />
eine andere ist.<br />
In seinem Bericht beschäftigt sich der Rechnungshof auch<br />
ausführlich mit dem Musée du Quai Branly, das vor allem von<br />
Jacques Chirac gewünscht wurde und ethnologische Sammlungen<br />
beheimatet. Während das Haus aus wissenschaftlicher<br />
200.000<br />
2001 2002 2003 2004 2005<br />
und kultureller Sicht ein Erfolg wurde, lässt sich dies aus finanzieller<br />
Sicht leider nicht behaupten. Die Kosten während<br />
der Bauphase explodierten geradezu. 1998 wurde die Investitionssumme<br />
für das vom französischen Stararchitekten Jean<br />
Nouvel entworfene Museum mit 167,7 Millionen Euro beziffert.<br />
Während der Realisierungsphase stiegen die Kosten jedoch<br />
schnell auf 204 Millionen Euro, da eine Mediathek nicht<br />
budgetiert worden war, und am Ende sogar auf 290 Millionen<br />
Euro, was einer Verteuerung von 42 Prozent entspricht. Das<br />
am 20. Juni 2006 eröffnete Museum wurde außerdem zweieinhalb<br />
Jahre später als geplant fertiggestellt. Fakten, die für<br />
ein Vorzeigeprojekt nicht gerade vorbildlich sind.<br />
Mit großer Sorge betrachtet der Rechnungshof jedoch auch<br />
die neueren Vorhaben, die zwischen 1998 und 2006 geplant<br />
und noch nicht abgeschlossen wurden. Es geht dabei um eine<br />
prognostizierte Investitionssumme von noch rund 1,17 Milliarden<br />
Euro bis zum Jahre 2012. Zu diesen Projekten gehört<br />
beispielsweise der Bau einer Philharmonie in Paris, die 244<br />
Millionen Euro kosten soll, wovon der Staat die Hälfte übernimmt,<br />
die Konstruktion des<br />
für kulturelle<br />
Vorzeigeeinrichtungen,<br />
insbesondere im<br />
Pariser Großraum<br />
für kleinere, dezentrale<br />
Kulturprojekte<br />
Nationalarchivs in Pierrefitte<br />
(190 Millionen Euro) und<br />
die Fortsetzung der Renovierungsarbeiten<br />
im Schloss von<br />
Versailles (131,7 Millionen<br />
Euro). Die Erfahrung bei den<br />
bisherigen Projekten lehrt,<br />
dass auch hier mit Kostensteigerungen<br />
zu rechnen ist.<br />
Außerdem schlagen jedes<br />
Jahr die Unterhaltungskosten<br />
für die bereits fertiggestellten<br />
Einrichtungen im Kulturhaushalt<br />
massiv zu Buche.<br />
So musste allein das Musée<br />
du Quai Branly im Jahr 2007 mit 54 Millionen Euro vom<br />
Staat bezuschusst werden. Die Eigeneinnahmen des Museums<br />
machten nicht mehr als 18 Prozent des Gesamtbudgets der<br />
Einrichtung aus.<br />
Bei derartigen Kostenexplosionen muss man sich in der<br />
Tat fragen, wohin die französische Kulturpolitik steuert. Das<br />
Urteil des Rechnungshofes ist eindeutig: Er geht davon aus,<br />
dass das Kulturministerium nicht in der Lage sein wird, die<br />
Unterhaltungskosten der seit den 1990er-Jahren fertiggestellten<br />
Projekte, die Kosten der sich im Bau befindlichen bzw.<br />
der noch geplanten Vorhaben sowie die zu erwartenden Kostensteigerungen<br />
gleichzeitig tragen zu können. Es sei denn,<br />
das Ministerium wird von der allgemeinen Haushaltskonsolidierung<br />
der öffentlichen Hand ausgenommen. Die Finanzkontrolleure<br />
gehen sogar noch weiter und stellen ernsthaft in<br />
Frage, ob die Politik der kulturellen Leuchttürme überhaupt<br />
weitergeführt werden kann. Dabei geht es aber nicht nur darum,<br />
den Gürtel enger zu schnallen, sondern zukünftig auch<br />
gewissenhafter Budgets und Zeitplanungen einzuhalten. Eine<br />
umfassende Reform der französischen Kulturpolitik scheint<br />
unausweichlich.<br />
Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong> · 47
Frankreich Heute Porträt<br />
Auf der Suche<br />
nach Gerechtigkeit<br />
Zwei Länder, zwei Systeme, zwei<br />
Anwälte, ein Ziel: Gerechtigkeit.<br />
Opfer von ärztlichem Versagen<br />
oder pharmazeutischen Skandalen<br />
leiden oftmals doppelt: Zu dem<br />
erlittenen körperlichen und seelischen<br />
Unglück kommt oft noch<br />
die Ignoranz von Versicherungen<br />
oder von Vertretern des Gesundheitswesens.<br />
Jahrelange Prozesse,<br />
geringe Schadenersatzzahlungen<br />
und hohe psychische Belastungen<br />
sind die Folge. Nur wenige Anwälte<br />
wie die Französin Florence Boyer<br />
und der Deutsche Malte Oehlschläger<br />
kämpfen couragiert dagegen<br />
an. Ein Porträt über zwei ungewöhnliche<br />
Idealisten.<br />
Für Frankreich erleben treffen sich<br />
zwei Menschen, die sich vorher<br />
noch nie gesehen haben, jedoch<br />
durch das gleiche Anliegen geeint sind:<br />
die Suche nach Gerechtigkeit, gepaart<br />
mit einem teilweise aufopferungsvollen<br />
Berufsalltag. So ergeben sich während<br />
des Gesprächs viele Gemeinsamkeiten,<br />
auch wenn beide in unterschiedlichen<br />
Ländern beheimatet und mit verschiedenen<br />
Sprachen und Rechtsauffassungen<br />
vertraut sind.<br />
Florence Boyer merkt man den<br />
jahrelangen, kräftezehrenden Kampf<br />
um Gerechtigkeit nicht an. Schon ihre<br />
Eltern hatten eine kleine Anwaltskanzlei<br />
in Paris, die sich um Opfer von<br />
Fehlern in der Medizin kümmerte. So<br />
stritten sie beispielsweise über Jahre mit<br />
der französischen Regierung darüber,<br />
einen Entschädigungsfonds für die<br />
Opfer von verseuchten Blutkonserven<br />
einzurichten. Viele Bluter wurden in<br />
den 1980er-Jahren unwissend mit HIV<br />
oder Hepatitis C infiziert und sind in<br />
der Zwischenzeit entweder verstorben<br />
oder mussten aufgrund des Krankheitsausbruchs<br />
ihre Arbeit aufgeben.<br />
Dieser Rechtsstreit sorgte in<br />
Frankreich für Aufsehen, da er an David<br />
gegen Goliath erinnerte. Die Betroffenen<br />
hatten mit dem Staat nicht<br />
nur einen übermächtigen Gegner, der<br />
sein Mitwissen und Verschulden nicht<br />
eingestehen wollte, sondern sie mussten<br />
auch einen sehr teuren Prozess<br />
über viele Jahre vorfinanzieren. Umso<br />
größer die Erleichterung, als schlussendlich<br />
die Opfer vollends Recht bekamen<br />
und ein Entschädigungsfonds<br />
eingerichtet wurde. Dieses Urteil, an<br />
dem sich mittlerweile andere spektakuläre<br />
Medizinprozesse orientieren,<br />
schrieb in Frankreich Geschichte. Jedoch<br />
sind die Schadenersatzzahlungen<br />
keineswegs mit den enormen Summen<br />
in den USA zu vergleichen. In Frankreich<br />
kommen die Geldbeträge eher ei-<br />
48 · Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong>
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aus, geschweige denn dazu, die häufig<br />
hohen Folgekosten einer Erkrankung<br />
zu bezahlen.<br />
Dementsprechend braucht auch<br />
Florence eine gehörige Portion Idealismus,<br />
um ihrer Tätigkeit nachzugehen.<br />
Bei den geringen Entschädigungssummen<br />
verzichtet sie häufig auf ihr<br />
Honorar, damit den Mandanten wenigstens<br />
eine kleine Geldsumme, von<br />
der sie dringend benötigte Hilfsmittel<br />
oder Kuren bezahlen können, bleibt.<br />
Trotz der Sorge, manchmal kaum<br />
die Gehälter der Kanzlei bezahlen zu<br />
können, ist Florence auch nach all den<br />
Jahren unverändert kämpferisch. Die<br />
Gewissheit, auf der richtigen Seite<br />
zu stehen, lässt sie auch nach langen<br />
arbeitsreichen Tagen und harten Verhandlungen<br />
jeden Morgen frohgemut<br />
aufstehen. Schwieriger ist allerdings<br />
das Abschalten von der Arbeit. Den<br />
ganzen Tag ist sie mit viel Leid,<br />
Schmerz, Unglück und Tod konfrontiert.<br />
Dies muss irgendwie verarbeitet<br />
werden. Am einfachsten ist es, mit<br />
jemandem darüber zu sprechen, aber<br />
es gibt nicht viele Menschen, die<br />
jeden Abend mit neuer Traurigkeit<br />
konfrontiert werden wollen. Mit der<br />
Berufserfahrung wird jedoch auch die<br />
Fähigkeit größer, zwischen beruflichen<br />
Schicksalen und privatem Alltag<br />
zu trennen.<br />
Richtig wütend wird Florence, wenn<br />
das Gespräch auf die Arroganz von großen<br />
Versicherungskonzernen kommt.<br />
Diese sehen nicht das Einzelschicksal,<br />
sondern nur einen « administrativen<br />
Vorgang ». Schlimmer noch, oftmals<br />
wird versucht, mit fadenscheinigen<br />
Argumenten eine Schadenersatzzahlung<br />
gänzlich zu verhindern. Geradezu<br />
absurd wird dies in absolut eindeutigen<br />
Fällen. Von solchen kann auch Malte<br />
Oehlschläger berichten, der wie Florence<br />
die Interessen von Geschädigten<br />
vertritt, allerdings in Deutschland.<br />
Wenn auch einige rechtliche Unterschiede<br />
in den beiden Ländern existieren,<br />
ähneln sich die Erfahrungen und<br />
der Berufsalltag der beiden Anwälte in<br />
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Doch Malte erlebt auch « kuriose »<br />
Fälle. So etwa die Geschichte einer<br />
Mandantin, die nach ihrer Sterilisierung<br />
schwanger wurde. Der ärztliche<br />
Kunstfehler war nach der Geburt<br />
sogar für alle deutlich sicht- und im<br />
Gerichtssaal auch vergnüglich hörbar,<br />
allerdings weigerte sich die Versicherung<br />
des Arztes, die Unterhaltszahlungen<br />
für das Baby zu übernehmen<br />
und zweifelte das ärztliche Versagen<br />
grundsätzlich an.<br />
Natürlich werden die Ärzte,<br />
Pharmabetriebe und Behörden mit<br />
ihren jeweiligen Versicherungen<br />
ebenfalls von Anwälten vertreten,<br />
vielen der Kollegen scheint diese Seite<br />
sogar lukrativer. Florence und Malte<br />
sind als Anwalt für die Patienten in<br />
der Minderheit. Seit einigen Jahren<br />
spezialisieren sich aber mehr Juristen<br />
auf die noch recht junge Fachrichtung<br />
des Fachanwalts für Arzthaftungsrecht.<br />
Schätzungen in Deutschland<br />
gehen davon aus, dass es jedes Jahr zu<br />
ungefähr 400.000 ärztlichen Kunstfehlern<br />
kommt, jedoch nur in 10.000<br />
bis 15.000 Fällen geklagt wird. Gerade<br />
jedoch durch das Internet sowie<br />
Medienberichte über spektakuläre<br />
Prozesse werden die Menschen aufgeklärter<br />
und mündiger, so dass nicht<br />
nur das Berufsbild des Patientenanwalts<br />
attraktiver wird, sondern sich<br />
auch die Schmerzensgeldsummen erhöhen.<br />
So wurde beispielsweise 2002<br />
zum ersten Mal in Deutschland eine<br />
Schmerzensgeldzahlung in Millionenhöhe<br />
erstritten.<br />
Das französische Rechtssystem<br />
stützt sich vor allem auf Gerichtsurteile,<br />
da wenige spezifische Gesetze<br />
zum Arzthaftungsrecht existieren.<br />
In Deutschland wird eine Vielzahl<br />
von Fällen im außergerichtlichen<br />
Vergleich geschlossen. Je nach den<br />
Begleitumständen sowie der anwaltlichen<br />
Vertretung kann ein Vergleich<br />
für den Betroffenen eine geringere<br />
Entschädigungszahlung nach sich<br />
ziehen. Auf der anderen Seite bleibt<br />
bei einem Verfahren bis zu einem<br />
Gerichtsentscheid immer die Ungewissheit,<br />
ob man tatsächlich Recht<br />
zugesprochen bekommt. Schlimmer<br />
wiegt für die meisten aber noch, dass<br />
sich viele Verfahren durch mehrere Instanzen<br />
häufig über fünf bis acht Jahre<br />
und zum Teil noch länger hinziehen.<br />
Einige durch einen Vergleich gewonnene<br />
Jahre bedeuten für viele Opfer<br />
kostbare Lebenszeit, da sie aufgrund<br />
der Behandlungsfehler durch schwere<br />
Krankheiten oder Behinderungen<br />
stark beeinträchtig sind und gerne<br />
noch einen Teil des Schadenersatzes<br />
für die Rückgewinnung von ein klein<br />
wenig Lebensqualität nutzen würden.<br />
Sowohl Florence als auch Malte<br />
machen alltäglich die Erfahrung, dass<br />
die Gegenseite, also die Anwälte der<br />
Ärzte und Versicherungen, wesentlich<br />
stärker sind. Sie verfügen über<br />
größere finanzielle Mittel sowie das<br />
nötige Maß an fehlender Empathie,<br />
um knallhart die Interessen ihrer Auftraggeber<br />
durchzusetzen. Allerdings<br />
kommt es darauf an, sich als Patientenanwalt<br />
davon nicht einschüchtern<br />
zu lassen. Glücklicherweise wird es<br />
den allermeisten Lesern von Frankreich<br />
erleben nicht vergönnt sein, Florence<br />
aus der Sicht eines geschädigten<br />
Patienten jemals im Gerichtssaal zu<br />
erleben. Es ist beeindruckend, über<br />
welche Energie und Leidenschaft<br />
diese zierliche Frau verfügt und sich<br />
völlig unbeeindruckt mit den größten<br />
Versicherungskonzernen oder dem<br />
Staat anlegt. Auch Malte sieht seinen<br />
Beruf als einen wahr gewordenen,<br />
sinnstiftenden Traum an. Allerdings<br />
ist eine gehörige Portion Altruismus<br />
notwendig, um den Anforderungen<br />
dieses Berufsbildes gerecht zu werden.<br />
Schwierig ist es für ihn aber auch, die<br />
richtige Balance zwischen Anteilnahme<br />
und Distanz zu finden.<br />
Es gibt aber auch Glücksmo mente<br />
im Berufs all tag. So erzählt Mal te von<br />
einem Fall, bei dem ein Fa mi li en va ter<br />
in der Dusche zu Hause ausge rutscht<br />
und so unglücklich gestürzt war, dass<br />
er eine Hirn blutung erlitt. Der gerufene<br />
Not arzt veranlasste keine Einweisung<br />
in das nächste Krankenhaus, wo im<br />
Rahmen einer Computertomographie<br />
schnell eine richtige Diagnose<br />
gestellt und die optimale Behandlung<br />
hätte gewählt werden können. Dies<br />
hatte zur Folge, dass der Familienvater<br />
halbseitig gelähmt wurde und<br />
seinen Beruf aufgeben musste. Der<br />
anschließende Kampf war wiederum<br />
sprich wörtlich wie Da vid gegen Go liath,<br />
da das Fehl ver halten des Not arz -<br />
tes nachge wie sen werden muss te. Der<br />
an schließen de Pro zess schweiß te nicht<br />
nur die Familie zu sam men, son dern<br />
gab ihr auch das schö ne Ge fühl, dass<br />
sich das Kämp fen um Ge recht ig keit<br />
trotz all des Lei des lohnt. Dank des<br />
Schmer zens gel des führt die Fa mi lie<br />
heu te wieder ein halb wegs nor ma les<br />
Le ben. Durch die Lähm ung ha ben<br />
sich zwar viele Än der un gen er ge ben,<br />
aber we nigs tens kam kein Ab stieg in<br />
die Armut hinzu.<br />
Florence hat zusammen mit ihrer<br />
Mutter in Frankreich einen Verein<br />
gegründet, in dem sich alle Anwälte,<br />
die Patienten vertreten, zusammengeschlossen<br />
haben. Ungefähr 60 Mitglieder<br />
hat ANADAVI (Association<br />
Nationale des Avocats de Victimes de<br />
Dommages Corporels). In regelmäßigen<br />
Sitzungen werden wertvolle Tipps<br />
ausgetauscht sowie die neueste Rechtssprechung<br />
thematisiert. Ein Anliegen<br />
dabei ist auch der grenzüberschreitende<br />
Gedanke innerhalb der Europäischen<br />
Union, da nach wie vor verschiedene<br />
Rechtsauffassungen in den einzelnen<br />
Mitgliedsstaaten herrschen und das europäische<br />
Recht bei Weitem noch nicht<br />
vereinheitlicht ist.<br />
Das letzte Symposium des Vereins<br />
hat sich daher mit den europäischen<br />
Nachbarländern, vor allem England,<br />
Belgien, den Niederlanden, Spanien,<br />
Italien, Griechenland und auch<br />
Deutschland beschäftigt. Deutschland<br />
wurde von einem deutschstämmigen<br />
Anwalt aus Paris vertreten, entsandte<br />
aber im Gegensatz zu den anderen<br />
Ländern keine Patientenvertreter aus<br />
seinem Heimatland. Mit Malte hat<br />
Florence jetzt jemanden gefunden, der<br />
ihr helfen kann, den Verein ebenfalls<br />
in Deutschland aufzubauen und gemeinsam<br />
auf europäischer Ebene zu<br />
kämpfen. Dies hat auch das Redaktionsteam<br />
von Frankreich erleben glücklich<br />
gemacht. Wieder einmal konnte<br />
ein kleiner Beitrag zur deutsch-französischen<br />
Zusammenarbeit geleistet<br />
werden.<br />
50 · Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong>
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Frankreich Heute Stadtentwicklung<br />
Neue Hochhäuser für Paris?<br />
Es ist einige Zeit her, dass zum letzten Mal ein Hochhaus in Paris errichtet wurde. Gebäude wie<br />
der Tour Montparnasse oder die Wohnsilos im 13. Arrondissement entstanden in einer Epoche,<br />
als noch ein anderer Zeitgeist herrschte. Seitdem bemühte man sich an der Seine, die historische<br />
Stadtsilhouette zu bewahren, so dass der Eiffelturm bis heute relativ konkurrenzlos über<br />
das Häusermeer der Metropole hinausragt. Dies könnte sich in Zukunft jedoch ändern. Denn<br />
ein paar Wochen vor den Kommunalwahlen hat der Pariser Bürgermeister Bertrand Delanoë<br />
neue Hochhausprojekte für die Hauptstadt vorgeschlagen.<br />
Die Idee, in Paris Hochhäuser zu bauen, ist nicht neu.<br />
Schon Le Corbusier schlug einst vor, das historische<br />
Paris abzureißen und durch moderne Wohn- und<br />
Bürotürme zu ersetzen. Ein Vorschlag, der sicherlich zu den<br />
strittigsten seiner Karriere als Architekt und Stadtplaner<br />
zählte und der aus heutiger Sicht zum Glück niemals realisiert<br />
wurde. Allerdings blieb es an der Seine beim Thema<br />
Hochhäuser nicht immer nur bei Projekten.<br />
Gerade in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg, als<br />
preisgünstig neuer Wohnraum geschaffen werden musste,<br />
wuchsen auch in der französischen Hauptstadt in einigen<br />
Stadtteilen Wohntürme empor. So etwa im 13. Arrondissement,<br />
dem heutigen « China-Town », oder direkt an der<br />
Seine südlich des Eiffelturms im 15. Arrondissement. Das<br />
Hochhaus, dessen Bau bei den Parisern aber wohl die traumatischsten<br />
Folgen hinterließ, ist der Tour Montparnasse.<br />
Für seine Errichtung musste ein ganzes historisches Stadtviertel<br />
weichen und bis heute stellt das Gebäude und seine<br />
Umgebung eine Wunde im Stadtbild dar. Es ist deshalb<br />
nicht verwunderlich, wenn es bei den meisten Hauptstädtern<br />
kein Verlangen mehr nach neuen Hochhausprojekten<br />
gibt. Schließlich können sich die Architekten bereits im<br />
Geschäftsviertel La Défense, vor den Toren des historischen<br />
Paris’, mit ihren himmelstürmenden Vorhaben austoben.<br />
Dabei ist der Gedanke, in der am dichtesten besiedelten<br />
Millionenmetropole Europas durch den Bau in die Höhe<br />
Platz auf dem Boden zu schaffen, nicht ganz als absurd<br />
abzutun. Außerdem beweisen andere aufstrebende europäi-<br />
52 · Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong>
An der Porte de Bercy geht<br />
es um ein Gelände, das von<br />
Autobahnen, Schienen und der<br />
Seine begrenzt wird. Das Team<br />
Barthélémy-Grino (links) schlägt<br />
für diesen Ort vor, Hochhäuser .<br />
in<br />
einer Parklandschaft zu bauen.<br />
Die Autobahn A4 (Paris-Straßburg)<br />
verschwindet unter der Erde.<br />
Das Team von Vasconi (rechts)<br />
würde dagegen vier 170 Meter<br />
hohe Wolkenkratzer errichten,<br />
um damit die Stadtgrenze von<br />
Paris markant zu kennzeichnen.<br />
Porte de Bercy<br />
16 .<br />
15.<br />
17.<br />
8. 9. 10 .<br />
2.<br />
1. 3.<br />
4.<br />
7. 6.<br />
<strong>14</strong>.<br />
18 .<br />
5.<br />
13 .<br />
19.<br />
11.<br />
12 .<br />
20<br />
sche Metropolen, wie Barcelona oder London, dass selbst in<br />
gewachsenen Stadtstrukturen mit viel historischer Bausubstanz<br />
Wolkenkratzer attraktive Kontrapunkte zur klassischen<br />
Stadtsilhouette bilden und als insgesamt bereichernd<br />
empfunden werden können. Dies hat auch der Pariser<br />
Bürgermeister Bertrand Delanoë erkannt und zwölf Architekturbüros,<br />
