Art de vivre Rum HocH prozentiges aus Übersee 84 · Frankreich erleben · <strong>September</strong> / <strong>Oktober</strong> <strong>2009</strong>
Zuckerrohrschnaps. Was für ein profaner Begriff für ein Getränk, das in uns Bilder von karibischer Sonne, Palmenküsten und relaxtem Lebensstil hervorruft. Guildive (vom englischen Kill-devil), Tafia oder Arack sind Bezeichnungen, die früher für das feurige Getränk gebräuchlich waren. Heute sprechen wir schlicht von: Rum. Der Legende nach soll ein Sklave zufällig darauf gestoßen sein, dass aus vergärtem Zuckerrohrsaft Alkohol gewonnen werden kann. Er hatte einen Becher Zuckerrohrsaft in der Sonne stehen lassen und wurde vom Alkohol überrascht, der sich gebildet hatte. Die Geschichte könnte durchaus stimmen, war der Rum doch lange der Alkohol der Sklaven auf den karibischen Inseln, die mit seiner betäubenden Wirkung ihre Lebensbedingungen zu verdrängen suchten. Häufig wird der Rum mit Kuba oder Mexiko in Verbindung gebracht. Dass Rum auch eine französische Spezialität ist, weiß man außerhalb Frankreichs kaum. Es ist der Rum von den Überseedepartements der karibischen Antillen und dem im westindischen Ozean gelegenen Departement La Réunion. Die Rumproduktion ist in den DOM (Départements d’Outre- Mer, dt. Überseedepartements) ein enormer Wirtschaftsfaktor, denn für viele Franzosen ist der wahre Rum natürlich der französische. Dabei geht die Rumproduktion der karibischen « Blumeninsel » Martinique zu 65 Prozent in den lokalen Konsum, während von dem Rum, der auf La Réunion produziert wird, der überwiegende Teil in den Export gelangt. Auf Martinique wird Rum im Gegensatz zu den meisten anderen Sorten nicht aus Zuckerrohrmaische hergestellt, sondern aus reinem Zuckerrohrsaft. Es ist der so genannte rhum agricole, der auf Martinique so sehr zum Alltag gehört, dass man ihn wohl als ein soziales Getränk bezeichnen muss. Kein Fest ohne Rum, kein Tanz ohne Rum, keine Beerdigung ohne Rum. Für jede Phase des Tages gibt es eine eigene Spezialität und wenn man möchte – und es verträgt –, kann man den ganzen Tag nur rumhaltige Getränke zu sich nehmen. Reinen Rum, Rum gemischt mit Wasser, Rum als Cocktail oder Rum als fruchthaltiger punch. Der Zuckerrohrschnaps gilt aber auch als Medizin und wird nicht nur zur Wunddesinfektion eingesetzt, sondern auch zur Linderung von Magen-Darm-Beschwerden und Kopfschmerzen und selbst zur Bekämpfung von Potenzproblemen. Die Rumproduktion auf La Réunion ist ebenfalls ein enormer Wirtschaftszweig, belegt der Rum doch Platz zwei der Ausfuhren von der Insel. Spezialitäten des Rums aus La Réunion sind der Versatz mit Kräutern, Rinden und Früchten. Das gibt dem Réunion-Rum seinen eigenen Geschmack, der sich von dem des Martinique-Rums deutlich unterscheidet. Letzterer reift vor allem in alten Bordeaux-Fässern und wird dadurch mit unverwechselbaren Aromen angereichert. Auf La Réunion produziert man allerdings noch ein erstaunliches Nebenprodukt aus Rum – und zwar Strom. Ein Sechstel des Strombedarfs der Insel wird aus den Abbauprodukten der Rumproduktion gewonnen. Dabei wird die Restmaische verfeuert, was pro Jahr das Verbrennen von 120.000 Tonnen Schweröl ersetzt. Ein Segen für die Umwelt. Unterscheidet man zwischen den beiden Produktionsweisen des rhum agricole und des rhum traditionnel (der etwa 90 Prozent der weltweiten Produktion ausmacht), so gibt es zusätzlich auch streng überwachte Qualitätsstufen der Rumsorten. Für den rhum agricole aus Martinique gibt es eine eigene AOC, die französische kontrollierte Herkunftsbezeichnung. Dabei wird genau unterschieden, wie lange der Rum gereift ist und ob er in einem Edelstahltank oder in einem Eichenfass gelagert wurde. Bei den Rumsorten, die länger als sechs Jahre gelagert wurden (meist in alten Bordeaux-Fässern), übersteigen die Flaschenpreise schnell einmal die 100 Euro. Es ist der rhum hors d’âge. Der rhum blanc (dt. weißer Rum) braucht dagegen nur drei Monaten im Edelstahlfass gelagert werden. Der Rum von La Réunion wird zu großem Teil als Verschnitt in die ganze Welt verkauft. In Deutschland und Österreich stammt etwa die Hälfte des verarbeiteten Rums von La Réunion. So vielfältig die Gelegenheiten und Rezepte für den Zuckerrohralkohol sind, so vielfältig sind die Legenden, die sich um ihn ranken. Einst das Getränk der Sklaven, wurde er später zum Markenzeichen der Piraten in der Karibik. Was sich nach Abenteuerromantik anhören mag, hatte vor etwa 300 Jahren einen ernsten Hintergrund. Denn mit Rum machten die Freibeuter die Seeleute der Handelsschiffe betrunken, die vor den Karibikhäfen vor Anker lagen. So sehr betrunken, dass die Matrosen die Abfahrt ihrer Schiffe versäumten. Vor die Wahl gestellt, auf den Inseln zu versauern, oder sich von den Piraten rekrutieren zu lassen, schlugen sich die meisten auf die Seite der Banditen. Der perfide Trick wurde aber auch manch einem Piraten zum Verhängnis. Der Bande um den Seeräuber John Rackam kam die englische Marine 1720 auf die Schliche, weil die Piraten sich so sehr am Rum eines erbeuteten Schiffs gütlich taten, dass sie zu betrunken waren, um sich gegen die Verfolger zu verteidigen. Heute genießen wir den Rum zum Glück etwas gesitteter, mit dem Kuchen Baba au rhum zum Beispiel. Frankreich erleben · <strong>September</strong> / <strong>Oktober</strong> <strong>2009</strong> · 85