wovon eines später absprang, damit beauftragt,<br />
Ideen für drei bisher vernachlässigte Gebiete entlang des<br />
inneren Stadtautobahnrings, dem Boulevard Périphérique,<br />
zu entwickeln. Jean-Pierre Caffet, stellvertretender Bürgermeister<br />
und zuständig für die Stadtentwicklung von Paris,<br />
begründete in einer großen Tageszeitung das Vorgehen wie<br />
folgt: « Wir müssen dafür sorgen, dass Paris 2020 im europäischen<br />
Wettbewerb besteht und nicht an Rom erinnert,<br />
das im Konservatismus verharrt und längst vom dynamischen<br />
Mailand überholt wurde. »<br />
Die Polemik ließ nicht lange auf sich warten: Kaum sind<br />
die Pläne der Architekten veröffentlicht, entfacht sich eine<br />
heftige Diskussion über die Frage, ob Paris neue Hochhäuser<br />
braucht oder ob solche Bauten nicht dem historischen<br />
Stadtbild widersprechen. Bertrand Delanoë verkündet deshalb<br />
seitdem unaufhörlich, dass es sich bei den präsentierten<br />
Entwürfen lediglich um Denkanstöße handele. Keines dieser<br />
Projekte würde in der vorgestellten Form eines Tages so realisiert<br />
werden. Und auch Jean-Pierre Caffet beteuert: « Wir<br />
wollen weder Dubai noch Singapur Konkurrenz machen ».<br />
Der Streit geht dabei quer durch die politischen Lager.<br />
In der aktuellen rot-grünen Regierungsmehrheit herrscht<br />
eine eher ablehnende Haltung gegenüber neuen Hochhäusern.<br />
Der Bürgermeister hatte die Idee schon nach seiner<br />
Amtsübernahme vor ein paar Jahren auf die Tagesordnung<br />
gebracht, musste sich 2003 aber einem Beschluss beugen,<br />
wonach die Höhe von Neubauten in Paris auf maximal 37<br />
Meter beschränkt wurde. Die Stimmung in seinem Regierungslager<br />
scheint sich seitdem nicht grundlegend geändert<br />
zu haben, und auch auf der Ebene der Arrondissements<br />
überwiegt die Skepsis. Sylvain Garrel von den Grünen im<br />
18. Arrondissement, wo eines der Projekte liegt, gibt klar<br />
zu verstehen: « Unser Ziel ist es, dass diese furchtbaren Vorhaben<br />
niemals verwirklicht werden ». Bei der konservativen<br />
Opposition herrscht ebenfalls keine Einigkeit hinsichtlich<br />
möglicher neuer Hochhäuser. Die Bevölkerung schließlich<br />
scheint sich überwiegend nicht wirklich nach neuen Experimenten<br />
in Sachen Wolkenkratzer zu sehnen.<br />
Auf der anderen Seite müssen selbst die Kritiker einräumen,<br />
dass die vorgestellten Entwürfe nachdenkenswerte<br />
Ansätze beinhalten. Auch geht es bei den vorgeschlagenen<br />
Örtlichkeiten nicht wirklich um Hochhäuser innerhalb<br />
gewachsener Stadtviertel, wie etwa beim Bau des Tour<br />
Montparnasse, sondern um drei Gebiete direkt am Boulevard<br />
Périphérique, die heute quasi Niemandsland innerhalb<br />
der Stadt und von Zugstrecken und Autobahnen durchzogen<br />
sind. In den Projekten steckt also auch die Chance, ein<br />
Stück lebendige Stadt zurückzugewinnen.<br />
Konkret handelt es sich um Liegenschaften an der Porte<br />
de la Chapelle, der Porte de Bercy und am Boulevard de<br />
Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong> · 53
Frankreich Heute Stadtentwicklung<br />
Porte de la Chapelle<br />
An der Porte de Chapelle stehen die Architekten vor der<br />
Herausforderung, einen urbanen Brückenschlag zu den<br />
ärmlichen Vororten im Norden von Paris zu ermöglichen.<br />
Die Gegend hat heute keinen guten Ruf. Die<br />
Hochhäuser könnten einen neuen Impuls für den Norden<br />
der Hauptstadt geben, erinnern gleichzeitig aber<br />
auch an die Probleme der Hochhaus-Gettos aus den<br />
1960er- und 1970er-Jahren, die nicht weit von hier sind.<br />
Masséna. Letzterer befindet sich im Südosten der Stadt unweit<br />
des Entwicklungsgebiets « Paris Rive Gauche », in dem<br />
sich unter anderem die neue Nationalbibliothek François<br />
Mitterrand befindet. Ein Grundstück, das heute aus Industriebrachen,<br />
Eisenbahnstrecken und Schnellstraßen besteht.<br />
Attraktiv wird es jedoch durch die Lage an der Seine. Nach<br />
Meinung der Stadtverwaltung würde es sich anbieten, an<br />
dieser Stelle eine öffentliche Einrichtung anzusiedeln, beispielsweise<br />
ein neues Justizgebäude für die Stadt Paris.<br />
Unabhängig von der späteren Nutzung schlägt der Ar-<br />
16 .<br />
15.<br />
17.<br />
8. 9. 10 .<br />
2.<br />
1. 3.<br />
4.<br />
7. 6.<br />
<strong>14</strong>.<br />
18 .<br />
5.<br />
13 .<br />
19.<br />
11.<br />
12 .<br />
20.<br />
chitekt Jacques Ferrier für diesen<br />
Ort drei zwischen 120 und 150<br />
Meter hohe Häuser vor, wobei<br />
eines bereits auf der anderen Seite<br />
der Ringautobahn steht und<br />
somit eine Brücke zur Nachbargemeinde<br />
Ivry-sur-Seine<br />
schlägt. In den oberen Etagen<br />
könnten Wohnungen entstehen,<br />
damit die Bewohner weit<br />
genug vom Autolärm entfernt<br />
residieren und einen herrlichen<br />
Panoramablick genießen. Anne<br />
Demians entwarf dagegen einen<br />
Doppelturm mit einer Höhe von<br />
150 bzw. 210 Metern für dieses<br />
Gebiet. Die beiden Hochhäuser<br />
wären durch Übergänge miteinander<br />
verbunden, in denen sich<br />
öffentliche Einrichtungen wie<br />
Restaurants oder Kinos befinden<br />
könnten. Die Fassade aus<br />
weißem und hellgrauem Glas<br />
soll laut der Architektin wie eine<br />
Eidechsenhaut wirken.<br />
In seinem Entwurf für die<br />
Porte de la Chapelle, an der<br />
sich eines der meist befahrenen<br />
Autobahnkreuze Frankreichs<br />
befindet, ist es dem Architekten<br />
François Leclerq wichtig, nicht<br />
ein Hochhaus um eines Hochhauses<br />
willen zu planen. Es geht<br />
ihm darum, dank Wolkenkratzer<br />
Platz auf dem Boden zu gewinnen.<br />
Sein Konzept sieht vor, die<br />
Stadtautobahn mit einem fünf<br />
Hektar großen Park zu überbauen.<br />
Um den Park herum würden<br />
sich niedrige Bauten gruppieren,<br />
in der Mitte dagegen drei 100 bis<br />
150 Meter messende Hochhäuser<br />
entstehen. Eine spiralförmige<br />
Architektur soll dafür sorgen,<br />
dass der Wind besser zirkulieren<br />
und damit Abgase und Lärm davontragen<br />
kann. Dominique Perrault würde an der gleichen<br />
Stelle nur einen Wolkenkratzer mit 131 Metern Höhe auf<br />
Pariser Seite und ein die 37 Meter nur teilweise überragendes<br />
Wohnviertel auf der anderen Seite der Stadtautobahn<br />
konstruieren.<br />
Für das dritte Gebiet an der Porte de Bercy, ebenfalls<br />
ein großes Autobahnkreuz im Osten der Kapitale, schlägt<br />
der Architekt Claude Vasconi vier gleichmäßige Türme<br />
mit einer Höhe von jeweils 130 Metern vor. Nach seinem<br />
Konzept sollen auf der Südseite der Hochhäuser Wohnun-<br />
54 · Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong>
gen, auf der Nordseite Büros untergebracht werden. Nicolas<br />
Michelin würde an der Porte de Bercy dagegen nur zwei<br />
Hochhäuser errichten, die wie dicke Kegel stolze 171 Meter<br />
in den Himmel ragen.<br />
Auch wenn einige der Architektenbüros bereits konkrete<br />
Nutzungsvorschläge unterbreitet haben, ist die endgültige<br />
Bestimmung dieser neuen Wolkenkratzer, sollten sie jemals<br />
gebaut werden, noch vollkommen offen. Nach Françoise de<br />
Panafieu, Herausforderin der konservativen UMP vom derzeitigen<br />
Bürgermeister bei den Kommunalwahlen im <strong>März</strong>,<br />
sollten solche Gebäude vor allem Büros beherbergen, auf gar<br />
keinen Fall aber Sozialwohnungen. « Es ist nicht in der Kultur<br />
der Franzosen, in Hochhäusern zu wohnen », erklärte sie<br />
dazu kürzlich in einem Interview mit der Zeitung Le Figaro.<br />
Bertrand Delanoë will sich in diesem Planungsstadium auch<br />
noch nicht auf eine Nutzung festlegen. Nach seinen Vorstellungen<br />
sollte es aber eine gesunde Mischung aus Arbeiten,<br />
Wohnen und gemeinschaftlichen<br />
Einrichtungen sein.<br />
Dem Vorwurf der Grünen,<br />
mit deren Hilfe er im Rathaus<br />
reagiert, dass Hochhäuser umweltpolitisch<br />
unvertretbar seien,<br />
begegnet er mit einem moderneren<br />
Betrachtungsansatz.<br />
« Wir reden bei diesen Projekten<br />
nicht über Hochhäuser wie in<br />
den 1970er-Jahren », sagte er<br />
kürzlich in einem Interview mit<br />
dem Wochenmagazin Le Nouvel<br />
Observateur. « Hochhausprojekte<br />
im Ausland haben gezeigt, dass<br />
ein Bauen in die Höhe nicht im<br />
Widerspruch zum Umweltschutz<br />
stehen muss. Dafür bedarf es<br />
eines optimalen Zusammenspiels<br />
zwischen der Lage, der<br />
Anbindung an den öffentlichen<br />
Nahverkehr, dem systematischen<br />
Einsatz erneuerbarer Energien<br />
usw. »<br />
Bei den Projekten geht es<br />
aber noch mehr als nur um die<br />
16 .<br />
15.<br />
17.<br />
8. 9. 10 .<br />
2.<br />
1. 3.<br />
4.<br />
7. 6.<br />
<strong>14</strong>.<br />
18 .<br />
5.<br />
13 .<br />
19.<br />
11.<br />
12 .<br />
20.<br />
Revitalisierung aufgegebener<br />
Stadträume. Der Pariser Bürgermeister<br />
möchte damit einen städtebaulich<br />
attraktiven Übergang<br />
zu den angrenzenden Kommunen<br />
schaffen, die zum Teil selbst<br />
an eigenen Hochhausprojekten<br />
arbeiten. Die Stadtgrenzen der<br />
französischen Hauptstadt sind<br />
heute im Vergleich zu anderen<br />
europäischen Metropolen wie<br />
Berlin, London oder Madrid<br />
extrem eng gefasst. Eine Situation,<br />
die dazu führt, dass nur etwas mehr als zwei Millionen<br />
Menschen im « eigentlichen » Paris leben, acht Millionen<br />
dagegen in den umliegenden Vororten. Wenn die Unterschiede<br />
jenseits und diesseits des inneren Stadtautobahnrings<br />
für den ungeübten Betrachter meist kaum erkennbar<br />
sind, bedeutet die administrative Zugehörigkeit zu Paris<br />
oder einer angrenzenden Kommune einen Imagegewinn<br />
bzw. -verlust, der sich nicht nur in den Mietpreisen niederschlägt.<br />
Auf der einen Seite des Boulevard Périphérique ist<br />
man Hauptstädter, auf der anderen banlieusard.<br />
Die Wolkenkratzer könnten deshalb dafür sorgen, die<br />
Vororte dank architektonischer Vorzeigeprojekte näher an<br />
die Hauptstadt zu binden und den Weg zu einem « Grand<br />
Paris » zu bahnen, das eines Tages über seine jetzigen Grenzen<br />
hinausreicht. Bis dahin ist aber noch ein steiniger Weg<br />
zurückzulegen. Die nächste Etappe heißt erst einmal Kommunalwahlen.<br />
Boulevard de Masséna<br />
Das Gebiet um den Boulevard Masséna verlängert<br />
das Entwicklungsgebiet « Paris Rive Gauche » zum<br />
inneren Stadtautobahnring. Das Projekt von Ferrier<br />
(oben) sieht drei Hochhäuser vor, wobei einer bereits<br />
auf der anderen Seite des Boulevard Périphérique<br />
steht und somit als Brücke zu den Vororten dient.<br />
Das Projekt des Architektenbüros Sauerbruch-Hutton<br />
(unten) soll als neuer Orientierungspunkt fungieren.<br />
Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong> · 55
Frankreich Heute Kaufkraft<br />
Leere Portemonnaies:<br />
Billigprodukte als Gegenstrategie?<br />
Die Franzosen beklagen allgemein eine schwindende<br />
Kaufkraft. Die Frage nach dem realen Wert des verfügbaren<br />
Einkommens ist in Umfragen bereits zur größten Sorge<br />
der Menschen geworden, sogar noch vor der Angst<br />
vor Arbeitslosigkeit. Die Regierung ist gefordert, Antworten<br />
auf dieses Problem zu finden. Ein Lösungsansatz wird darin<br />
gesehen, das Angebot von Billigprodukten zu fördern.<br />
Es ist eine der Wahrheiten, die die Regierung<br />
und die großen Lebensmittelketten<br />
lieber unter den Tisch kehren<br />
würden: die steigenden Verbraucherpreise.<br />
Kürzlich hat das bekannte Nachrichtenmagazin<br />
Le Nouvel Observateur eine Liste<br />
von Produkten und ihrer Preisentwicklung<br />
von Januar 2004 bis November 2007 veröffentlicht.<br />
Es handelte sich um mehr als 250<br />
Artikel bekannter Marken, die zu den meist<br />
verkauften im Land gehören. Das Ergebnis<br />
ist eklatant: Der Warenkorb der Zeitschrift<br />
hat sich in fast vier Jahren um 11,5 Prozent<br />
verteuert. Dieser Anstieg ist doppelt so hoch<br />
wie die offiziell vom nationalen Statistikinstitut<br />
INSEE ermittelte Inflationsrate im<br />
gleichen Zeitraum. Die Preise einiger Produkte<br />
sind dabei geradezu explodiert: So ist etwa<br />
Hackfleisch um 42,7 Prozent, Milch um 32,1 Prozent<br />
und Wasser der Marke Volvic um 26 Prozent teurer geworden.<br />
Für Makrelenfilets müssen Konsumenten nun<br />
35,9 Prozent mehr auf den Tisch legen, für Nudeln 32,8<br />
Prozent.<br />
Das Klagen der Franzosen über leere Portemonnaies<br />
scheint also gerechtfertigt zu sein. Die<br />
Menschen hatten ohnehin schon seit Jahren das<br />
Gefühl, dass die Preise stärker steigen, als die offiziellen<br />
Statistiken glauben machen wollen. Nicolas<br />
Sarkozy, der aus der Kaufkraft eines seiner zentralen<br />
Wahlkampfthemen gemacht hatte, versprach kürzlich<br />
56 · Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong>
eine Modifikation der verwendeten Formel zur Inflationsberechnung.<br />
Der aktuell verwendete Warenkorb scheint<br />
nicht mehr wirklich die echten Kaufgewohnheiten der Bevölkerung<br />
widerzuspiegeln – ein Grund, warum die gefühlte<br />
Teuerungsrate über der statistisch gemessenen liegt.<br />
Doch auch gegen die Teuerung an sich will die Regierung<br />
etwas unternehmen, selbst wenn der Staatspräsident bei einer<br />
Pressekonferenz kürzlich bereits recht entnervt auf die Nachfragen<br />
der Journalisten reagierte, die seinen Wahlkampf zu<br />
diesem Thema nicht vergessen hatten. Grundsätzlich existieren<br />
zwei Stoßrichtungen, um die Kaufkraft der Bevölkerung<br />
zu erhöhen: Entweder das real verfügbare Einkommen steigt,<br />
ein Ansatz, den Nicolas Sarkozy gerne mit dem Slogan « länger<br />
arbeiten, um mehr zu verdienen » beschreibt, oder aber<br />
die Produkte werden billiger. Zu dieser zweiten Option hat<br />
Charles Beigbeder, Vorsitzender des Energieunternehmens<br />
Poweo, kürzlich einen Bericht an Luc Chatel, Staatssekretär<br />
für Konsum, übergeben, der den Titel trug: « Low-Cost, ein<br />
Antriebshebel für die Kaufkraft ».<br />
Der Begriff « Low-Cost » wurde zuerst in der Luftfahrtbranche<br />
populär, als EasyJet, Ryanair & Co. plötzlich Flugtickets<br />
zu Preisen anboten, die günstiger als die Taxifahrt<br />
zum Flughafen sind. Doch Frankreich hängt seinen Nachbarländern<br />
hinterher, wenn es um Billigprodukte geht, und<br />
dies nicht nur bei Flugreisen. Es gab bisher keine « Geiz ist<br />
geil »-Euphorie wie in Deutschland. Der Bericht an Luc<br />
Chatel sieht deshalb reelle Chancen, durch ein Low-Cost-<br />
Konzept nachhaltig eine bessere Kaufkraft zu erwirken.<br />
Es wäre jedoch übertrieben zu behaupten, dass Billigprodukte<br />
jenseits des Rheins ganz und gar unbekannt<br />
wären. So verkauft die Staatsbahn SNCF für ihre Hochgeschwindigkeitszüge<br />
schon seit einiger Zeit neben normalen<br />
Fahrkarten auch Billigtickets unter der Marke « iDTGV »,<br />
mit denen man zum Beispiel ab 19 Euro von Paris in den<br />
Süden des Landes reist. Auch Air France/KLM hat den aktuellen<br />
Zeitgeist verstanden und baut ein Streckennetz von<br />
Billigflügen der Tochtergesellschaft Transavia vom Pariser<br />
Flughafen Orly aus auf. Die Tagespresse ist ebenfalls vom<br />
Trend zum Sparen angesteckt und brachte Gratiszeitungen<br />
auf den Markt, die ausschließlich durch Anzeigenschaltungen<br />
finanziert und kostenlos verteilt werden. Sogar die<br />
renommierte Zeitung Le Monde hat einen solchen Ableger,<br />
Matin Plus. Weltbekannt ist inzwischen auch der Logan,<br />
das erste Billigauto von Renault, das zwar primär für<br />
Schwellenländer entwickelt wurde, aber auch auf dem europäischen<br />
Automarkt einen unerwarteten Erfolg feiert. Insgesamt<br />
wurde es bereits 700.000 Mal verkauft und macht<br />
damit rund zehn Prozent der Verkäufe des Konzerns aus.<br />
Allein in Frankreich, wo das Modell seit Juni 2005 unter<br />
der Marke Dacia kommerzialisiert wird, fand der Wagen<br />
auch ohne Werbekampagnen über 50.000 Käufer.<br />
Neben diesen Beispielen ist ein umfassendes Angebot<br />
von Billigprodukten in Frankreich allerdings noch nicht<br />
wirklich erkennbar. Im Gegensatz zu den europäischen<br />
Nachbarn hat das Land vor allem im Bereich der preiswerten<br />
Versorgung mit Lebensmitteln Nachholbedarf. So<br />
spielen insbesondere Discounter eine Nebenrolle im Einzelhandel.<br />
Während Aldi, Lidl & Co. in Deutschland auf<br />
einen Marktanteil von rund 40 Prozent und in Belgien von<br />
36 Prozent kommen, sind es in Frankreich gerade einmal<br />
13 Prozent. Hieraus ziehen die Verfechter der Low-Cost-<br />
Strategie ihre Argumente: Während in Deutschland rund<br />
93 Prozent der Haushalte Discounter frequentieren, sind<br />
dies in Frankreich nur 72 Prozent. Es ist also Potential für<br />
ein Wachstum dieses Segments vorhanden.<br />
Um dies zu erreichen, müssen die Franzosen jedoch ihre<br />
Kaufgewohnheiten modifizieren. Im Land stehen Markenprodukte<br />
unverändert für ein gewisses Qualitätsniveau,<br />
der Umstieg auf « No-Name-Artikel » wird also einige Zeit<br />
benötigen. Dabei ist preiswertes Einkaufen schon längst<br />
keine Frage der sozialen Schicht mehr. Um sich davon zu<br />
überzeugen, braucht man nur in einen Discounter in Paris<br />
oder anderswo zu gehen: Man findet alle gesellschaftlichen<br />
Schichten in den Gängen des Supermarkts. Der Bericht an<br />
Luc Chatel hält deshalb auch fest: « Einen Chanelkunden<br />
hält es nicht davon ab, bei Lidl einzukaufen ».<br />
Veränderungen wären aber nicht nur im Lebensmittelsektor<br />
notwendig. In der bereits erwähnten Luftfahrtbranche<br />
haben Low-Cost-Airlines nur einen Marktanteil von<br />
12 Prozent in Frankreich, gegenüber mehr als 21 Prozent in<br />
Deutschland und 36 Prozent in Großbritannien. Der französische<br />
Billigmobilfunkmarkt stagniert bei vier Prozent,<br />
während in Dänemark 25 Prozent der Menschen mit Billiganbietern<br />
telefonieren. Die Liste der Beispiele ließe sich<br />
noch beliebig fortführen.<br />
Zum ersten Mal werden mit dem Bericht an Luc Chatel<br />
aber auch konkrete Maßnahmen vorgeschlagen, wie man<br />
den Low-Cost-Sektor in Frankreich ausbauen könnte.<br />
Demnach ist das Hinterherhinken des Landes in diesem<br />
Bereich insbesondere auf zu restriktive Regeln zurückzuführen.<br />
So wird beispielsweise empfohlen, städtebauliche<br />
Vorgaben zu lockern, um die Ansiedlung neuer Discounter<br />
zu fördern. Auch sollen Geschäfte einfacher am Sonntag<br />
öffnen können oder die Slotvergabe an Flughäfen soll reformiert<br />
werden. Zudem wird die fehlende Konkurrenz in<br />
einigen Branchen bemängelt. Es sei notwendig, in einigen<br />
Bereichen neue Akteure zu etablieren, beispielsweise einen<br />
neuen Mobilfunknetzbetreiber. Ebenso müssten einige<br />
legale Monopolstrukturen überdacht werden. So etwa bei<br />
den Apotheken, da nicht einzusehen sei, warum verschreibungsfreie<br />
Medikamente nur dort verkauft werden können.<br />
Im Kern geht es also vor allem darum, Konkurrenzhindernisse<br />
abzubauen und mehr Transparenz in den Markt zu<br />
bringen. Jedoch ist auch ein Mentalitätswandel der Menschen<br />
unausweichlich, soll das Konzept gelingen. Dieser ist<br />
aber eher fraglich. Werden die Franzosen eine umfassende<br />
Liebe zu Billigprodukten entwickeln? Selbst im « Geiz ist<br />
geil »-Land Deutschland hat der Erfinder dieses Slogans<br />
längst die Marketingstrategie wieder verändert und das<br />
Wort « Geiz » aus seinen Kampagnen gestrichen. Und Qualität<br />
hat ihren Preis. Diese simple Wahrheit lässt sich auch<br />
mit politischen Kampagnen nicht beiseite räumen.<br />
Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong> · 57
Leben in Frankreich<br />
Wie laufen die französischen Kommunalwahlen ab?<br />
Weniger als ein Jahr nach den<br />
Präsidentschafts- und Parlamentswahlen<br />
2007 werden die Franzosen<br />
am 9. und 16. <strong>März</strong> erneut an die<br />
Wahlurnen gerufen. Diesmal geht<br />
es darum, wer die Kommunen des<br />
Landes regieren soll. Die Lokalpolitik<br />
steht also auf dem Prüfstein. Im<br />
Allgemeinen finden in Frankreich<br />
alle sechs Jahre Kommunalwahlen<br />
statt. Zum letzten Mal war dies am<br />
11. und 18. <strong>März</strong> 2001 der Fall, so<br />
dass die nächsten Kommunalwahlen<br />
eigentlich im Frühjahr 2007 hätten<br />
organisiert werden müssen. Da<br />
letztes Jahr aber bereits zwei große<br />
Wahlen mit insgesamt vier Wahlgängen<br />
anstanden, verschob man die<br />
Kommunalwahlen ausnahmsweise<br />
um ein Jahr nach hinten.<br />
Bei den Kommunalwahlen werden<br />
die Mitglieder der Gemeinde-<br />
und Stadträte der französischen<br />
Kom munen gewählt, die anschließend<br />
aus ihrem Kreis wiederum die<br />
Bürger meister und stellvertretenden<br />
Bürger meister wählen. Letztere sind<br />
also die Gewählten der Gewählten<br />
des Volkes. Da die Wahlen am<br />
gleichen Tag im ganzen Land stattfinden,<br />
gelten sie trotz ihrer lokalen<br />
Bestimmung als ein Stimmungsbarometer<br />
für den Staatspräsidenten<br />
und seine Regierung.<br />
Aktives und passives Wahlrecht<br />
Bei den Kommunalwahlen dürfen<br />
alle Franzosen sowie alle Bürger<br />
der Europäischen Union, die ihren<br />
Wohnsitz in Frankreich haben oder<br />
dort ihre Steuern zahlen, ihre Stimme<br />
abgeben. Jede volljährige Person<br />
(ab 18 Jahren), die auf der Wählerliste<br />
einer Kommune steht, kann sich<br />
zudem als Kandidat präsentieren.<br />
Mehrfachkandidaturen sind allerdings<br />
untersagt. Jeder Kandidat darf<br />
also nur auf einer Liste eingetragen<br />
sein und sich nur in einer Kommune<br />
zur Wahl stellen. Außerdem sieht<br />
das Wahlgesetz einige Einschränkungen<br />
für bestimmte Personenkreise<br />
vor. So dürfen Funktionäre wie<br />
Polizisten oder Richter nicht in den<br />
Gemeinden antreten, in denen sie<br />
beruflich wirken.<br />
Wahlsystem<br />
Das Wahlsystem hängt von der<br />
Größe der Kommune ab, grundsätzlich<br />
handelt es sich aber um eine<br />
Wahl nach Listen, wobei jede Liste<br />
einen eigenen Wahlzettel hat. Bei<br />
Gemeinden unter 3.500 Einwohnern<br />
werden neun bis 23 Gemeinderäte in<br />
zwei Wahlgängen nach Mehrheitswahlrecht<br />
gewählt. Dabei haben die<br />
Wahlberechtigten die Möglichkeit,<br />
Namen von einer Liste zu streichen<br />
oder zu panaschieren. Die Stimmen<br />
werden nach Kandidat und nicht nach<br />
Liste ausgezählt. Damit ein Kan didat<br />
schon im ersten Wahlgang gewählt<br />
wird, muss er die absolute Mehr heit<br />
der abgegebenen Stimmen und mindestens<br />
ein Viertel der im Wählerver<br />
zeichnis eingetragenen Stimmen<br />
erreichen. Im zweiten Wahl gang ist<br />
dagegen die relative Mehrheit ausreichend,<br />
unabhängig da von, wie viele<br />
Stimmen abgegeben wurden.<br />
In Gemeinden mit mehr als 3.500<br />
Einwohnern werden zwischen 27<br />
und 163 Gemeinderäte gewählt. Hier<br />
dürfen Wahlzettel von den Wählern<br />
jedoch nicht verändert werden, auch<br />
ein Panaschieren ist untersagt. Die<br />
Stimmen werden nach Listen und<br />
nicht nach Kandidaten ausgezählt.<br />
Wenn eine Liste im ersten Wahlgang<br />
die absolute Mehrheit der abgegebenen<br />
Stimmen erlangt, erhält sie im<br />
Gemeinderat ihrem Wahlergebnis<br />
entsprechend die Mehrheit der Sitze.<br />
Die verbleibenden Sitze werden unter<br />
den anderen Listen, die mindestens<br />
fünf Prozent der Wählerstimmen<br />
auf sich vereinen konnten, im Verhältnis<br />
zum Wahlergebnis aufgeteilt.<br />
Hat keine Liste im ersten Wahlgang<br />
die absolute Mehrheit erreicht, treten<br />
in einem zweiten Wahlgang nur<br />
noch die Listen an, die im ersten<br />
Wahlgang mindestens zehn Prozent<br />
der Stimmen gewannen. Die<br />
Mehrheit der Sitze im Gemeinderat<br />
erhält dann die Liste, die die relative<br />
Mehrheit erlangt.<br />
Sonderfälle Paris, Lyon<br />
und Marseille<br />
Die drei größten Städte des Landes<br />
nehmen eine kleine Sonderrolle<br />
ein. Der Stadtrat wird hier mit Hilfe<br />
von Wahlkreisen gewählt. In Paris<br />
und Lyon entspricht ein Arrondissement<br />
einem Wahlkreis. In Marseille<br />
bilden jeweils zwei Arrondissements<br />
zusammen einen Wahlkreis. Ansonsten<br />
gelten die gleichen Regeln<br />
wie für die anderen Kommunen mit<br />
mehr als 3.500 Einwohnern. Der<br />
Stadtrat von Paris umfasst 163 Mitglieder,<br />
der von Lyon 73 und der von<br />
Marseille 101.<br />
Bürgermeisterwahl<br />
Nachdem der Gemeinderat einer<br />
Kommune vom Volk gewählt<br />
wurde, wählen die Mitglieder des<br />
Gemeinderates aus ihren Reihen den<br />
Bürgermeister bzw. die Bürgermeisterin.<br />
Diese Wahl findet in der ersten<br />
Woche nach der Kommunalwahl<br />
statt. Das Mandat der Bürgermeister<br />
dauert normalerweise sechs Jahre. Es<br />
ist aber möglich, dass ein Bürgermeister<br />
von seinem Amt zurücktritt<br />
und durch einen neuen ersetzt wird,<br />
ohne dass neue Kommunalwahlen<br />
ausgerufen werden müssen. Die<br />
Wiederwahl nach einer Amtszeit ist<br />
zulässig.<br />
58 · Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong>
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Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong> · 59
Unterwegs in Frankreich Loir-Tal<br />
Loir-Tal – Die Poesie der Natur<br />
Das Tal des Loir, nicht zu verwechseln mit der Loire, kennen nicht viele Frankreich-Urlauber. Zwischen der Bretagne<br />
im Westen und der französischen Hauptstadt im Osten, den Schlössern der Loire im Süden und der Normandie im<br />
Norden, fristet die Gegend, die zum Departement Sarthe gehört, eher ein Schattendasein, zumindest touristisch<br />
gesehen. Dabei gibt es in diesem lieblichen Landstrich südlich von Le Mans einiges zu entdecken. Das Fehlen spektakulärer<br />
Höhepunkte wird durch die Poesie der Natur mehr als wettgemacht. Felder und Wälder prägen die hügelige Landschaft,<br />
kleine Dörfer vermitteln ein noch authentisches Gefühl vom Leben auf dem Lande. Eine Reise in Bildern durch ein wenig<br />
bekanntes Land, aufgenommen während der vier Jahreszeiten von einem der Fotografen von Frankreich erleben für eine<br />
Ausstellung, die ein Verbund von Kommunen im Kanton Grand-Lucé organisiert hat.<br />
Langsam erwacht die Natur im Frühl ing in<br />
der Umgebung von Saint-Fraimbault.<br />
60 · Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong>
Die Dorfkirche von<br />
Saint-Georges-de-la-Couée,<br />
umgeben vom saftigen<br />
Grün des Sommers.<br />
Ein Sommerabend neigt sich l angsam<br />
dem Ende zu, im Hintergrund die<br />
Silhouette von Saint-Vincent-du-Lorouër.<br />
Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong> · 61
Unterwegs in Frankreich Loir-Tal<br />
Ein Bauer<br />
auf seinen<br />
Feldern nahe<br />
Saint-Pierredu-Lorouër.<br />
Die Ernte ist<br />
eingefahren,<br />
der Herbst<br />
kann kommen.<br />
Die Kapell e<br />
von Saint-<br />
Fraimbault<br />
im gleißenden<br />
Licht des<br />
Wint ers.<br />
62 · Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong>
Ein kalter Wintermorgen am Waldesrand des<br />
Forêt de Bercé bei La Croix Gorgeas.<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
A29<br />
A13<br />
<br />
<br />
Anreise<br />
N 137 / E 3<br />
A 83 / E 3<br />
<br />
A84 / E401<br />
<br />
<br />
<br />
aus dem deutschsprachigen Raum nonstop<br />
angeflogenen<br />
<br />
Auto: Das Loir-Tal erreicht man aus dem<br />
<br />
Flughäfen sind Paris-<br />
<br />
<br />
<br />
deutschsprachigen Raum am besten CDG (mit direkter TGV-Verbindung nach Le<br />
<br />
über die A11 (Paris-Nantes). Wer aus Mans) bzw. Paris-Orly.<br />
Norddeutschland<br />
<br />
den Pariser Großraum Zug: Über den TGV-Bahnhof in Le Mans ist<br />
umfahren möchte, kann seit kurzem auf das Loir-Tal gut ans fran zö sische Hoch geschwin<br />
digkeitszugnetz an ge bunden. Die<br />
eine neue Autobahnverbindung über<br />
<br />
Amiens und Rouen direkt nach Le Mans Fahrzeit von Paris nach Le Mans beträgt<br />
<br />
ausweichen. Von Le Mans geht es über die knapp unter einer Stunde.<br />
A28 (Le Mans-Tours) zum Loir-Tal. Berlin-Le<br />
Grand-Lucé ca. 1.280 km, Köln- Grand-Lucé<br />
<br />
Allgemeine Informationen<br />
ca. 720 km, Wien- Grand-Lucé ca. 1.470 km,<br />
<br />
Zürich- Grand-Lucé ca. 810 km.<br />
Office du Tourisme de Lucé-Bercé<br />
<br />
Flugzeug: Le Mans verfügt zwar über 4, rue de l‘Hôtel de Ville<br />
<br />
einen kleinen Flugplatz, der aber nicht im 72150 Le Grand Lucé<br />
Liniendienst angeflogen wird. Die nächsten Telefon: +33 (0)2 43 40 00 30<br />
D58<br />
N12/E50<br />
N164<br />
<br />
<br />
N24<br />
N166<br />
N12/E50<br />
N165/E60<br />
<br />
N171<br />
D13<br />
N137<br />
<br />
A 11 / E 60<br />
<br />
N 249<br />
<br />
A 87<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
A 81 / E 50<br />
<br />
A 11<br />
A 85<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
A 11 / E 50<br />
<br />
Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong> · 63<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
A 10<br />
<br />
A 85
Unterwegs in Frankreich Annecy<br />
Annecy<br />
Zwischen Urbanität und Alpenromantik<br />
Der Lac d’Annecy und die Berge im Hintergrund bilden eine perfekte Kulisse.<br />
Wenn ich mir die ideale Stadt in den Alpen vorstelle,<br />
kommen mir bisher meist Orte in der<br />
Schweiz in den Sinn, wie Luzern, Zürich oder<br />
Genf: Adrette Städte, die malerisch an einem See liegen und<br />
von mehr oder weniger hohen Gipfeln umgeben sind. Die<br />
perfekte Idylle also, die Alpenromantik mit einem Hauch<br />
von Urbanität verbindet. Doch auch in Frankreich gibt es<br />
eine derartige Traumstadt: Sie heißt Annecy. Die etwas mehr<br />
als 50.000 Einwohner zählende Hauptstadt des Departements<br />
Haute-Savoie muss keine Minderwertigkeitskomplexe<br />
gegenüber der « Konkurrenz » aus der Schweiz haben.<br />
Auch hier bilden die Alpen und ein malerischer See die<br />
ideale Kulisse für eine sehenswerte Stadt.<br />
Dies haben viele Touristen auch bereits entdeckt, wie<br />
ich bei meinem Besuch in Annecy feststellen muss. In der<br />
Altstadt und auf der Uferpromenade herrscht reger Trubel.<br />
Fotoapparate und Videokameras in den Händen sowie ein<br />
buntes Sprachengewirr verraten schnell, dass nicht nur<br />
Einheimische unterwegs sind. Ich lasse mich von dem Ansturm<br />
aber nicht abschrecken und mache mich, nachdem<br />
ich einen Parkplatz in der Nähe des Sees gefunden habe,<br />
zu Fuß auf Entdeckungstour. Annecy ist eine ideale Stadt<br />
für Fußgänger. Rund um den See lädt eine Promenade zu<br />
einem Spaziergang ein, und auch in der Altstadt ist der motorisierte<br />
Verkehr aus den pittoresken Gassen verbannt. Die<br />
Entfernungen sind überschaubar, so dass man in ein paar<br />
Stunden einen guten Eindruck von der Stadt gewinnen<br />
kann.<br />
Als ich über eine große Wiese mit dem Namen Champs<br />
de Mars, der mich an den Pariser Eiffelturm erinnert, gehe<br />
64 · Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong>
Das Palais de l’Ile ist das beliebteste Postkartenmotiv der Stadt.<br />
Oberhalb der Altstadt thront die Burg von Annecy.<br />
und wenige Minuten danach am Seeufer stehe, verstehe<br />
ich zu gut, warum schon seit Jahrhunderten Menschen an<br />
dieser Stelle leben. Die Lage ist einfach traumhaft. Der<br />
See von Annecy gehört sogar zu den Regionen der Alpen,<br />
die bereits sehr früh besiedelt wurden. Schon zwei bis drei<br />
Jahrtausende v. Chr. fanden die ersten Menschen hierher.<br />
Vom 1. Jahrhundert v. Chr. ist bekannt, dass am Ufer des<br />
Lac d’Annecy ein gallorömisches Dorf mit rund 2.000 Einwohnern<br />
existierte. Ob sich die alten Römer damals genauso<br />
an der Bergkulisse erfreuten wie ich heute?<br />
Am Anfang des 13. Jahrhunderts machten die Grafen<br />
von Genf Annecy zu ihrer Hauptstadt. Später kam der Ort<br />
zu Savoyen. Als Genf calvinistisch wurde, nahm Annecy<br />
Geistliche auf, die der römisch-katholischen Kirche treu<br />
geblieben waren, und wurde ein Zentrum der Gegenreformation.<br />
Als Savoyen 1860 ein Teil von Frankreich wurde,<br />
übernahm der Ort schließlich die Funktion der Hauptstadt<br />
des Departements Haute-Savoie. Auch die Industrialisierung<br />
hinterließ ihre Spuren. Annecy entwickelte sich zu einer<br />
Industriestadt von regionaler Bedeutung, in der gerade<br />
im 20. Jahrhundert die Anzahl der Einwohner steil nach<br />
oben ging. Auch heute sollte man sich von den schmucken<br />
Gassen der Altstadt nicht täuschen lassen: Annecy ist nicht<br />
nur ein beliebtes Touristenziel, sondern auch ein moderner<br />
Wirtschaftsstandort, wo man sogar von den Olympischen<br />
Winterspielen in nicht zu weiter Ferne träumt.<br />
Allerdings muss ich zugeben, während ich am See in<br />
Richtung der Pont des Amours entlangschlendere, dass der<br />
idyllische Eindruck einer Kleinstadt überwiegt. Sicherlich<br />
hängt dies auch damit zusammen, dass man sich in Annecy<br />
Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong> · 65
Unterwegs in Frankreich Annecy<br />
Blick vom Pont des Amours auf den von<br />
Bäumen gesäumten Canal du Vassé.<br />
Die Kirche Saint-François-de-Sales beheimatet<br />
die italienische Gemeinde der Stadt.<br />
schon frühzeitig um eine Erhaltung des historischen Erbes<br />
und den Schutz der Natur bemühte. So engagierte man sich<br />
schon seit 1932 für eine behutsame Sanierung der Altstadt.<br />
1957, zu einer Zeit, als dem Umweltschutz allgemein noch<br />
keine große Bedeutung beigemessen wurde und an eine<br />
Partei wie die Grünen noch gar nicht zu denken war, rief<br />
man ein Programm zur Rettung des Sees ins Leben. Bemühungen,<br />
die sich auszahlten. So erhielt die Stadt schon 1972<br />
den europäischen Umweltpreis und 1983 eine Medaille der<br />
Vereinten Nationen für ihr Umweltprogramm.<br />
Der Pont des Amours, der letzten Sommer sein hundertjähriges<br />
Jubiläum feierte, gehört zu den Wahrzeichen<br />
von Annecy. Die Brücke verbindet die Champs de Mars<br />
mit den Jardins de l’Europe. Von ihr aus hat man zur einen<br />
Lac d’Annecy<br />
Nicht nur die Stadt Annecy ist einen Besuch wert, auch der<br />
gleichnamige See lohnt einen Ausflug. Er ist ohne Zweifel einer der<br />
schönsten Seen der französischen Alpen. Heute erstreckt sich der<br />
Lac d’Annecy über eine Länge von rund <strong>14</strong> Kilometern und eine<br />
Breite von maximal drei Kilometern. Vor langer Zeit existierten an<br />
gleicher Stelle zwei Seen, denn es gab eine Landzunge zwischen<br />
der Pointe du Duingt und dem Roc de Chère. Auch heute noch<br />
ist dies eine der schmalsten Stellen des Lac d’Annecy. Man kann<br />
sich beim Anblick des blauen Wassers jetzt nur noch schwer<br />
vorstellen, dass der See in den Nachkriegsjahren unter großer<br />
Wasserverschmutzung litt. Das Nordostufer ist die Sonnenseite des<br />
Sees, das auch etwas schicker und teurer ist als das Südwestufer.<br />
Zu den Besonderheiten des Lac d’Annecy gehört auch eine<br />
Unterwasserquelle: Der Fluss Boubioz entspringt in einer Tiefe von<br />
82 Metern unter dem Wasserspiegel. Um den Lac d’Annecy zu<br />
erkunden, hat man die Wahl zwischen einer Bootstour auf dem<br />
See oder einer Umrundung mit dem Auto.<br />
66 · Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong>
Olympische Winterspiele im Jahr 2018?<br />
In der Hauptstadt des Departements Haute-Savoie strebt man nach olympischen<br />
Weihen. Man träumte bereits von einer Kandidatur für die Winterspiele im<br />
Jahre 20<strong>14</strong>, bis auf nationaler Ebene schließlich entschieden wurde, dass keine<br />
französische Stadt dafür ins Rennen geschickt wird. Der Traum war für Annecy<br />
damit zwar erst einmal geplatzt, aber nicht für immer. Inzwischen bereitet man<br />
eine Kandidatur für das Jahr 2018 vor. Die Konkurrenz wird allerdings hart sein,<br />
denn auf nationaler Ebene bemühen sich auch Grenoble und Gap um die<br />
Ausrichtung der Spiele. Laut Gilles Bernard, stellvertretender Bürgermeister und<br />
verantwortlich für den Sport, soll die Bewerbung unter das Motto « Bien-être »<br />
gestellt werden. Von Seiten der Infrastruktur sind kaum große Investitionen<br />
notwendig, da die Stadt und das Umland größtenteils bereits heute über<br />
alle erforderlichen Einrichtungen verfügen. So wird die Autobahnverbindung<br />
von Annecy nach Genf dieses Jahr eröffnet. Lyon, Chambéry und die<br />
Skigebiete sind schon jetzt bestens erreichbar. Der internationale Flughafen<br />
von Genf wird bald nur noch 20 Minuten von Annecy entfernt sein, bis<br />
zum Airport von Lyon braucht man nur gut eine Stunde. Im Jahre 2011<br />
wird zudem die neue Hochgeschwindigkeitsstrecke von Genf nach Paris<br />
fertiggestellt, die die Fahrzeit in die französische Hauptstadt auf drei Stunden<br />
verkürzt. Die Hotellerie der Region entspricht schon heute den Vorgaben<br />
des Olympischen Komitees. Für die Sportler soll zudem ein Olympisches<br />
Dort errichtet werden, das danach in Sozialwohnungen umgewandelt wird.<br />
Und auch bei den sportlichen Einrichtungen kann man bereits eine gute<br />
Ausstattung vorweisen. Schließlich fanden schon einige internationale<br />
Wettkämpfe in Annecy und Umgebung statt. So ist angedacht, die Eishalle<br />
von Albertville mitzunutzen. In Annecy soll eine zweite entstehen, die<br />
anschließend als multifunktionale Veranstaltungshalle weiterverwendet<br />
werden kann. Renommierte Skigebiete liegen gleich um die Ecke. Gebaut<br />
werden müsste auch noch eine Skisprungschanze, wofür man einen Ort mit<br />
Blick auf den Montblanc vorgesehen hat. Eine Besonderheit von Olympischen<br />
Winterspielen in Annecy wäre, dass die Zuschauer mit dem Boot zu einigen<br />
Wettkampfstätten anreisen könnten.<br />
<br />
Zahlreiche Restaurants liegen an<br />
den Kanälen der Altstadt.
hartres<br />
chteaudun<br />
A 10 / E 60<br />
blois<br />
A 85 / E 604<br />
lille<br />
béthune<br />
lens<br />
Unterwegs in Frankreich Annecy<br />
Douai<br />
arras<br />
France<br />
A 10 / E 5<br />
<br />
A 71 / E 9<br />
lons-lesaunier<br />
romorantinlanthena<br />
Anreise<br />
A 26 / E 15<br />
A 1 / E 17<br />
A 27<br />
A 23<br />
Auto: Aus Deutschland, der Schweiz und den<br />
Vierzon<br />
meisten österreichischen bourges Bundesländern bietet<br />
sich eine Anreise über Genf an. Nur aus<br />
der<br />
issoudun<br />
Steier mark und aus Kärnten ist eine An reise<br />
über Norditalien unter Umständen vor teilhafter.<br />
Von Genf aus geht es weiter über die<br />
N201 und A41 bzw. alternativ die A40 und A41<br />
nach Annecy. Berlin-Annecy ca. 1.160 km,<br />
Köln-Annecy ca. 800 km, Wien-Annecy ca.<br />
1.070 km, Zürich-Annecy ca. 320 km.<br />
Flugzeug: Annecy besitzt einen eigenen<br />
Flug hafen, der aus dem deutschsprachigen<br />
Raum allerdings nicht direkt angeflogen<br />
wird. Air France verbindet Annecy mit<br />
Paris-Orly. Bei Zubringerflügen der Airline<br />
aus Deutschland, Österreich und der<br />
Schweiz, die in Paris-CDG landen, ist also<br />
ein Flughafenwechsel einzuplanen. Alternativ<br />
bietet sich der Airport von Genf als<br />
Ziel flug hafen an, der von vielen deutschsprachigen<br />
Städten aus nonstop erreicht<br />
werden kann, unter anderem mit<br />
A 1 / E 15<br />
N 6<br />
N 77<br />
D 965<br />
aallon<br />
A26 / E17<br />
Montbard<br />
A 6<br />
namur<br />
liège<br />
belgien<br />
ihrem Blumenschmuck am Geländer lassen Ähnlichkeiten<br />
erkennen. Ich schlendere durch die Gassen, beobachte die<br />
Menschen und lasse die idyllische Atmosphäre auf mich<br />
wirken. Auf meinem Weg komme ich an den beiden Kirchen<br />
Saint-Maurice und Saint-Pierre vorbei. Auf der von<br />
Arkadenhäusern gesäumten Rue de Saint-Claire und der<br />
sedn<br />
Rue de l’Ile findet gerade ein Wochenmarkt statt. Stände<br />
mit leckerem Käse und frischem Obst und Gemüse lassen<br />
bei mir bereits ein leichtes Hungergefühl aufkommen.<br />
Vouziers<br />
Lufthansa, Austrian, Swiss oder EasyJet. Dion<br />
Zug: Annecy ist an das französische TGV-<br />
Netz angeschlossen. Die Fahrzeit aus<br />
Paris beträgt etwas unter vier Stunden.<br />
Außerdem bestehen aus der Schweiz gute<br />
Zugverbindungen über Genf.<br />
chalon<br />
Annecy im Internet<br />
www.lac-annecy.com<br />
www.annecy.fr<br />
thionille<br />
A 5 / E 17 - E 54<br />
Informationen vor Ort<br />
Office de Tourisme<br />
1, rue Jean Jaurès<br />
74000 Annecy<br />
Telefon: +33 (0)4 50 45 00 33<br />
A 38<br />
A 31<br />
Mcon<br />
Informationen zur Umgebung<br />
Telefon: +33 (0)4 50 23 96 00<br />
www.savoie-mont-blanc.com<br />
A4 / E50<br />
Dole<br />
arc-et-senans<br />
A 39<br />
charleille-<br />
Mézières<br />
Seite den Blick auf den See und die cambrai dahinter liegenden Berge.<br />
Zur anderen Seite fällt der Blick auf den Canal du Vassé<br />
mit seinen zahlreichen Holzbooten und großen Bäumen am<br />
amiens<br />
Ufer. Für einen Moment fühle ich<br />
st.<br />
mich<br />
uentin<br />
an Venedig erinnert,<br />
allerdings an eine « grüne » Version der Lagunenstadt.<br />
Doch auch in Bezug auf die Altstadt ist der Vergleich<br />
Montdidier<br />
gar nicht so falsch. Zwar fehlen die für Venedig typischen<br />
laon<br />
Gondolieri, dafür durchziehen zwei Kanäle das Zentrum<br />
rethel<br />
und verströmen ein südländisches Flair. Besonders lebendig<br />
clermont<br />
ist das Viertel links und rechts vom Canal le Thiou, wobei<br />
es sich um den kanalisierten Fluss gleichen Namens handelt.<br />
Ich erliege dem Charme des Ortes. Die Ufer reimswerden<br />
von Cafés mit Tischen und Stühlen unter freiem eperna Himmel<br />
gesäumt. Zur Mittagszeit und abends ist es schwierig, überhaupt<br />
einen freien paris Platz zu finden. Einige Künstler chalons-enchampagne<br />
bieten<br />
ihre Gemälde zum Verkauf an. Von einer Brücke über den<br />
Kanal eröffnet sich ein schöner Blick auf das Palais de l’Ile.<br />
Wie der Name schon sagt, steht das Gebäude mit seinen<br />
wehrhaften Mauern auf einer kleinen Insel. Gebaut im 12.<br />
Jahrhundert, hatte das Palais schon verschiedene Funktionen<br />
inne etampes – von einer Münzwerkstatt über ein Hospiz und<br />
troes<br />
ein Gefängnis bis zum heutigen Museum. Der Anblick ist<br />
das Symbol pithiiers von Annecy und eines der meist fotografierten<br />
Motive in Frankreich.<br />
Hier kommt mir auch wieder der Gedanke von der idealen<br />
Stadt orleansin den Alpen in den Sinn. Keine Frage, die Altstadt<br />
von Annecy erinnert stark an Städte wie Luzern oder<br />
Zürich. Sowohl die Bausubstanz als auch die Uferwege chablis mit<br />
Bevor ich aber diesem Grundbedürfnis saarbrücen nachgebe, will<br />
bois de rouc<br />
ich noch zur Burg im Süden der Altstadt hochsteigen. Die<br />
Rampe du Château Verdun führt auf den Hügel hinauf. Die ehemalige<br />
Residenz der Grafen von Metz Genf wurde vom 12. bis<br />
zum 16. Jahrhundert errichtet. Heute kann die Anlage, in<br />
France<br />
der sich auch Museen befinden, besichtigt chteusalins<br />
werden. Zu den<br />
Museen bar-le-Duc gehört das commerc Observatoire régional des lacs alpins.<br />
sarrebourg<br />
Hier dreht sich alles um die Erforschung nanc der Alpenseen, archäologische<br />
Funde und das<br />
toulThema Wasserverschmutzung.<br />
st. Dizier<br />
lunéille<br />
Molsheim<br />
Als ich mich schließlich auf dem Rückweg in die Altstadt<br />
befinde, ist das Knurren meines Magens nicht mehr<br />
scherwiller<br />
zu überhören. Mit etwas Glück finde ich einen freien st.Die Tisch<br />
neufchteau<br />
in einem kleinen Restaurant am Kanal, gegenüber dem Palais<br />
de l’Ile. Mein Blick fällt auf die Brücke epinal mit den Malern<br />
chaumont<br />
colmar<br />
und Touristen. Dahinter erhebt sich die Kirche Saint-François-de-Sales<br />
mit ihrer barocken Fassade, die heute guebwiller die italienische<br />
Kirchengemeinde der Stadt beheimatet. Ich warte<br />
Mulhouse<br />
freudig auf mein Essen und plane bereits mein Programm<br />
für den Nachmittag: eine Bootstour auf dem Lac d’Annecy.<br />
nantua<br />
A 404<br />
A 36<br />
Vesoul<br />
st claude<br />
annec<br />
besancon<br />
pontarlier<br />
grenoble<br />
chambér<br />
France<br />
A 31<br />
A1<br />
A41/E712<br />
A 4<br />
D 955<br />
belfort<br />
schweiz<br />
lausanne<br />
genèe<br />
N 74<br />
thonon<br />
A40<br />
A 5<br />
N 4<br />
neuchtel<br />
A1<br />
A 9<br />
chamonix<br />
albertille<br />
Montreux<br />
A 36 / E 60<br />
A 4 / E 25<br />
A 35 / E 25<br />
sélestat<br />
Fribourg<br />
wisse<br />
hague<br />
basel<br />
bern<br />
st<br />
Fr<br />
tor<br />
68 · Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong><br />
Valence<br />
brianon
Kalyana - photos Y. Tisseyre/OTVA - Getty
Unterwegs in Frankreich Biarritz<br />
Pioniere des Wellenreitens im Jahre 1962.<br />
Biarritz<br />
Vom Fischerdorf<br />
zum legendären<br />
Seebad<br />
Biarritz kann sich glücklich schätzen: Die Stadt am<br />
Ozean vereint alle Vorzüge eines legendären Seebades<br />
und kann dabei zugleich verschiedene, auf den ersten<br />
Blick konträre Vorlieben befriedigen. So erfreuen sich Bretagne-Liebhaber<br />
an den wilden Felsklippen innerhalb des<br />
Stadtgebiets, die dem rauen Atlantik trotzen. Wer sonst eher<br />
für die französische Riviera schwärmt, findet in Biarritz mit<br />
seinen prachtvollen Palästen, Kasinos und palmengesäumten<br />
Die historischen Badeanlagen im Jahre 1960.<br />
Wo früher ein paar Fischer ihr Auskommen<br />
suchten, entwickelte sich in den letzten beiden<br />
Jahrhunderten ein weltbekanntes Seebad.<br />
Illustre Persönlichkeiten verliehen Biarritz<br />
ein glamouröses Renommee, das bis heute<br />
nachreicht. Doch im Vergleich zur Côte d’Azur<br />
zeigt sich der Luxus im Ort an der baskischen<br />
Küste weniger aufdringlich. Junge Surfer aus<br />
der gesamten Welt sorgen zudem für eine einzigartige<br />
Atmosphäre.<br />
Alleen unter sommerlicher Hitze – schließlich ist die spanische<br />
Grenze nicht weit – dagegen eine ähnlich mediterran<br />
mondäne Atmosphäre wie an der Côte d’Azur vor.<br />
Die Anfänge waren jedoch bescheidener. Biarritz war<br />
früher ein Fischerdorf, allerdings nicht irgendeines. An<br />
diesem Ort hatte man anscheinend schon immer einen<br />
gewissen Drang zum Besonderen. Während sich anderswo<br />
viele Fischer mit dem Fang von Sardinen begnügten, spe-<br />
Der Hauptstrand des legendären Seebades.<br />
70 · Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong>
In Biarritz treffen sich heute Wellenreiter<br />
und Surfer aus der ganzen Welt.<br />
zialisierte man sich im französischen Baskenland auf die<br />
Jagd nach Walen, was dem Hafen schon damals eine gute<br />
Reputation bescherte. Man sagt, dass sich sogar Katharina<br />
von Medicis für den Fang der großen Meeressäuger in Biarritz<br />
interessierte. Das Wappen der Stadt ziert bis heute ein<br />
großes Walfangboot.<br />
Den Walfängern kamen die natürlichen Gegebenheiten<br />
des Ortes zugute. Späher konnten vom berühmten<br />
Rocher de la Vierge aus das Meer beobachten und so nach<br />
Walen Ausschau halten. Die heute auf dem Felsen stehende<br />
Jungfrauenstatue aus Bronze wurde aber erst im Jahr 1864<br />
errichtet. Seit 1887 erreicht man diesen Vorposten im Atlantik<br />
über eine gusseiserne Brücke, die Gustave Eiffel entwarf.<br />
Zu der Zeit – zum Leidwesen der Walfänger – hatten<br />
die großen Meeressäuger die Biskaya aber längst verlassen.<br />
Die Entwicklung zu einem Seebad setzte am<br />
Ende des 18. Jahrhunderts ein. Die Epoche der<br />
Romantik, die langsam aufkommende Mode<br />
des Bädertourismus und die damaligen Ärzte<br />
trugen dazu bei. Sommer wie Winter,<br />
wenn starke Stürme in der Biskaya toben,<br />
suchten die Gäste mit langen<br />
Spaziergängen am Meer nach<br />
Erholung und Linderung<br />
ihrer Leiden. In den Salons<br />
der Hauptstadt sprach man<br />
über das Seebad im äußersten<br />
Südwesten des Landes.<br />
Der Ort kam in Mode.<br />
Viel verdankt das ehemalige<br />
Fischerdorf dabei der Berühmtheit<br />
Am Strand von Biarritz geht es immer noch<br />
etwas mondäner zu als anderswo.<br />
seiner Gäste. So verbrachte Napoleon I. 1808 mit seiner Begleiterin<br />
Joséphine ein paar Tage in dem Urlaubsort. Weitere<br />
illustre Persönlichkeiten folgten: Victor Hugo, der nach<br />
eigenen Angaben keinen charmanteren und wunderbareren<br />
Ort wie Biarritz kannte, Stendhal, Gustave Flaubert... 1854<br />
bauten Napoleon III. und Eugénie die Villa Eugénie in der<br />
Form eines « E » als Sommerresidenz, die später jedoch den<br />
Flammen eines Feuers zum Opfer fiel und an dessen Stelle<br />
sich seitdem ein Luxushotel befindet. Das Kaiserpaar kam<br />
von 1855 bis 1868 regelmäßig jeden Sommer nach Biarritz.<br />
Eugénie wurde wegen ihrer natürlichen und offenen<br />
Art geschätzt und war bei den einheimischen Menschen<br />
beliebt. Außerdem zogen beide andere gekrönte Häupter<br />
an. So fanden unter anderem die Königin von Spanien, der<br />
Prinz von Monaco und der König von Belgien den Weg<br />
nach Biarritz.<br />
Bismarck gehörte ebenfalls zu den berühmten<br />
Gästen des Seebades. Der deutsche Reichskanzler<br />
traf sich dort gerne mit dem russischen Botschafter,<br />
dem Prinzen von Orlow, und seiner<br />
reizenden Gattin Kathy, der er offen<br />
den Hof machte. Er liebte<br />
außerdem das Baden im<br />
Meer. Eines Tages wurde<br />
er von einem Einheimischem,<br />
Joseph<br />
Fourquet, genannt<br />
Carcabueno, sogar vor<br />
dem Ertrinken gerettet.<br />
Im September 1865<br />
t r a f<br />
Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong> · 71
Unterwegs in Frankreich Biarritz<br />
Bismarck außerdem im Geheimen Napoleon III. in Biarritz,<br />
um seine Unterstützung für die preußische Politik<br />
einzuholen, bevor er ihn einige Jahre später geradezu in die<br />
Knie zwang.<br />
Aus dieser Epoche, als Biarritz ein Magnet der Hocharistokratie<br />
war, stehen heute immer noch einige Bauwerke.<br />
Beispielsweise die orthodoxe Kirche Saint Alexandre-<br />
Nevsky mit ihrer blauen Kuppel. Sie wurde auf Verlangen<br />
der russischen Gemeinde gebaut, die in Folge der Oktoberrevolution<br />
in Biarritz recht groß war. Auch einige herrschaftliche<br />
Anwesen, allein von 1876 bis 1881 entstanden<br />
rund 300, haben die Jahrzehnte überlebt. Damals wurden<br />
oft fantasievolle Paläste errichtet, wobei die Bauherren nicht<br />
zögerten, in einen architektonischen Wettstreit miteinander<br />
zu treten. Die Vielfalt der Gäste und ihrer Geschmäcker<br />
spiegelt sich dadurch auch in der Architektur wider. So<br />
findet man in dem Seebad etwa das Château Boulard im<br />
Stil der Neorenaissance, das Fremdenverkehrsamt im neogotischen<br />
oder die Villa Françon im altenglischen Stil. Ein<br />
schönes Beispiel der architektonischen Mischung des Ortes<br />
ist die Avenue de la Reine-Victoria.<br />
Um die vorletzte Jahrhundertwende herum war Biarritz<br />
auch als «Königin der Strände, Strand der Könige » bekannt.<br />
Zudem sorgte eine Straßenbahn, die bereits 1876 konstruiert<br />
wurde, für ein Zusammenwachsen der Kommunen<br />
Bayonne, Anglet und Biarritz, die gerne als « BAB » abgekürzt<br />
werden. Der wirtschaftliche Aufschwung schlug sich<br />
in den Bevölkerungszahlen nieder. Zählte der Großraum<br />
1900 noch 12.000 Einwohner, waren es sechs Jahre später<br />
schon 15.000 und 1910 gar 18.000. Der Besucherstrom aus<br />
dem europäischen Ausland riss ebenfalls nicht ab. Adelige,<br />
Schriftsteller, Künstler, Bankiers, alle suchten an der<br />
Biskaya Erholung und einen friedlichen Zufluchtsort vorm<br />
Alltag. Immer größere und schönere Hotels schossen in die<br />
Höhe. Ein unterirdisches 20 Kilometer langes Kanalsystem<br />
brachte Wasser, das einen um zehnmal höheren Salzgehalt<br />
als das Meer aufwies, zu einer großen Thermalanlage, bei<br />
deren Grundsteinlegung die Königin von Serbien anwesend<br />
war. Die Therme wurde 1958 allerdings geschlossen und<br />
1968 abgerissen.<br />
Im Ersten Weltkrieg profitierte das Seebad von dem<br />
glücklichen Umstand, dass Paris damals noch zwölf Stunden<br />
mit dem Zug entfernt lag. Der Krieg erschien in Biarritz<br />
deshalb weniger grausam als anderswo im Land. In<br />
den Goldenen Zwanzigern konnte das einstige Fischerdorf<br />
dann an seine glorreiche Vorkriegsvergangenheit anknüpfen.<br />
Stars und Berühmtheiten wie Charlie Chaplin, Buster<br />
Keaton oder Coco Chanel zählten zu den Gästen des Ortes.<br />
Gebäude im Art-Déco-Stil entstanden, wie beispielsweise<br />
das kommunale Kasino, das Rathaus, das Hôtel Plaza oder<br />
das baskische Haus in der Avenue Edouard VII.<br />
Auch einige skurrile Anekdoten lassen sich aus der Zeit<br />
erzählen. Beispielsweise vom exzentrischen Modeschöpfer<br />
Jean Patou: Um von seiner Villa in die Stadt zu fahren, hatte<br />
die schillernde Symbolfigur der 1920er-Jahre zwei Wagen<br />
und zwei Chauffeure. Ein weißes Fahrzeug mit einem<br />
schwarzen Chauffeur für sonnige Tage und ein schwarzes<br />
Auto mit einem weißen Chauffeur für Regentage. Auf der<br />
Place Clémenceau im Zentrum kann man dank einer großen<br />
Uhr immer noch Patous ehemalige Boutique erahnen.<br />
An dem gleichen Platz befindet sich auch eine besuchenswerte<br />
Konditorei. Das Miremont in der Hausnummer<br />
1 gehört zu den Mythen des Seebades. Edmond Rostand,<br />
Autor von « Cyrano de Bergerac », schrieb einst darüber:<br />
« Zur Teezeit gibt es bei Miremont mehr Königinnen als<br />
Torten und weniger Rumkugeln als Herzöge ». Die adeligen<br />
Häupter wurden heute längst von Touristen in Bermudashorts<br />
verdrängt, die Spezialität des Hauses ist aber noch<br />
Den Rocher de la Vierge erreicht man über eine Brücke von Eiffel.<br />
72 · Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong>
A 11 / E 60<br />
immer die gleiche: Karamellbonbons.<br />
deanzug zu Mittag, am liebsten in den neuesten Entwürfen<br />
Biarritz konnte sich bis heute das Image eines schicken<br />
Seebades bewahren, selbst wenn an manchen Ecken bleme bei einer eher konservativen einheimischen Bevölke-<br />
<br />
<br />
von Coco Chanel. Diese « Nacktheit » war nicht ohne Pro-<br />
<br />
der einstige Glanz etwas verblichen ist. Außerdem finden rung. Der Stadtrat Léon Garay veröffentlichte am 27. Mai<br />
auch die Urlaubswünsche der heutigen Zeit ihren Platz in 1930 im Namen der öffentlichen Ordnung einen offenen<br />
dem Ferienort. So gilt Biarritz insbesondere als eine der Brief in der lokalen Tageszeitung La Gazette de Biarritz, in<br />
Hochburgen des Surfsports der Welt. Die Grundlage dazu dem er die Einhaltung einer Verordnung forderte, wonach<br />
wurde im Jahre 1956 gelegt: Während der Dreharbeiten des jegliche Form der Nacktheit nur an speziellen Orten entfernt<br />
von den Familien am Strand zu erlauben sei. Die Dis-<br />
Films « Le Soleil se lève aussi » nach einem Roman von Hemingway<br />
wurde eine Szene mit einem australischen Surfer kussion hielt noch einige Zeit an, schließlich setzten sich<br />
<br />
in der Bucht aufgenommen. Hemingway war dafür selbst aber die ökonomischen Interessen der Tourismuswirtschaft<br />
anwesend. Die Qualität der Wellen an der baskischen Küste gegenüber der Prüderie durch.<br />
sprach sich danach schnell herum. Erste Surfmeisterschaften<br />
wurden in den 1960er-Jahren ausgetragen. Heute ist der damalige Debatte um eine züchtige Badebekleidung gera-<br />
Wenn man heute am Strand spazieren geht, wirkt die<br />
Surfsport längst ein wichtiger Wirtschaftsfaktor der Stadt. dezu grotesk. Geblieben ist allerdings der Wunsch vieler<br />
Zwei kürzlich initiierte Projekte beweisen darüber hinaus<br />
die Verbundenheit der Stadt mit dem Meer. Eine Cité anderer Ferienorte abzuheben. Biarritz bewahrt sich bis<br />
Gäste, sich durch die letzten Modetrends von der Masse<br />
<br />
<br />
du Surf et de l’Océan, in der sich alles um diese Sportart heute einen Hauch von Exklusivität. Viele junge Surfer aus<br />
<br />
und den Atlantik dreht, wird demnächst eröffnet. Außerdem<br />
werden die historischen Badeanlagen an der Küste bis sphäre an die Strände der Stadt. Sie wirken wie eine wohl-<br />
der ganzen Welt bringen aber gleichzeitig eine neue Atmo-<br />
<br />
zum Frühjahr 2009 originalgetreu wieder hergerichtet. Es tuende Erfrischungskur für das altehrwürdige<br />
<br />
Seebad. Das<br />
<br />
handelt sich dabei um ein Gebäude aus dem Jahre 1928, Schwanken zwischen Konservativismus und Modernität,<br />
das einst zum Hôtel Hélianthe gehörte und den Badegästen zwischen klassischen Werten und der Lust zu schockieren<br />
höchsten Komfort bieten sollte. Man aß dort gerne im Ba-<br />
gehört zu den ewigen Reizen von Biarritz. <br />
<br />
N24<br />
N166<br />
N12/E50<br />
<br />
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N164<br />
<br />
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N165/E60<br />
<br />
N171<br />
D13<br />
N137<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
Die Kirche Sainte-Eugénie, erbaut vor etwas mehr als 100 Jahren. Lichtspiele an den Fassaden von Biarritz.<br />
N 137 / E 3<br />
A 83 / E 3<br />
<br />
<br />
<br />
N 249<br />
<br />
A 87<br />
<br />
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<br />
A 10<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
A 81 / E 50<br />
N 10<br />
A 11<br />
<br />
<br />
A 85<br />
<br />
<br />
<br />
A 89<br />
Anreise<br />
Auto: Aus Deutschland, Österreich und der<br />
Schweiz erreicht man Biarritz über die A10<br />
(Paris-Bordeaux) bzw. die A89 (Clermont-<br />
Ferrand-Bordeaux). Von Bordeaux geht es<br />
über die N10 durch die Wälder der Landes<br />
bis nach Biarritz. Berlin-Biarritz ca. 1.830 km,<br />
Köln-Biarritz ca. 1.280 km, Wien-Biarritz ca.<br />
2.020 km, Zürich-Biarritz ca. 1.150 km.<br />
Flugzeug: Der Flughafen von Biarritz wird<br />
aus dem deutschsprachigen Raum nur<br />
von Ryanair ab Hahn direkt angeflogen. Air<br />
France bietet aus Deutschland, Österreich<br />
und der Schweiz Umsteigeverbindungen<br />
über Paris und Lyon an, wobei bei Ver bindungen<br />
via der Hauptstadt ein Flug hafenwechsel<br />
von Paris-CDG nach Paris-Orly<br />
not wen dig ist. Lufthansa, Austrian oder<br />
Swiss haben keine Direkt ver bin dungen<br />
nach Biarritz im Flugplan.<br />
Zug: Biarritz ist an das französische Hoch geschwin<br />
dig keits netz angeschlossen. Die Fahrzeit<br />
von Paris dauert rund fünf Stun den.<br />
Biarritz im Internet<br />
www.biarritz.fr<br />
Informationen vor Ort<br />
Office de Tourisme<br />
Square d’Ixelles<br />
64200 Biarritz<br />
Telefon: +33 (0)5 59 22 37 00<br />
<br />
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N10<br />
A 63<br />
<br />
<br />
<br />
A 62<br />
A64 / E80<br />
<br />
<br />
<br />
N113<br />
Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong> · 73
Unterwegs in Frankreich Hotel<br />
collège hôtel<br />
Ein Hotel für Schulnostalgiker in Lyon<br />
Das 39 Zimmer zählende Collège Hôtel befindet sich auf dem<br />
rechten Saône-Ufer, nur wenige Minuten zu Fuß von der Altstadt<br />
von Lyon entfernt. Die Lage ist ideal, um von hier aus die<br />
Hauptstadt der Region Rhône-Alpes zu erkunden oder seinen geschäftlichen<br />
Verpflichtungen nachzugehen. Das Auto kann man dabei getrost<br />
in der hoteleigenen Garage lassen. Einziger Makel: Die Parkgebühren<br />
betragen zwölf Euro pro Nacht.<br />
Bereits von außen fällt das Gebäude mit sieben Etagen aus den<br />
1930er-Jahren auf. Die strahlend weiße Fassade leuchtet hell im<br />
Sonnenlicht und setzt sich von den umliegenden Häusern ab. Nachts<br />
sorgen bunt beleuchtete Fenster mit wechselnden Farben für Aufsehen.<br />
Doch die eigentliche Besonderheit dieses Boutique-Hotels<br />
entdeckt man erst im Inneren: Der Name lässt es bereits erahnen, im<br />
Collège Hôtel dreht sich alles um die gute alte Schulzeit. Auch das<br />
Logo, das von zwei jungen Designern aus London entworfen wurde,<br />
soll mit einem roten Buchstaben an die Korrekturen aus Lehrerhand<br />
erinnern.<br />
Insgesamt waren drei Jahre notwendig, um alle Einrichtungs- und<br />
Dekorationsgegenstände für dieses ungewöhnliche Hotelkonzept aufzutreiben.<br />
Tafeln, Schulstühle oder an Wänden befestigte Kleiderhaken<br />
versetzen die Gäste in ihre Kindheit zurück. Ein Sprungkasten von 19<strong>14</strong><br />
74 · Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong>
15<br />
<br />
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A 1 / E 15<br />
A 1 / E 17<br />
A 23<br />
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A29<br />
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A13<br />
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A 11 / E 50<br />
<br />
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<br />
A 10 / E 60<br />
<br />
A 85 / E 604<br />
A 10 / E 5<br />
<br />
A 71 / E 9<br />
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<br />
<br />
<br />
<br />
aus dem Königlichen Gymnasium von<br />
<br />
Versailles fungiert als Rezeption.<br />
Immer wieder hört man von den Besuchern Kommentare wie « diese<br />
<br />
<br />
Landkarte verwendete meine Geografielehrerin<br />
<br />
auch » oder « so einen<br />
Tisch gab es in unserem Klassenzimmer ».<br />
Das Collège Hôtel ist aber nicht nur ein Ort der Nostalgie, sondern<br />
gleichzeitig ein modernes Design-Hotel, was sich insbesondere in den<br />
<br />
<br />
ganz in weiß gehaltenen Zimmern widerspiegelt. Die lackierten Kleiderschränke<br />
erinnern an die Spinde vom Sportunterricht. Der heutigen<br />
<br />
Zeit verpflichtet, gibt es natürlich WLAN im gesamten Haus sowie<br />
einen Computer mit kostenlosem Internetzugang in der Eingangslobby.<br />
Flachbildschirme und Steckdosen zum Aufladen von Mobiltelefonen<br />
unter den Nachttischen lassen keinen Zweifel aufkommen, dass man<br />
sich im Collège Hôtel ganz und gar auf die heutigen Bedürfnisse eingestellt<br />
hat. Auf jeder Etage<br />
<br />
steht außerdem ein Kühlschrank im 1960er-<br />
Jahre-Look, aus dem sich die Hotelgäste mit alkoholfreien Getränken<br />
bedienen dürfen. <br />
Der Speisesaal, in dem das Frühstück gereicht wird, ist mit seinen<br />
Tischen und Bänken ähnlich wie ein<br />
<br />
Klassenzimmer von früher angeordnet.<br />
So kann man am Morgen mit einem Croissant in der Hand<br />
<br />
seinen Gedanken an die gute alte Schulzeit nachhängen, bevor man sich<br />
<br />
ins Großstadtleben vor der Tür stürzt.<br />
N 6<br />
N 77<br />
D 965<br />
Collège Hôtel<br />
A26 / E17<br />
5, place Saint Paul<br />
69005 Lyon<br />
Telefon: +33 (0)4 72 10 05 05<br />
A 6<br />
A 5 / E 17 - E 54<br />
A 38<br />
A 31<br />
<br />
<br />
A4 / E50<br />
A 39<br />
<br />
<br />
A 36<br />
A 31<br />
<br />
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A1<br />
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A 4<br />
D 955<br />
N 74<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
A 5<br />
N<br />
A<br />
Internet<br />
www.college-hotel.com<br />
Zimmerpreise<br />
DZ 110 bis <strong>14</strong>0 Euro<br />
A42<br />
<br />
A43/E711<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
A41/E712<br />
A40<br />
<br />
<br />
Hotelausstattung<br />
39 Zimmer, WLAN, Parkplatz<br />
(kostenpflichtig)<br />
A7/E15<br />
<br />
A49/E713<br />
<br />
<br />
<br />
Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong> · 75
Arte-Programm<br />
Montag, 10.03.<strong>2008</strong>, 22.45 Uhr<br />
Aus einem Totenhaus – Leoš Janáček<br />
Oper<br />
30 Jahre nach ihrem « Jahrhundertring » bei den Bayreuther Festspielen<br />
waren Patrice Chéreau und Pierre Boulez im Sommer 2007<br />
wieder gemeinsam am Werk. Ihr Projekt war für beide Neuland: die<br />
1930 uraufgeführte Oper « Aus einem Totenhaus » von Leoš Janáček,<br />
die das Ringen von politischen Strafgefangenen um einen letzten<br />
Rest an Menschenwürde zeigt. Die Erfolgsproduktion der Wiener<br />
Festwochen und des Festivals von Aix-en-Provence wurde im Juli<br />
2007 im Grand Théâtre de Provence für ARTE aufgezeichnet.<br />
Sonntag, 16.03.<strong>2008</strong>, 18.15 Uhr<br />
Mein Leben – André Glucksmann<br />
Dokumentation<br />
Der 70-jährige Philosoph und Essayist André Glucksmann ist einer<br />
der prominentesten französischen Intellektuellen unserer Tage. Als<br />
Sohn jüdisch-österreichischer Emigranten wuchs er unter dem Schutz<br />
seiner mutigen Mutter in einem Pariser Vorort inmitten der deutschen<br />
Besatzer auf. Glucksmann entwickelte sich nach seinem Studium der<br />
Philosophie vom militanten Maoisten der Pariser Mai-Demonstrationen<br />
über den Verfechter einer proletarischen Revolution hin zum<br />
Aufklärer allgemeiner Strukturen von staatlicher Gewalt. Der Mann<br />
mit dem grauen Pagenkopf ist bis heute ein streitbarer Nonkonformist<br />
geblieben. Gero von Boehm sprach mit Glucksmann in Paris und in<br />
Prag, wo der Philosoph bei einem Symposion auf seinen alten Freund<br />
Vaclav Havel traf.<br />
Freitag, 21.03.<strong>2008</strong>, 21.00 Uhr<br />
Leïla, die Tochter des Harki<br />
Spielfilm<br />
1972: Leïla, deren Vater als Algerier auf der Seite der Franzosen<br />
gekämpft hat, lebt mit ihrer Familie wie eingesperrt in einem französischen<br />
Lager. Nur ihr Onkel Ahmed wagt es, das streng geführte<br />
Lager öffentlich als Gefängnis zu bezeichnen, wird kurz danach aber<br />
gewaltsam an einen unbekannten Ort gebracht. Als Leïla eines Tages<br />
auf einem Bauernhof Lebensmittel holt, lernt sie die liebenswürdige<br />
alte Bäuerin Juliette kennen und macht Bekanntschaft mit deren<br />
Enkel Jérôme. Leïla versucht, die Familie zum Verlassen des Lagers<br />
zu bewegen, doch die Eltern bleiben stur. Die Lage spitzt sich zu,<br />
als Onkel Ahmed völlig teilnahmslos ins Lager zurückkommt und<br />
Leïlas Beziehung mit Jérôme auffliegt…<br />
Mehr Informationen zu den Sendungen finden Sie im Arte-Magazin oder unter: www.arte.tv<br />
76 · Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong>
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Art de Vivre Heinrich IV.<br />
Heinrich IV.:<br />
Der gute König<br />
Ein Mann der großen Widersprüche. Ein Mann, der Zeit seines<br />
Lebens für seine Taten geliebt wie gehasst wurde. Ein<br />
Mann, bei dessen Tod das ganze Volk trauerte. Das ist Heinrich<br />
IV., auch Heinrich der Gute genannt. Als visionärer König<br />
und als großer Lebemann hat er sich in das kulturelle<br />
Gedächtnis der Franzosen eingeprägt. Vom friedenstiftenden<br />
Edikt von Nantes bis zum unumgänglichen Poule<br />
au Pot prägt er bis heute die Geschichtsbücher und den<br />
französischen Alltag. Vielen gilt Heinrich IV. noch immer als<br />
ein mythischer, gar als ein idealer Herrscher.<br />
Eine Knoblauchzehe und etwas<br />
Wein, das war der erste Kontakt<br />
des kleinen Henri de Bourbon mit<br />
der Welt. So geschehen am 13. Dezember<br />
1553 im Schloss von Pau nach einer der<br />
ältesten Traditionen des Béarn: Der Großvater<br />
berieb die Lippen des Kleinen mit<br />
Knoblauch und ließ ihn den Duft eines<br />
Glases Jurancon-Weines inhalieren. Daraufhin<br />
bekam der Säugling seine neue<br />
Wiege, den Panzer einer Meeresschildkröte.<br />
So dachte man im Jahre 1553, seine<br />
Kinder für die Zukunft zu wappnen.<br />
78 · Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong>
Die Mutter, Jeanne d’Albret, spätere Königin von Navarra, war<br />
eine ehrgeizige Hugenottin, die Heinrich zunächst im Geist der<br />
Protestanten erzog. Es war die Zeit der Religionskriege, zu der das<br />
Gebiet des heutigen Frankreich in mehrere Fürstentümer geteilt<br />
war. Der Vater, Antoine de Bourbon und hochrangiges Mitglied des<br />
katholischen französischen Königshauses, brachte ihn aber 1560 an<br />
den Hof nach Saint-Germain-en-Laye bei Paris, wo er eine katholische<br />
Erziehung genoss. 1572 bereits kehrte Heinrich nach Navarra<br />
zurück und folgte seiner Mutter auf den Thron als König Heinrich<br />
III. Er konvertierte wieder zum Protestantismus und regierte ein<br />
Königreich, in dem bereits seine Mutter den Calvinismus zur offiziellen<br />
Staatsreligion erklärt hatte.<br />
Heinrich, der sich um die Versöhnung von Katholiken und<br />
Protestanten bemühte, heiratete 1572 die katholische Marguerite<br />
de France, die Schwester des französischen Königs Charles IX.,<br />
die spätere Reine Margot. Von der Hochzeit berichtet eine der<br />
berühmten Anekdoten, die später über das Leben Heinrichs kursieren<br />
werden: Marguerite wollte von niemand anderem als einem<br />
Priester getraut werden, doch Heinrich als Protestant weigerte<br />
sich, eine Kathedrale zu betreten. So musste die Trauung in Paris<br />
im Freien auf dem Vorplatz von Notre-Dame abgehalten werden.<br />
Doch weniger amüsante Ereignisse holten die vorsichtige Annäherung<br />
der Religionen wieder ein und setzten den Feierlichkeiten<br />
ein vorzeitiges und furchtbares Ende. Noch während der Feiern,<br />
am 24. August 1572, der berüchtigten Bartholomäus-Nacht, metzelten<br />
katholische Bürger in Paris 3.000 Protestanten nieder. Bis<br />
zu 10.000 weitere Opfer gab es in den Provinzen. Heinrich war<br />
gezwungen, wieder zum Katholizismus überzutreten und wurde<br />
jahrelang im Louvre als Staatsgefangener festgehalten. Vier Jahre<br />
später nutzte er die Gelegenheit zur Flucht und kehrte 1576 nach<br />
Navarra zurück, wo er umgehend erneut den protestantischen<br />
Glauben annahm.<br />
Doch das wundersame Schicksal des Heinrich wollte es, dass<br />
der Bruder des französischen Königs starb und keine Nachkommen<br />
hinterließ. Doch auch der König selbst war kinderlos, und so blieb<br />
ausgerechnet Heinrich III. von Navarra in der Thronfolge der einzige<br />
legitime Nachfolger des französischen Königs. Noch kurz vor<br />
seinem Tod 1589 erkannte dieser Heinrich offiziell als legitimen<br />
Thronfolger an. So wurde Heinrich III. von Navarra 1589 der neue<br />
König von Frankreich, genannt Heinrich IV., und vereinigte Navarra<br />
wieder mit dem französischen Stammland.<br />
Heinrich IV. war am Anfang seiner Re gent schaft einer jener<br />
Herr scher, die sich als König ohne Land be zeich nen lassen mussten.<br />
Zwar hatte er von seinem Cousin den fran zö si schen Thron<br />
über nom men, doch be fand sich Frankreich in schweren Konflikten<br />
mit den Spaniern. Aber schlimmer noch, das französische Volk,<br />
über wie gend katholischen Glau bens, wollte keinen pro tes tantischen<br />
König. Drei Viertel der Fran zosen akzeptierten ihn nicht<br />
als den ihren. So war sein Schicksal fest mit dem des krisen geschüttelten<br />
Landes ver bunden, das, wie der Rest Europas, unter<br />
d e n R el ig io n sk r i e g e n ä c h z t e .<br />
So galt es für Heinrich IV., sich Anerkennung zu verschaffen<br />
und sich in der Innenpolitik durchzusetzen. Die königstreuen Katholiken<br />
forderten von ihm, den protestantischen Glauben wieder<br />
abzulegen, von ihm, der bereits im Alter von neun Jahren dreimal<br />
die Religion zu wechseln gezwungen wurde. Er weigerte sich, doch<br />
Oben: Heinrich der Gute wurde gerne gezeigt, wie er<br />
seinem Volk nahe ist und er die Gesellschaft einfacher<br />
Menschen um sich genoss. Unten: Die Geburt von<br />
Heinrich IV., Gemälde von Eugène Devéria (1805-1865).<br />
Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong> · 79
Art de Vivre Heinrich IV.<br />
Im Schloss von Pau ist heute ein Museum<br />
untergebracht. Ab 1838 initierte Ludwig-Philippe<br />
Restaurierungsarbeiten, die die Pracht aus der Zeit<br />
von Heinrich IV. wieder in den Vordergrund stellte.<br />
Der Panzer einer Meeresschildkröte soll als<br />
Wiege für Heinrich IV. gedient haben. Sie kann<br />
heute im Schloss von Pau besichtigt werden.<br />
ließ er in einer Erklärung erkennen, dass er auch den Katholizismus<br />
respektieren würde. Den Katholiken genügte das nicht. So musste<br />
er doch den entscheidenden Schritt tun – am 25. Juli 1593 schwor er<br />
in der Église de Saint-Denis, der Grabstätte der französischen Könige,<br />
dem Protestantismus ab, empfing wenig später in Chartres die<br />
Königsweihe und sicherte sich endlich die Unterstützung von Klerus<br />
und katholischer Bevölkerung.<br />
Die Protestanten ihrerseits forderten nun die Freiheit ihrer Religionsausübung.<br />
Die gewährte ihnen Heinrich IV. schließlich weitgehend<br />
durch das Edikt von Nantes, das in Frankreich die Religionskriege<br />
beenden und dem Land den ersehnten Frieden bringen sollte.<br />
Dieser zweifellos größte Erfolg Heinrich IV. trug ihm im Volk<br />
den Titel des Roi de la Paix retrouvée ein, des « Königs des wiedergefundenen<br />
Frie dens ».<br />
Bildnisse und Überlieferungen von Heinrich IV. zeugen von<br />
einem anziehenden, leutselig lächelnden König, der die Menschen<br />
für sich einzunehmen wusste. Doch manche Darstellungen kippen<br />
auch ins Karikierende. Sein Wort von dem Huhn, dem Poule au<br />
Pot, das jeder Bauer am Sonntag in seinem Topf haben solle, reizte<br />
die Spötter. Denn trotz dieses hehren Anspruches litt auch unter<br />
der Regentschaft von Heinrich IV. die Landbevölkerung bitteren<br />
Hunger.<br />
Dabei soll er gesagt haben: « Der Ackerbau und die Viehhaltung,<br />
das sind die Brüste Frankreichs. » Doch die Realität war weit<br />
weniger idyllisch, die Krise der Landbevölkerung viel realer und<br />
das berühmte Huhn bei weitem seltener auf den Speiseplänen der<br />
Bauern, als vom König zugegeben. Dieser ließ sich auch von den<br />
vielen Bauernrevolten nicht überzeugen. Der englische Botschafter<br />
Carem schrieb 1609: « Man setzt die französischen Bauern so sehr<br />
unter Abgabenzwang und lässt ihnen kaum etwas zum leben (...),<br />
dass man ihnen lieber keine Waffen in die Hand geben möge. »<br />
Schon damals und weit vor seiner Zeit wusste Heinrich der Gute,<br />
dass er, um regieren zu können, sein Volk mit Parolen verführen<br />
musste. Mit Schlagworten, die von jedem verstanden werden und die<br />
sich schnell im Reich verbreiten lassen. Die Werbeleute von heute<br />
werden dieser Erkenntnis kaum etwas hinzuzufügen haben. Sein berühmtestes<br />
Bonmot ist zweifellos der Satz, den er aus Anlass seines<br />
mittlerweile sechsten (und erzwungenen) Religionswechsels sprach:<br />
« Paris ist eine Messe wert ». Mögen inzwischen einige Historiker<br />
bezweifeln, dass der Ausspruch direkt von Heinrich stammt, hat er<br />
doch Eingang gefunden in die Liste der berühmtesten Sprichworte<br />
der Franzosen.<br />
Die Regentschaft des Bon Roi Henri hat aus heutiger Sicht etwas<br />
verblüffend Modernes. Heinrich IV. war der erste französische Herrscher,<br />
der sich auf geschickte politische Kommunikation verstand.<br />
Dass er auch heute noch in der Bevölkerung populär ist, hängt nicht<br />
zuletzt von dieser Begabung ab. Es lässt sich bei einem französischen<br />
Staatsoberhaupt dieser Tage beobachten, dass auch er von der Lehre<br />
« Regieren durch Inszenierung » viel verstanden hat. Denn betrachtet<br />
man die französische Presse der letzten Monate, scheint Präsident<br />
Sarkozy die Mittel der Inszenierung genauso geschickt anzuwenden<br />
zu wissen wie einst Heinrich IV.<br />
Wurde Heinrich IV. von der verarmten Landbevölkerung nicht<br />
in bester Erinnerung behalten, taten es die Städter umso mehr.<br />
Ambitioniert wie Heinrich war, förderte er auch Architektur und<br />
Künste. Für Paris, das er als absolute Hauptstadt seines Reiches<br />
80 · Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong>
ansah, entwarf er einen riesigen neuen Platz, den Königsplatz, der<br />
heutige Place des Vosges im Marais. Er erneuerte außerdem die<br />
Place Dauphine und ließ 1609 den berühmten Pont Neuf erbauen.<br />
Auch im Louvre wirkte er – die Große Galerie geht auf seine Pläne<br />
zurück.<br />
Der Städte- und Landschaftsbau galt Heinrich IV. als Grundpfeiler<br />
politischen Handelns. So ließ er große neue Transportwege<br />
schaffen, die die Landschaft bis heute prägen. Der Kanal von Briare<br />
zwischen der Loire und der Seine gibt davon ein beredtes Beispiel,<br />
ist er doch die erste Flussverbindung, die in Europa gebaut wurde.<br />
Doch gebaut wurde nicht nur vom König. In ganz Frankreich wurden<br />
während seiner Regentschaft neue Schlösser und Residenzen<br />
errichtet, die vom Reichtum der französischen Oberschicht zeugten.<br />
In vielen Regionen ließen sich die Neureichen oder jene, die ihren<br />
Reichtum vorher nicht offen zeigen mochten, neue, größere und<br />
schönere Herrenhäuser erbauen. Auch Handwerk und Industrie profitierten<br />
von dieser Lust am Reichtum. Es entstanden die Gobelin-<br />
Manufakturen, die Glasbläserei von Melun, die Seidenfabriken in<br />
Dourdan, die Spitzenklöppelei von Senlis... Frankreich begann sich<br />
in Sachen Luxus einen Namen zu machen. Was nicht zuletzt Heinrichs<br />
Verdienst war.<br />
Diesem Mann, der als Jugendlicher Nostradamus getroffen und<br />
von ihm die Königswürde Frankreichs vorhergesagt bekommen<br />
hatte, rieten im Mai 1610 die Astrologen zur Vorsicht. Die Sterne<br />
stünden ungünstig und im Park des Louvre sei ein Baum ohne erkennbare<br />
Gründe umgestürzt. Alles dunkle Vorzeichen? Der König<br />
ignorierte die Ratschläge und fuhr am <strong>14</strong>. Mai 1610 in offener Karosse<br />
zu einer Besprechung mit seinem Minister Sully.<br />
In der engen Pariser Rue de la Ferronnerie verkeilten sich zwei<br />
Gespanne, und während die Kutsche des Königs warten musste,<br />
sprang ein Mann herbei und stach den König mit drei Stichen nieder.<br />
Es war das 18. Attentat auf den König. Dieses sollte Erfolg<br />
haben. Noch in der Kutsche auf dem Weg zurück in den Louvre<br />
erlag Heinrich IV. seinen Verletzungen. Der Attentäter, François<br />
Ravaillac, gab später an, den König von seinen Kriegsplänen gegen<br />
Habsburg habe abbringen wollen. Noch drei Tage zuvor hatte<br />
Heinrich IV. seine Frau Marie de Médicis in der Basilika von<br />
Saint-Denis zur Königin krönen lassen, damit sie während seines<br />
Kriegszuges die Regierungsgeschäfte übernähme. Das tat sie nun<br />
tragisch früh, und Frankreich trat unter ihrer Regentschaft in den<br />
Krieg ein, der später als der Dreißigjährige in die Geschichte eingehen<br />
würde.<br />
Das außergewöhnliche Leben Heinrich IV., seine Rolle als<br />
Friedensstifter und seine besondere Fähigkeit zur politischen Kommunikation<br />
machen aus ihm einen der großen Könige Frankreichs.<br />
Ein anders denkender, ein irgendwie moderner König, der sich in<br />
den schwierigsten Zeiten Frankreichs ein Image zu geben wusste,<br />
das Jahrhunderte überdauerte und den Mythos des Bon Roi Henri bis<br />
heute nährt. Wenn gegenwärtige Präsidenten sich hin und wieder<br />
daran bedienen, unbewusst selbstverständlich, wer kann es ihnen<br />
verdenken? So etwa Jacques Chirac, in den 1980er-Jahren noch Bürgermeister<br />
von Paris, als er ankündigte, in den reinigenden Wassern<br />
der Seine baden zu wollen, um sich für eine große Zukunft vorzubereiten.<br />
Gleiches tat aus diesen Gründen schon Heinrich IV. am<br />
Quai Saint-Bernard. Zu seiner Zeit noch unbekleidet, so wie ihn die<br />
Natur geschaffen hatte.<br />
Die königlichen Gemächer.<br />
Das Nationale Museum im Schloss von Pau,<br />
Geburtshaus von Heinrich IV. am Fuße der Pyrenäen,<br />
ist idealer Ausgangsort für eine Reise auf den Spuren<br />
des « guten Königs ». Dort ist auch die Wiege aus<br />
Schildkrötenpanzer zu bestaunen.<br />
Musée national du Château de Pau<br />
64000 Pau<br />
Telefon: +33 (0)5 59 82 38 02<br />
Besuch nur mit Führung (ca. 1 Std. 15 Min.)<br />
Eintritt kostenlos<br />
Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong> · 81
Art de Vivre Kulturprogramm<br />
Schenkung<br />
Alice Tériade<br />
Le Cateau-Cambrésis, dauerhaft<br />
L’Enfer de la<br />
Bibliothèque<br />
Paris, bis 22.03.<strong>2008</strong><br />
Salon du Livre<br />
Paris, <strong>14</strong>. – 19.03.<strong>2008</strong><br />
Mit 39 Werken ist die Sammlung<br />
von Alice Tériade eine der wichtigsten<br />
Schenkungen der modernen<br />
Kunst, die ein Museum außerhalb<br />
von Paris in den letzten 20 Jahren<br />
erhalten hat. « Unsere Familie, das<br />
waren die Künstler. Das waren<br />
Chagall oder Picasso, die sonntags<br />
zum Mittagessen in die Villa Natache<br />
kamen. Wir wussten nie, wie<br />
viele kommen würden », erklärte<br />
Alice Tériade einmal, die im Alter<br />
von 32 Jahren ihren Ehemann, der<br />
bereits Kunstverleger war, traf und<br />
seitdem seine Liebe zur Kunst teilte.<br />
Die Schenkung nach ihrem Tod<br />
umfasst Werke von Miró, Giacometti,<br />
Picasso und Chagall.<br />
Musée Matisse<br />
Palais Fénelon<br />
11, place du Commandant<br />
Edouard Richez<br />
59360 Le Cateau-Cambrésis<br />
Telefon: +33 (0)3 27 84 64 50<br />
Internet<br />
www.tourisme-lecateau.fr<br />
Öffnungszeiten<br />
Mi – Mo 10.00 – 18.00 Uhr<br />
Eintrittspreise<br />
4,50 €, ermäßigt 3,00 €<br />
« L’Enfer » (deutsch: die Hölle) bezeichnet<br />
in der französischen Nationalbibliothek<br />
einen mythischen<br />
Ort, an dem alle Texte und Bilder<br />
aufbewahrt werden, die gegen « die<br />
guten Sitten » verstoßen. Die Ausstellung<br />
befasst sich einerseits mit<br />
dem historischen Kontext der Abteilung.<br />
Wie kam es zu dieser Abteilung?<br />
Wie hat sie sich im Laufe<br />
der Zeit verändert? Andererseits<br />
geht es um die Werke selbst. Welche<br />
Bücher, Dokumente und Bilder<br />
werden dieser Abteilung konkret<br />
zugeordnet? Die Exposition ist eine<br />
einmalige Chance, eine der bizarrsten<br />
Sammlungen der Bibliothek zu<br />
entdecken.<br />
Bibliothèque Nationale de France<br />
Site François Mitterrand<br />
Quai François-Mauriac<br />
75013 Paris<br />
Telefon: +33 (0)1 53 79 59 59<br />
Internet<br />
www.bnf.fr<br />
Öffnungszeiten:<br />
Di – Sa 10.00 – 19.00 Uhr<br />
So 13.00 – 19.00 Uhr<br />
Eintrittspreise<br />
7,00 €, ermäßigt 5,00 €<br />
Die Pariser Buchmesse ist ein wichtiger<br />
Termin im Jahreskalender der<br />
Verleger, Autoren und Leseratten.<br />
Gerade als Laie hat man die Möglichkeit,<br />
sich auf der Buchmesse<br />
wie in einer überdimensionalen<br />
Bibliothek oder in einem riesigen<br />
Buchladen zu fühlen. Doch auch für<br />
das Fachpublikum ist die Veranstaltung<br />
ein wichtiger Treffpunkt unter<br />
Kollegen. Dieses Jahr ist Israel das<br />
Partnerland der Buchmesse. Rund<br />
40 hebräischsprachige Schriftsteller<br />
werden aus diesem Anlass in Paris<br />
erwartet. Neu ist dieses Jahr ein Village<br />
Manga, wo auch Zeichen- und<br />
Japanischkurse angeboten werden.<br />
Palais des Expositions – Hall 1<br />
Porte de Versailles<br />
75015 Paris<br />
Telefon: +33 (0)1 44 41 40 50<br />
Internet<br />
www.salondulivreparis.com<br />
Öffnungszeiten<br />
Fr & So 9.30 – 19.00 Uhr<br />
Sa 9.30 – 20.00 Uhr<br />
Di 9.30 – 22.00 Uhr<br />
Mi 9.30 – 17.00 Uhr<br />
Eintrittspreis<br />
5,00 €<br />
82 · Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong>
Meisterwerke<br />
der Sammlung<br />
Barbier-Mueller<br />
Paris, 19.03. – 24.08.<strong>2008</strong><br />
Vorführungen<br />
der Cadre Noir<br />
Saumur, 03.04 – 09.10.<strong>2008</strong><br />
24 Stunden von<br />
Le Mans (Motorrad)<br />
Le Mans, 19. & 20.04.<strong>2008</strong><br />
Die Meisterwerke einer der schönsten<br />
privaten Sammlungen afrikanischer<br />
und ozeanischer Kunst der<br />
Welt, der Sammlung Barbier-Mueller,<br />
werden ab dem 19. <strong>März</strong> bis<br />
zum August im Musée Jacquemart-<br />
André in Paris präsentiert. Die Ausstellung<br />
vereint zum ersten Mal die<br />
100 außergewöhnlichsten Exponate<br />
der Sammlung, darunter Statuen,<br />
Masken, Totems, Hauben, Helmschmuck,<br />
Zepter etc., und sie zeigt<br />
die hohe Kreativität und technischen<br />
Fertigkeiten der afrikanischen<br />
und ozeanischen Völker seit dem 9.<br />
Jahrhundert v. Chr. Darüber hinaus<br />
ist das Musée Jacquemart-André in<br />
einem schönen Stadtpalais unweit<br />
der Champs-Elysée untergebracht,<br />
der allein ein Besuch wert ist.<br />
Musée Jacquemart-André<br />
158, boulevard Haussmann<br />
75008 Paris<br />
Telefon: +33 (0)1 45 62 11 59<br />
Internet<br />
www.musee-jacquemart-andre.com<br />
Öffnungszeiten<br />
Täglich 10.00 – 18.00 Uhr<br />
Eintrittspreise<br />
10,00 €, ermäßigt 7,30 €<br />
Der Cadre Noir von Saumur ist<br />
Frankreichs berühmteste Reitschule<br />
und eine der besten der Welt. Das reiterliche<br />
Können der zivilen und militärischen<br />
Ausbilder und Elitereiter ist<br />
Spitzenklasse. Regelmäßig werden<br />
öffentlich zugängliche Vorführungen<br />
gegeben, die bei allen Pferdenarren<br />
sehr beliebt sind. Es ist eine<br />
kurzweilige Gelegenheit, rund eine<br />
Stunde lang mehr über die Reitkunst<br />
à la française zu erfahren, die zwar als<br />
sehr, teilweise zu akademisch gilt,<br />
deren Schönheit und Präzision aber<br />
immer wieder aufs Neue fasziniert.<br />
Nicht nur Pferdenarren kommen bei<br />
der Vorführung auf ihre Kosten.<br />
Ecole Nationale d’Equitation<br />
Saint-Hilaire-Saint-Florent<br />
49411 Saumur<br />
Telefon: +33 (0)2 41 53 50 81<br />
Internet<br />
www.cadrenoir.fr<br />
Vorführungszeiten<br />
03. & 10. & 24.04<br />
Jeweils um 10.30 Uhr<br />
Termine für andere Monate im Internet<br />
konsultierbar<br />
Eintrittspreise<br />
15,00 €, Kinder bis 12 Jahre 8,00 €<br />
In der 31. Ausgabe des mythischen<br />
24-Stunden-Rennens von Le Mans<br />
werden die Teilnehmer den neuen<br />
Verlauf des Bugatti-Rundkurses<br />
kennenlernen. Die Veranstaltung<br />
ist Teil der Langstrecken-WM des<br />
Motorradrennsports. BMW wird<br />
erstmals im Kampf um den Weltmeisterschaftstitel<br />
teilnehmen. In<br />
Le Mans ist ohnehin festzustellen,<br />
dass immer mehr Konstrukteure,<br />
wie beispielsweise Suzuki, der<br />
aktuelle Weltmeister, Kawasaki,<br />
Yamaha und Honda, in den letzten<br />
Jahren ein Werksengagement<br />
übernommen haben. Ein Sieg in<br />
Le Mans zählt unverändert zu den<br />
prestigeträchtigsten. Für den Besucher<br />
ist es zudem eine Chance, viele<br />
andere Motorradbegeisterte aus der<br />
ganzen Welt zu treffen.<br />
Circuit des 24 Heures du Mans<br />
72000 Le Mans<br />
Telefon: +33 (0)8 92 69 72 24<br />
Internet<br />
www.lemans.org<br />
Eintrittspreise<br />
Vorverkauf bis 30.03. 47,00 €, danach<br />
53,00 €, Zuschauertribüne 13,00 €,<br />
Probeläufe 15,00 €<br />
Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong> · 83
Art De Vivre Kulturszene<br />
Zazie: Totem<br />
CDs<br />
Zazie gewann schon diverse Musikpreise und füllte bereits<br />
große Konzertsäle. Auch ihr sechstes Album wird mit Sicherheit<br />
an diesen Erfolg anknüpfen. Dabei ist die Sängerin stets ihren<br />
politischen Überzeugungen treu geblieben und scheut sich<br />
auch nicht, mit Liedtexten zu gesellschaftspolitischen Fragen<br />
Stellung zu nehmen. CD von Mercury<br />
Jeanne Cherhal: L’eau<br />
Jeanne Cherhal sagt von sich selbst, dass sie ein großer Fan von Björk und Tori Amos sei.<br />
Der Sound ihrer Musik zeigt deshalb wohl nicht ohne Grund Ähnlichkeiten zu diesen beiden<br />
Sängerinnen. Wie der Titel bereits nahe legt, dreht sich beim neuen Album « L’eau » alles ums<br />
Wasser. Es ist das dritte ihrer Karriere, mit dem sie nun auch den deutschsprachigen Markt<br />
erobern möchte. Eine Deutschland-Tournee ist für dieses Jahr in Planung. CD von Le Pop Musik<br />
Claude François: Best of<br />
Am 11. <strong>März</strong> 1978 wurde Claude François in seiner<br />
Pariser Wohnung tot aufgefunden. Um seinen Tod<br />
ranken sich bis heute zahlreiche Spekulationen. Der<br />
30. Todestag ist für die Musikbranche jedenfalls Grund<br />
genug, mal wieder ein Album mit seinen größten<br />
Hits zu veröffentlichen. Die neue Kompilation gibt es<br />
einmal mit zwei CDs und einmal in limitierter Auflage<br />
mit drei CDs. CD von Warner Music<br />
Buch<br />
Jonathan Littell: Die Wohlgesinnten<br />
Roman, 1.300 Seiten, Berlin Verlag<br />
Fiktive Lebenserinnerungen eines Offiziers der Waffen-SS, der für die Organisation<br />
der Verfolgung und Vernichtung der Juden zuständig war. Auch Jahre später zeigt<br />
der Protagonist, der sich nach dem Zweiten Weltkrieg in die sichere Existenz eines<br />
Fabrikdirektors in Frankreich gerettet hat, keine Reue, sondern bedauert vielmehr, seine<br />
Mission nicht vollständig erreicht zu haben. Das Buch ist ein erschreckend detailgetreuer<br />
Roman über die Verbrechen der Nazis, konsequent erzählt aus der Perspektive eines<br />
Täters. Das Erstlingswerk von Jonathan Littel, der in New York geboren wurde und in<br />
Frankreich aufwuchs, rüttelt auf und sorgte in Frankreich für Furore. Nun ist das Werk<br />
auch in deutscher Übersetzung erschienen.<br />
84 · Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong>
Actrices<br />
Frankreich 2007, 107 min • Originaltitel: Actrices • Ein Film von Valeria Bruni-<br />
Tedeschi mit Valeria Bruni-Tedeschi, Noémie Lvovsky, Mathieu Amalric,<br />
Valeria Golino, Louis Garrel, Marisa Borini • Kinostart: 10. <strong>April</strong> <strong>2008</strong>, im<br />
Verleih von Piffl Medien<br />
Filme<br />
Während Carla Bruni gerade Schlagzeilen an der Seite von Nicolas<br />
Sarkozy macht, erscheint ihre Schwester Valeria auf der Leinwand.<br />
Es ist zudem ihr erster Film, in dem sie sowohl vor als auch hinter der<br />
Kamera steht. In dem autobiografisch inspirierten Film geht es um eine<br />
Schauspielerin, die in der Mitte ihres Lebens nach dessen Sinn sucht.<br />
Caramel<br />
Libanon/Frankreich 2007, 96 min • Originaltitel: Caramel • Ein Film<br />
von Nadine Labaki mit Nadine Labaki, Yasmine Al Masri, Joanna<br />
Mouzkarzel, Gisèle Aouad, Siham Haddad • Kinostart: 3. <strong>April</strong> <strong>2008</strong>,<br />
im Verleih von Alamode<br />
DVD<br />
Fünf Frauen, die sich regelmäßig in einem Schönheitssalon in Beirut treffen, um sich über<br />
ihr Leben und die Liebe auszutauschen, sind auf der Suche nach einem kleinen Stück vom<br />
großen Glück. Zwischen Haarschnitten und Kosmetikbehandlungen vertrauen sie sich ihre<br />
verborgensten Wünsche und tiefsten Geheimnisse an, hin- und hergerissen zwischen der<br />
Tradition des Ostens und der Moderne des Westens.<br />
Nur eine Frage der Liebe<br />
Frankreich 2000, 88 min • Originaltitel: Juste une question d’amour • Ein Film von<br />
Christian Faure mit Cyrille Thouvenin, Stéphan Guerin-Tillié, Eva Darlan • DVD (OmU),<br />
erschienen bei Salzgeber<br />
Der junge Laurent führt ein klassisches Doppelleben: Seinen Eltern gegenüber gibt er<br />
vor, mit der hübschen Carole zusammenzuleben, obwohl seine große Liebe Cédric<br />
gilt. Ein Versteckspiel, das nicht ewig andauern kann... « Nur eine Frage der Liebe » war<br />
der erste Film, der im französischen Fernsehen zur Hauptsendezeit die Liebe zwischen<br />
zwei Männern vor einem Massenpublikum thematisierte. Die beiden männlichen<br />
Hauptdarsteller wurden danach mit Liebesbriefen geradezu überschüttet. Nun ist der<br />
Film in Deutschland auf DVD erschienen. Eine sehenswerte, rührende Liebesgeschichte,<br />
selbst wenn man von der Problematik gar nicht betroffen ist.<br />
Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong> · 85
Art de vivre Wein<br />
Die Kunst,<br />
ein perfektes Weinfass<br />
Beim Anblick schöner Weinflaschen<br />
denken wenige darüber<br />
nach, dass der edle Tropfen<br />
zuvor in Fässern gereift ist. Dabei<br />
ist gerade die Beschaffenheit<br />
dieser Fässer von größter<br />
Bedeutung für die spätere<br />
Weinqualität. Die besten<br />
Weine reifen immer noch in<br />
kostbaren Eichenfässern. Einige<br />
der renommiertesten Böttchereien<br />
befinden sich in<br />
Frank reich.<br />
herzustellen<br />
Wir sind am Hauptsitz des Unternehmens Nadalié<br />
in Blanquefort im Departement Gironde verabredet.<br />
Auf den ersten Blick unterscheidet sich die<br />
Fabrik nicht besonders von anderen Produktionsstätten der<br />
Region. Wie viele Unternehmen im Bordelais liegt auch diese<br />
Firma inmitten von Weinstöcken. Doch bei Nadalié handelt<br />
es sich um mehr als eine gewöhnliche Fabrik. Hier wird etwas<br />
hergestellt, was zum kulturellen und industriellen Erbe der<br />
Weinbauregion gehört: Weinfässer. Die Böttcherei, die nun<br />
schon in der fünften Generation der Familie Nadalié betrieben<br />
wird, kann dabei auf eine lange Tradition zurückblicken.<br />
Als wir das Werksgelände betreten, fällt uns ein großes<br />
Depot unter freiem Himmel auf, wo Hunderte von Paletten<br />
säuberlich zugeschnittener Holzbretter lagern, dem Fachmann<br />
unter dem Namen Rohdauben bekannt. Dieses Lager<br />
ist ein wenig wie der Schatz der Böttcherei, auf jeden Fall<br />
enthält es ihren wichtigsten Rohstoff. Das Holz stammt<br />
86 · Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong>
überwiegend aus französischen Wäldern, aber<br />
auch aus Osteuropa und den Vereinigten Staaten<br />
von Amerika. Wenn man sich den Rohdauben nähert,<br />
stellt man fest, dass es sich nicht um irgendeine<br />
Holzart handelt. Nur wertvolles Eichenholz<br />
wird in der Böttcherei verarbeitet. Die Rohdauben<br />
sind sorgfältig gestapelt und werden regelmäßig<br />
mit einem starken Wasserstrahl befeuchtet. Sie<br />
lagern zwei Jahre lang unter freiem Himmel, den<br />
Launen des Wetters mit Sonne, Regen und Kälte<br />
ausgesetzt, damit das Holz die bittersten Tannine<br />
verliert. Wegen der langen Lagerzeit nimmt das<br />
Depot beeindruckende Ausmaße an.<br />
In der Böttcherei werden jeden Tag zwischen<br />
150 und 200 Fässer gefertigt. Die Größen sind<br />
dabei ganz unterschiedlich: 300, 500, 600 Liter.<br />
Zu den Paradeprodukten des Unternehmens gehört<br />
aber natürlich auch das traditionelle 225 Liter<br />
fassende Eichenfass, das in Frankreich als barrique<br />
bordelaise, in Deutschland meist nur barrique genannt,<br />
bekannt ist. Das Fassungsvermögen entspricht<br />
dem Inhalt von 300 Weinflaschen. Wie bei<br />
der Haute Couture werden in der Böttcherei aber<br />
auch Fässer nach individuellem Kundenwunsch<br />
hergestellt. Die gesamte Produktion erfolgt ohnehin<br />
in Einzelanfertigung nach Bestellung.<br />
Dennoch braucht der Kunde nicht länger als zwei Wochen<br />
auf sein Fass zu warten, obwohl die Auftragsbücher voll<br />
sind. Da die Weinfässer zudem weltweit vermarktet werden,<br />
kann die Böttcherei eine regelmäßige Auslastung des<br />
Betriebs gewährleisten. Irgendwo auf der Welt ist immer<br />
gerade Weinlese – ein Glücksfall für das Unternehmen.<br />
Als wir das Werk besichtigen, warten gerade 152 Fässer<br />
auf ihren Abtransport in Richtung Napa Valley in den<br />
USA. Allein die Transportkosten einer solchen Bestellung<br />
belaufen sich auf 5.000 Euro. Hinzu kommen natürlich<br />
noch die Kosten für die Fässer: 600 Euro für ein barrique<br />
bordelaise aus französischem Eichenholz, die Hälfte, wenn<br />
Oben und Mitte: Die Rohdauben müssen zwei Jahre lang unter freiem<br />
Himmel lagern. Unten: Fässer, die auf Ihre Weiterverarbeitung warten.<br />
das Holz aus den Vereinigten Staaten von Amerika stammt.<br />
Die Weinwelt ist sich aber darüber einig, dass die in französischem<br />
Eichenholz vorhandenen Tannine konkurrenzlos<br />
sind und die besten Voraussetzungen für einen zukünftigen<br />
Grand Cru bilden. Summa summarum kommt bei einem<br />
solchen Auftrag also ein stattlicher Betrag zusammen. Einen<br />
solchen Aufwand würde man sicherlich nicht für einen<br />
einfachen Wein betreiben. Qualität hat ihren Preis.<br />
Hinzu kommt, dass die Brauchbarkeit der Weinfässer<br />
aus Holz, selbst der teuersten, limitiert ist. Maximal drei<br />
Jahre lang können sie von einem Winzer verwendet werden.<br />
Bei der Weinreifung kommt es auf das Zusammenspiel<br />
Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong> · 87
Art de Vivre Wein<br />
zwischen dem Wein und dem Fass<br />
an. Durch den Kontakt findet ein<br />
Austausch mit den Tanninen des<br />
Holzes statt. Neuere Fässer geben<br />
dem Wein einen stärkeren Holzgeschmack<br />
als ältere. So geben Fässer<br />
im ersten Jahr rund die Hälfte<br />
ihrer Tannine ab, im zweiten Jahr<br />
nur noch ein Viertel und im dritten<br />
Jahr zehn Prozent. Außerdem<br />
erlauben die Holzfässer einen minimalen<br />
Luftaustausch, wodurch<br />
der Geschmack des Weines ebenfalls<br />
beeinflusst wird. Die Qualität<br />
eines Fasses ist also von größter<br />
Bedeutung für die Qualität eines<br />
Weines. Ein französisches Sprichwort<br />
besagt, dass gute Suppen<br />
immer in guten Töpfen gemacht<br />
wurden. Das Prinzip scheint auch<br />
für die Weinherstellung zu gelten.<br />
« Wir betreiben hier eines der ältesten<br />
Metiers der Weinwelt, schon<br />
die Gallier kannten Holzfässer »,<br />
erzählt uns Denis Sabouret, Chef<br />
der Böttcherei. « Allerdings haben<br />
sich die Produktionsmethoden<br />
im Laufe der Zeit stark verändert.<br />
Dabei gab es auch diverse Versuche<br />
bei der Wahl der Rohstoffe.<br />
In den 1970er-Jahren testete man<br />
gerne Fässer aus Edelstahl anstatt<br />
aus Holz. Man stellte aber schnell<br />
fest, dass der Wein nicht mehr der<br />
gleiche war. Seitdem haben wir<br />
auch besser das Zusammenspiel<br />
zwischen dem Fass und dem Wein<br />
begriffen. »<br />
Heute zeichnet sich das Gewerbe<br />
aber nicht nur durch seine traditionellen<br />
Wurzeln, sondern auch<br />
seine große Internationalität aus.<br />
In der Böttcherei Nadalié produziert<br />
man für die Weine der ganzen<br />
Welt. Man besitzt sogar eine Fabrik<br />
in Kalifornien und eine andere<br />
in Chile. Doch egal, ob es sich um<br />
einen Winzer aus der neuen Welt<br />
oder aus dem Bordelais handelt,<br />
jeder Kunde bekommt die gleiche<br />
Qualität geboten. Selbst wenn nur<br />
rund zwei Prozent der weltweiten<br />
Weinproduktion in Holzfässern<br />
reift, so handelt es sich um die zwei<br />
Prozent der renommiertesten Weine.<br />
Ein Umstand, der verpflichtet.<br />
Mit Feuer und Wasser werden die Fässer geformt.<br />
Dieser kritische Arbeitsschritt heißt Toasten.<br />
88 · Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong>
Dies bedeutet auch, dass man etwas vom<br />
Weinanbau verstehen muss. « Es gehört zu<br />
unserer Aufgabe, dem Winzer zuzuhören,<br />
uns mit ihm austauschen zu können », erklärt<br />
uns Denis Sabouret etwas später. « Wir müssen<br />
verstehen können, welche Bedürfnisse ein<br />
Winzer genau hat, wie er seinen Wein entwickeln<br />
möchte, welche Ziele er sich setzt. Wir<br />
sind dafür da, bei der Geburt von etwas zu<br />
helfen. » Der Böttcher ist also eine Art Hebamme<br />
des Weinanbaus.<br />
Neben den verschiedenen Etappen der<br />
Fassherstellung, die allesamt überwiegend auf<br />
Handarbeit beruhen, beeindruckt uns beim<br />
anschließenden Rundgang vor allem ein Fertigungsschritt:<br />
das Erwärmen der Fässer, das<br />
auch Toasten genannt wird. In diesem Arbeitsschritt<br />
sind die Fässer bereits zusammengesetzt<br />
und werden auf einem Feuer bei gleichzeitigem<br />
Einsatz von Wasser in Form gebracht. Es ist<br />
ein sehr heikler Moment im Produktionsprozess,<br />
in dem sich entscheidet, welche Auswirkungen<br />
das Fass auf die Weinreifung haben<br />
wird. Manchmal kommen die Winzer extra<br />
nach Blanquefort, um diesem Augenblick beizuwohnen.<br />
Es geht dabei um wenige Minuten.<br />
Ein wenig zu viel oder zu wenig Hitze und<br />
der Wein entwickelt vielleicht einen anderen<br />
Charakter als gewünscht. Renommierte Universitäten<br />
haben erforscht, was während dieses<br />
Arbeitsschritts genau passiert. Man weiß<br />
heute also, welche Prozesse ablaufen: Dies hat<br />
nichts mit Magie zu tun, sondern es sind rein<br />
chemische Vorgänge. Das Erhitzen erlaubt die<br />
spätere Freisetzung der Tannine im Holz.<br />
Nicht zu vergessen ist auch, dass jedes Fass<br />
einmalig ist. Viel Erfahrung ist daher für den<br />
Betrieb einer Böttcherei notwendig. Es ist<br />
nicht einfach und braucht Zeit, sich einen Namen<br />
in der Branche zu erarbeiten. « Das erste<br />
Fass verkauft man dank seiner Reputation, das<br />
zweite aufgrund des Weingeschmacks » ist ein<br />
beliebter Ausspruch der Böttcher. Doch auch<br />
das Know-how der Weinbauern ist entscheidend.<br />
Es ist wichtig, dass ein Winzer seinen<br />
Wein versteht. Auch macht es nur für erfahrene<br />
Winzer überhaupt Sinn, einen Wein bereits<br />
nach dem ersten Reifejahr zu verkosten. Daher<br />
kommt es gerade auf das gute Zusammenspiel<br />
und das Vertrauen zwischen dem Böttcher und<br />
dem Winzer an. Gemeinsam können sie aber<br />
die besten Weine der Welt herstellen, dass haben<br />
wir bei unserem Besuch gelernt.<br />
Der Böttcher ist unverändert ein Beruf,<br />
bei dem viel Handarbeit gefragt ist.<br />
Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong> · 89
Art de vivre Genuss<br />
Suprême<br />
Denoix<br />
Oft sind es die Produkte, deren Rezepte von Generation zu<br />
Generation weitergegeben werden und deren Herstellung<br />
noch nicht völlig industrialisiert wurde, die mit ihrem Geschmack<br />
nicht nur anspruchsvolle Gaumen erfreuen, sondern<br />
auch an vergangene Zeiten erinnern. Im Herzen Frankreichs,<br />
in Brive-la-Gaillarde im Limousin, wird auf der Basis<br />
von Nüssen ein solches alkoholhaltiges Getränk hergestellt.<br />
In der Flasche verbirgt sich mehr als<br />
nur ein Getränk, es ist ein Stück persönliche<br />
Lebensgeschichte, die ich<br />
wohl mein Leben lang mit meinen Großeltern<br />
verbinden werde. Sobald ein Freund<br />
zu Besuch kam, holte mein Großvater die<br />
Flasche aus der Anrichte im Esszimmer.<br />
Meine Großmutter stellte in der Zwischenzeit<br />
die kleinen Gläser auf den Tisch,<br />
die nur für diesen Anlass reserviert waren,<br />
so schien es zumindest. Ich musste aber<br />
warten, bis ich rund ein Dutzend Lebensjahre<br />
auf diesem Planeten verbracht hatte,<br />
bis ich zum ersten Mal einen Suprême<br />
Denoix kosten durfte. Einen Moment,<br />
den ich noch heute vor Augen habe.<br />
Meine Großeltern wohnten in Brivela-Gaillarde,<br />
neben der Place du <strong>14</strong> Juillet.<br />
Ich verbrachte dort jedes Jahr meine<br />
Sommerferien. Als Großstadtkind war es<br />
für mich eine Chance, das « wirkliche »<br />
Leben, das Leben auf dem Lande kennenzulernen.<br />
Ein echtes Abenteuer in<br />
meinen Erinnerungen. Meine Großeltern<br />
gaben sich besonders viel Mühe, mich<br />
mit lokalen Leckereien zu verwöhnen. So<br />
lernte ich schon früh, einen Geschmack<br />
für gute Zutaten zu entwickeln.<br />
Damals zeigten sie mir auch eine<br />
kleine Fabrik im Boulevard Maréchal-<br />
Lyautey. Dort entwickelten zwei Unternehmer<br />
der Region, Pierre Lacoste und<br />
Louis Denoix, 1839 zwei Getränke, die<br />
sie berühmt machen sollten: den Caraçao<br />
für Pierre Lacoste und den Suprême Denoix<br />
für Louis Denoix. Auf der Weltausstellung<br />
von 1900 erhielten sie dafür eine<br />
Goldmedaille.<br />
Auch heute noch scheint sich wenig<br />
im Laufe der Jahrzehnte verändert zu haben.<br />
Über vier Generationen wurden die<br />
geheimen Rezepte zur Herstellung dieses<br />
90 · Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong>
Der Herstellungsprozess hat sich über die Jahre kaum verändert.<br />
Das Mengenverhältnis der Zutaten ist ein wohl gehütetes Geheimnis.<br />
Likörs weitergegeben. Zwar gibt es<br />
inzwischen einen Verkaufsladen, doch<br />
auch der atmet das Ambiente einer<br />
langen Geschichte. Alte Holzbalken<br />
verströmen eine heimelige Atmosphäre.<br />
Keine Frage, hier legt man viel<br />
Wert auf die Wahrung einer langen<br />
Tradition. Der Star der Boutique ist<br />
unverändert der Suprême Denoix. Seine<br />
Verkostung wird stilvoll gepflegt.<br />
Doch woraus besteht eigentlich<br />
dieses Getränk? Wichtigste Zutat<br />
sind natürlich die Nüsse. Im Spätsommer<br />
und im Herbst werden sie zu<br />
der kleinen Fabrik geliefert, wo sie<br />
anschließend in die Presse kommen.<br />
Dabei werden aber nur Nüsse aus dem<br />
Périgord verwendet. Die ausgepresste<br />
Flüssigkeit, die sehr farbintensiv und<br />
herb ist, wird anschließend gefiltert<br />
und fünf Jahre lang in Eichenfässern<br />
gelagert. Anschließend findet ein Weiterverarbeitungsprozess<br />
statt, bei dem<br />
Cognac, Sirup und Armagnacschnaps<br />
hinzugefügt wird. Das genaue Rezept<br />
und die exakten Mengenverhältnisse<br />
sind natürlich geheim. Alles wird zusammen<br />
auf einem Holzfeuer erhitzt.<br />
Olivier Poussier, weltbester Sommelier<br />
des Jahres 2000, stellte einmal<br />
beim Probieren des Suprême Denoix<br />
fest: « Das Bouquet ist intensiv, wobei<br />
sich Aromen von gegrillten, karamellisierten<br />
Nüssen mit einem Hauch von<br />
Schokolade und Pralinen mischen,<br />
unterstrichen von einer holzigen Note.<br />
Es ist ein lieblicher Likör. » Als Kind<br />
hatte ich all das noch gar nicht begriffen.<br />
Aber ich verstand auch ohne diese<br />
fachmännische Betrachtung, warum<br />
meine Großeltern dieses Getränk so<br />
liebten.<br />
Distillerie Denoix<br />
9, boulevard Maréchal Lyautey<br />
19100 Brive-la-Gaillarde<br />
Telefon: +33 (0)5 55 74 34 27<br />
www.denoix.fr<br />
Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong> · 91
Art de vivre Chantals Rezept<br />
«<br />
König<br />
Heinrich IV. wünschte, dass jeder in seinem<br />
Volk am Sonntag ein Huhn verspeisen könne. Seit dem<br />
15. Jahrhundert eroberte sich das gegarte Hühnchen<br />
einen festen Platz im französischen Speiseplan. So<br />
möchte ich Ihnen heute dieses Gericht, das aus der<br />
Region Béarn, rund um die Stadt Pau, stammt, vorstellen<br />
und dem Thema Heinrich IV. dieser Ausgabe eine<br />
kulinarische Note hinzufügen. Bon appetit!»<br />
Chantal, Kochexpertin von Frankreich<br />
erleben, beantwortet gerne Ihre Fragen:<br />
chantal@frankreicherleben.de<br />
Für 6 Personen<br />
Vorbereitungszeit: 1 Stunde<br />
Garzeit: 3 Stunden<br />
La Poule au Pot<br />
92 · Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong>
Zutaten<br />
1 Huhn (2 kg) mit Innereien<br />
(Herz, Leber, Magen)<br />
1 kg Kalbsknochen<br />
200 g Landschinken (geräuchert)<br />
100 g Geflügelleber<br />
2 Eier<br />
100 g Weißbrotkrümel<br />
100 ml Milch<br />
1 Weißkohl<br />
6 Kartoffeln<br />
6 kleine Lauchstangen<br />
1 Sellerieknolle<br />
1 Kohlrübe<br />
500 g Mohrrüben<br />
2 Zwiebeln<br />
5 Schalotten<br />
3 Knoblauchzehen<br />
1 Strauß Küchenkräuter<br />
(Petersilie, Thymian, Lorbeer)<br />
4 Gewürznelken<br />
glatte Petersilie<br />
Salz und Pfeffer aus der Mühle<br />
getrocknete, scharfe Paprikaschoten (optional)<br />
Zubereitung<br />
•<br />
Für die Füllung die Weißbrotkrümel in der Milch<br />
aufweichen. Die Innereien, die Geflügelleber und den<br />
Landschinken mit den Schalotten und den Knoblauchzehen<br />
in der Küchenmaschine zerkleinern. Das ausgedrückte<br />
Weißbrot, 1 EL gehackte Petersilie, die Eier<br />
sowie Salz und Pfeffer hinzugeben und erneut mixen.<br />
• Anschließend das Huhn mit der Füllung stopfen und<br />
mit Bindfaden oder Rouladennadeln gut verschließen.<br />
• In einer sehr großen Kasserolle das gefüllte Huhn,<br />
gut gesalzen und gepfeffert, mit den Kalbsknochen<br />
und den Küchenkräutern in etwa ¾ Liter Wasser<br />
zum Kochen bringen. Den Schaum abschöpfen und<br />
auf kleiner Flamme zwei Stunden köcheln lassen.<br />
Zwischendurch immer wieder den Schaum entfernen.<br />
Je nach Geschmack während des Kochens<br />
mit getrockneten, scharfen Paprikaschoten würzen<br />
und gegebenenfalls nachsalzen und nachpfeffern.<br />
• Nach zwei Stunden den Strauß Küchenkräuter<br />
entfernen und das Gemüse dazugeben. Dafür die<br />
Gewürznelken in die Zwiebeln stecken – so sind sie<br />
am Ende leicht herauszunehmen und niemand läuft<br />
Gefahr, darauf zu beißen. Die Kohlblätter vorher<br />
drei Minuten blanchieren und danach gut mit kaltem<br />
Wasser abschrecken. Alternativ können sie auch klein<br />
geschnitten direkt in die Brühe gegeben werden.<br />
Alles zusammen weitere 40 Minuten kochen lassen.<br />
• Danach Kartoffeln hinzugeben und noch<br />
einmal 20 Minuten garen lassen.<br />
• Am Ende das Huhn herausnehmen und den Bindfaden<br />
lösen. Das Huhn mit einigen Löffeln der Füllung, dem<br />
Gemüse, scharfem Senf und Gewürzgurken servieren.<br />
Tipp<br />
•<br />
Die nach dem Kochen entstandene Brühe eignet sich<br />
hervorragend als Grundlage für andere Gerichte oder<br />
als Vorsuppe mit Croutons.<br />
Weinempfehlung<br />
•<br />
Besonders gut passt ein guter Rotwein aus der Region,<br />
zum Beispiel ein ein Buzet, ein Madiran oder ein Cahors.<br />
Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong> · 93
Leserbriefe<br />
Ihre Favoriten 2007<br />
Bestes Titelblatt 2007:<br />
Impressum<br />
Im letzten Heft hatten wir Sie gebeten, uns<br />
Ihre Favoriten aus 2007 zu verraten. Wir<br />
bedanken uns für die zahlreichen Ein sendun<br />
gen und gratulieren den Gewinnern<br />
des Preisausschreibens:<br />
Janek Rößler, Gera<br />
Ingrid Horn, Waiblingen<br />
Wir haben ganz Frankreich in den<br />
letzten 40 Jahren über 35-mal mit<br />
dem Auto bereist und kennen die einschlägige<br />
Reiseliteratur, die der Markt<br />
anbietet. Ihr Heft schließt eine echte<br />
Lücke! Schade nur, dass es « lediglich »<br />
100 Seiten hat.<br />
Friedrich Karg, Planegg<br />
Ihrem Chefredakteur möchte ich<br />
ein großes Kompliment aussprechen,<br />
insbesondere für das Bordeaux-Heft.<br />
Auch ich besuchte nach etwa zehn<br />
Jahren 2007 diese schöne Stadt. Es<br />
ist nur zu bestätigen, dass diese Stadt<br />
nach dem Wandel kaum wiederzuerkennen<br />
war. Le Pont de Pierre, la Place<br />
de la Bourse etc. Nicht zu vergessen<br />
Ihr Tipp vom Restaurant L’Estaquade,<br />
von wo aus man ein schönes Panorama<br />
der herrlichen Stadt sehen kann. Diese<br />
Empfehlung bekam ich ebenfalls von<br />
meinen Bordelais-Freunden.<br />
Raimund Wulf, Dortmund<br />
Seit der Ausgabe <strong>Nr</strong>. 11 bin ich begeisterte<br />
Abonnentin Ihres Magazins.<br />
Der Grund meines Briefes ist folgender:<br />
Hat Ihnen unser Magazin gefallen?<br />
Haben Sie Verbesserungsvorschläge<br />
oder Anregungen? Schreiben Sie uns.<br />
Wir sind gespannt auf Ihre Meinung!<br />
Per E-Mail: leserbriefe@frankreicherleben.de<br />
Per Brief:<br />
Frankreich erleben - Leserbriefe -<br />
Globus Medien GmbH<br />
Heckscherstraße 29 · 20253 Hamburg<br />
Per Fax: +49 (0)40 38017863552<br />
1. Platz: Frankreich erleben N° 10<br />
2. Platz: Frankreich erleben N° 8<br />
Bestes Heft 2007<br />
1. Platz: Frankreich erleben N° 10<br />
2. Platz: Frankreich erleben N° 12<br />
Ich habe im Herbst auf ARTE den<br />
« Guerre du Camembert » gesehen und<br />
nun Ihren Beitrag über Camembert in<br />
der Ausgabe <strong>Nr</strong>. 3 gelesen. Aus Solidarität<br />
zu den verbliebenen Käsereien,<br />
die noch echten Camembert herstellen,<br />
habe ich mir im französischen Supermarkt<br />
einen Camembert au lait cru einer<br />
Fromagerie aus dem Cotentin gekauft.<br />
Der Unterschied ist gewaltig. Das ist<br />
der Camembert, wie ich ihn aus meiner<br />
Kindheit kenne. Es ist ein Segen, 20<br />
Kilometer von der französischen Grenze<br />
zu wohnen. Ein anderer Camembert<br />
kommt mir nicht mehr ins Haus.<br />
Katja Hekimoglu, Blieskastel<br />
Fast seit Bestehen lese ich Euer<br />
Heft. Ich habe mir fast jede Ausgabe<br />
gekauft und die Zeitschrift nun auch<br />
abonniert. Ein großes Lob für die<br />
tollen Reiseberichte, aber insbesondere<br />
auch für die vielen nützlichen<br />
Tipps und Hintergrundinformationen.<br />
Wichtig sind mir vor allem die Informationen,<br />
die mich bei meinem Aufenthalt<br />
in Frankreich unterstützen.<br />
Dieter Ruebener, Aachen<br />
Die Redaktion behält sich vor, Leserbriefe in gekürzter Fassung zu veröffentlichen.<br />
Bildnachweise (nach Seiten, Anordnung von links nach<br />
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94 · Frankreich erleben · <strong>März</strong> / <strong>April</strong> <strong>2008</strong>
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7<br />
8<br />
6<br />
5<br />
9<br />
2<br />
1 3<br />
11<br />
4<br />
10<br />
12<br />
2 Nordfrankreich Heft <strong>Nr</strong>.<br />
Karneval in Dünkirchen - Eine ganze Stadt feiert mit urigem Humor 13<br />
La Piscine - Ein Schwimmbecken als Eintrittskarte in die Welt der Kunst 10<br />
Auf Lille 2004 folgt lille3000, die Verwandlung geht weiter 6<br />
Lille - Frankreichs flämische Metropole 2<br />
Hotel - L‘Hermitage Gantois, Lille 5<br />
3 Elsass / Lothringen / Champagne Heft <strong>Nr</strong>.<br />
Plombières-les-Bains - Thermale Freuden in den Vogesen 12<br />
Straßburg - Stadterneuerung als politisches Leitmotiv 11<br />
Wein - Jean-Paul Schmitt, ein Winzer mit Charakter und charaktervollen<br />
Weinen<br />
10<br />
Genuss - Madeleines, die süße Verführung aus Commercy 10<br />
Metz - Im Osten etwas Neues 9<br />
Burgen - Auf den Spuren des Mittelalters 8<br />
Elsässische Weinstraße - Eine Weingegend zeigt sich volksnah 8<br />
Mulhouse - Europäische Hauptstadt der Technikmuseen 8<br />
Dominikanerkloster Guebwiller - Wo Musik Grenzen überwindet 8<br />
Golf im Elsass - Geheimtipp unter Golfern 8<br />
Dorfleben - Eine Reise zu den fünf schönsten Dörfern des Elsass 8<br />
Colmar - Der Zauber der Nacht 8<br />
Sainte-Marie-aux-Mines - Besuch einer Silbermine aus dem 16. Jahrhundert 8<br />
Bugatti in Molsheim - Die Wiederentdeckung einer automobilen Legende 8<br />
Straßburg - Wenn Fachwerkhäuser auf Glaspaläste treffen 8<br />
Skifahren in den Vogesen - Mittelgebirge hinter der Grenze 7<br />
Elsass - Hochburg der Weihnachtsmärkte 6<br />
Wein - Champagner, Lebensgenuss pur 5<br />
Stockweiher - der Wolf im Schafspelz 3<br />
Hotel - Le Prestige Impérial, Plombières-les-Bains 12<br />
Hotel - Le Domaine du Lac, Guebwiller (Elsass) 9<br />
4 Burgund / Jura Heft <strong>Nr</strong>.<br />
1 Paris und Umgebung Heft <strong>Nr</strong>.<br />
Cité de l’Immigration - Ein notwendiges Museum 13<br />
Vaux-le-Vicomte - Wenn Größenwahn zum Verhägnis wird 12<br />
Barbizon - Nabel der französischen Landschaftsmalerei des 19.<br />
Jahrhunderts<br />
12<br />
Fontainebleau - Kleines Paradies der Glückseligkeit 12<br />
Parc de Sceaux - Wenn der Park im Mittelpunkt steht 12<br />
Rambouillet - Ein Schloss für den Präsidenten 12<br />
Saint-Germain-en-Laye - Sinnbild eines elitären Lebensgefühls 12<br />
Parc de Saint-Cloud - Schlosspark ohne Schloss 12<br />
Auvers-sur-Oise - Van Goghs letzte Ruhestätte 12<br />
Chantilly - Schloss, Pferde, Schlagsahne 12<br />
Pierrefonds - Beschaulichkeit versus Monumentalität 12<br />
Kommunalpolitik - Paris erlebt eine Fahrradrevolution 12<br />
Fondation Le Corbusier - Das Erbe eines polarisierenden Architekten 12<br />
Gastronomie - Preiswert essen in Paris 12<br />
Paris La Défense - Paris‘ futuristisches Gesicht 10<br />
Paris <strong>14</strong>e - Stadtspaziergang durch das <strong>14</strong>. Arrondissement 9<br />
Paris-CDG - Hinter den Kulissen des Pariser Flughafens Charles-de-Gaulle 8<br />
Opéra National de Paris - Eine Bühne für das Publikum 7<br />
Paris Rive Gauche - Zukünftiges 7<br />
Restaurant - Café Marly, Pariser Chic im Louvre 6<br />
Shoppingtour - Auf Einkaufstour durch Paris mit einem der legendärsten<br />
Autos Frankreichs, der Ente<br />
6<br />
Palais-Royal - Die Renaissance des Shoppings 6<br />
Avenue Montaigne - Nächtlicher Bum mel über die Pariser Luxusmeile 6<br />
Kaufhäuser - Mythos Grands Magasins: vom «Paradies der Damen» zum<br />
Konsumtempel<br />
6<br />
Maison de Balsac, Musée Gustave Moreau, Fondation Cartier 5<br />
Mac/Val - Zeitgenössischer Kunst tempel in einem Vorort von Paris 3<br />
Gastronomie - Chez Antoine 1<br />
Pariser Bistros 1<br />
Die Gewächs häuser von Auteuil 1<br />
Interview - Anne Hidalgo 1<br />
Märkte - Jedem seinen Markt 1<br />
Stadtteile - Spaziergang durch eine sinnliche Metropole 1<br />
Hotel - Hôtel des Académies et des Arts, Paris 11<br />
Hotel - Kube Rooms and Bars Paris 2<br />
Skifahren im Jura - Landstrich der Geruhsamkeit 7<br />
Saline Royale - Salz des Lebens: die königliche Saline von<br />
Arc-et-Senans<br />
7<br />
Burgund - Mit dem Hausboot auf dem Canal du Nivernais 2<br />
Wein - Chablis, weißes Gold des Burgund 1<br />
Jura - Hundeschlittenfahren im hohen Norden... des Jura 1<br />
5 Loire-Tal Heft <strong>Nr</strong>.<br />
Wein - AOC Touraine, der Siegeszug des Sauvignon 12<br />
Wein - Vouvray 9<br />
Gastronomie - Chez Miton, Chahaignes 3<br />
Wein - Jasnières du Loir 3<br />
Fahrradtouren - Mit dem Fahrrad entlang der Loire 3<br />
Höhlenwohnungen - Moderne Troglodyten am Loir 3<br />
Als Schlossherr im Jahr 2006... 3<br />
Die etwas anderen Schlösser 3<br />
Wein - Domaine de Beauséjour 3<br />
6 Normandie Heft <strong>Nr</strong>.<br />
Mont-Saint-Michel - Die spektakuläre Rettung des Klosterbergs 10<br />
Trouville-sur-Mer - Bäderarchitektur vom Feinsten 8<br />
Camembert-Herstellung 3<br />
Le Havre - Frankreichs neuestes Weltkulturerbe 3<br />
7 Bretagne Heft <strong>Nr</strong>.<br />
Belle-Ile-en-Mer - Raues Eiland im Atlantik 11<br />
Le Pays des Abers - Die Bretagne im Kleinformat mit Fjorden wie im hohen Norden 9<br />
Rennes - Geschichtsträchtig und weltoffen 9<br />
Nantes-Brest-Kanal - Und aus der Mitte entspringt ein Kanal 9<br />
Bretonische Lebensart - Mehr als nur Klischees? 9<br />
Genuss - Lichouseries, zuckersüße Köstlichkeiten aus der Bretagne 9<br />
Bretagne - Thalassotherapie: die heilsamen Kräfte des Meeres 2<br />
Hotel - Grand Hôtel Barrière, Dinard 6
8 Atlantikküste Heft <strong>Nr</strong>.<br />
Pont de Pierre - Die schönste Annäherung an Bordeaux 13<br />
Typisch Bordeaux - Wenn Kleinigkeiten zum Markenzeichen werden 13<br />
Bordeaux-Saint-Michel - Bodenständig und populär 13<br />
Stadterneuerung Bordeaux - Wenn das 21. Jahrhundert auf das 18.<br />
Jahrhundert trifft<br />
13<br />
Bordeaux Rive Droite - Ein Ufer auf Identitätssuche 13<br />
Saint-Nazaire - Der Blick nach vorne 11<br />
Ein Traumwochenende im Bordelais 5<br />
Cordouan - Das kleine Versailles im Atlantik 5<br />
Portraits - Salzbauern, Austernzüchter, Kiwiproduzenten,<br />
die Berufe entlang der Küste<br />
4<br />
Hossegor - Wo Architektur den legendären Ruf eines Seebades begründet 4<br />
Nantes - Eine Stadt organisiert ihre kul turelle Metamorphose 4<br />
La Leyre - « Wenn du die Region wirklich kennen lernen möchtest,<br />
interessiere dich für die Leyre...»<br />
4<br />
Inseln - Ile de Noirmoutier und Ile d‘Yeu - das Leben vor der Küste 4<br />
Wein - Bordelais: Les Vignobles Peyvergès 2<br />
Aquarium von La Rochelle 2<br />
Bordeaux - Das Erwachen einer schlafenden Schönheit 1<br />
Hotel - Seeko’o Hotel, Bordeaux 13<br />
Hotel - Les Sources de Caudalie, Bordelais 3<br />
9 Zentralfrankreich / Pyrenäen Heft <strong>Nr</strong>.<br />
Moissac - Ein Glanzlicht der europäischen Kunstgeschichte 13<br />
Toulouse - Weltoffenheit und Lebenslust 12<br />
Erinnerungskultur - Versuch einer Zustandsbeschreibung am Beispiel von<br />
Oradour-sur-Glane<br />
11<br />
Genuss - Roquefort, le roi des fromages 11<br />
Skifahren im Zentralmassiv - Land der erloschenen Vulkane 7<br />
Skifahren in den Pyrenäen - Bergkette zwischen zwei Meeren 7<br />
Land der Katharer - Von Foix nach Carcassonne 4<br />
Viadukt von Millau - Die Brücke über den Wolken 1<br />
Hotel - Hôtel Garonne, Toulouse 10<br />
10 Alpen / Rhone-Tal Heft <strong>Nr</strong>.<br />
Les 3 Vallées - Grenzenloses Wintersportvergnügen 13<br />
Barcelonnette - Einmal Mexiko und zurück 12<br />
Route des Grandes Alpes - Höhenrausch und Fernsicht 11<br />
Grenoble - Frankreichs Alpenmetropole auf Schönheitskur 11<br />
Evian, Thonon, Aix-les-Bains - Legendäre Kurbäder der Belle Epoque 11<br />
Yvoire - Mittelalterliches Flair am Genfer See 10<br />
Flusskreuzfahrt - Freizeitstress und Langsamkeit, Tagebuch einer<br />
Flusskreuzfahrt auf der Rhone<br />
10<br />
Skifahren in den Südalpen - Dem Mittelmeer so nah 7<br />
Skifahren in den Nordalpen - Gebirge der Superlative 7<br />
Wein - Die Wahrheit über den Beaujolais Nouveau 7<br />
Lyon - Eine Stadt entdeckt die Magie des Lichts 3<br />
Hotel - Hameau Albert 1er, Chamonix 7<br />
11 Mittelmeerküste / Provence Heft <strong>Nr</strong>.<br />
Mougins - Picassos letzter Wohnort 13<br />
Nizza - Kunst erobert die Stadt 11<br />
Die Provence wie im Film - Auf den Spuren von «Jean Florette» und<br />
«Manons Rache»<br />
10<br />
Flusskreuzfahrt - Freizeitstress und Langsamkeit, Tagebuch einer<br />
Flusskreuzfahrt auf der Rhone<br />
10<br />
Luberon - Eine Reise zu den Farben der Provence 10<br />
Massif de la Sainte-Baume - Auf dem Dach der Provence 10<br />
Camargue - Land zwischen Fluss und Meer 9<br />
Cevennen - Das Rätsel der Höhle von Trabuc 7<br />
Musée du Désert - Auf den Spuren des eigenen Namens 6<br />
Circuit du Var - Erste Formel-1-Fahrschule der Welt 6<br />
Marseille - 10 Gründe, die Hafenstadt zu mögen 5<br />
Narbonnaise - Ein Morgen mit Gérard beim Aalfang... 4<br />
Bambouseraie - Die Poesie eines 150 Jah re alten Bambusgartens 4<br />
Gastronomie - Calissons 2<br />
Confiserie - Wo Blüten zu süßen Köstlichkeiten werden 2<br />
Villages perchés - Wo Dörfer auf Gipfeln thronen 2<br />
Saint-Tropez - Wo der Luxus zu Hause ist 2<br />
Hotel - HI, Nizza 8<br />
Hotel - Le Delos, Mittelmeerküste 4<br />
12 Korsika Heft <strong>Nr</strong>.<br />
Calvi - Perle im Nordwesten Korsikas 8<br />
Restaurant - A Pineta, Ajaccio 5<br />
Mit der Eisenbahn durch Korsikas Bergwelt 5<br />
Gorges de la Restonica, Korsikas alpine Seite 5<br />
Städtevergleich - Bastia versus Ajaccio 5<br />
Wenn Landstraßen zu Traumstraßen werden 5<br />
Hotel Casadelmar, Porto-Vecchio 1<br />
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Ausgabe <strong>Nr</strong>. 15 - Mai / Juni <strong>2008</strong> erscheint am 30. <strong>April</strong> <strong>2008</strong><br />
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